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Schlagwortarchiv für: Zivilrecht

Redaktion

Lösungsvorschlag für die Zivilrecht I Klausur aus dem Mai 2024

Aktuelles, Examensreport, Nordrhein-Westfalen, Uncategorized, Zivilrecht

Im Mai 2024 hat uns Laura ein Gedächtnisprotokoll zur ersten Zivilrechtsklausur des Mai-Durchgangs 2024 in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung gestellt. Nun hat Lorenz Fander, der jene Klausur selbst abgelegt hat, dankenswerterweise den dazu passenden Lösungsvorschlag formuliert. Hier wie dort gilt jedoch, dass juraexamen.info keine Gewähr dafür geben kann, dass die in den Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht und der Lösungsvorschlag vollständig ist.

Sachverhalt

Die 17-jährige J macht (mit Einverständnis der Eltern) ein Praktikum bei der X-GmbH, welche im Bereich der Umwelttechnik tätig ist. Die J und ihre Eltern besuchen gerne Sternerestaurants und sie interessiert sich für Fine-Dining. Als die Geschäftsführerin G der X-GmbH davon erfährt, bittet Sie die J am Wochenende für die G und ihren Partner ein 2 Sterne Restaurant auszusuchen und verbindlich und kostenpflichtig für G und ihren Partner für den 24.11 zu buchen. Für ihre Mühen würde die J 50 Euro Vergütung erhalten.

Am Freitag nimmt die J direkt telefonisch mit dem Koch K Kontakt auf und informiert sich über sein Angebot.

Am Samstagmittag des 28.10 schreibt die J dann eine E-Mail (von ihrem privaten E-Mailkonto) an den K, dass sie zwei Plätze in seinem Restaurant für ein Feinschmeckermenü mit Weinbegleitung in Höhe von 400 Euro im Namen von G buchen möchte. Die E-Mail unterzeichnet sie mit „i.V. J“.

Am Montag, den 30.10 bestätigt der K die Buchung per E-Mail.

Am 31.10 erfährt die J, dass die G am Samstagmorgen, noch bevor sie die E-Mail versendet hat, bei einem Unfall gestorben ist. Die J ist davon so erschüttert, dass sie vergisst dem K Bescheid zu geben.

Die G hat die X-GmbH (Geschäftsführer wird F) mittels wirksamen Testaments als Alleinerbin eingesetzt.

Am 24.11 bleiben die gebuchten Plätze im Restaurant frei. Der K sparte dadurch 100 Euro, die er ansonsten für Lebensmittel und Getränke ausgegeben hatte. Er wendet sich an die X-GmbH und möchte die 800 Euro haben, die er eigentlich von G bekommen hätte. Die X-GmbH meint sie hätte von nichts gewusst und wenn dann müsste er sich an die J wenden.

J meint sie hätte nur das getan was die G ihr aufgetragen hat. Die Eltern der J wenden ein, dass sie der J sowas nicht erlaubt haben und schon gar nicht am Wochenende.

Frage 1: Hat K einen Anspruch gegen die X-GmbH?

Frage 2: Hat K einen Anspruch gegen J?

Fallfortsetzung:

Ein Jahr später reicht die mittlerweile volljährige J Klage beim örtlich zuständigen Amtsgericht ein, da sie der Meinung ist, ihr stehen noch die 50 Euro zu. Zum mündlichen Verhandlungstermin erscheint die J ohne anwaltliche Vertretung, die X-GmbH erscheint trotz ordnungsgemäßen Termin nicht. Die J beantragt daher ein Versäumnisurteil gegen die X-GmbH.

Frage 3: Hat die Klage der J Erfolg?

Lösungsvorschlag

Frage 1: Ansprüche des K gegen die X-GmbH

A. K könnte einen Zahlungsanspruch gegen die X-GmbH aus §§ 631 I, 1922 I, 1967 I BGB haben.

I. Dafür müsste zwischen K und G ein wirksamer Werkvertrag geschlossen worden sein und die nach § 13 I GmbHG rechtsfähige X-GmbH müsste nach §§ 1922, 1967 1 BGB in die Rechte und Pflichten des G eingetreten sein.

1) K und G müssten einen Werkvertrag geschlossen haben. Dazu sind zwei übereinstimmende Willenserklärungen, namentlich Angebot und Annahme (§§ 145 f. BGB) notwendig.

a) Zunächst kommt eine Einigung im Rahmen eines Telefonats am 27.10.2023 in Betracht. G trat allerdings nicht selbst gegenüber K auf. J könnte sich jedoch nach § 164 I 1, III BGB mit Wirkung für und gegen G mit K auf einen Vertragsabschluss geeinigt haben.

Dafür müsste sie zunächst eine eigene Willenserklärung abgegeben haben. Erforderlich ist insoweit ein Handeln mit äußerem Rechtsbindungswillen. Es ist von bloßen Vertragsverhandlungen ohne Rechtsbindungswillen abzugrenzen. Ob eine Partei mit Rechtsbindungswillen handelt, ist aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Die Anfrage der J, ob noch Tische frei seien, war erkennbar noch nicht auf das Herstellen einer Bindung ausgerichtet. Sie wollte vielmehr allgemein die Kapazitäten erfragen. Demnach liegt darin noch kein Angebot, sondern (falls J bewusst war, dass K nur verbindliche Buchungen vornimmt) die Aufforderung an K, er solle selbst ein Angebot abgeben (invitatio ad offerendum).

b) J und K könnten sich jedoch, wiederum mit Wirkung für und gegen G nach § 164 I 1, III BGB, am Mittag des 28.10.2023 geeinigt haben. Am Mittag des 28.10.2021 war G jedoch bereits in Folge eines Kletterunfalls verstorben. Somit konnte er jedenfalls nicht verpflichtet werden. Ob demnach eine Einigung vorliegt kann hier dahinstehen.

2) G und K schlossen keinen Werkvertrag.

3) Demnach gab es auch keinen Vertrag in den die Erben durch den Erbfall hätten eintreten können.

II. K hat keinen Zahlungsanspruch gegen die X-GmbH aus §§ 631 I, 1967 I BGB.

B. K könnte gegen die X-GmbH jedoch einen Zahlungsanspruch aus § 631 I BGB haben.

I. Dazu müsste ein Vertrag zwischen K und der X-GmbH zustande gekommen sein.

1) Die X-GmbH ist als juristische Person nicht selbst handlungsfähig. J gab mit ihrer Mail jedoch ein Angebot ab, dass K mit der Buchungsbestätigung annahm. Diese Einigung könnte nach § 164 I 1, III BGB für und gegen die X-GmbH wirken.

a) J gab eine eigene Willenserklärung ab.

b) Sie müsste in fremdem Namen gehandelt haben. Sie handelte zwar im Namen der G. Vorliegend geht es jedoch um die Verpflichtung der X-GmbH, sodass fraglich ist, ob sie tatsächlich für und gegen die X-GmbH handelte.

J gab jedoch nicht nur an für G zu handeln, sondern unterzeichnete zudem mit dem Zusatz i. V. J. Sei brachte somit zum Ausdruck jedenfalls nicht selbst verpflichtet werden zu wollen. Gleichzeitig war die X-GmbH nach § 1922 BGB Alleinerbin der G. Mithin trat sie mit dem Todesfall unmittelbar (Vonselbsterwerb, § 1942 I BGB) in die Rechte und Pflichten der G ein, §§ 1922 I, 1967 BGB. Handelt eine Person erkennbar mit dem Willen jedenfalls nicht selbst verpflichtet werden zu wollen ist anzunehmen, dass sie für den unmittelbar benannten hilfsweise aber zumindest im Namen seiner Erben handeln will. Dies ist für den Rechtsverkehr auch sachgerecht, da die Haftungsmasse, auf die sich der Vertragspartner tatsächlich einlässt, mit der übereinstimmt, die auf die Erben übergeht. Zudem kann der Erbfall auch jederzeit nach Vertragsschluss eintreten. Auch in diesem Fall würden nur die Erben haften. Demnach ist das Offenkundigkeitsprinzip gewahrt.

c) J müsste mit Vertretungsmacht gehandelt haben.

aa) Zunächst könnte eine rechtsgeschäftliche Vollmacht am 25.20.2023 erteilt worden sein, § 167 I Var. 1 BGB. G gab der J auf das Geburtstagsgeschenk zu organisieren und eine verbindliche und kostenpflichtige Buchung für sich und ihren Partner durchzuführen. Somit erteilte sie der J Vertretungsmacht.

Fraglich ist, ob diese einseitige Willenserklärung der J als 17-jähriger Praktikantin überhaupt zugehen konnte, § 131 I 1, 2 BGB. J ist nämlich nach §§ 2, 106 BGB in der Geschäftsfähigkeit beschränkt.

Dies wäre abzulehnen, wenn die Erteilung der Vertretungsmacht einen rechtlichen Nachteil brächte, sprich dem Minderjährigen ein Recht entzieht, ihn in einem Recht beschränkt, oder verpflichtende Wirkung hätte. Die Stellung als Stellvertreter ist für den Minderjährigen jedoch rechtlich neutral, schließlich wird er nicht selbst verpflichtet. Sie ist demnach nicht rechtlich nachteilig. Dies ergibt sich auch schlüssig aus § 165 BGB. Demnach konnte die Bevollmächtigungserklärung wirksam nach § 131 I 2 BGB zugehen. J wurde wirksam bevollmächtigt.

bb) Fraglich ist, ob die Vollmacht durch den Tod der G am Morgen des 28.10.2023 erloschen ist. In diesem Fall hätte J als Vertreterin ohne Vertretungsmacht gehandelt und der Vertrag wäre im Grundsatz nach § 177 I BGB schwebend unwirksam.

(1) Grundsätzlich treten die Erben vollständig in die Rechte und Pflichten des Erblassers ein. Dies gilt auch für erteilte Bevollmächtigungen.

(2) Die Vollmacht könnte jedoch nach § 168 S. 1 BGB erloschen sein. Dazu müsste das ihrer Erteilung zugrundeliegende Rechtsverhältnis erloschen sein. Als solches kommt ein Geschäftsbesorgungsvertrag mit werkvertraglichem Charakter nach §§ 675 I, 631 BGB in Betracht.

Dieser müsste jedoch überhaupt wirksam zustande gekommen sein. Unabhängig vom tatsächlichen Inhalt und Rechtscharakter eines etwaigen Vertrages müsste eine wirksame Einigung vorliegen.

(a) G gab ein entsprechendes Angebot ab. Der Erhalt eines Angebots erweitert die Rechtsstellung des Minderjährigen sodass dieses auch nach § 131 I 2 BGB zugehen kann.

(b) Dieses Angebot nahm J auch an, als sie zusagte.

(c) Der Vertrag könnte jedoch schwebend unwirksam sein, § 108 BGB.

J ist beschränkt geschäftsfähig und die Annahme eines Angebots auf Abschluss eines Vertrages, der zur Vornahme eines Geschäfts verpflichtet, begründet eine rechtliche Verpflichtung. Die Annahme ist demnach rechtlich nachteilig.

Somit war eine Einwilligung (§§ 107, 182 BGB) respektive Genehmigung (§ 184 BGB) der gesetzlichen Vertreter, also der Eltern §§ 1626 I, 1629 I 1BGB, notwendig.

Eine Einwilligung könnte in dem Einverständnis mit dem Tätigwerden im Rahmen des Praktikums erteilt worden sein. Die Tätigkeit als Praktikant bei einem Unternehmen in der Umwelttechnik geht jedoch regelmäßig nicht mit Aufträgen einher, Restaurantbesuche für den Geschäftsführer zu buchen. Die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter im Vorhinein des Praktikums erfasst die die Zustimmung zum Abschluss eines Vertrages, in welchem sich J verpflichtet entgeltlich auf Geheiß der G tätig zu werden, somit nicht.

Möglicherweise folgte die Fähigkeit den Vertrag abzuschließen jedoch aus § 113 1 1 BGB. Demnach ist ein Minderjähriger, der mit Zustimmung im Rahmen des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses tätig wird befugt, Verpflichtungen einzugehen, die sich aus der Erfüllung des Verhältnisses ergeben. Zwar kann ein Praktikum, sei es auch unentgeltlich, grundsätzlich dem Sinn und Zweck nach den von § 113 I 1 BGB erfassten Dienst- und Arbeitsverhältnissen gleichgestellt werden. Die Buchung eines Restaurants ist jedoch keine sich aus dem Praktikumsverhältnis ergebende Verpflichtung. Sie hat mit den dort bezweckten Zielen (Einblick in die Arbeit, erste Erfahrungen im Berufsleben) nichts zu tun. Demnach erfasst auch § 113 I 1 BGB nicht das vorliegende Geschäft.

Auch ist die Tätigkeit im Rahmen der Geschäftsbesorgung wegen fehlender Instruktion, Überwachung und Hilfestellung nicht mit der Tätigkeit als Praktikant vergleichbar. Demnach ist das Geschäft auch nicht als Verhältnis derselben Art im Sinne des § 113 IV BGB aufzufassen.

J hatte unter keinem Gesichtspunkt die Befugnis sich zum Abschluss des Vertrages zu verpflichten. Demnach war der Vertag zunächst schwebend unwirksam (§ 108 I BGB). Durch die Erklärung der Eltern gegenüber J mit dem Geschäft nicht einverstanden zu sein, ist der Vertrag endgültig unwirksam geworden.

(d) Demnach gibt es kein zugrundeliegendes Rechtsgeschäft. Auf die Zweifelsregelung des §§ 675 I, 672 S. 1 BGB die sich ausdrücklich mit dem Tod des Geschäftsherrn befasst, kann demnach nicht unmittelbar abgestellt werden.

(3) Möglicherweise könnte der Rechtsgedanke der §§ 675 I, 672 S. 1 BGB, auch wegen der Anordnung des § 168 S. 1 BGB, entsprechend heranzuziehen sein. Insbesondere könnte eine Regelungslücke vorliegen, weil der Gesetzgeber den Fall der isolierten Vollmacht nicht speziell geregelt hat. Der § 672 S. 1 BGB enthält jedoch ohnehin nur eine Vermutung, die vorliegend widerlegt sein könnte. Entscheidend ist, ob die Auslegung der Vollmacht ergibt, ob sie über den Tod hinaus gelten soll.

Die X-GmbH führt aus, sie könne mit einer Restaurantbuchung nichts anfangen. Sie bringt damit zum Ausdruck, dass der Vertragsschluss für sie subjektiv unbrauchbar ist. Für die Auslegung der Vollmacht kommt es allerdings auf den Willen des Erteilenden im Zeitpunkt der Erteilung, nicht auf den Willen seiner Erben an. Dieser Wille ist aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts zu ermitteln. Die Interessen der Erben sind auch beim Fortbestehen der Vollmacht durch die Möglichkeit des Widerrufs nach dem Tod (§ 168 S. 2 BGB) gewahrt.

Besonders bei Leistungen mit hohem persönlichen Einschlag kann der Wille des Bevollmächtigenden nicht ohne weiteres dahingehend ausgelegt werden, die Bevollmächtigung solle fortgelten. Zwar kann ein Abendessen im Grundsatz auch ebenso gut durch andere Personen als den Erblasser wahrgenommen werden. Die Buchung eines Feinschmeckermenüs mit Weinbegleitung hat allerdings einen sehr persönlichen Einschlag. Nur wenige Menschen geben 400 € für ein Abendessen zu zweit aus. Zudem sollte das Abendessen als Geburtstagsgeschenk für den Lebenspartner der G erfolgen. Somit gab der Erblasser zu erkennen, dass diese Leistung ganz persönlich ist. Es ist nicht davon auszugehen, dass er wollte, dass andere Personen diese Leistung wahrnehmen. Das Essen im Restaurant zwischen zwei Lebenspartnern aus Anlass eines Geburtstages ist ein besonders intimer Moment. Auch im Hinblick darauf wurde eine Vollmacht erteilt, die besonders hochpreisige Lokale erfasst.

Die Auslegung der Vollmacht ergibt daher, dass ihre Geltung auf die Lebzeit der G beschränkt sein sollte. Auch wenn die Zweifelsregelung des § 672 S. 1 BGB entsprechend heranzuziehen sein sollte, wäre sie vorliegend widerlegt.

(4) Die Vollmacht ist durch den Tod erloschen.

cc) J handelte ohne Vollmacht.

d) Die X-GmbH wurde nicht wirksam Vertreten. Die Einigung zwischen J und K wirkt nicht gegen die X-GmbH.

2) Zwischen K und der X-GmbH ist kein wirksamer Vertrag zustande gekommen.

K hat gegen die X-GmbH keinen Zahlungsanspruch aus § 631 I BGB.

C. K könnte jedoch einen Anspruch aus §§ 280, 311 I Nr. 3, 241 II BGB gegen die X-GmbH haben.

I. Es müsste ein vorvertragliches Schuldverhältnis bestehen.

1) Die X-GmbH begründete mit K kein eigenes vorvertragliches Schuldverhältnis.

2) G könnte jedoch mit K ein vorvertragliches Schuldverhältnis gem. § 311 I Nr. 3 BGB begründet haben, in welches die X-GmbH nach §§ 1922 I, 1967 I BGB eingetreten ist. Es könnte durch das Telefonat am 27.10.2023 zustande gekommen sein.

J informierte sich im Rahmen des Telefonats auf Veranlassung der G über einen möglichen Vertragsschluss mit K. Die Parteien befanden sich somit in geschäftlichem Kontakt. Insbesondere waren auch beide Parteien im Grundsatz an einer rechtsgeschäftlichen Einigung interessiert. Zum Zeitpunkt des Telefonats war J auch noch wirksam vom G Bevollmächtigt. J machte ihre Vertretung im Namen der G zwar noch nicht öffentlich, stellte den geschäftlichen Kontakt aber gerade für sie und in ihrem Interesse her.

Demnach lag ein vorvertragliches. Schuldverhältnis zwischen G und K vor. In dieses ist die X-GmbH nach §§ 1922 1, 1967 I BGB eingetreten.

II. Die X-GmbH müsste eine Rücksichtnahmepflicht verletzt haben, § 241 II BGB. Die Parteien sind insbesondere verpflichtet auf die Gegenseitigen Vermögensinteressen zu achten. Vorliegend veranlasste die X-GmbH keinen Hinweis an K, dass die Reservierung des Tisches nicht wahrgenommen werden würde. K ging jedoch davon aus, dass ein wirksamer Vertrag besteht und G das Restaurant mit ihrer Begleitung aufsuchen würde. Somit bestand bei ihm ein Irrtum (über den Tod der G), den die X-GmbH durch eine Hilfsperson hätte aufklären müssen. Nur so hätte der K seine unternehmerischen Planungen noch rechtzeitig anpassen können.

Eine Pflichtverletzung liegt vor.

III. Die X-GmbH müsste diese zu vertreten haben. Sie ist jedoch selbst nicht handlungsfähig, sodass nur eine Verschuldenszurechnung in Betracht kommt.

1) Ihr könnte analog § 31 BGB ein Verschulden ihres Geschäftsführers F zuzurechnen sein. Dazu müsste F jedoch nach § 276 I 1 BGB vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben. F wusste nichts von der Reservierung sodass vorsätzliches Handeln ausscheidet. Er müsste demnach die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außeracht gelassen haben, § 276 I BGB. Möglicherweise hätte er sich über die zum Zeitpunkt des Todes bestehenden Bevollmächtigungsverhältnisse informieren müssen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass ihm dazu Informationsquellen offenstanden. Insbesondere kann von den Erben nicht gefordert werden sich über jedes im Einzelnen bestehende rechtliche Verhältnis des Erblassers innerhalb eines Monats Klarheit zu verschaffen. Eine Nachforschungspflicht besteht vielmehr erst bei konkreten Anhaltspunkten, die vorliegend nicht bestanden.

F trifft demnach kein Verschulden. Demnach kann der GmbH auch kein Verschulden analog § 31 BGB zugerechnet werden.

2) Möglicherweise ist ihr aber ein Verschulden der J nach § 278 BGB zuzurechnen.

a) Ein Schuldverhältnis zwischen der X-GmbH und K bestand in Form des übergegangenen vorvertraglichen Schuldverhältnisses.

b) J müsste Erfüllungsgehilfin sein. Dies ist jede Person, die mit Wissen und Wollen des Anspruchsgegners in dessen Pflichtenkreis tätig wird.

Der von § 278 BGB erfasste Pflichtenkreis ist dabei weit zu verstehen. Erfasst sind auch Nebenpflichten aus § 241 II BGB, die in Folge des vorvertraglichen Schuldverhältnisses bestanden. J war diejenige, die den geschäftlichen Kontakt zu K aufbaute. Demnach nahm sie auch folgend die Nebenpflichten aus § 241 II BGB gegenüber K für die X-GmbH wahr.

Fraglich ist aber, ob dies mit Wissen und Wollen geschah. Die X-GmbH hatte nämlich grundsätzlich keine Kenntnis von den Handlungen der J. Sie trat jedoch umfassend in die Rechtsstellung des G ein. Dass die vorvertragliche Sorgfaltspflicht durch den Tod nicht unterbrochen wurde, wurde bereits festgestellt. Demnach kann auch die Stellung als Erfüllungsgehilfin diesbezüglich nicht mit dem Tod enden. Die X-GmbH muss sich das Wissen und Wollen von G zurechnen lassen, wenn sie, wie geschehen, umfassend in dessen Rechtsstellung eintritt. Somit nahm J mit Wissen und Wollen der X- GmbH Pflichten aus § 241 II BGB wahr.

c) J müsste ein Verschulden vorzuwerfen sein. Spätestens einige Wochen nach dem Tod, hätte es trotz etwaiger Trauergefühle der üblichen Sorgfalt entsprochen, dem K Bescheid zu geben. Sie ließ demnach die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht, als sie vergaß die Tischbuchung abzusagen.

d) Der X-GmbH ist das Verschulden der J zuzurechnen, § 278 BGB.

3) Die X-GmbH hat die Pflichtverletzung zu vertreten.

IV. Es müsste ein kausaler Schaden entstanden sein.

1) Ein Schaden ist eine unfreiwillige Vermögenseinbuße. Ob eine solche vorliegt wird anhand eines Vergleiches zwischen der gegebenen und der hypothetisch ohne die Pflichtverletzung bestehenden Vermögenslage ermittelt (Differenzhypothese). Hätte die X- GmbH einen Hinweis an K veranlasst, hätte dieser den Tisch anderweitig vergeben und 800 € verdient. Demnach liegt grundsätzlich eine unfreiwillige Vermögenseinbuße in dieser Höhe vor.

Gemäß den Grundsätzen des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots, müssen jedoch kausal auf der Schädigung beruhende Vorteile angerechnet werden (Vorteilsanrechnung). Demnach sind die ersparten Aufwendungen in Höhe von 100 € für Essen und Getränke abzuziehen.

Der Schaden in Höhe von 700 € ist als entgangener Gewinn nach § 252 S. 1 BGB ersatzfähig.

2) Der Schaden müsste auch kausal angefallen sein. Die Äquivalenz ist bereits durch die Differenzhypothese belegt. Der Schaden ist auch nicht außergewöhnlich, sondern typischerweise auf das Ausbleiben eines Hinweises zurückzuführen, sodass er auch adäquat kausal war. Auch der Schutzzweckzusammenhang besteht.

V.K hat gegen die X-GmbH einen Anspruch aus §§ 280 1, 311 I Nr. 3, 241 II BGB auf Zahlung von 700 €.

D. Ergebnis: K hat gegen die X-GmbH einen Anspruch auf Zahlung von 700 € aus §§ 280 I, 311 I Nr. 3, 241 II BGB.

Frage 2: Ansprüche des K gegen J

A) K könnte gegen J einen Anspruch auf Zahlung aus § 179 I Var. 2 BGB haben.

I. Dafür müsste J einen Vertrag als Vertreterin ohne Vertretungsmacht geschlossen haben.

K verlor die Vertretungsmacht infolge des Todes. Demnach handelte sie als Vertreterin Ohne Vertretungsmacht, als sie sich mit K im Namen des G einigte.

II. Der Anspruch könnte jedoch nach § 179 III 2 BGB ausgeschlossen sein.

Der Vertreter haftet nicht, wenn er in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt war, es sei denn, dass er mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters gehandelt hat.

J ist nach §§ 2, 106 BGB in ihrer Geschäftsfähigkeit beschränkt. Wie bereits bezüglich des Geschäftsbesorgungsvertrags mit G festgestellt, waren die Eltern mit dem Tätigwerden für G nicht einverstanden. Anderes ergibt sich ebenfalls nicht aus §§ 113 I 1, IV BGB.

Demnach ist der Anspruch nach § 179 III 2 BGB ausgeschlossen.

III. K hat keinen Zahlungsanspruch gegen J aus § 179 I Var. 2 BGB.

B. K könnte gegen J einen Zahlungsanspruch aus §§ 280 1, 311 II, 241 Il BGB haben.

Anm.: Vertretbar kann § 179 BGB vorliegend als lex specialis eingeordnet werden.

I. Unabhängig von der Frage, ob neben dem vorvertraglichen Schuldverhältnis mit G auch ein solches mit J zustande kommen konnte, müssten die Vorschriften der c.i.c. überhaupt auf beschränkt Geschäftsfähige Anwendung finden.

Gegen eine Anwendung spricht, dass die Haftung aus §§ 280 1, 311 II, 241 II BGB aus quasi-vertraglichen Grundsätzen hergeleitet wird. Vertraglich konnte sich J aber nicht verpflichten (§ 108 BGB). Auch systematisch spricht der § 179 III 2 BGB gegen eine Anwendung, da § 179 I BGB ebenfalls ein Fall der quasi-vertraglichen Haftung ist. Der Rechtsgedanke, dass eine solche nur bei Zustimmung des gesetzlichen Vertreters in Frage kommt, kann aus § 179 III 2 BGB übertragen werden.

Anderes könnte sich nur ergeben, wenn man statt der §§ 106 ff. BGB wegen des schadensrechtlichen Charakters des Anspruchs primär auf § 828 III BGB zurückgreift. Dagegen spricht jedoch, dass quasivertragliche Schuldverhältnisse eher dem Vertragsrecht als dem Deliktsrecht nahestehen. Der Schutz des Minderjährigen ist eines der höchsten Prinzipien des BGB. Er muss deshalb auch im Rahmen der Haftung aus §§ 280 1, 311 II, 241 II BGB den Ausschlag geben.

Demnach kommt eine Haftung aus vorvertraglicher Pflichtverletzung nicht in Betracht.

II. K hat keinen Zahlungsanspruch gegen J aus §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB.

C. Ein Anspruch aus § 823 I BGB scheidet mangels Rechtsgutsverletzung aus.

Anm.: Eine Verletzung des Rechts auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb scheitert jedenfalls an der fehlenden Betriebsbezogenheit des Eingriffs

D. Ergebnis: K hat keinen Zahlungsanspruch gegen J.

Frage 3: Erfolgsaussichten des Antrags

A. Der Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils wird Erfolg haben, wenn die formellen Voraussetzungen der Säumnis vorliegen, die Klage zulässig und das Vorbringen schlüssig ist.

I. Säumnis des Beklagten §§ 495 I, 331 ff. ZPO

1) Der Kläger müsste zunächst einen Antrag gestellt haben, §§ 495 I, 331 I 1 ZPO.

J beantragte den Erlass eines Versäumnisurteils. Es müssten jedoch auch die Prozesshandlungsvoraussetzungen vorliegen. K ist als nunmehr 18-jährige nach § 51 I ZPO prozessfähig. Vor den Amtsgerichten herrscht auch kein Postulationszwang, sodass eine anwaltliche Vertretung für das Stellen des Antrags nicht erforderlich war, vgl. § 78 ZPO.

2) Der Antrag wurde auch gem. §§ 495 I, 331 I 1 ZPO im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellt.

3) Die X-GmbH ließ sich von niemandem in der Verhandlung vertreten, sodass sie nicht erschien, §§ 495 I, 331 I 1 BGB.

4) Die Säumnisentscheidung dürfte nicht nach §§ 495 I, 335 I BGB unzulässig sein. Die X-GmbH wurde formgerecht geladen, sodass keine Anhaltspunkte für ein Ausschluss der Säumnis gegeben sind.

5) Anhaltspunkte für eine Vertagung von Amts wegen nach §§ 495 I, 337 ZPO sind nicht ersichtlich.

6) Demnach liegen die formellen Voraussetzungen für den Erlass eines Säumnisurteils vor.

II. Die Klage müsste zulässig sein.

1) Das Amtsgericht müsste zuständig sein.

a) Aufgrund des Streitwerts von 50 € ist das Amtsgericht nach § 1 ZPO in Verbindung mit § 23 Nr. 1 GVG sachlich zuständig.

b) Laut Sachverhalt war das konkrete Amtsgericht auf örtlich zuständig.

2) Die Parteien müssten Partei- und Prozessfähig sein.

a) Die G ist nunmehr partei- und prozessfähig, §§ 50, 51 I ZPO.

b) Die X-GmbH ist nach § 50 ZPO in Verbindung mit § 13 I GmbH parteifähig. Sie ist durch ihren Geschäftsführer nach § 51 I ZPO in Verbindung mit § 35 I 1 GmbHG im Prozess zu vertreten und damit prozessfähig.

3) Von einer ordnungsgemäßen Klageerhebung nach § 253 ZPO ist auszugehen.

4) Die Klage ist zulässig.

III. Die Klage müsste schlüssig sein. Dies ist der Fall, wenn der Anspruch des Klägers begründet ist, wenn sein tatsächliches Vorbringen zugrunde gelegt wird.

1) J könnte einen Zahlungsanspruch aus §§ 675 1, 631 I , 1967 BGB gegen die X-GmbH haben.

a) Der Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen J und G war jedoch nach § 108 BGB unwirksam. Zwar kann ein Minderjähriger ein schwebend unwirksames Geschäft nach § 108 III BGB selbst genehmigen, wenn er volljährig wird. Dies kommt jedoch nur solange in Betracht, wie das Geschäft nicht durch Versagung der Genehmigung durch die gesetzlichen Vertreter endgültig unwirksam ist. Die Eltern der J führten ihr gegenüber aus, sie seien mit der Tätigkeit nicht einverstanden, sodass sie die Genehmigung versagten und der Vertrag endgültig unwirksam wurde.

Demnach konnte J den Vertrag auch nicht selbst genehmigen. Es liegt kein wirksamer Geschäftsbesorgungsvertrag vor.

b) J hat keinen Zahlungsanspruch gegen die X-GmbH aus §§ 675 1, 631 I Var. 2, 1967 I BGB.

2) J könnte einen Zahlungsanspruch gegen die X-GmbH aus §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB haben.

a) Dazu müsste zunächst ein Geschäft geführt worden sein. Ein Geschäft ist jedes rechtsgeschäftliche oder tatsächliche Tätigwerden. Der Buchen des Feinschmeckermenüs ist ein rechtsgeschäftliches Tätigwerden. Somit führte J ein Geschäft.

b) Dieses Geschäft müsste fremd sein. Es müsste also ein den Rechtskreis eines Dritten fallen. Als J das Menü im Namen des J buchte, handelte sie im Rechtskreis seiner Erbin, mithin der X-GmbH. J verfolgte mit dem Tätigwerden jedoch auch eigene Interessen, nämlich die Erfüllung einer Verbindlichkeit bzw. die Erlangung der 50 €, sodass insoweit von einem auch- fremden Geschäft auszugehen ist.

c) J müsste mit Fremdgeschäftsführungswillen gehandelt haben. Das Vorliegen eines Fremdgeschäftsführungswillen wird bei auch-fremden Geschäften grundsätzlich vermutet. Fraglich ist, ob er jedoch vorliegend widerlegt ist. Die J handelte um ihre vermeintlichen Verpflichtungen aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag zu erlangen. Sie wollte nicht altruistisch zugunsten von G (oder der X-GmbH) tätig werden. Somit könnte man annehmen, dass sie bloß im eigenen Interesse handelte und keinen Fremdgeschäftsführungswillen zugunsten von G (oder der X-GmbH) hatte. Der Fremdgeschäftsführungswille droht zur bloßen Fiktion zu werden, wenn man ihn auch in solchen Fällen uneingeschränkt vermutet. Vor allem ist aber fraglich, ob die Anwendung der Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegend der Systematik des BGB entspricht. Für die Rückabwicklung von gescheiterten Verträgen ist nämlich grundsätzlich das Bereicherungsrecht zuständig. Es enthält Rückforderungssperren, insbesondere die §§ 814, 817 S. 2. BGB, deren Wertungen nicht umgangen werden dürfen. Weiterhin können in der Rückabwicklung nach § 818 I, I BGB die Interessen der verschiedenen Parteien besser berücksichtigt werden, da das Bereicherungsrecht stark wertungsabhängig ist.

Demnach handelte J vorliegend nicht mit Fremdgeschäftsführungswillen.

d) J hat keinen Anspruch gegen die X-GmbH aus §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB.

3) J könnte einen Anspruch aus § 812 I 1 Var. 1 BGB haben.

a) Die X-GmbH müsste etwas, also irgendeinen vermögenswerten Vorteil, erlangt haben. Man könnte bereits hier die Frage aufwerfen, ob der X-GmbH durch das Tätigwerden der J Aufwendungen erspart wurden. Dies ist jedoch eine Frage der Rechtsfolge (§ 818 I BGB) und für den Tatbestand irrelevant.

Die X-GmbH erlangte das Tätigwerden der J. Das Tätigwerden bezog sich nämlich entsprechend der obigen Ausführungen ab O dem Tod der G auf die X-GmbH.

b) Dies müsste durch Leistung geschehen sein. Leistung ist die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Dabei muss die Leistung bei § 812 I 1 Var. BGB zur Erfüllung einer vermeintlich bestehenden Verbindlichkeit oder donandi causa erfolgen.

J handelte zur Erfüllung einer vermeintlich bestehenden Verbindlichkeit gegenüber G, die mit ihrem Tod auf die X-GmbH übergegangen wäre. Es ist davon auszugehen, dass sie an denjenigen leisten wollte, der Inhaber der vermeintlichen Verbindlichkeit war, also die X-GmbH. Demnach leistete sie zur Erfüllung einer vermeintlichen Verbindlichkeit

c) Die Leistung rechtsgrundlos.

d) Somit ist das Erlangte von der X-GmbH herauszugeben. Eine Geschäftsbesorgung kann nicht in natura herausgegeben werden, sodass insoweit Wertersatz nach § 818 II BGB zu leisten ist.

Vorliegend könnte die X-GmbH aber nach § 818 I BGB entreichert sein. Sie selbst ersparte sich durch das Tätigwerden keine eigene Aufwendung. Dies tat nur G, die aber bereits verstorben war. Somit ist die X-GmbH nach § 818 I BGB entreichert.

e) J hat keinen Anspruch gegen die X-GmbH auf Zahlung von 50 €

4) Das Vorbringen ist nicht schlüssig.

B. Ergebnis: Der Antrag wird keinen Erfolg haben.

01.09.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-09-01 12:40:592025-09-02 10:54:28Lösungsvorschlag für die Zivilrecht I Klausur aus dem Mai 2024
Alexandra Alumyan

BGH: Des Maklers Müh‘ ist oft vergebene Müh’

AGB-Recht, Aktuelles, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Ein Studienplatz im Ausland, heiß begehrt – und teuer vermittelt. Doch was, wenn der Bewerber es sich anders überlegt? Der BGH hat mit seinem Urteil vom 5.6.2025 (Az.: I ZR 160/24) klargestellt, dass Vermittlungsfirmen, die Studienbewerbern zu Studienplätzen im Ausland verhelfen, keinen Vergütungsanspruch haben, wenn das Studium letztlich nicht angetreten wird.

In diesem Beitrag wird der Sachverhalt des zugrunde liegenden BGH-Urteils zunächst dargestellt und anschließend eine gutachterliche Aufarbeitung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen vorgenommen. Ziel ist es, die Argumentation des Gerichts in einer systematischen und nachvollziehbaren Form darzustellen. Die zitierten Randnummern bei den Rechtsprechungsnachweisen entsprechen der Nummerierung des Online-Portals „Juris“.

Sachverhalt (verkürzt dargestellt)

Gesellschaft A betreibt eine Agentur, die Studienbewerbern aus Deutschland und Österreich gegen ein Erfolgshonorar bei der Vermittlung von Studienplätzen im Ausland für Humanmedizin hilft. A bietet die Zusammenstellung der Bewerbungsunterlagen, Übersetzungen, Kommunikation mit den Universitäten, ggf. Organisation von Aufnahmeprüfungen in Deutschland sowie Begleitung bei organisatorischen Angelegenheiten vor Ort an. Eine Vergütung erhält A ausschließlich vom Bewerber, nicht von den Universitäten. Die Höhe der Vergütung entspricht einer Jahresstudiengebühr der jeweiligen Universität.

Der Bewerber B forderte am 14.7.2022 über die Website von A ein Infopaket an und erhielt zusammen mit diesem ein Formular zur Erteilung eines Vermittlungsauftrags. Am 20.7.2022 füllte B dieses Formular aus, unterzeichnete es und übersandte es an A. B wählte den Studiengang Humanmedizin, den Studienort Mostar in Bosnien-Herzegowina und als Studienbeginn Wintersemester 2022/2023 bzw. Sommersemester 2023. Eine Jahresstudiengebühr an der Universität Mostar beträgt 11.198,67 EUR.

Unter „VI. Vermittlungsbedingungen“ des Antragsformulars der Agentur ist folgendes geregelt:

Ziff. 1 (Studienbewerber): Der Studienbewerber übermittelt die für das Bewerbungsverfahren erforderlichen Unterlagen und nimmt an eventuellen Aufnahmetests der gewählten Universität(en) teil.

Ziff. 2 (Aufnahmetest): Soweit die gewählte Universität einen eigenen Aufnahmetest durchführt, bemüht [A] sich, diesen Test in Deutschland anzubieten. Für die Durchführung eines Aufnahmetests betragen die Kosten 500 EUR (netto).

Ziff. 3 (Vergütung):

3.1: Erhält der Studienbewerber einen Studienplatz unter Mitwirkung von [A], zahlt der Studienbewerber an [A] ein Erfolgshonorar (netto) in Höhe einer Jahresstudiengebühr der jeweiligen Universität für den beauftragten Studiengang.

3.2: Auslagen, (zum Beispiel für Übersetzungen/ Beglaubigungen/ Universitätsgebühren) werden nach ihrem tatsächlichen Anfall vom Studienbewerber erstattet. 

Ziff. 4 (Sonstiges):

4.1: Die Parteien sind an diese Vermittlungsvereinbarung ab Unterzeichnung und nur bis zum Ablauf des Kalenderjahres des gewünschten Studienbeginns gebunden.

4.2: In der Vergütung beinhaltet ist die Teilnahme am Studien-Vorbereitungskurs der [A]. Die Teilnahme erfolgt freiwillig, eine Nichtteilnahme begründet keine finanziellen Ansprüche.

4.3: Für den Abschluss und die Abwicklung dieses Vertrages gilt deutsches Recht. …

Ziff. 5 (Rücktritt):

5.1: [zusammengefasst: Rücktrittsoption für den Fall, dass der Studienbewerber im angegebenen Studiengang an einem anderen als dem gewünschten Studienort an einer staatlichen deutschen Universität oder an einem anderen der ausgewählten Studienorte im Vermittlungsjahr einen Studienplatz erhält und antritt. Der Provisionszahlungsanspruch soll im Falle des Rücktritts entfallen, jedoch berechnet A hierfür eine Gebühr in Höhe von 1.000 – 1.500 EUR]…

Mitarbeiter der A sandten B die für die Bewerbung erforderlichen Dokumente zu, welche B einige Tage später an A zurücksandte. A reichte daraufhin die Bewerbungsunterlagen des B bei der Universität Mostar ein.

Die Universität Mostar übersandte B am 6.8.2022 schließlich einen Zulassungsbescheid.

Am 22.8.2022 teilte B der A per E-Mail mit, er könne aus gesundheitlichen Gründen das Studium im Oktober nicht antreten. Er bat darum, das Bewerbungsverfahren zu stoppen. Am 6.9.2022 stellte A dem B dennoch eine Rechnung über 11.198,67 EUR. Diese Rechnung hat B, anwaltlich vertreten durch R, mit Schreiben vom 13.9.2022 jedoch bestritten. Daraufhin erhob A Klage auf Zahlung der Vergütung in Höhe von 11.198,67 EUR.

Frage: Hat A gegen B einen Anspruch auf Zahlung in Höhe von 11.198,67 EUR?

Die nachfolgende Lösungsskizze fasst die Erwägungen der Gerichte aller drei Instanzen zusammen und richtet sich in ihren Ergebnissen nach dem BGH. Die Schwierigkeit der Bearbeitung liegt vor allem im verschachtelten Aufbau des Gutachtens. Neben dem hier gewählten Ansatz bestehen auch andere vertretbare Möglichkeiten, die Themenschwerpunkte – Qualifizierung des typengemischten Vermittlungsvertrags als Maklervertrag, Auslegung von AGB sowie Unwirksamkeit der Vergütungsklausel – sinnvoll darzustellen.

Lösungshinweise

A könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung in Höhe von 11.198,67 EUR aus dem Vermittlungsvertrag, Ziff. 3.1 der Vermittlungsbedingungen, haben.

A. Anspruch entstanden

I. Vertragsschluss

Zunächst müsste ein Vertrag zwischen A und B zustande gekommen sein. Ein Vertrag kommt zustande durch zwei korrespondierende, in Bezug aufeinander abgegebene Willenserklärungen, Angebot und Annahme, §§ 145, 147 BGB. Bei einer lebensnahen Betrachtung des Sachverhalts lässt die Zurverfügungstellung eines Formulars auf der Website der A noch keinen objektiven Rechtsbindungswillen der A erkennen, sodass es sich beim Formular zunächst um kein Angebot, sondern um eine invitatio ad offerendum handelt. Ein Angebot des B ist jedoch in der Übersendung des ausgefüllten und unterzeichneten Formulars an A zu erkennen, § 145 BGB. Dieses hat A spätestens durch Zusendung der auszufüllenden Bewerbungsdokumente an B konkludent angenommen, § 147 BGB. Die Erklärungen sind durch Zugang jeweils wirksam geworden, § 130 I BGB. Somit besteht zwischen A und B ein wirksamer Vertrag.

II. Wirksame Einbeziehung

Sodann müsste die Ziff. 3.1 der Vermittlungsbedingungen, welche eine Regelung für die Entstehung des Vergütungsanspruchs trifft, wirksam in den Vertrag einbezogen worden sein.

Bei den Vermittlungsbedingungen könnte es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen handeln, sodass die wirksame Einbeziehung nach §§ 305 ff. BGB zu beurteilen wäre.

1. Vorliegen von AGB und Einbeziehung in den Vertrag

Der persönliche und sachliche Anwendungsbereich ist gem. § 310 I, II, IV BGB eröffnet.

Die Vermittlungsbedingungen stellen von A bei Vertragsschluss gestellte, vorformulierte allgemeine Vertragsbedingungen dar, § 305 I BGB, welche in den Vertrag auch einbezogen wurden, § 305 II BGB, sodass Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff. BGB vorliegen. Die Wirksamkeit der Einbeziehung richtet sich also nach den §§ 305 ff. BGB.

Anmerkung: Umfassendere Ausführungen sind nur bei entsprechender Sachverhaltsangabe möglich.

An dieser Stelle könnte bereits die Auslegung der AGB in Ziff. 3.1 über § 305c II BGB problematisiert werden – demnach wäre die Klausel zunächst nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn aus der Sicht eines durchschnittlichen, verständigen und redlichen Vertragspartners auszulegen. Sofern nach Ausschöpfung aller Auslegungsmöglichkeiten Zweifel verbleiben und zumindest zwei Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar sind, geht die Unklarheit nach § 305c II BGB zulasten des Verwenders (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 31)

Es müsste diskutiert werden, wie „Erhalt“ eines Studienplatzes zu verstehen ist. Der BGH erkennt darin die Zusage des Studienplatzes, nicht den Abschluss des Studienplatzvertrags. Nach Ansicht der Verfasserin führt die Diskussion an dieser Stelle zu einer unübersichtlichen Schachtelprüfung – und man weicht vom BGH ab, welcher seine wesentlichen Erwägungen bezüglich der Qualifizierung des Vertrags und dessen Unwirksamkeit nach § 307 BGB erst im Rahmen der Inhaltskontrolle anstellt. 

2. Inhaltskontrolle

Die Klausel müsste einer Inhaltskontrolle unterliegen und dieser standhalten können.

a. § 307 III 1 BGB

Eine Inhaltskontrolle kommt nur in Betracht, wenn die Klausel dem Anwendungsbereich gem. § 307 III 1 BGB unterfällt. Dafür müsste die Klausel eine von den gesetzlichen Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelung darstellen, § 307 III  1 BGB.

Ziff. 3.1 der Vermittlungsbedingungen regelt den Vergütungsanspruch der Agentur A.

Hierbei könnte es sich um eine Abweichung von der gesetzlichen Regelung zur Entstehung des Anspruchs auf Zahlung des Maklerlohns gem. § 652 I 1 BGB handeln.

aa. Qualifikation des Vertrags

Dafür müsste es sich beim Vermittlungsvertrag um einen Maklervertrag im Sinne des § 652 BGB handeln.

Der Maklervertrag ist gem. § 652 I BGB auf den Nachweis der Gelegenheit zum Abschluss eines Vertrages oder auf die Vermittlung eines Vertrages, in der Regel zwischen dem Auftraggeber und einem Dritten, gerichtet (vgl. OLG München, Urt. v. 5.8.2024 – 36 U 3263/23 e, Rn. 40). Typischerweise handelt es sich bei der Tätigkeit des Auftragnehmers (d.h. des Maklers) um eine Nachweis- oder Vermittlungstätigkeit, wobei die Vergütungspflicht im Grundsatz an den erfolgreichen Nachweis oder die erfolgreiche Vermittlung anknüpft – der Auftraggeber kann frei entscheiden, ob er das nachgewiesene Geschäft abschließen will (vgl. OLG München, Urt. v. 5.8.2024 – 36 U 3263/23 e, Rn. 40).

A verpflichtet sich dazu, die Bewerbungsunterlagen des Bewerbers zusammenzustellen und bei der Universität einzureichen. Die Aufnahme an der Universität erfolgt durch einen Studienplatzvertrag, der typischerweise auf einer Zusage der Universität (Angebot) und dem Antritts des Studienplatzes durch den Bewerber  (Annahme) beruht. Durch ihre Mitwirkung vermittelt A dem B also den Nachweis der Gelegenheit zum Abschluss eines Studienplatzvertrags mit der Wunschuniversität.

Daher kommt ein Maklervertrag grundsätzlich in Betracht.

Der Vermittlungsvertrag könnte aber auch als Dienstvertrag gem. § 611 BGB oder als Werkvertrag gem. § 631 BGB eingeordnet werden.

Beim Dienstvertrag gem. § 611 BGB verpflichtet sich der Dienstverpflichtete zur Leistung der zugesagten Dienste und der Dienstberechtigte zur Gewährung der vereinbarten Vergütung (vgl. OLG München, Urt. v. 5.8.2024 – 36 U 3263/23 e, Rn. 44). Beim Werkvertrag gem. § 631 BGB verpflichtet sich der Werkunternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes und der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung (vgl. OLG München, Urt. v. 5.8.2024 – 36 U 3263/23 e, Rn. 47).

Gegen einen reinen Dienstvertrag spricht jedoch, dass gem. Ziff. 3.1 nicht die Tätigkeit als solche vergütet wird, sondern an den Vermittlungserfolg („Erhält der Studienbewerber einen Studienplatz unter Mitwirkung…) angeknüpft wird (vgl. LG München II, Urt. v. 24.7.2023 – 2 O 3233/22, Rn. 63). Das honorarauslösende Ereignis ist damit der Erhalt des Studienplatzes und keine konkrete Leistungshandlung der Agentur. Gegen einen reinen Werkvertrag lässt sich einwenden, dass der Vermittlungserfolg durch einen Vertrag zwischen dem Bewerber und der Universität erzielt wird, der ausschließlich durch deren Willenserklärungen zustande kommt und daher nicht „Werk“ der Agentur sein kann (vgl. LG München II, Urt. v. 24.7.2023 – 2 O 3233/22, Rn. 64). Ein reiner Dienst- bzw. Werkvertrag liegt mithin nicht vor.

Neben der Vermittlung übernimmt A bei Bedarf jedoch auch die Anfertigung von Übersetzungen und Beglaubigungen und führt die Korrespondenz mit den Universitäten. Zusätzlich bietet A Vorbereitungskurse an und begleitet die Bewerber bei organisatorischen Angelegenheiten. Diese Tätigkeiten werden gem. Ziff. 3.2 separat vergütet. Je nach Art der konkreten Zusatzleistung könnte diese entweder als bloßes Tätigwerden (§ 611 BGB) oder als Leistungserfolg (§ 631 BGB) geschuldet sein, sodass der Vermittlungsvertrag jedenfalls Elemente des Dienst- und Werkvertrags aufweist.

Der Vermittlungsvertrag zwischen A und B ist somit ein typengemischter Vertrag mit Elementen des Makler-, Dienst- und Werkvertragsrechts.

bb. Rechtliche Behandlung eines sog. „typengemischten“ Vertrags

Fraglich ist, welche die nach § 307 III BGB maßgebliche Vorschrift zur Regelung des Vergütungsanspruchs ist. Die Vergütung könnte sich vorliegend nach § 611 I BGB, nach § 631 I BGB oder nach § 652 I 1 BGB richten.

Dies knüpft unmittelbar an die Frage an, wie ein durch mehrere Vertragstypen geprägter Vertrag rechtlich zu behandeln ist.

Nach der Rechtsprechung des BGH bildet ein gemischter Vertrag ein einheitliches Ganzes und kann daher bei der rechtlichen Beurteilung nicht in seine verschiedenen Bestandteile zerlegt werden, dass auf die jeweiligen Vertragsanteile das partiell einschlägige Vertragsrecht angewendet wird (sog. Absorptionstheorie, abzugrenzen von der Kombinationstheorie, vgl. BeckOK BGB/Gehrlein, BGB § 311 Rn. 21).

Der Eigenart des Vertrags wird nur die Unterstellung unter ein einziges Vertragsrecht gerecht, nämlich dasjenige, in dessen Bereich der Schwerpunkt des Vertrags liegt. Überwiegt ein Vertragsbestandteil und ist er deshalb für das Wesen dieses Vertrags prägend, so ist das Recht dieses Bestandteils auch für den ganzen Vertrag entscheidend. Der Schwerpunkt des Vertrags richtet sich nach der inhaltlichen Ausgestaltung des Vertrags und nach dem tatsächlichen Inhalt der wechselseitigen Rechte und Pflichten der Parteien, nicht nach der von den Vertragspartnern gewählten Benennung (BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 18).

Hierzu sind die in den Vermittlungsbedingungen getroffenen Vereinbarungen der Parteien auszulegen.

Allgemeine Geschäftsbedingungen sind – anders als individuelle Vertragsbestimmungen – „nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie ein verständiger und redlicher Vertragspartner sie unter Abwägung der Interessen der Normalerweisen beteiligten Verkehrskreise versteht, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind“ (BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 19).

Erwägung 1: Erfolgshonorar

Zunächst könnte das Vergütungsmodell darauf hindeuten, dass der Schwerpunkt des Vertrags im Maklervertragsrecht liegt.

Das in Ziff. 3.1 bezeichnete Honorar orientiert sich nicht am Aufwand für geleistete Dienste der Agentur, sondern an der Höhe der Studiengebühren, die je nach Universität unterschiedlich hoch ausfallen (vgl. OLG München, Urt. v. 5.8.2024 – 36 U 3263/23 e, Rn. 46). Damit entspricht die Struktur der Vergütung nicht dem Dienst- oder Werkvertrag, bei denen typischerweise die Höhe von der Art der Leistungshandlung abhängig ist. Dagegen ist es beim Maklervertrag typisch, dass die Maklerprovision am vermittelten Hauptvertrag gemessen wird (vgl. MüKoBGB/Althammer, 9. Aufl. 2023, BGB § 652 Rn. 71).

Diese Auslegung legt auch die Vereinbarung in Ziff. 5.1 nahe. Demnach soll der Agentur im Falle des Rücktritts ein Vergütungsanspruch in Höhe von 1.500/ 1.000 EUR zustehen. Dies biete „einen Orientierungsrahmen für den pauschalierten Sach- und Personalaufwand“ der Agentur (OLG München, Urt. v. 5.8.2024 – 36 U 3263/23 e, Rn. 46). Die Jahresstudiengebühr – wie im hiesigen Fall beispielsweise 11.198,67 EUR – fällt deutlich höher aus und übersteigt den Rahmen der pauschalen „Ersatzvergütung“ im Rücktrittsfall.

Erwägung 2: Vereinbarung einer befristeten Bindungswirkung

Für einen Schwerpunkt im Dienst- oder Werkvertragsrecht hingegen könnte die Vereinbarung einer zeitlich befristeten Bindungswirkung sprechen.

Ein solcher „Makleralleinauftrag“ mit einer befristeten Bindungswirkung schränkt den Auftraggeber in seiner Freiheit, den Hauptvertrag selbst oder durch andere Vermittler zu beschaffen, ein. Im Gegenzug dafür wird der Makler dazu verpflichtet, aktiv tätig zu werden.

Typischerweise begründet aber nur ein Dienst- oder Werkvertrag, nicht aber ein Maklervertrag eine Pflicht zum Tätigwerden des Auftragnehmers. Ein normaler Maklervertrag lässt auch die Freiheit des Auftraggebers zum Abschluss anderer Vermittlungsverträge unberührt (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 23).

Jedoch handelt es sich hierbei um eine in der Praxis übliche, anerkannte Form des Maklervertrags, bei dem die wesentlichen Grundgedanken der §§ 652 ff. BGB unangetastet bleiben (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 24). Daher spricht die vereinbarte Bindungswirkung nicht gegen einen Schwerpunkt im Maklervertragsrecht.

Erwägung 3: Leistungsspektrum und Abrechnung der Leistungen

Die schwerpunktmäßige Einordnung im Maklervertragsrecht könnte sich auch aus dem angebotenen Leistungsspektrum ergeben.

Die Ziff. 2, Ziff. 3.2 und Ziff. 4.2 zeigen, dass die Agentur neben der bloßen Vermittlung des Studienplatzes auch Serviceleistungen, sozusagen ein „Rundum-Sorglos-Paket“ anbietet (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 27). Die Agentur vermittelt daher nicht nur die Gelegenheit zum Abschluss des Studienplatzvertrags, sondern übernimmt auch die gesamte Bewerbungsorganisation für den Auftraggeber.

Jedoch ist nur die erfolgreiche Vermittlung des Studienplatzes kostenpflichtig, gem. Ziff. 3.1. Zusätzliche Gebühren und Auslagen kommen nur im Einzelfall bei tatsächlicher Inanspruchnahme der Serviceleistungen dazu, Ziff. 3.2. Das angebotene „Rundum-Sorglos-Paket“ ist also nicht von der Vergütung nach Ziff. 3.1 erfasst. Bei einer Gesamtbetrachtung handelt es sich bei den einzelnen Serviceleistungen vielmehr um ergänzende Tätigkeitspflichten des Maklers, die jedoch „nicht dazu führen, dass eine Vereinbarung ihren Charakter als Maklervertrag verliert“ (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 24).

Der Schwerpunkt des Vermittlungsvertrags liegt somit im Maklervertragsrecht. Es liegt ein Maklervertrag mit dienst- und werkvertraglichen Elementen vor.

Die nach § 307 III BGB maßgebliche Vorschrift zur Regelung des Vergütungsanspruchs ist daher § 652 I 1 BGB.

cc. Abweichung von den gesetzlichen Rechtsvorschriften

Nunmehr müsste die in Ziff. 3.1 getroffene Vergütungsvereinbarung eine von § 652 I 1 BGB abweichende oder ergänzende Regelung darstellen.

(1) Auslegung der Ziff. 3.1: „erhalten“

Laut Ziff. 3.1 müsste der Bewerber einen Studienplatz unter Mitwirkung von A „erhalten“ haben, damit der Lohnanspruch der Agentur entsteht.

Fraglich ist, wie der Begriff „erhalten“ zu verstehen ist.

Nach dem natürlichen Sprachgebrauch eines durchschnittlichen, verständigen  Vertragspartners eröffnet der Begriff „erhalten“ zwei Auslegungsmöglichkeiten (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 32):

Zum einen könnte darunter bereits die Zusage der Universität verstanden werden. Zum anderen könnte damit erst die Annahme des Studienplatzes durch den Bewerber gemeint sein, mit der der Bewerbungsvorgang seinen Abschluss findet. Der Wortlaut bietet dahingehend jedoch keine eindeutige Klarheit.

Über den Wortlaut hinaus können auch der Kontext des gesamten Klauselwerks sowie außerhalb der Erklärung liegenden Umstände, deren Kenntnis von einem Durchschnittskunden erwartet werden kann, herangezogen werden (MüKoBGB/Fornasier, 9. Aufl. 2022, BGB § 305c Rn. 34).

Das LG München zieht zur Auslegung die Internetseite der A heran: Dort wurde der Verlauf des Bewerbungsverfahrens dargestellt – „Persönliches Kennenlernen, Auftragserteilung, Bewerbungsunterlagen, Aufnahmetest, Studienvertrag“. Jedoch nennt die Agentur nicht auch die Erteilung des Zulassungsbescheids, sondern nur den Studienvertrag (vgl. LG München II, Urt. v. 24.7.2023 – 2 O 3233/22 –, Rn. 53).

Aus einem Umkehrschluss zu Ziff. 5.1 könnte sich ergeben, dass bereits die Zusage als zwingender Anknüpfungspunkt zu verstehen ist. Die Klausel enthält eine entgeltliche Rücktrittsoption bei Erhalt und Antritt eines Studienplatzes an einer anderen als der vermittelten Universität. „Eine solche Rücktrittsoption wäre überflüssig, wenn nicht das Honorar bereits mit der Studienplatzzusage geschuldet sein sollte“ (BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 33).

Der honorarauslösende „Erhalt“ des Studienplatzes ist somit bereits in der Studienplatzzusage zu erkennen.

Anmerkung: Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich leider nicht der konkrete Wortlaut der Klausel. Insoweit lässt sich schwer einordnen, weshalb die Rücktrittsoption überflüssig wäre. Eine Rücktrittspauschale ist nach Auffassung der Verfasserin auch schon vor der Zusage für den Makler sinnvoll, sodass die „Zusage“ kein zwingender Anknüpfungspunkt sein kann.

Anmerkung: Würde man sich hier dafür entscheiden, dass der Wortlaut und die ergänzende Auslegung weiterhin zu keinem eindeutigen Auslegungsergebnis führen, würde die Zweifelsregel des § 305c II BGB zum Zuge kommen. Die Unklarheit der Klausel geht nach § 305c II BGB zulasten des Verwenders. Maßgeblich ist dabei die kundenfeindlichste Auslegung, mithin eine Auslegung die zur Unwirksamkeit der Klausel und zur Anwendung des dispositiven Rechts führen würde (BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 31). 

Im Rahmen der Prüfung des § 305c II BGB müsste der Bearbeiter sich inzident mit der Unwirksamkeit der Klausel nach §§ 307-309 BGB befassen.

(2) Abweichung von § 652 I 1 BGB

Die Klausel müsste von den gesetzlichen Rechtsvorschriften abweichen.

§ 652 I 1 BGB geht davon aus, dass der Lohnanspruch des Maklers erst entsteht, wenn der Makler seine Maklerleistung erbracht hat, der Hauptvertrag zustande gekommen ist und das Zustandekommen kausal auf der Maklerleistung beruht.

Hier könnte eine Abweichung vom Erfordernis des Abschlusses des Hauptvertrags vorliegen. Beim Studienplatzvertrag handelt es sich um den maßgeblichen Hauptvertrag. Der Bewerber müsste den Studienplatz angetreten sein, indem er die Zusage bestätigt und einen Studienplatzvertrag mit der Universität abschließt. Nach dem Gesetz genügt es also – entgegen Ziff. 3.1 – nicht, dass der Studienbewerber lediglich eine Zusage von der Universität erhält, die er nicht annimmt.

Die Klausel Ziff. 3.1 stellt also eine vom Gesetz abweichende Vergütungsregelung dar.

dd. Zwischenergebnis

Damit unterliegt die Klausel der Inhaltskontrolle, § 307 III 1 BGB.

b. Wirksamkeit der Klausel nach §§ 307-309 BGB

Die Klausel müsste ferner einer Inhaltskontrolle gem. §§ 307-309 BGB standhalten und dürfte nicht zur Unwirksamkeit gelangen.

Ein Verstoß der Ziff. 3.1 gegen §§ 308, 309 BGB ist nicht ersichtlich.

Die Klausel könnte aber eine unangemessene Benachteiligung gem. § 307 II Nr. 1 BGB darstellen und daher gem. § 307 I 1 BGB unwirksam sein.

Eine unangemessene Benachteiligung liegt gem. § 307 II Nr. 1 BGB dann vor, wenn die Klausel mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist.

aa. Verstoß gegen wesentliche Grundgedanken

Die Klausel müsste gegen wesentliche Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen zum Maklervertrag verstoßen.

„Zum Leitbild des Maklervertrags gemäß § 652 BGB gehören die Erfolgsabhängigkeit der Provision, die Entschließungsfreiheit des Auftraggebers, die Ursächlichkeit der Maklertätigkeit für den Vertragsabschluss und die fehlende Verpflichtung des Maklers zur Leistungserbringung.“ (BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 35)

Erwägung 1: B könnte sich gezwungen fühlen, den Studienplatz anzunehmen

Typischerweise ist der Auftraggeber frei darin, das vom Makler nachgewiesene bzw. vermittelte Geschäft abzuschließen (BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 37). Dies bedeutet, dass der Bewerber sich – auch wenn die Agentur erfolgreich einen Studienplatz vermittelt hat – gegen eine Zusage und damit gegen den Abschluss des Hauptvertrags mit der Universität entscheiden kann. B ist krank geworden und war daher nicht in der Lage, ein derart räumlich entferntes Studium aufzunehmen. Sein Interesse an dem Abschluss eines Studienplatzvertrags ist damit vollständig entfallen. B ist also insoweit benachteiligt, als dass die Maklerleistung der A für ihn (B) keinen Wert mehr hat (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 35). Wenn B die Vergütung zahlen muss, obwohl er kein Interesse mehr am Studienplatz hat, wird seine Entscheidungsfreiheit eingeschränkt, da er sich gedrängt fühlen könnte, den Vertrag nur wegen seiner Zahlungspflicht abzuschließen – sonst hätte er „für nichts“ bezahlt. Die Höhe der Vergütung führt zu einer Verschärfung dieses Konflikts (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 35).

Erwägung 2: Überwälzung des Vertragsabschlussrisikos

Nach obiger Auslegung wird der Bewerber aufgrund Ziff. 3.1 bereits vor Abschluss des Studienvertrags zahlungspflichtig. Der Zahlungsanspruch der Agentur entsteht unabhängig davon, ob der Bewerber einen Studienplatzvertrag mit der Hochschule abschließt. Dadurch wird das – typischerweise dem Makler zugeordnete – Vertragsabschlussrisiko auf den Auftraggeber abgewälzt. Die Überwälzung des Maklerrisikos auf den Auftraggeber widerspricht aber der Natur des Maklervertrags (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 35).

…oder in anderen Worten: „Des Maklers Mühe ist oft vergebene Mühe“ (LG München II, Urt. v. 24.7.2023 – 2 O 3233/22, Rn. 65).

Damit liegt ein Verstoß gegen wesentliche Grundgedanken des Maklervertragsrechts vor.

bb. Keine Rechtfertigung der Leitbildabweichung

Ein sachlicher Grund, der die Abweichung vom Leitbild des Maklervertrags rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich. Auch wurde die Wahrung des gesetzlichen Schutzzwecks nicht auf andere Weise sichergestellt (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 43).

cc. Zwischenergebnis

Die Klausel stellt folglich eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 II Nr. 1 BGB dar.

c. Zwischenergebnis

Die Klausel hält der Inhaltskontrolle nicht stand und ist gem. § 307 I 1 BGB unwirksam.

3. Zwischenergebnis

Die Klausel wurde mithin nicht wirksam in den Vertrag einbezogen.

III. Anwendung dispositiven Rechts

Der Lohnanspruch müsste sich aus einer anderen Rechtsgrundlage als Ziff. 3.1 ergeben.

Die Unwirksamkeit der Ziff. 3.1 lässt gem. § 306 I BGB die Wirksamkeit des Vertrags im Übrigen unberührt, sodass eine vertragliche Grundlage für den Lohnanspruch weiterhin besteht. Anstelle der Klausel Ziff. 3.1 treten gem. § 306 II BGB jedoch die gesetzlichen Vorschriften.

Der Vergütungsanspruch des Maklers wird in § 652 I 1 BGB geregelt. Das honorarauslösende Ereignis ist demnach das Zustandekommen des Hauptvertrags. Ein Hauptvertrag zwischen der zusagenden Universität und dem B ist jedoch mangels Annahme des Studienplatzangebots durch B nicht zustande gekommen.

Damit ist der Lohnanspruch der Agentur nicht entstanden.

B. Ergebnis

A hat folglich keinen Anspruch gegen B auf Zahlung in Höhe von 11.198,67 EUR.

16.07.2025/0 Kommentare/von Alexandra Alumyan
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Alumyan https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Alumyan2025-07-16 08:10:182025-07-21 05:16:02BGH: Des Maklers Müh‘ ist oft vergebene Müh’
Redaktion

Gedächtnisprotokoll Zivilrecht I April 2025 NRW

Deliktsrecht, Examensreport, Familienrecht, Nordrhein-Westfalen, Uncategorized, Zivilrecht

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur ersten Klausur im Zivilrecht des April-Durchgangs 2025 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Tim Muñoz Andres erneut ganz herzlich für die Zusendung. Selbstverständlich kann juraexamen.info keine Gewähr dafür geben, dass die in Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht. Dennoch sollen Euch die Protokolle als Anhaltspunkt dienen, was euch im Examen erwartet.

Sachverhalt

M und F leben als Ehegatten seit dem wirksamen Schluss der Ehe im Jahr 2015 im gesetzlichen Güterstand. Einen Ehevertrag haben beide nicht abgeschlossen. M und F sind beide erwerbstätig und erledigen die im Haushalt anfallenden Aufgaben gemeinsam. Eines Tages beschließt M eine neue Küchenmaschine für den gemeinsamen Haushalt anzuschaffen. M hatte bereits zuvor mehrfach Gegenstände für den ehelichen Haushalt gekauft ohne dass F dem widersprochen hat. Er begibt sich zu dem Elektronik-Geschäft des V und wählt dort eine entsprechende Küchenmaschine aus. Diese bringt er sodann zur Kasse des V um den Kaufpreis in Höhe von 1000€ zu bezahlen. Eine Zahlung scheitert jedoch an einem Defekt des EC-Kartenlesegeräts des V. Da V den M jedoch als langjährigen Kunden kennt erklärt er sich jedoch bereit, dem V die Küchenmaschine bereits sofort zu überlassen und M auch unmittelbar Eigentum an der Maschine einzuräumen. Von der Ehe zwischen M und F hat V dabei keine Kenntnis. Den Kaufpreis solle M an einem anderen Tag entrichten. M verlässt daraufhin mit der Küchenmaschine das Geschäft des V.

M begibt sich sodann mit der Küchenmaschine auf den Heimweg. Nach einer Weile erreicht er einen Fußgängerüberweg nach § 26 StVO (Ordnungsnummer 35a Habersack) und will diesen passieren. Dabei hält er die in einem Karton verpackte Küchenmaschine weiterhin in seinen Armen, so dass sie seine Sicht auf die Straße nicht einschränkt. Als er sich gerade auf dem Fußgängerüberweg befindet um die Straße zu passieren steuert der A, der auch Halter des von ihm gesteuerten PKW ist  mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf den Fußgängerüberweg zu. Auch erkennt er den gerade den Fußgängerüberweg passierenden M. Er glaubt, dass dieser angesichts seines herannahenden Autos schon über den Fußgängerüberweg rennen werde. Er ist dabei der Meinung, dass er ja nicht für jeden Fußgänger anhalten könne. Dass es zu einem Zusammenstoß mit dem A kommen könnte nimmt er dabei billigend in Kauf. Auch erkennt A, dass M ein Paket mit für ihn unbekannten Inhalt in den Armen hält. Obwohl M versucht noch rechtzeitig über den Fußgänger zu gelangen schafft er es nicht rechtzeitig, den Fußgängerüberweg zu passieren. Es kommt zu einer Kollision mit dem PKW des A. Infolge der Kollision  erleidet der M einen Bruch seines rechten Beins. Die in dem Paket befindliche Küchenmaschine muss M infolge der Kollision ebenfalls fallenlassen. Diese wird durch den Aufprall auf der Straße auch vollständig zerstört. M begibt sich nach der Kollision in das nächstgelegene Krankenhaus. Dort schließt er einen auf Heilbehandlung gerichteten Behandlungsvertrag (3000€) ab, vereinbart jedoch auf eine Behandlung durch den zuständigen Chefarzt. Hierdurch entstehen gegenüber dem normalen Behandlungsvertrag Mehrkosten in Höhe von 1500€. Die Behandlung durch den Chefarzt gibt dem M dabei „ein sichereres Gefühl“. Eine solche Chefarztbehandlung hat M bei vorherigen Krankenhausaufenthalten nicht in Anspruch genommen. Auch hätte eine Behandlung durch einen normalen Arzt ebenfalls zur vollständigen Heilung des nicht komplizierten Bruchs geführt.

M und F verlangen nun von A Zahlung von 1000€ für die zerstörte Küchenmaschine. F erklärt, sie habe jedenfalls Miteigentum an der Küchenmaschine gehabt. E erwidert, dass die Küchenmaschine allein im Eigentum des M gestanden habe. F habe der Küchenmaschine nichts zu tun.

Weiterhin verlangt M von A Zahlung von insgesamt 4500€ wegen der angefallenen Heilbehandlungskosten aus dem Vertrag mit dem Krankenhaus. E hält dem entgegen, dass ein Anspruch allenfalls in Höhe der im Falle der Behandlung durch einen normalen Arzt angefallenen Behandlungskosten in Höhe von 3000€ bestehe. Dass M darüber hinaus auf eine Chefarztbehandlung bestanden habe liege doch nur darin begründet, dass er (M) für den Schaden aufkommen müsse.

Frage (1):

Hat M einen Anspruch gegen A auf Zahlung von 1000€ wegen der Küchenmaschine, auf Zahlung von 3000€ für die Behandlungskosten sowie auf Zahlung der Mehrkosten der Chefarztbehandlung von weiteren 1500€ gegen den A?

Frage (2):

Hat F einen Anspruch gegen A auf Zahlung von 1000€ wegen der Zerstörung der Küchenmaschine?

Bearbeitungsvermerk:

Ansprüche aus § 823 sind im Rahmen der Bearbeitung von Frage (2) nicht zu prüfen.

Fallfortsetzung:

M und F haben im Februar 2015 geheiratet. Zu diesem Zeitpunkt hatte M sich ein Vermögen von 200.000€ erspart. Verbindlichkeiten hatte er nicht. Die F hatte zum Zeitpunkt der Eheschließung ein Vermögen von 100.000€, offene Verbindlichkeiten hatte auch sie nicht. In der Anfangs glücklichen Ehe kam es in den vergangenen Jahren jedoch immer häufiger zu Streitigkeiten.

Zuletzt entbrannten auch noch heftige Streitigkeiten über die Zerstörung der Küchenmaschine auf dem Heimweg des M von dem Geschäft des F. M reichte daraufhin Anfang 2025 ordnungsgemäß den Antrag auf Scheidung bei dem zuständigen Gericht ein. Einen Zugewinnausgleich beantragte der M in dem Scheidungsantrag dabei nicht. Die Ehe wird nach der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags im Februar 2025 später durch das Entscheidung des zuständigen Gerichts wirksam geschieden.

Zur Zeit der Rechtshängigkeit hatte M sein Vermögen von 200.000€ im Jahr 2015 auf nunmehr 50.000€ mehren können. Die F hatte zu diesem Zeitpunkt die anfänglichen 100.000€ weiter in ihrem Vermögen. In ihrem Vermögen befand sich darüber hinaus eine wertvolle Oldtimer-Sammlung, die ihre Eltern ihr im Jahr 2017 anlässlich eines Geburtstages geschenkt hatten. Der Wert der Oldtimer-Sammlung betrug zum damaligen Zeitpunkt 300.000€. Zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags im April 2025 hatte die Oldtimer-Sammlung nunmehr einen Wert von 400.000€. In der Zwischenzeit hatte F ihr Vermögen von zunächst 100.000€ um weitere 50.000€ gemehrt. Diese hatte sie im Juni 2024 jedoch für eine kostspielige Luxus-Weltreise aufgewendet, von der F bereits ihr gesamtes Leben geträumt hatte.

M verlangt nun von F Zahlung des ihr zustehenden Zugewinnausgleichs. F beruft sich darauf, dass die für die Weltreise aufgewandten 50.000€ nicht mehr in ihrem Vermögen vorhanden seien. M will dies nicht gelten lassen, schließlich habe F das Geld für die teure Reise einfach so „verschwendet“. Dies dürfe jedenfalls nicht zu seinen Lasten gehen.

Frage 3:

(In welcher Höhe) Hat M einen Anspruch auf Zugewinnausgleich gegen die F?

Bearbeitungsvermerk für alle Aufgaben:
  1. Es ist davon auszugehen, dass andere als die im Sachverhallt erwähnten Wertminderungen bzw. Wertsteigerungen nicht eingetreten sind.
  2. Es ist davon auszugehen, dass das nicht in dem Scheidungsantrag aufgeführte Verlangen nach einem Zugewinnausgleich nicht ausgeschlossen ist.
  3. Die §§ 223-229 und § 303 StGB sind nicht zu prüfen
08.05.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-05-08 08:00:002025-05-12 15:15:52Gedächtnisprotokoll Zivilrecht I April 2025 NRW
Gastautor

„Hausbau auf fremden Grund“ – Verwendungsersatzanspruch aus EBV unter Berücksichtigung der Rechtsprechungsänderung des BGH

Aktuelles, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Sachenrecht, Schon gelesen?, Startseite, Uncategorized, Zivilrecht, Zivilrecht

Die Frage nach dem Verwendungsersatz beim „Hausbau auf fremdem Grund“ ist ein Klassiker des EBV in der juristischen Ausbildung und bildet gemeinsam mit der diesbezüglichen Rechtsprechungsänderung des BGH (Urt. v. 14.3.2025, V ZR 153/23) den Gegenstand des nachfolgenden Beitrags unseres Gastautors Jakob Brohl. Er studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist studentische Hilfskraft am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Kanzlei Meyer-Köring.

I. Einleitung

Die Regelungen des Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (§§ 985 ff. BGB) und dabei insbesondere die Problematik der Konkurrenzen zu anderen Regelungsregimen im BGB bereiten Studierenden auf dem Weg zum Examen häufig größere Schwierigkeiten. Eine stark umstrittene Frage war, ob ein Verwendungsersatzanspruch aus Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (§§ 994 ff. BGB) auch dann bestehen kann, wenn ein gutgläubiger Besitzer auf einem fremden Grundstück ein Gebäude errichtet und der wahre Eigentümer später die Herausgabe des Grundstücks verlangt. Der Bundesgerichtshof hat nach knapp 60 Jahren seine Rechtsprechung zu dieser Rechtsfrage aufgegeben und sich der Literatur angeschlossen. Die Grundkonstellation der Problematik, der bisherige Meinungsstand und auch die neue Entscheidung des Bundesgerichtshofes sollen in dem folgenden Beitrag beleuchtet werden.

II. Das Problem des „Hausbaus auf einem fremden Grundstück“

1. Die Grundkonstellation

Hinter dem Problem des „Hausbaus auf fremden Boden“ und der Frage, ob Verwendungsersatzansprüche bestehen, steht die folgende Grundkonstellation:

„V verkauft sein Grundstück an K und erklärt die Auflassung, woraufhin K als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen wird. Nach dem Erwerb errichtet K auf dem Grundstück ein Wohnhaus. Als das Wohnhaus gerade fertig gestellt ist, stellt sich heraus, dass der V zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses und der Auflassung aufgrund der Einnahme von Betäubungsmitteln vorübergehend gestört und geschäftsunfähig (§ 104 Nr. 2 BGB) war. V verlangt von K die Herausgabe des Grundstücks.

K befürchtet, keinen Ersatz für die zum Bau des Wohnhauses aufgewendeten Mittel zu erlangen und will daher das Grundstück nur Zug-um-Zug gegen Ersatz der entsprechenden Kosten für die Errichtung des Wohnhauses herausgeben.“

2. Die aufgeworfenen Rechtsfragen & der bisherige Meinungsstand
a) Stellt der Bau eines Hauses auf einem fremden Grundstück eine „Verwendung“ i.S.d. §§ 994 ff. BGB dar?

In einer Klausur stellt sich im Rahmen der Prüfung des Verwendungsersatzanspruchs aus § 994 oder § 996 BGB, nach der Prüfung des Vorliegens der Vindikationslage, die Frage, ob eine „Verwendung“ i.S.d. §§ 994 ff. BGB vorliegt. Als Verwendungen i.S.v. § 994 BGB werden gemeinhin willentliche Vermögensaufwendungen verstanden, die der Sache selbst zugutekommen sollen, indem sie ihrer Erhaltung, Wiederherstellung oder Verbesserung dienen (vgl. nur Vieweg/Lorz, SachenR, 9. Aufl. 2022, § 8 Rn. 33). In der Klausur ist hier Vorsicht geboten: dem Grunde nach lässt sich auch der Bau eines Gebäudes auf einem fremden Grundstück unter diese Definition subsumieren. Dennoch legten BGH und Lehre unterschiedliche Verwendungsbegriffe zugrunde und gelangten so zu unterschiedlichen Ergebnissen.

aa) Der „enge“ Verwendungsbegriff der (bisherigen) Rechtsprechung:

Der BGH hat sich erstmals im Jahre 1964 im sog. Grindelhochhaus-Urteil (BGH, Urt. v. 26. Februar 1964, V ZR 105/61) zu der aufgeworfenen Problematik geäußert. Nach seiner bisherigen Rechtsprechung konnte nur dort von einer Verwendung gesprochen werden, wo die Sache als solche erhalten bleibt, also weiterhin wie bisher verwendet werden kann. Eine (sach)verändernde Maßnahme, wie z.B. die Bebauung eines bisher unbebauten Grundstücks, stellte danach keine Verwendung dar (BGHZ 41, 157ff., 160f.).

Nach (damaliger) Auffassung des BGH würde bei Zugrundlegung des weiten Verwendungsbegriffs sonst der Anwendungsbereich der §§ 994 ff. BGB in einer Weise extendiert, „die ersichtlich nicht mehr dem Zweck der gesetzlichen Regelung entspräche und für die auch kein vernünftiges wirtschaftliches Bedürfnis bestünde“. Der Sinn und Zweck des EBV kann durchaus für ein solches enges Verständnis angeführt werden, soweit man diesen darin erblickt, dass der Eigentümer grundsätzlich für die Erhaltung (vgl. § 994 BGB) und die Aufwertung (vgl. § 996 BGB) seiner Sache Ersatz zahlen soll, nicht aber für Aufwendungen und Veränderungen, die die Substanz und Charakter der Sache völlig verändern. So sah der BGH dies zumindest.

bb) Der „weite“ Verwendungsbegriff der Literatur

Nach der Gegenauffassung, die überwiegend im Schrifttum vertreten wurde (vgl. Medicus/Petersen BürgerlR, 29. Aufl. 2023, Rn. 877), liegt auch im Falle einer (sach)verändernden Maßnahme eine Verwendung i.S.d. §§ 994 ff. BGB vor. Entscheidend ist danach allein, dass die Maßnahme der Sache irgendwie zugutekommt. Diese Definition der „Verwendung“ entspricht dem traditionellem Begriffsverständnis, so wie es auch der Gesetzgeber hatte. Teleologisch ist zudem kennzeichnend, dass sich der enge Verwendungsbegriff der Rechtsprechung über das System der §§ 994 ff. BGB hinwegsetzt und zu unsachgerechten Lösungen führt. Weder das Bereicherungsrecht noch das i.d.R. wertlose Wegnahmerecht gem. § 997 BGB bilden adäquate Alternativen (Neuner, SachenR, 6. Aufl. 2020, Rn. 167). So besteht das Risiko, dass der gutgläubige Besitzer, den das EBV grundsätzlich schützen will, hier unangemessen benachteiligt wird und auf enormen Kosten ersatzlos sitzen bleibt.

b) Schließt das Vorliegen einer Vindikationslage bereicherungsrechtliche Ansprüche aus Verwendungskondiktion (§§ 951 I 1, 812 I 1 Var. 2 BGB) aus oder besteht ein solcher Anspruch neben oder statt eines Verwendungsersatzanspruchs aus dem EBV?

Nachdem in der Klausur Ansprüche aus Eigentümer-Besitzer-Verhältnis geprüft worden sind, kommen bereicherungsrechtliche Ansprüche, namentlich aus der Verwendungskondiktion als besonderer Ausprägung der Eingriffskondiktion gem. § 812 I 1 Var. 2 BGB bzw. gem. §§ 951 I 1, 812 I 1 Var. 2 BGB in Betracht. Hier stellt sich dann die für das EBV typische Frage der Anspruchskonkurrenzen. Somit ist zu prüfen, ob Ansprüche aus Bereicherungsrecht in der vorliegenden Konstellation neben dem EBV anwendbar sind.

aa) Die bisher herrschende Meinung und die bisherige Rechtsprechung des BGH

Nach (bisher) h.M. sollen die §§ 994 ff. BGB dabei ähnlich wie die §§ 987 ff. BGB (vgl. insoweit § 993 I a.E. BGB) als vorrangige abschließende Regelung zu interpretieren sein, in deren Anwendungsbereich alle anderen Anspruchsgrundlagen auf Verwendungsersatz, insb. auch die Verwendungskondiktion nach §§ (951 I 1), 812 I 1 Var. 2 BGB ausgeschlossen sind. Dabei ist jedoch zwischen zwei unterschiedlichen Interpretationen der h.M. zu unterscheiden:

  • Nach Ansicht der Rechtsprechung gilt die absolute Ausschlusswirkung der §§ 994 ff. BGB auch unter Zugrundlegung des sog. engen Verwendungsbegriffs. Von diesem umfassenden Ausschluss sollen sogar auch sachändernde Aufwendungen betroffen sein, die nach der bisherigen Ansicht des BGH von vornherein nicht unter §§ 994 ff. BGB zu klassifizieren sind und damit völlig ersatzlos bleiben (BGHZ 41, 157 – Hochhausfall; s.oben).
  • Teile der Literatur gehen gleichfalls vom abschließenden Charakter der §§ 994 ff. BGB aus, legen dabei jedoch den sog. weiten Verwendungsbegriff zugrunde, wonach §§ 994 ff. BGB auf alle Verwendungen einschließlich sachändernder Aufwendungen Anwendung finden (Neuner Sachenrecht, 6. Aufl. 2020, Rn. 123). Ansprüche aus Bereicherungsrecht scheiden demnach zwar aus, der Besitzer erhält aber dennoch eine Kompensation, soweit die Voraussetzungen der §§ 994 ff. BGB vorliegen.
bb) Die andere Ansicht der Literatur

Nach einer anderen, im Vordringen befindlichen Lehre sind die §§ 994 ff. BGB und § 812 I 1 Var. 2 BGB bzw. §§ 951 I 1, 812 I 1 Var. 2 BGB hingegen nebeneinander anzuwenden Dafür wird insb. im Erst-Recht-Schluss zu §§ 687 II, 684 S. 1 BGB ausgeführt, dass selbst dem vorsätzlich handelnden Geschäftsführer im Falle der angemaßten Eigengeschäftsführung ein Ausgleich für Aufwendungen nach Bereicherungsgrundsätzen zustehe. Für den „nur/lediglich“ grob fahrlässigen, d.h. im Sinne der §§ 994 ff. BGB bösgläubigen, und erst Recht für den gutgläubigen Besitzer könne in diesem Falle nichts anderes gelten. Zudem spreche für eine Anwendbarkeit des Bereicherungsrechts, dass der Eigentümer bei unerwünschten Verwendungen hinreichenden Schutz durch die Regeln der aufgedrängten Bereicherung genieße, während er bei ausgleichloser Belassung der nach §§ 994 ff. BGB nicht ersatzfähigen Verwendungen zu Lasten des Besitzers in unangemessener Weise begünstigt würde (Medicus/Petersen BürgerlR, 29. Aufl. 2023, Rn. 896f.).

3. Die Entscheidung des BGH vom 14. März 2025

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 14. März 2025 (Az.: V ZR 153 /23) seine Rechtsprechung zum Verwendungsersatz beim Hausbau auf fremden Grund verworfen und sich dem weiten Verwendungsbegriff der Literatur angeschlossen.

In dem zugrundliegenden Fall hatten die Beklagten vermeintlich durch Zuschlag im Rahmen einer Zwangsversteigerung das Eigentum an einem Grundstück im brandenburgischen Rangsdorf erworben. Später stellte sich heraus, dass es seitens der Behörden zu Fehlern gekommen war und sich das Eigentum an dem Grundstück nie geändert hatte. Der bisherige Eigentümer verklagte die Beklagten, zwei Eheleute, zur Räumung des Grundstücks, auf Zustimmung zur Grundbuchberichtigung und zum Abriss des Gebäudes auf eigene Kosten.

Der BGH stellte fest, dass ein Anspruch auf Räumung aus § 985 BGB sowie ein Anspruch auf Grundbuchberichtigung aus § 894 BGB bestehen, verneinte aber den Anspruch auf Abriss des Hauses aus § 1004 I 1 BGB. Gleichzeitig meinte das Gericht aber, anders noch als das vorinstanzliche Oberlandesgericht, dass den Beklagten ein Kostenersatzanspruch für den Hausbau aus § 996 BGB zustehen könnte und verwies die Sache zur Prüfung der den Kostenanspruch begründenden Tatsachen zurück an die Vorinstanz.

Die Rechtsprechungsänderung begründete der erneut entscheidende V. Zivilsenat des BGH damit, dass nur so ein gerechter Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen von Eigentümer und gutgläubigem Besitzer geschaffen werden könne. Außerdem würde die bisherige Rechtsprechung und die damit verbundenen Abgrenzungsprobleme zwischen einer nur erhaltenden oder verbessernden Aufwendung, die ersatzfähig sein soll, und einer sachverändernden Maßnahme, die nicht ersatzfähig sein soll, zu einem Zustand der Rechtsunsicherheit führen und den gutgläubigen Besitzer übermäßig beeinträchtigen. Für die für § 996 BGB erforderliche Nützlichkeit kommt es somit nur noch darauf an, dass der objektive Verkehrswert des Grundstücks sich durch die Verwendung erhöht hat.

Der XII. Zivilsenat des BGH, der die die Rechtsprechung des V. Zivilsenates zum Verwendungsbegriff mitgetragen hatte, meldete gegen die Aufgabe der gemeinsamen Rechtsauffassung offensichtlich keine Einwände an. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte nach § 132 II Var. 1 GVG der Große Senat entscheiden müssen.

III. Die Bedeutung für das Examen

Die vorliegende Entscheidung des BGH dürfte für das Examen große Wichtigkeit haben. Das dürfte viel weniger daran liegen, dass das Gericht hier einen „examensheißen“ besonderen Fall entschieden hat, der als ausgefallene Klausur abgewandelt von einem der Justizprüfungsämter abgefragt wird, sondern seine Rechtsprechung bei einem „Klassiker“ im Examen geändert hat. Klausuren, die Probleme im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis zum Inhalt haben und nach Verwendungsersatzansprüchen einer Partei fragen, gehören zum Standardrepertoire der Justizprüfungsämter, da sie es ermöglichen, gleichzeitig verschiedene Rechtsgebiete, Systemverständnis und den Gesamtüberblick über das Vermögensrecht des BGB abzufragen. Es lohnt sich daher, auch diese Konstellation in der Vorbereitung auf die Klausuren des Ersten wie auch des Zweiten Staatsexamens gründlich und vertieft zu bearbeiten und die dahinterstehenden Fragen und Wertungen zu durchdringen. Darüber hinaus hat der Fall bereits eine große Medienpräsenz entfaltet und eignet sich dadurch hervorragend, in den nächsten Wochen im Rahmen der mündlichen Prüfung thematisiert zu werden.

18.03.2025/0 Kommentare/von Gastautor
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2025-03-18 09:00:002025-03-19 11:19:39„Hausbau auf fremden Grund“ – Verwendungsersatzanspruch aus EBV unter Berücksichtigung der Rechtsprechungsänderung des BGH
Redaktion

Gedächtnisprotokoll Zivilrecht III Februar 2025 NRW

Deliktsrecht, Examensreport, Nordrhein-Westfalen, Rechtsgebiete, Schuldrecht, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht, ZPO

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur dritten Klausur im Zivilrecht des Februar-Durchgangs 2025 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Laura erneut ganz herzlich für die Zusendung. Selbstverständlich kann juraexamen.info keine Gewähr dafür geben, dass die in Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht. Dennoch sollen Euch die Protokolle als Anhaltspunkt dienen, was euch im Examen erwartet.

Sachverhalt:

Die M ist Eigentümerin der Dackelhündin Daisy. Es handelt sich dabei um eine Rassezüchtung mit Nachweisen und Daisy hat einen objektiven Marktwert von 2.200 Euro. M nimmt mit Daisy seit einigen Jahren an Wettbewerben teil und hat in den letzten drei Jahren mit ihr den ersten Platz belegt, welcher immer mit 500 Euro Gewinn belohnt wurde. 

Anfang 2024, kurz vor einem weiteren Wettbewerb, möchte die M in den Urlaub reisen (10.1.24 bis 18.1.24) und gibt Daisy deswegen zu P, die eine Hundepension in Düsseldorf betreibt. P soll in Abwesenheit der M, Daisy pflegen und umsorgen und auch täglich mit ihr rausgehen. Dafür machen sie eine Vergütung von 250 Euro aus.

P geht mit Daisy täglich in einem Wald spazieren. Dabei lässt sie Daisy immer ohne Leine laufen – was nicht mit M abgesprochen ist – da die Hündin sich nie weit entfernt und immer in der Nähe von P bleibt. Daisy reagiert aber nicht immer auf Befehle der P.

Am 18.1 geht P wieder mit Daisy im Wald spazieren und lässt sie wie immer ohne Leine laufen. Daisy nimmt ein Geräusch wahr und bleibt mitten auf dem Waldweg stehen. Auf Kommandos der P reagiert sie nicht und bleibt weiter stehen. Auf Grund ihrer Fellfärbung ist sie im Laub nur schwer zu sehen. Aus dem Wald hinaus kommt die Joggerin J gelaufen, die die P überholt und auf Daisy zuläuft. Daisy reagiert immer noch nicht und steht immer noch mitten auf dem Waldweg. J befindet sich nicht in unmittelbarer Nähe von P und auf Grund von Noise-Cancelling Kopfhörern nimmt sie auch nicht die Rufe von P war, welche sie auf Daisy aufmerksam machen möchte. J stürzt schließlich über die Daisy und fällt hin. Dabei zieht sie sich einen Bruch des linken Beines zu und ihr entstehen – in der Höhe angemessene – 5.000 Euro Heilbehandlungskosten.

Auch Daisy wird bei der Kollision verletzt und die M fährt noch am selben Tag, direkt nach ihrer Rückkehr, mit ihr zum Tierarzt. Dort wird festgestellt, dass Daisy sich die Pfote gebrochen hat und es entstehen – notwendige und angemessene – Tierarztkosten in Höhe von 600 Euro.

J möchte jetzt von P die 5.000 Euro Heilbehandlungskosten ersetzt haben. Die P hätte die Daisy an die Leine nehmen müssen. P entgegnet, dass in dem Wald keine Leinenpflicht gem. § 2 Abs. 2 LHundG NRW herrsche und außerdem hätte Daisy nur ruhig dagestanden und von ihr sei keine Gefahr iSd § 2 Abs. 1 LHundG NRW ausgegangen. Außerdem hätte J bei aufmerksamer Beobachtung des Waldweges – was auch zutrifft – die Daisy rechtzeitig wahrnehmen können. Und hätte sie die Kopfhörer nicht getragen, dann hätte sie auch die Rufe von P wahrnehmen können. 

P möchte von J wiederum die 600 Euro Tierarztkosten erstattet haben. J ist der Meinung, dass die P doch sowieso keinen Anspruch hatte, da die M die Halterin sei und damit die P gar nichts damit zu tun hätte. Die P ist der Meinung, dass wenn überhaupt beide ein Verschulden treffen würde und beide der M die Kosten schulden.

Frage 1: Hat J einen Anspruch auf Ersatz der 5.000 Euro Heilbehandlungskosten? 

Frage 2: Hat P einen Anspruch auf Ersatz der 600 Euro Tierarztkosten? 

Fallfortsetzung:

Daisy kann auf Grund der Verletzung nicht am diesjährigen Wettbewerb teilnehmen. M ist der Meinung, dass sie auch dieses Jahr wahrscheinlich wieder den Wettbewerb und die 500 Euro gewonnen hätte. Außerdem sei es durch die Verletzung zu einer Wertminderung von 200 Euro gekommen, sodass der objektive Marktwert nun 2.000 Euro beträgt.

Die M möchte nun die 700 Euro von J haben, die J möchte aber nicht zahlen. Sie ist der Meinung, es wäre ja gar nicht klar, ob sie den Wettbewerb wieder gewonnen hätten und auch die Wertminderung hätte sie nicht zu zahlen, da M – was auch zutrifft – sowieso nicht vorhabe den Hund zu verkaufen.

Die M erhebt deswegen Klage vor dem örtlich zuständigen Amtsgericht in Düsseldorf. Der zuständige Richter lässt der J die wirksame Klageschrift zukommen, zudem ordnet er ordnungsgemäß einen frühen ersten Termin an, zu dem M und J auch ordnungsgemäß geladen werden. J ist der Meinung es bestände sowieso kein Anspruch gegen sie und sie erscheint deswegen nicht zu der mündlichen Verhandlung. M beantragt den Erlass auf ein Versäumnisurteil.

Frage 3: Unterstellt, dass der Schadensersatzanspruch dem Grunde nach besteht: wie entscheidet das Gericht? 

Beatbeiterhinweis zu ALLEN Fragen:

  • § 823 Abs 2 BGB ist NICHT zu prüfen. 
  • §§ 677 bis 687 BGB sind NICHT zu prüfen.
  • Außer der im Sachverhalt genannten LHundG NRW sind KEINE weiteren Vorschriften zu prüfen.
26.02.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-02-26 11:48:582025-02-26 14:42:26Gedächtnisprotokoll Zivilrecht III Februar 2025 NRW
Micha Mackenbrock

Keine Eigenbedarfskündigung zugunsten eines Cousins

Aktuelles, Mietrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Uncategorized, Zivilrecht, Zivilrecht

Es ist wohl der Albtraum eines jeden Mieters: Der Vermieter kündigt die Wohnung wegen Eigenbedarf. Ob Eigenbedarf aber auch dann vorliegt, wenn die Kündigung erfolgt, damit der Cousin des Vermieters die Wohnung nutzen kann, hatte nun der BGH zu entschieden (BGH, Urteil vom 10.07.2024 – VIII ZR 276/23).

Das BGH-Urteil stellt unser Gastautor Micha Mackenbrock nachfolgend vor. Er hat an der Universität Bonn Rechtswissenschaften studiert und das erste Staatsexamen abgeschlossen. Nun ist er Mitarbeiter in einer mittelständigen Anwaltskanzlei und widmet sich seinem Promotionsvorhaben im Arbeitsrecht.

I. Der Sachverhalt

1. Die Ausgangslage

Der Beklagte ist seit 2009 Mieter einer Wohnung in Berlin. Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Deren Gesellschafter sind zwei Cousins. 2014 erwarb die GbR das Eigentum an dem Gebäude, in welchem sich die vom Mieter bewohnte Wohnung befindet. 2021 sprach die GbR dann eine Kündigung wegen Eigenbedarf aus. Einer ihrer Gesellschafter wolle die Wohnung selbst nutzen.

2. Die Kündigung

Der Mieter hält die Kündigung für unwirksam und weigert sich, die Wohnung zu räumen. Er beruft sich auf die Kündigungsbeschränkung nach § 577a Abs. 1a Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 2 der Kündigungsschutzklausel-Verordnung des Landes Berlin. Gemäß diesen Bestimmungen darf eine Personengesellschaft, die erst nach der Vermietung Eigentümer einer Wohnung wurde, eine Kündigung aus berechtigtem Interesse nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 BGB, wie etwa wegen Eigenbedarfs, frühestens zehn Jahre nach dem Erwerb aussprechen. Eine Ausnahme besteht nach § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB jedoch, wenn die Gesellschafter beim Erwerb des Eigentums Familienmitglieder waren. In dem Fall ist eine Eigenbedarfskündigung schon früher zulässig.

Auf diese Ausnahme beruft sich die klagende GbR und verlangt die Räumung und Herausgabe der Wohnung nach §§ 546 Abs. 1, 985 BGB. Die Kündigung des Wohnraummietverhältnisses wegen Eigenbedarfs sei wirksam, denn Cousins seien Familienmitglieder im Sinne der Ausnahmevorschrift. Das würde erst recht gelten, wenn sich Cousins besonders nahe stehen, was hier der Fall sei.

II. Die Entscheidung des BGH

Der BGH meint, dass Cousins nicht als Familienangehörige im Sinne des § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB anzusehen sein. Das gelte auch für § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Der Begriff „Familie“ sei sowohl im Sprachgebrauch unter Juristen, als auch unter Laien, unbestimmt und nicht einheitlich definiert. Auch der Gesetzgeber habe sich bei der Einfügung des § 577a BGB durch das Mietrechtsänderungsgesetz aus 2013 nicht zu dem Familienbegriff geäußert. Eine nähere Konkretisierung bleibe damit vollständig der Rechtsprechung überlassen.

1. Unbeachtlichkeit eines besonders engen Verhältnisses

Laut dem BGH könnten als Konkretisierung des Begriffs der Familienangehörigen die Regelungen über ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen (§ 383 ZPO, § 52 StPO) herangezogen werden. Das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen würde immer gelten – unabhängig davon, ob tatsächliche eine enge Beziehung und persönliche Bindung besteht. Demzufolge sei das enge Verhältnis der beiden Cousins auch im Rahmen der §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB nicht zu berücksichtigen.

2. Ohne Zeugnisverweigerungsrecht auch keine Familienangehörigkeit

Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 383 ZPO und § 52 StPO gilt für Ehepartner, Verlobte und für Verwandte und Schwager in gerade Linie, nicht aber für Cousins. Demnach könnten Cousins auch nicht als Familienmitglieder im Sinne von §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB gelten.

„Als Familienangehörige oder als Familie im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB sind ausschließlich diejenigen Personen anzusehen, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gemäß § 383 ZPO, § 52 StPO zusteht“ (BGH, Urteil vom 10.07.2024 – VIII ZR 276/23, Rn. 34).

Die Privilegierung von Familienangehörigen in den §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB soll dem Umstand Rechnung tragen, dass innerhalb einer Familie aufgrund enger Verwandtschaft üblicherweise ein persönliches Verhältnis von Verbundenheit und gegenseitiger Solidarität besteht, welches eine Kündigung zugunsten von Familienmitgliedern rechtfertigt. Die gesetzliche Privilegierung von Familienangehörigen beruht auf der Annahme einer typischerweise vorliegenden besonderen persönlichen Nähe, die aus der familiären Beziehung resultiert. Daher sei kein zusätzliches, tatsächliches Näheverhältnis erforderlich. Damit scheide aber auch eine Ausweitung des geschützten Personenkreises aufgrund einer individuellen besonderen persönlichen Bindung aus, da das Gesetz bewusst auf einer typisierenden Betrachtungsweise abstellt.

Beispielsweise besteht das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 ZPO, § 52 StPO auch dann, wenn Bruder und Schwester eine tiefe Abneigung füreinander hegen. Denn das Gesetz stellt darauf ab, dass typischerweise eine besonders enge Bindung zwischen Geschwistern vorliegt. Cousins hingegen haben typischerweise keine besonders enge Bindung, welche etwa mit der Bindung zwischen Ehepartnern, Geschwistern oder Eltern zu ihren Kindern verglichen werden könnte. Wenn das im Einzelfall einmal anders ist, ist das im Rahmen des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 383 ZPO, § 52 StPO nicht zu berücksichtigen. Das gleiche gilt für den Familienbegriff aus den §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB.

„Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber im Rahmen des von ihm verfolgten Regelungsziels das subjektive Kriterium einer im Einzelfall vorliegenden besonderen Nähebeziehung als Merkmal für die Bestimmung des von dem Begriff Familie umfassten Personenkreises für bedeutsam gehalten haben könnte, bestehen (…) nicht. Von daher gesehen ist auch nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber (…) bei Verwandten für die Gewährung der Privilegierung eine Differenzierung zwischen engen Verwandten, die unabhängig von dem tatsächlichen Vorliegen einer persönlichen Nähebeziehung privilegiert werden sollten, und entfernteren Verwandten, die nur bei bestehender besonderer persönlicher Verbundenheit von der Privilegierung umfasst sein sollten, vor Augen hatte“ (BGH, Urteil vom 10.07.2024 – VIII ZR 276/23, Rn. 40).

3. Anwendbarkeit der Regelungen im Mietrecht

Der BGH führt aus, dass eine Definition des Familienbegriffs im BGB fehle. Der Gesetzgeber hat den Begriff im BGB auch nicht näher umrissen. Jedoch habe er eine solche Bewertung im Rahmen des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen getroffen. Das Zeugnisverweigerungsrecht beruhe, ebenso wie die Privilegierung in den §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB, auf einer typischerweise vorliegenden persönlichen Nähebeziehung. Somit seien die Wertungen aus § 383 ZPO und § 52 StPO im Rahmen der Eigenbedarfskündigung heranzuziehen.

4. Ergebnis

Da die beiden Cousins nicht als Familienmitglieder im Sinne von § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB anzusehen seien, gilt weiterhin § 577a Abs. 1, 1a Satz 1, Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 2 der Kündigungsschutzklausel-Verordnung des Landes Berlin. Eine Eigenbedarfskündigung durch die GbR kann somit erst nach Ablauf von zehn Jahren nach Eigentumserwerb erfolgen. Ein Räumungs- beziehungsweise Herausgabeanspruch nach §§ 546 Abs. 1 BGB, 985 BGB gegenüber dem Mieter besteht somit nicht.

II. Fazit

Das Urteil des BGH ist nachvollziehbar. Die generalisierende Betrachtung für die Eigenbedarfskündigung verschafft Mietern Rechtssicherheit und Planbarkeit. Auch werden dadurch die Gerichte entlastet, denn sie müssen sich nicht damit beschäftigen, ob in Einzelfällen eine persönliche Nähebeziehung vorliegt.

26.11.2024/1 Kommentar/von Micha Mackenbrock
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2024-11-26 17:36:442024-11-26 17:36:45Keine Eigenbedarfskündigung zugunsten eines Cousins
Moritz Augel

Haftung für umkippende E-Scooter – Pech für Autofahrer?

Aktuelles, Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Startseite, Zivilrecht

E-Scooter wurden einst als „Revolution für die letzte Meile“ gefeiert. Doch die anfängliche Freude ist schnell verpufft: E-Scooter Verbotszonen, die verhindern, dass Irre die Scooter in Rhein, Main oder Spree werfen; mitten auf dem Gehweg abgestellte Scooter, die insbesondere Ältere, Rollstuhlfahrer und Menschen mit Kinderwagen behindern und nicht zuletzt zahlreiche Fälle, in denen Autos durch umgekippte E-Scooter beschädigt wurden.

Doch wer haftet eigentlich für das Umfallen von E-Scootern? Eine Frage, der unser Gastautor Moritz Augel im nachfolgenden Beitrag nachgehen wird. Er hat Rechtswissenschaft an der Universität Bonn studiert und widmet sich aktuell seinem Promotionsvorhaben.

I. Haftung des Nutzers

Zunächst ist eine mögliche Haftung des letztmaligen Nutzers, der den E-Scooter abgestellt hat zu erwägen.

1. Auskunftsanspruch nach § 242 BGB

Bevor man sich der Frage widmen kann, welche Ansprüche gegen den Nutzer bestehen könnten stellt sich zunächst ein ganz praktisches Problem. Der Geschädigte kennt die Identität des Fahrers des E-Scooters schlicht nicht. Jedoch steht ihm ein Anspruch aus § 242 BGB auf Auskunft über Name und Adresse des Fahrers gegen den Betreiber zu (vgl. BGH, Urt. v. 6.5.2004 – III ZR 248/03, VIZ 2004, 492 (494)). Ein solcher Auskunftsanspruch besteht dann, wenn „der Berechtigte entschuldbarerweise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen, der Verpflichtete aber in der Lage ist, unschwer solche Auskünfte zu erteilen, die zur Beseitigung jener Ungewissheit geeignet sind“ (BGH, Urt. v. 6.5.2004 – III ZR 248/03, VIZ 2004, 492 (494)).

Problematisch ist indes, dass auch dem Betreiber häufig die Adresse des Nutzers unbekannt ist. Kann der Betreiber darlegen, dass er die Adresse mithilfe der ihm zur Verfügung stehenden Informationen nicht ermitteln kann, so scheitert auch der Auskunftsanspruch (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (210)). Sofern also überhaupt Ansprüche gegen den Fahrer bestehen, scheitern sie bereits häufig an der fehlenden Durchsetzbarkeit, mangels Kenntnis über die Identität des Anspruchsgegners.

2. Haftung nach § 18 Abs. 1 StVG

Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass es sich bei den E-Scootern um Kraftfahrzeuge iSv. § 1 Abs. 2 StVG handelt. Da sie selbstständig beschleunigen und nicht an Muskelkraft gebunden sind, handelt es sich um Kraftfahrzeuge, die grundsätzlich der Halter- (§ 7 StVG) und Fahrerhaftung (§ 18 StVG) unterfallen. Jedoch regelt § 8 StVG eine Ausnahme von der Gefährdungshaftung. Diese greift gem. § 8 Nr. 1 StVG nicht, wenn es sich um ein Kraftfahrzeug handelt, welches nicht schneller als 20 km/h fahren kann. Dies ist bei E-Scootern der Fall, sodass eine Haftung nach § 18 Abs. 1 StVG ausscheidet.

Die Ausnahme des § 8 Nr. 1 StVG ist in letzter Zeit zunehmend in die Kritik geraten. Insbesondere in Konstellationen, wie der vorliegenden, erscheint es widersinnig auf die tatsächliche Geschwindigkeit abzustellen, denn wenn das Fahrzeug stillsteht begründet es die gleiche Gefahr, wie jedes andere (schnellere) Fahrzeug (Medicus, DAR 2000, 442 (443)).

3. Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB

Möglich bleibt eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB. Die Sachbeschädigung stellt eine Rechtsgutsverletzung in Form der Eigentumsverletzung dar. Als haftungsbegründendes Verhalten ist auf die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, mithin ein Unterlassen, abzustellen: Der Nutzer eines E-Scooters schafft eine Gefahrenquelle, sobald er ihn im öffentlichen Verkehr abstellt, weshalb er entsprechende Maßnahmen treffen muss, die erforderlich sind um eine Schädigung Dritter zu verhindern, vgl. § 1 Abs. 2 StVO. Eine unsachgemäße Abstellung ist mithin haftungsbegründend.

Problematisch sind indes vor allem die Fragen der Kausalität und des Verschuldens, die sich insbesondere daraus ergeben, dass dem Geschädigten ein Nachweis bezüglich Kausalität und Verschulden nur in den seltensten Fällen gelingen wird. Insbesondere ist es für den Geschädigten häufig nicht nachzuweisen, dass der Scooter tatsächlich vom Fahrer falsch abgestellt wurde und nicht etwa durch eine dritte Person umplatziert oder umgestoßen wurde.

4. Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 1 Abs. 2 StVO

Gemäß § 823 Abs. 2 BGB begründet auch die Verletzung eines Schutzgesetzes eine Haftung. Schutzgesetze sind solche, die nicht nur Allgemeininteressen, sondern auch die des Einzelnen schützen sollen (Förster in BeckOK BGB, § 823 BGB, Rn. 276). Telos des § 1 Abs. 2 StVO ist zunächst der Schutz des Allgemeininteresses an der Sicherheit des Straßenverkehrs, darüber hinaus jedoch auch der Schutz des Individualinteresses des einzelnen Verkehrsteilnehmers an seiner Unversehrtheit. § 1 Abs. 2 StVO ist mithin ein Schutzgesetz iSd. § 823 Abs. 2 BGB (vgl. Herbers/Lempp in Haus/Krumm/Quarch, Verkehrsrecht, § 1 StVO, Rn. 5). Eine Haftung kann sich mithin auch aus § 823 Abs. 1 BGB iVm. § 1 Abs. 2 StVO ergeben. Es stellen sich jedoch die gleichen Probleme hinsichtlich der Beweisbarkeit und Identifizierbarkeit des Fahrers, wie bei § 823 Abs. 1 BGB.

II. Haftung des Betreibers

Gerade weil eine Haftung gegen den Fahrer regelmäßig aufgrund fehlender Durchsetzbarkeit (vgl. I. 1.) scheitert, wäre ein Anspruch gegen den – häufig auch deutlich solventeren – Betreiber umso wichtiger.

1. Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG

Eine Halterhaftung scheitert ebenso wie die Haftung des Fahrers nach § 18 Abs. 1 StVG (s. I. 2.), weil § 8 Nr. 1 StVG diese für E-Scooter ausschließt.

2. Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB

Auch den Betreiber treffen Verkehrssicherungspflichten: Indem er die E-Scooter in den Verkehr bringt, sie auf öffentlichen Straßen abstellen lässt und sie an Nutzer vermietet schafft er selbst eine Gefahrenquelle, aufgrund derer er zur Ergreifung von Maßnahmen verpflichtet ist, um die Rechte Dritter zu schützen (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (210)). Dabei ist der Betreiber zur Ergreifung solcher Maßnahmen verpflichtet, die erforderlich sind und angemessen sind. Welche Maßnahmen das sind, bestimmt sich aus der Sicht eines umsichtigen, verständigen, in vernünftigen Grenzen vorsichtigen und gewissenhaften Menschen (st. Rspr.: BGH, Urt. v. 25.10.2022 – VI ZR 1283/20, NJW-RR 2023, 95, Rn. 11).

Es stellt sich mithin die Frage, in welchem Maß der Betreiber verpflichtet ist, einen ordnungsgemäßen Abstellvorgang sicherzustellen. Eine proaktive Überwachung jedes einzelnen Abstellvorgangs wäre ihm keinesfalls zumutbar (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (210)). Jedoch darf der Betreiber nicht darauf vertrauen, dass die Nutzer die Scooter stets ordnungsgemäß abstellen, weshalb den Betreiber jedenfalls in Fällen, in denen er Kenntnis von einem falsch geparkten E-Scooter erlangt, die Pflicht trifft, darauf zu reagieren und die Gefahrenquelle zu beseitigen (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (210 f.)).

Dabei darf sich der Betreiber nicht allein darauf verlassen, dass ihm ein falsch geparkter Scooter wohl gemeldet würde. Vielmehr trifft ihn auch die Pflicht zur Überwachung, sodass regelmäßige Kontrollen vorzunehmen sind, die etwa im Rahmen des nächtlichen Umstellens und Aufladens erfolgen kann (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (211)). Darüber hinaus verfügen die Scooter regelmäßig über eine GPS-Ortung, sodass sich, wenn sich aus der Position bereits eine Störung ergibt, ebenfalls eine Beseitigungspflicht ergibt.

Kaufmann und Kurczinski schlagen den Einbau von Neigungssensoren vor, die nicht nur auf eine Gefahrenquelle aufmerksam machen, sondern auch dabei helfen würden, den Zeitpunkt des Umkippens feststellen zu können (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (210)).

Eine Pflicht zur Erhebung der Daten des Nutzers besteht hingegen nicht. Zwar begründet die lückenhafte Datenerhebung eine Gefahr, da eine praktische Durchsetzung der Ansprüche gegen den Nutzer so praktisch unmöglich wird. Allerdings führt das Unterlassen der Datenerhebung nicht zur Rechtsgutsverletzung, sodass der erforderliche Kausalzusammenhang fehlt (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (211)).

3. Haftung nach § 831 Abs. 1 BGB

Sogenannte „Juicer“ oder „Charger“ verdienen Geld, indem sie leere E-Scooter einsammeln, aufladen und später wieder im angestammten Gebiet verteilen. Sofern es sich bei ihnen um Verrichtungsgehilfen handelt, sie ihre Tätigkeit mithin weisungsgebunden ausüben, kommt eine Haftung des Betreibers nach § 831 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht. Voraussetzung hierfür ist ein Auswahl- bzw. Überwachungsverschulden; der Betreiber darf sich mithin nicht nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpieren können. Jedoch wird diese Exkulpation nicht nur häufig gelingen (so jedenfalls Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (211)), vielmehr ist die konkrete Ausgestaltung der vertraglichen Vereinbarung zwischen „Juicer“ und Betreiber dahingehend zu untersuchen, ob überhaupt eine Weisungsbindung vorliegt.

III. Summa

Es besteht mithin das Risiko, dass die Eigentümer eines Kraftfahrzeugs, welches durch einen umkippenden E-Scooter beschädigt wurde, auf dem Schaden sitzenbleiben. Dies ist nicht nur misslich, sondern ein echtes Ärgernis. Die Privilegierung des § 8 Nr. 1 StVG scheint überholt (vgl. Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (212)). Aktuell muss man konstatieren, dass es dem Geschädigten nicht möglich ist einen Regress vom Betreiber zu erlangen. Auch ein Rückgriff gegen den Fahrer ist nur selten möglich. Keine gute Nachricht für alle Autofahrer, die auch künftig fürchten müssen aus eigenem Portmonee für den Lackschaden aufkommen zu müssen.

07.11.2024/2 Kommentare/von Moritz Augel
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Moritz Augel https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Moritz Augel2024-11-07 08:47:252024-11-14 09:31:35Haftung für umkippende E-Scooter – Pech für Autofahrer?
Micha Mackenbrock

Schmerzensgeld vom Hochzeitsfotografen?

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Es soll der schönste Tag im Leben sein: Die Hochzeit. Umso ärgerlicher, wenn der Hochzeitsfotograf seinen Job nicht zur Zufriedenheit des Brautpaars ausübt. Ob in diesem Fall dem Brautpaar ein Schmerzensgeldanspruch zusteht, hatte das LG Köln zu entscheiden (LG Köln 08.04.2024 – 13 S 36/22). Warum sich der Beschluss des Landgerichts in die schon bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung einfügt, erklärt unser Gastautor Micha Mackenbrock. Er hat das erste Staatsexamen an der Universität Bonn absolviert und widmet sich derzeit seinem Promotionsvorhaben im Arbeitsrecht.

I. Der Sachverhalt

Für den Tag ihrer Hochzeit hat ein Brautpaar einen Fotografen gegen Bezahlung engagiert. Nach der Hochzeit überreichte der Fotograf dem Brautpaar einen USB-Stick mit 170 Fotos von der Hochzeit. Doch damit war das Brautpaar unzufrieden: Es seien zu wenig Bilder gemacht worden. Zudem fehlten Bilder von wichtigen Momenten der Feier: Das Steigenlassen der Luftballons wurde fotografisch nicht festgehalten und auch einige Gruppenfotos befanden sich nicht auf dem USB-Stick.

Schwer enttäuscht verklagte das traurige Brautpaar den Fotografen vor dem Amtsgericht und forderte pro Person mindestens 1.000€ Schmerzensgeld, also insgesamt mindestens 2.000€.

II. Die Entscheidung

1. Kein Erfolg vor dem Amtsgericht

Das Amtsgericht zeigte sich schon skeptisch dahingehend, ob ein nicht hinreichendes Fotografieren überhaupt eine Pflichtverletzung darstellen könne, wenn darüber keine ausdrücklichen Absprachen zwischen den Vertragsparteien getroffen worden sind.

Jedenfalls aber würde die von den Klägern geltend gemachte „Enttäuschung und Trauer“ nicht ausreichen, um einen Schmerzensgeldanspruch begründen zu können. Enttäuschung und Trauer würden als solche nur eine geringfügige Beeinträchtigung des seelischen Wohlempfindens darstellen. Solche Bagatell-Beeinträchtigungen reichten nicht aus, um einen Schmerzensgeldanspruch auslösen zu können.

2. Erfolglose Berufung vor dem Landgericht

Gegen das Urteil des Amtsgerichts gingen die Kläger in Berufung, jedoch erfolglos. Das Landgericht folgte dem Amtsgericht und begründet seine Entscheidung damit, dass ein Schmerzensgeldanspruch bei vertraglichen Pflichten eine psychische Beeinträchtigung verlange. Zwar trugen die Kläger vor, dass sie große Enttäuschung und Trauer fühlen würden, und dass ihre Hochzeit wegen des Ärgers um die Fotos nun für immer negativ behaftet sei. All dies stelle jedoch keine tatsächliche, tiefergehende psychische Beeinträchtigung dar. Diese sei aber Voraussetzung für einen Schmerzensgeldanspruch.

Auch ein deliktischer Anspruch sei mangels Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts nicht gegeben.

III. Einordnung der Entscheidung

Die Entscheidungen des Amts- und Landgerichts sind nicht überraschend, sondern lassen sich in die Grundsätze einordnen, welche von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entworfen worden sind.

1. Die Rechtsprechung zu „Schockschäden“

So beschäftigte sich der BGH Ende 2022 wiederholt mit einem Fall zum sogenannten „Schockschaden“ (BGH, Urteil vom 27.10.2022 – I ZR 139/21, NJW 2023, 983). In dem vom BGH zu entscheidenden Fall wurde die junge Tochter des Klägers von dem Beklagten mehrfach sexuell missbraucht. Als der Kläger dies erfuhr, wurde er depressiv, musste in psychologische Behandlung und wurde über ein Jahr lang arbeitsunfähig. Der BGH entschied, dass in diesem Fall eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 I BGB vorläge, da die psychische Beeinträchtigung pathologisch fassbar sei und folglich einen Krankheitswert erreicht habe. Daher wurde dem Kläger ein Schmerzensgeldanspruch zugesprochen.

Zudem stellte der BGH klar, dass eine allzu ausufernde Haftung auf Schmerzensgeld vermieden werden soll:

Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Hierfür muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; […]. Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist (BGH, Urteil vom 27.10.2022 – I ZR 139/21, NJW 2023, 983 (985).

Im Fall des Hochzeitsfotografen könnte man wohl argumentieren, dass es eben auch dem Schutzweck der Norm entspreche, dass das Brautpaar vor späteren Enttäuschungen bewahrt werden soll. Die Enttäuschung des Brautpaares hat aber eben nicht den pathologischen Krankheitswert erreicht, welchen der BGH fordert.

2. Das Vorliegen eines pathologischen Zustandes

Zudem setzt die Rechtsprechung hohe Anforderungen an das Vorliegen eines pathologischen Zustandes. Selbst massive Schlafstörungen, Weinkrämpfe, Alpträume, vorübergehende Kreislaufstörungen, Unkonzentriertheit und ein depressives und unruhiges Gemüt würden an sich keine psychopathologischen Ausfälle von einiger Dauer und einigem Gewicht darstellen. Erst dann, wenn diese Auswirkungen pathologisch fassbar seien, könne ein Schmerzensgeldanspruch zuerkannt werden (OLG Celle, Urteil vom 24.08.2022 – 14 U 22/22, BeckRS 2022, 21824, Rn. 28 f.).

Hier erreichte die Enttäuschung und Trauer des Brautpaares keinen pathologisch messbaren Wert, auch wenn das LG Köln feststellte, dass die negativen Gefühle des Brautpaares „nachvollziehbar“ seien.

IV. Fazit

Verständlicherweise lässt die Rechtsprechung Schmerzensgeldansprüche nur unter engen Voraussetzungen zu. Andernfalls liefe wohl jeder Gefahr, sich ständig und überall schadensersatzpflichtig zu machen. Soll etwa schon ein grummeliger, unfreundlicher Busfahrer, welcher Ärger und Unwohlsein bei den Fahrgästen auslöst, Schmerzensgeld leisten müssen? Das dies nicht richtig sein kann, erschließt sich von selbst.

Eine restriktive Handhabung entspricht daher vor allem auch dem in § 253 BGB deutlich werdenden Willen des Gesetzgebers, der Schmerzensgeldansprüche nur in Ausnahmefällen vorsieht.

16.09.2024/5 Kommentare/von Micha Mackenbrock
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2024-09-16 07:31:412024-10-14 15:40:04Schmerzensgeld vom Hochzeitsfotografen?
Micha Mackenbrock

Eigenrechte der Natur im Zivilprozess

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Seit dem Jahr 2015 ist es allgemein bekannt: Deutsche Automobilhersteller bedienten sich illegaler Abgasvorrichtungen an ihren Fahrzeugen, um gesetzlich vorgegebene Grenzwerte für Autoabgase einhalten zu können. Der dadurch entfachte Dieselskandal hat bis heute für eine Vielzahl wegweisender und interessanter nationaler als auch europäischer Urteile gesorgt. Nunmehr ist ein weiteres hinzugekommen: Das LG Erfurt hat „Eigenrechte der Natur“ in der Höhe des Schadensersatzes von Amts wegen berücksichtigt (LG Erfurt Urteil v. 02.08.2024, BeckRS 2024, 19541).

Wie das Gericht diese Berücksichtigung begründet, erläutert unser Gastautor Micha Mackenbrock im nachfolgenden Beitrag. Er hat das Erste Staatsexamen an der Universität Bonn absolviert und widmet sich nun seinem Promotionsvorhaben im Arbeitsrecht.

A. Hintergrund der Entscheidung

Der BGH hat entschieden, dass Kunden von manipulierten Autos vom jeweiligen Hersteller Schadensersatz verlangen können. Die Höhe des Schadensersatzes beträgt in der Regel 5-15% des Fahrzeugpreises (BGH Urteil v. 26.6.2023, NJW 2023, 2259 (2269)).

In dem vom LG Erfurt zu entscheidenden Fall stand eine ebensolche Konstellation in Rede: Ein Autokäufer wurde Opfer des Dieselskandals und verlangte Schadensersatz. Er bekam ihn – wie es auch zu erwarten war – zugesprochen, doch ein Aspekt an der Entscheidung ist neu. Denn erstmals hat ein deutsches Gericht bei der Bemessung der Schadenshöhe Eigenrechte der Natur von Amts wegen berücksichtigt.

B. Begründung des LG Erfurt

Gemäß § 287 I 1 ZPO entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung über die Schadenshöhe. Im hiesigen Fall hat das LG Erfurt entschieden, dass ein Schadensersatz in Höhe von 10% des Kaufpreises angemessen sei. Dies entspräche dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz und dem Sanktionsgedanken. Der Rechtsverstoß des Beklagten habe schließlich beträchtliches Gewicht.

I. Die Natur als ökologische Person

Unumstritten ist, dass die Natur durch die (zu) hohen Abgaswerte von Autos besonders belastet wird. Ein Aspekt, der nach Ansicht des LG Erfurt auch bei der Bemessung der Schadenshöhe nicht unberücksichtigt bleiben kann, da auch die Natur Eigenrechte habe. Die Eigenrechte der Natur ergäben sich aus der Grundrechtecharta der Union (GRC) und seien auch ohne entsprechenden Klägervortrag schon von Amts wegen zu berücksichtigen.

In den Dieselfällen findet das Unionsrecht in Anbetracht der Einschlägigkeit mehrere sekundärrechtlichen Unionsrechtsakte Anwendung, sodass nach Art. 51 I GRC in der Folge auch der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta eröffnet ist. Laut dem LG Erfurt ließen sich aus Art. 2, 3 I und 37 GRC Eigenrechte der Natur begründen. Nach diesen Grundrechten wird das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gewährleistet, was die Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus erforderlich macht. Diese Grundrechte gilt dabei (zumindest nach den Ausführungen des LG Erfurt) nicht nur für natürliche Personen, sondern auch für „ökologische Personen“, das heißt einzelne Ökosysteme, sowie für die Natur als solche. Ökologische Personen seien laut der GRC in ihrer Existenz, ihrem Erhalt und der Regenerierung ihrer Lebenszyklen, Struktur, Funktion und Entwicklungsprozesse zu schützen.

II. Grundrechtecharta schützt auch ökologische Personen

Das LG Erfurt erkennt zwar an, dass die GRC bei ihrer Proklamation im Jahr 2000 die Anerkennung derartiger Rechte noch nicht im Blick hatte. Sie sei aber offen für neue Entwicklungen und die Anerkennung von spezifischen Rechten ökologischer Personen sei heute aufgrund der aktuellen Entwicklungen rund um Klimawandel, Artensterben und Vermüllung geboten. Der Begriff „Person“ könne nicht nur auf Menschen beschränkt werden, sondern müsse auch die Natur, Flüsse und Wälder mit einbeziehen.

Dafür spreche schon die Präambel der GRC, in der die Verantwortung und die Pflichten gegenüber Mitmenschen und künftiger Generationen betont werden. Auch die Menschenwürdegarantie aus Art. 1 GRC verlange eine solche Auslegung, denn die Anerkennung von Eigenrechten der Natur trage dazu bei, dass der Mensch auch in Zukunft ein Leben in Würde und Selbstbestimmung führen könne.

Zudem sei nicht ersichtlich, warum juristische Personen in den Genuss des Schutzes aus der Grundrechtecharta einbezogen sein sollten, nicht aber die Natur. Mit der Anerkennung von Rechten von ökologischen Personen werde lediglich Waffengleichheit hergestellt.

C. Rechte der Natur in anderen Staaten

In anderen Staaten sind Rechte der Natur schon länger anerkannt. 2017 hat ein Gericht in Indien den Fluss Ganges zu einem Lebewesen erklärt und ihm die gleichen Rechte wie einem Mensch zugesprochen. Ebenso haben Gerichte in Kolumbien und Peru Rechte der Natur aus einer Gesamtschau der jeweiligen Rechtsordnung abgeleitet. Und sogar im EU-Mitgliedstaat Spanien wurde die Salzwasserlagune Mar Menor durch den Gesetzgeber Rechtssubjektivität verliehen.

Dass nun auch ein deutsches Gericht ausdrücklich der Natur Rechte zuspricht, ist eine Premiere. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung des LG Erfurt auf weitere Dieselskandalfälle und auf die Rechtsprechung generell auswirken wird. Mit Spannung abzuwarten bleibt derweil auch, ob der BGH sich dieser Rechtsprechung anschließen wird.

02.09.2024/1 Kommentar/von Micha Mackenbrock
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2024-09-02 10:07:142024-10-14 15:40:16Eigenrechte der Natur im Zivilprozess
Monika Krizic

Die spezielle Nichtleistungskondiktion gemäß § 816 BGB

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Der Beitrag behandelt den examensrelevanten § 816 BGB. Welche Konstellationen regelt er? Was ist wichtig beim Umgang mit dem Nichtberechtigten im Bereicherungsrecht? Diesen Fragen geht unsere Gastautorin Monika Krizic in diesem Beitrag nach. Die Autorin studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn.

Die speziellen Nichtleistungskondiktionen von § 816 BGB finden Eingang in zahlreiche Thematiken zivilrechtlicher Sachverhalte. Angesichts ihrer Spezialität zur allgemeinen Nichtleistungskondiktion, lohnt es sich ihre besonderen Voraussetzungen und Problematiken näher zu betrachten.

I. § 816 Abs. 1 S. 1 BGB

1. Grundlegendes

Die Norm regelt den Fall, dass ein Nichtberechtigter über eine Sache verfügt. Es handelt sich folglich um einen gesetzlich geregelten Sonderfall der Eingriffskondiktion und damit um eine lex specialis (Peifer, Schuldrecht, 4. Aufl. 2014, § 10 Rn. 10). § 816 Abs. 1 S. 1 BGB ist die Kehrseite der Tatsache, dass das BGB einen Gutglaubenserwerb zulässt. Während sich der Erwerber aus Gründen des Verkehrsschutzes auf die §§ 932 ff. BGB berufen können soll, ist die vorliegende Norm damit beschäftigt dem Berechtigten einen Ausgleich für seinen erlittenen Rechtsverlust zu ermöglichen (Röthel, JURA 2015, 574). Vor dem Hintergrund, dass § 816 Abs. 1 S. 1 BGB auf jegliche Verschuldens- und Kenntniselemente verzichtet, gewährleistet er einen hohen Güterschutz (Peifer, Schuldrecht, 4. Aufl. 2014, § 10 Rn. 11).

2. Tatbestandsvoraussetzungen
a) Verfügung

Zunächst bedarf es einer Verfügung. Dies ist jedes dingliche Rechtsgeschäft, durch das ein Recht aufgehoben, übertragen, belastet oder inhaltlich verändert wird (Staake, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 2. Aufl. 2022, § 4 Rn. 42). Dazu gehören u.a. die Übertragung des Eigentums nach den §§ 873 ff., 929 ff. BGB, aber auch die Belastung des Eigentums mit beschränkt dinglichen Rechten wie etwa dem Pfandrecht (Staake, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 2. Aufl. 2022, § 4 Rn. 42).

aa) Schuldrechtliche Rechtsgeschäfte

Vor dem Hintergrund der teleologsichen Zweckrichtung, dass der Eigentümer sein Eigentum nach den §§ 932 ff. an einen redlichen Dritten verlieren kann und folglich schutzbedürftig ist, sind schuldrechtliche Rechtsgeschäfte grundsätzlich nicht von § 816 Abs. 1 S. 1 BGB erfasst. Gleichwohl wurde dies in den Fällen der sog. unberechtigten Untervermietung öfter problematisiert. Dabei wird immer wieder die analoge Anwendung der Norm als Lösungsversuch angebracht.

Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke bei Vergleichbarkeit der Interessenlage voraus. Beide Voraussetzungen erscheinen hier fraglich. So stehen dem Eigentümer gegen den unberechtigten Untervermieter eine Reihe an vertraglichen Ansprüche sowie die zusätzlichen Regelungen der §§ 987 ff. BGB zur Seite, was eine planwidrige Regelungslücke zweifelhaft erscheinen lässt. Daneben fehlt es aber auch an einer vergleichbaren Interessenlage: Der Eigentümer erleidet durch die Untervermietung keinen Rechtsverlust, sodass es auch nicht des von der Norm intendierten Substanzwertausgleichs bedarf (Wandt/Schwarz, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 10. Aufl. 2020, § 11 Rn. 37). Zudem handelt es sich bei dem Untermietzins auch nicht um eine Vermögensposition, die der Untervermieter anstelle des Eigentümers erzielt. Während eine Verfügung dazu führt, dass jegliche Verwertungs- und Gebrauchsmöglichkeit aufgehoben wird, ist der Eigentümer im Hinblick auf die vorliegende Konstellation begrifflich schon nicht in der Lage den Untermietzins zu erzielen. Mit Abschluss des Mietvertrags entscheidet allein der Vermieter über den Gebrauch der Sache (Petersen, JURA 2015, 459, 462). Daher scheidet auch eine analoge Anwendung aus.

bb) Faktisches Handeln – „Einbaufälle“

Die Analogiefähigkeit des § 816 Abs. 1 S. 1 BGB wird ebenfalls in den sog. Einbaufällen diskutiert. In diesen baut der Nichtberechtigte Baumaterial derart in das Grundstück eines Dritten ein, dass dieser kraft Gesetzes gem. §§ 946 ff. BGB Eigentum erwirbt. Der Nichtberechtigte erhält dabei einen Erlös.

Der Einbau als solcher stellt einen Realakt dar, sodass es grundsätzlich an einem dinglichen Rechtsgeschäft fehlt. Dies hätte letztendlich aber zur Folge, dass die Geltendmachung des Anspruchs für den Berechtigten von der Zufälligkeit eines originären oder derivativen Eigentumserwerbs abhinge. Da sowohl im Fall einer Verfügung als auch im Fall eines Einbaus dieselben Rechtsfolgen eintreten, kann eine vergleichbare Interessenlage und damit auch eine Analogie bejaht werden (Wieling/Finkenauer, Bereicherungsrecht, 5. Aufl. 2020, § 4 Rn. 36).

b) Anspruchsgegner: Nichtberechtigter

Der Verfügende müsste auch Nichtberechtigter sein. Dies ist zum einen, wer nicht Inhaber des fraglichen Rechts und zum anderen, wer aus anderweitigen Gründen nicht verfügungsbefugt ist. Letzteres ist u.a. der Fall, wenn die Verfügungsbefugnis an einen Insolvenzverwalter gem. § 80 Abs. 1 InsO verloren wurde (Röthel, JURA 2015, 574, 575).

c) Wirksamkeit der Verfügung gegenüber dem Berechtigten

Des Weiteren müsste die Verfügung wirksam sein, d.h. der ursprünglich Berechtigte müsste sein Recht verloren haben. Die Wirksamkeit einer Verfügung kann sich insbesondere aus der Möglichkeit eines Gutglaubenserwerbs sowie einer Genehmigung ergeben. Hinsichtlich des gutgläubigen Erwerbs ist neben den §§ 932 ff. BGB vor allen Dingen auch an §§ 892 f., § 2366 (Erbschein) und § 366 HGB zu denken (Lorenz, JuS 2018, 654).

Scheitert eine Verfügung – etwa aufgrund von Bösgläubigkeit oder Abhandenkommens – kann der Berechtigte die Verfügung immer noch genehmigen. Gem. § 182 Abs. 1 BGB kann die Genehmigung sowohl gegenüber dem Nichtberechtigten als auch gegenüber dem Erwerber erklärt werden. Nach § 184 Abs. 1 BGB wirkt die Genehmigung auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurück, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Angesichts dessen könnte angenommen werden, dass die Norm zu einer Art Zirkelschluss führt: Wirkt die Genehmigung zurück, so agierte der Anspruchsgegner doch von vornherein als Berechtigter? Allerdings bezieht sich die Rückwirkungsfunktion der Norm nur auf die auf die Rechtsfolge, nicht aber auf die Berechtigung selbst (Wandt/Schwarz, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 10. Aufl. 2020, § 11 Rn. 37).

d) Rechtsfolge: Herausgabe des durch die Verfügung Erlangten

Auf der Rechtsfolgenseite sind stets zwei Kernprobleme im Kopf zu behalten.

aa) Begriff des Erlangten

Zunächst sollte problematisiert werden, was überhaupt unter dem Begriff des „Erlangten“ zu verstehen ist. Zum einen wird hier auf die Befreiung von der Verbindlichkeit abgestellt und zum anderen auf den Veräußerungserlös selbst. Gegen das Abstellen auf Letzteres könnte angeführt werden, dass der Nichtberechtigte den Veräußerungserlös nicht durch die Verfügung, sondern vielmehr durch den Vertrag mit dem Dritten erhält (Lorenz, JuS 2018, 654, 655). Für diese Sichtweise spricht somit die Dogmatik des Bereicherungsrechts.

Allerdings könnte es eine systematische Betrachtung nahe legen, den Veräußerungserlös als tauglichen Herausgabegegenstand zu qualifizieren. § 816 Abs. 1 S. 2 BGB gewährt im Falle einer unentgeltlichen Verfügung eine Durchgrifffskondiktion gegen den Erwerber. Diese Differenzierung zwischen entgeltlicher und unentgeltlicher Verfügung impliziert, dass der Veräußerungserlös das maßgeblich Erlangte ist. Zumal diese Ansicht auch den Vorteil hat, dass keine unbilligen Ergebnisse entstehen, wenn das schuldrechtliche Kausalgeschäft unwirksam ist und somit auch keine wirksame „Befreiung von der Verbindlichkeit“ erfolgen konnte (Finkenauer/Wieling, Bereicherungsrecht, 5. Aufl. 2020, § 4 Rn. 44).

bb) Herausgabe eines Gewinns?

Weiterhin stellt sich auch die Frage, ob die Norm nur eine Wert- oder darüber hinaus eine Gewinnhaftung mit sich zieht. Für eine bloße Werthaftung könnte sprechen, dass die Norm ein Unterfall der allgemeinen Nichtleistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB ist und damit der allgemeine Rechtsgedanke nach § 818 Abs. 2 BGB greift (Wandt/Schwarz, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 10. Aufl. 2020, § 11 Rn. 37).

Gleichwohl streiten mehrere Aspekte für eine Gewinnhaftung. Zunächst einmal differenziert das Gesetz in § 818 Abs. 2 BGB selbst zwischen dem Erlangten und dem Wert. Der Wortlaut von § 816 Abs. 1 S. 1 wiederum gibt keine Begrenzung auf den objektiven Sachwert her (Finkenauer/Wieling, Bereicherungsrecht, 5. Aufl. 2020, § 4 Rn. 41). Zudem könnte eine Gewinnhaftung auch mit dem Telos der Norm korrespondieren. Als Unterfall der Eingriffskondiktion soll § 816 Abs. 1 S. 1 BGB vor Eingriffen in den Zuweisungsgehalt einer eigenen Rechtsposition schützen: Die Gewinnerzielungsmöglichkeit steht aber gerade nur dem Eigentümer zu (Röthel, JURA 2015, 574, 577).

cc) Entreicherung in Form eines gezahlten Kaufpreises

Gem. § 818 Abs. 2 BGB ist die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist. Eine Entreicherung liegt vor, wenn der Vermögensvorteil nicht mehr vorhanden ist (Peifer, Schuldrecht, 4. Aufl. 2014, § 8 Rn. 15). In diesem Kontext ist auch umstritten, ob ein vom Nichtberechtigten entrichteter Kaufpreis als Entreicherung gewertet werden kann.

Beispiel: E ist Eigentümer einer Sache. Dieb D stiehlt diese Sache und veräußert sie für 100 Euro an A, welcher die Sache wiederum für 150 Euro an B weiterveräußert.

Ein Eigentumserwerb nach den §§ 932 ff. BGB scheidet aufgrund Abhandenkommens aus. Genehmigt E die Verfügung von A an B, so hätte er gegen A einen Anspruch auf Herausgabe der 150 Euro aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB. Möglicherweise könnte sich A aber aufgrund des entrichteten Kaufpreises i.H.v. 100 Euro auf Entreicherung berufen.

Gegen eine solche Abzugsfähigkeit lassen sich indes teleologische Erwägungen anführen. § 816 Abs. 1 S. 1 BGB ist seiner Natur ein Rechtsverfolgungsanspruch, der anstelle des verlorenen Vindikationsanspruchs aus § 985 tritt. Diesem Herausgabeanspruch könnte der Anspruchsgegner aber auch nicht einen etwaig gezahlten Kaufpreis entgegenhalten (Lorenz, JuS 2018, 654, 655).

II. § 816 Abs. 1 S. 2 BGB

1. Grundlegendes

§ 816 Abs. 1 S. 2 BGB stellt ebenfalls eine spezielle Nichtleistungskondiktion dar. Hinzu kommt aber auch noch, dass die Norm eine Durchgriffshaftung gegen den unentgeltlichen Erwerber ermöglicht (Wandt/Schwarz, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 10. Aufl. 2020, § 11 Rn. 39). Entgegen dem Grundsatz des Vorrangs der Leistungskondiktion -wonach grundsätzlich das Leistungsverhältnis zwischen Nichtberechtigtem und Erwerber vorrangig wäre – wird dem Berechtigten hier ein direkter Anspruch gegen den Dritten (Erwerber) gewährt. Teleologisch wird diese Ausnahme vom grundlegenden bereicherungsrechtlichen Prinzip des Vorrangs der Leistungskondiktion damit begründet, dass der Erwerber aufgrund mangelnden Vermögensopfers nicht schutzwürdig ist (Lorenz, JuS 2018, 654, 655).

2. Tatbestandsvoraussetzungen
a) Verfügung eines Nichtberechtigten
b) Wirksam gegenüber dem Berechtigten
c) Unentgeltlich

Zentraler Dreh- und Angelpunkt der Norm ist das Tatbestandsmerkmal der Unentgeltlichkeit. Die Frage nach der (Un-)Entgeltlichkeit beurteilt sich danach, ob der Erwerber eine Gegenleistung erbracht hat, wobei dies Vermögensopfer jeglicher Art sein können (Wandt/Schwarz, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 10. Aufl. 2020, § 11 Rn. 33).

aa) Gemischte Schenkung

Problematischer gestaltet sich die Situation in Fällen der sog. gemischten Schenkung. Hier wird zum Teil darauf abgestellt, wo der Schwerpunkt liegt. Andere wiederum wollen § 816 Abs. 1 S. 2 BGB so weit anwenden, wie die Unentgeltlichkeit reicht. Ist auf der Rechtsfolgenseite die Teilbarkeit des Gegenstandes nicht möglich, wird nach § 818 Abs. 2 BGB dafür plädiert, den objektiven Schenkungswert zu ersetzen (Lorenz, JuS 2018, 654, 656).

bb) Rechtsgrundlose Verfügung

Darüber hinaus umstritten ist die Frage, ob die Norm auf entgeltliche, aber rechtsgrundlose Verfügungen analog anzuwenden ist. Die Tatsache, dass der Erwerber in beiden Fällen nicht zur Gegenleistung verpflichtet ist, lässt eine vergleichbare Interessenlage nahelegen (Röthel, JURA 2015, 574, 577). Allerdings berücksichtigt eine solche Sichtweise nicht hinreichend, dass der Dritte schutzwürdig ist, gerade weil er eine Gegenleistung an den Nichtberechtigten erbracht hat und bei einer Direktkondiktion ein Einwendungsabschnitt drohen würde. In einer solchen Situation ist vielmehr nach den grundlegenden bereicherungsrechtlichen Regeln „über’s Eck“ zu kondizieren, womit auch eine planwidrige Regelungslücke zu verneinen ist (Lorenz, JuS 2018, 654, 656).

III. § 816 Abs. 2 BGB

1. Grundlegendes

Im Gegensatz zu § 816 Abs. 1 BGB, erfasst Abs. 2 nicht Verfügungen von einem Nichtberechtigten, sondern schuldrechtliche Leistungen an einen Nichtberechtigten. Geschützt werden die Interessen des Forderungsinhabers, wenn ein Dritter an seiner Stelle die geschuldete Leistung entgegennimmt. Folglich liegt in der Entgegennahme einer fremden Leistung der maßgebliche Eingriff (Jacoby/von Hinden, Studienkommentar BGB, 18. Aufl. 2022, § 816 Rn. 6).

2. Tatbestandsvoraussetzungen
a) Bewirken einer Leistung an einen Nichtberechtigten

Nichtberechtigter i.d.S. ist jede Person, die nicht Forderungsinhaber ist oder nicht zur nicht zur Annahme der Leistung berechtigt ist (Peifer, Schuldrecht, 4. Aufl. 2014, § 10 Rn. 20).

b) Leistung gegenüber dem Berechtigten wirksam

Das Erlöschen einer Leistung durch Erfüllung nach § 362 Abs. 1 BGB setzt u.a. voraus, dass an den richtigen Gläubiger geleistet wird. Daher erlischt eine Forderung gerade nicht bereits dann, wenn sie von einem Dritten eingezogen wird (Finkenauer/Wieling, Bereicherungsrecht, 5. Aufl. 2020, § 4 Rn. 47).

aa) Gesetzliche Bestimmungen

Etwas anderes kann sich aber aus gesetzlichen Ausnahmevorschriften ergeben. Zu den wichtigsten Anwendungsfällen gehören u.a. die Zahlung an den Zedenten (Altgläubiger) gem. § 407 Abs. 1 BGB, die Zahlung an den Inhaber eines Namenspapiers mit Inhaberklausel nach § 808 BGB oder die Zahlung an den Inhaber eines Erbscheins gem. §§ 2367 Var. 1, 2366 BGB.

bb) Möglichkeit der Genehmigung

Ergibt sich keine Wirksamkeit aufgrund gesetzlicher Bestimmungen, so stellt sich die Frage, ob auch im Rahmen von § 816 Abs. 2 BGB eine nachträgliche Genehmigung in Betracht kommt. Der Wortlaut des § 362 Abs. 2 BGB stellt aber uneingeschränkt auf § 185 BGB und damit auf eine Genehmigungsmöglichkeit ab (Staake, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 2. Aufl. 2022, § 4 Rn. 62).

c) Rechtsfolge:  Herausgabe des Geleisteten
26.08.2024/0 Kommentare/von Monika Krizic
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Monika Krizic https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Monika Krizic2024-08-26 08:00:002025-05-12 10:48:49Die spezielle Nichtleistungskondiktion gemäß § 816 BGB
Micha Mackenbrock

Koppelungsklauseln in Anstellungsverträgen von GmbH-Geschäftsführern und AG-Vorständen

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Sogenannte Koppelungsklauseln sind in vielen Anstellungsverträgen von GmbH-Geschäftsführern und AG-Vorständen enthalten, um den Bestand des jeweiligen Anstellungsverhältnisses an das Bestehen der Organstellung zu knüpfen. Ob sie einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB standhalten können, wird aber unterschiedlich bewertet, wie unser Gastautor Micha Mackenbrock im nachfolgenden Beitrag erläutert. Er hat das Erste Staatsexamen an der Universität Bonn absolviert und widmet sich nun seinem Promotionsvorhaben im Arbeitsrecht.

Dieser Beitrag wird zunächst eine kurz Einführung in das hier relevante Organwalterrecht geben (I.). Sodann wird erläutert, was genau Koppelungsklauseln eigentlich sind (II.) und es wird dargestellt, was für und was gegen eine Unwirksamkeit nach § 307 BGB spricht (III.). Und schließlich wird ein Fazit gezogen (IV.).

I. Einführung in das Organwalterrecht

Bei einer GmbH und einer AG handelt es sich um juristische Personen des Privatrechts. Sowohl die GmbH als auch die AG können daher als solche nicht selbst handeln. Das übernehmen stattdessen ihre Organe. In der GmbH ist bzw. sind sind der/die Geschäftsführer für die Geschäftsführung zuständig, in der AG ist es der Vorstand.

1. Ein Blick auf die GmbH

Die Bestellung des Geschäftsführers in einer GmbH erfolgt entweder durch Satzung oder durch Beschluss der Gesellschafterversammlung, §§ 6 III, 46 Nr. 5 GmbHG. Auch die Abberufung, das heißt das Entbinden von den gesetzlichen und satzungsmäßigen Kompetenzen und Rechten, des Geschäftsführers erfolgt durch Beschluss der Gesellschafterversammlung nach §§ 38 I, 46 Nr. 5 GmbHG. Sie kann jederzeit, auch ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes, erfolgen.

2. Ein Blick auf die AG

In einer AG wird der Vorstand durch den Aufsichtsrat für eine Dauer von höchstens 5 Jahren bestellt, § 84 I 1 AktG. Die Abberufung des Vorstandes erfolgt ebenfalls durch den Aufsichtsrat, ist aber nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich, § 84 IV AktG.

3. Trennungsprinzip

Zu beachten ist das Trennungsprinzip: Sowohl bei GmbH-Geschäftsführern als auch bei AG-Vorständen ist strikt zwischen der Stellung als Organwalter und dem Anstellungsverhältnis zu unterscheiden. Das heißt: Grundsätzlich bleibt der Anstellungsvertrag, der rechtlich regelmäßig als Dienstvertrag nach § 611 BGB und nicht als Arbeitsvertrag nach § 611a BGB ausgestaltet ist, auch dann bestehen, wenn eine Abberufung erfolgt! Der Organwalter hat also weiterhin einen Anspruch auf die sich aus dem Anstellungsvertrag ergebende Vergütung – und das, obwohl er durch die Abberufung von seiner Tätigkeit als Geschäftsführer beziehungsweise Vorstand entbunden ist. Das zeigen auch § 38 I GmbHG und § 84 III 5 AktG.

Beispiel: Frau Müller ist Vorstandsmitglied der A-AG und hat zugleich einen Anstellungsvertrag mit der A-AG abgeschlossen. Der Anstellungsvertrag sieht eine monatliche Vergütung für Frau Müller vor. Wegen einer groben Pflichtverletzung wird Frau Müller vom Aufsichtsrat nach § 84 IV AktG abberufen. Sie ist somit nicht mehr länger als Vorstandsmitglied tätig. Völlig unabhängig davon ist aber ihr Anstellungsverhältnis. Obwohl Frau Müller nicht länger Vorstandsmitglied ist, kann sie aus ihrem Anstellungsvertrag von der A-AG die monatliche Vergütung verlangen.

II. Koppelung des jeweiligen Anstellungsverhältnisses an das Bestehen der Organstellung

Dieses Ergebnis mag überraschen, da doch die Vergütung gerade für Frau Müllers Tätigkeit als Vorstandsmitglied von der A-AG gezahlt wird. Um genau solche Konstellationen zu vermeiden, entspricht es gängiger Vertragspraxis, dass der Bestand des Anstellungsvertrags an den Bestand der Organstellung geknüpft wird. Der Grundsatz des Trennungsprinzips erfährt durch Koppelungsklauseln also eine Durchbrechung.

Beispiel: Im Anstellungsvertrag von Frau Müller und der A-AG wird vereinbart: „Der Anstellungsvertrag endet mit dem Zeitpunkt der Abberufung von Frau Müller als Vorstandsmitglied.„

III. (Un-)Wirksamkeit nach § 307 BGB?

Umstritten ist, ob solche Koppelungsklauseln wirksam sind. Da der Anstellungsvertrag ganz regelmäßig eine AGB darstellt, müsste das in ihm enthaltene Koppelungsklausel auch einer AGB-Kontrolle am Maßstab der §§ 305 ff. BGB standhalten können.

1. Keine Klärung durch den BGH

Der BGH hat sich bislang noch nicht mit der Frage befasst, ob Koppelungsklauseln einer AGB-Kontrolle nach den §§ 305-310 BGB standhalten. Ältere Urteile des BGH beruhen auf einer anderen Gesetzeslage (BGH NJW 1989, 2683). Mittlerweile entschieden ist aber, dass GmbH-Geschäftsführer und AG-Vorstandsmitglieder als Verbraucher im Sinne von § 13 BGB zu qualifizieren sind (BGH NJW 1996, 2156; OLG Hamm MDR 2007, 1438). Somit findet die Inhaltskontrolle nach §§ 307-310 BGB gemäß § 310 III Nr. 2 BGB auch schon dann Anwendung, wenn die vereinbarte Koppelungsklausel nur zur einmaligen Verwendung bestimmt ist.

2. Für die Unwirksamkeit plädierende Literaturansichten

Einer Ansicht des Schrifttums nach sind Koppelungsklauseln jedenfalls in Anstellungsverträgen mit einem AG-Vorstandsmitglied unwirksam nach § 307 I 1, II Nr. 1 BGB (Tödtmann/von Erdmann, NZG 2022, 3 (6)).
Als gesetzliches Leitbild gebe § 84 IV 5 AktG das Trennungsprinzip vor. Demnach solle die Beendigung des einen Rechtsverhältnisses keine Auswirkungen auf das andere Rechtsverhältnis haben. Andernfalls würde das abberufene Vorstandsmitglied seiner Vergütungsansprüche beraubt werden und stünde schutzlos da. Eine Abweichung vom gesetzlich vorgesehenen Trennungsprinzip sei nur bei Vorliegen eines Sachgrundes gerechtfertigt. Ein Sachgrund läge aber gerade nicht vor. Dass die AG dem abberufenen Vorstandsmitglied weiterhin eine Vergütung zahlen muss läge gerade in ihrem Risikobereich.

Zudem bestehe auch ein Verstoß gegen § 307 I 1, II Nr. 2 BGB. Das Gesetz sieht vor, dass der Aufsichtsrat nicht für die Geschäftsführung zuständig ist und dass der Vorstand dem Aufsichtsrat gegenüber weisungsunabhängig ist, §§ 76 I, 111 IV 1 AktG. Der Vertragszweck eines Anstellungsvertrags sei somit auch darin zu erblicken, dass das Vorstandsmitglied unabhängig vom Aufsichtsrat über die Geschäftsführung der AG entscheiden kann. Dieser Vertragszweck werde aber durch Koppelungsklauseln gefährdet: Der Aufsichtsrat könne den Vorstand abberufen, was insbesondere bei kleineren AGs mit wenigen oder nur einem Aktionär relativ einfach möglich sei. Aufgrund der Koppelungsklausel würde der abberufene Vorstand dann auch seine Anstellung und Vergütungsansprüche verlieren. Der Vorstand könne so durch den Aufsichtsrat gelenkt und gesteuert werden (Tödtmann/von Erdmann, NZG 2022, 3 (8)).

Beispiel: Der Aufsichtsrat der A-AG möchte, dass Frau Müller ein bestimmtes Geschäft abschließt. Frau Müller hält dieses Geschäft für zu risikoreich und weigert sich. Der Aufsichtsrat droht ihr nun mit der Abberufung und verweist auf die Koppelungsklausel im Anstellungsvertrag. Aus Angst um den Verlust ihrer Vergütungsansprüche nimmt Frau Müller das Geschäft doch noch vor.

Die gleiche Gefahr besteht bei der GmbH, denn nach § 46 GmbHG gehört die Geschäftsführung nicht in den Aufgabenkreis der Gesellschafter.

Des weiteren verstießen Koppelungsklauseln auch gegen die Fristenparität aus § 622 VI BGB, so dass sie nach § 134 BGB nichtig seien. Denn durch die Abberufung hätte eine Koppelungsklausel auch zur Folge, dass die AG den Anstellungsvertrag einseitig mit sofortiger Wirkung beenden könne, ohne dass dem Geschäftsführer bzw. Vorstandsmitglied diese Möglichkeit offen stünde (Tödtmann/von Erdmann, NZG 2022, 3 (8 f.)).

3. Für die Wirksamkeit plädierende Literaturansichten

Die in der Literatur vertretene Gegenauffassung hält diesen Argumentationsgang nicht für überzeugend. Vielmehr sollen Koppelungsklauseln in Anstellungsverträgen von GmbH-Geschäftsführern und AG-Vorständen wirksam sein.

Aus den Gesetzgebungsmaterialien zu § 84 IV 5 AktG gehe nicht hervor, dass das Trennungsprinzip dem Zweck diene, dass ein abberufenes Vorstandsmitglied seine sich aus dem Anstellungsvertrag ergebenden Vergütungsansprüche behalten soll und insoweit schutzwürdig sei (Seyfarth, NZG 2022, 389 (391)). Zudem könne eine Koppelungsklausel auch vorteilhaft für den Geschäftsführer bzw. den Vorstand sein – denn durch die Koppelungsklausel wird er auch frei von seinen sich aus dem Anstellungsvertrag ergebenden Pflichten.

Außerdem sei es empirisch nicht belegt, dass durch Koppelungsklauseln der Vorstand durch den Aufsichtsrat gesteuert sei. Vielmehr fänden sich in den meisten Anstellungsverträgen Koppelungsklauseln. Dennoch gebe es keine Berichte darüber, dass Aufsichtsräte mittels Koppelungsklauseln die AG steuern würden. Auch würde die Auffassung, die Koppelungsklauseln für unzulässig erachten, übersehen, dass es für die Abberufung nach § 84 IV 1 AktG eines wichtigen Grundes bedarf. Eine Abberufung sei also nicht ohne weiteres möglich (Seyfarth, NZG 2022, 389 (392)).

Beispiel: Vorstandsmitglied Frau Müller weigert sich das Geschäft abzuschließen, weil sie es als zu risikoreich erachtet. Diese Weigerung stellt keinen wichtigen Grund im Sinne von § 84 IV 1, 2 AktG dar, sodass Frau Müller nicht befürchten muss, vom Aufsichtsrat abberufen werden zu können.

Darüber hinaus müsse berücksichtigt werden, dass die Vergütung gerade für die Tätigkeit als Vorstand beziehungsweise Geschäftsführer bezahlt wird. Wenn diese Tätigkeit wegen der Abberufung wegfällt, sei es auch angezeigt, dass dann auch der Vergütungsanspruch entfällt (Seyfarth, NZG 2022, 389 (392)). Selbst wenn man eine Ungerechtigkeit im Wegfall der Vergütung erblicken möchte: In den allermeisten Anstellungsverträgen finden sich modifizierte Koppelungsklauseln, also Koppelungsklauseln welche die Zahlung einer Abfindung vorsehen (Seyfarth, NZG 2022, 389 (393)).

IV. Fazit

Wer meint, dass Koppelungsklauseln unzulässig seien, der hat dafür vor allem dogmatische Argumente auf seiner Seite. Für die Zulässigkeit sprechen jedoch praktische Erwägungen. Da sich aber beide Ansichten gut vertreten lassen und eine Entscheidung durch den BGH noch nicht stattgefunden hat, kommt es nicht darauf an, welcher Ansicht sich Studierende oder Referendarinnen und Referendare anschließen. Entscheidend ist vielmehr, wie so oft, dass ein Abwägen des Für und Wider gelingt.

25.08.2024/1 Kommentar/von Micha Mackenbrock
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2024-08-25 11:36:112024-10-14 15:40:25Koppelungsklauseln in Anstellungsverträgen von GmbH-Geschäftsführern und AG-Vorständen
Gastautor

Der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ und die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

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Ein arbeitsrechtlicher Klassiker für die Examensvorbereitung: Wann hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Vergütung, obwohl er nicht gearbeitet hat? Dieser Frage geht Tyrrell Blum in einem Gastbeitrag nach. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn sowie Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Düsseldorfer Wirtschaftskanzlei „ARQIS“.

A. Einleitung

Auch im ersten Staatsexamen ist das Arbeitsrecht aufgrund der engen Verknüpfung mit dem Schuldrecht als Prüfungsgegenstand äußerst relevant. Die Haftung im Arbeitsverhältnis (Stichwort: Innerbetrieblicher Schadensausgleich) und die Kündigung des Arbeitnehmers nehmen hierbei eine prominente Stellung ein. Geprägt wird der arbeitsrechtliche Pflichtfachstoff jedoch auch durch den Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ und die dazugehörigen Ausnahmen. Dieser soll im folgenden Beitrag mit Schwerpunktsetzung auf die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall näher dargestellt werden.

B. Der Grundsatz und dessen rechtliche Einordnung

Bevor eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalls erfolgt, müssen zunächst der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ sowie dessen zahlreichen Ausnahmen näher beleuchtet werden. Im Anschluss gilt es sodann, diese Ausnahmen rechtlich einzuordnen, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf den Entgeltfortzahlungsanspruch gelegt wird.

I. „Ohne Arbeit kein Lohn“: Kein Grundsatz ohne Ausnahmen

Der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ ist für sich genommen keine arbeitsrechtliche Besonderheit, sondern schlichtweg eine konsequente Anwendung der schuldrechtlichen Regelungen. Das Leistungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist synallagmatischer Natur uns wird maßgeblich durch § 611a BGB bestimmt.  Die Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers besteht gem. § 611a Abs. 1 S. 1 BGB in der Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit, während die des Arbeitgebers gem. § 611a Abs. 2 BGB in der Zahlung der vereinbarten Vergütung besteht. Kommt der Arbeitnehmer seiner Arbeit nach, entsteht sein Lohnanspruch nach § 611a Abs. 2 BGB. Denn er (der Arbeitnehmer) ist gem. § 614 BGB vorleistungspflichtig.

(Rechtlich) interessant wird es immer dann, wenn der Arbeitnehmer nicht gearbeitet hat: Bei der Arbeitsleistung handelt es sich nämlich um eine absolute Fixschuld, sodass im Falle der Nichtleistung Unmöglichkeit gem. § 275 Abs. 1 BGB eintritt. Dies hat gem. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB zur Folge, dass der Anspruch auf die Gegenleistung – in diesem Falle also der Anspruch auf den Lohn – untergeht (siehe hierzu Dütz/Thüsing, 28. Aufl. 2023, § 5 Rn. 249).

Doch gilt dies im Arbeitsrecht, wie auch sonst, nicht absolut: In bestimmten Fällen besteht auch ohne eine erbrachte Arbeitsleistung ein Anspruch des Arbeitnehmers auf seinen Lohn („Lohn ohne Arbeit“). Diese Fälle stellen eine Ausnahme von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB dar. Derartige Ausnahmen sind auch aus dem Schuldrecht bekannt (man denke hier etwa an § 326 Abs. 2 BGB), doch kommen im Arbeitsrecht noch weitere hinzu.

Die wichtigsten Ausnahmeregelungen, die es zu beachten gilt, lauten wie folgt:

  • Krankheit des Arbeitnehmers (§ 3 EFZG) und Feiertage (§ 2 EFZG)
  • Annahmeverzug des Arbeitgebers, § 615 S. 1 BGB
  • Betriebsrisiko des Arbeitgebers, § 615 S. 3 BGB
  • Unmöglichkeit ist vom Arbeitgeber zu vertreten, § 326 Abs. 2
  • Mutterschaftsentgelt (§§ 18 ff. MuSchG) und Erholungsurlaub (§ 11 BurlG)
II. Die rechtliche Einordnung der Ausnahmen

Alle oben aufgezählten Fallgruppen stellen grundsätzlich eine Ausnahme von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB dar. Sie führen – wie im Falle des § 326 Abs. 1 S. 2 BGB – dazu, dass Satz 1 nicht eingreift und der Anspruch demnach nicht untergeht. Sollte beispielsweise ein Annahmeverzug des Arbeitgebers gem. § 615 S. 1 BGB dazu geführt haben, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit nicht erbringen konnte, stellt dies eine Ausnahme zu § 326 Abs. 1 S. 1 BGB dar und der Vergütungsanspruch bleibt erhalten.

Anders verhält sich dies allein mit Blick auf die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 EFZG. Die rechtliche Einordnung dessen ist umstritten: Teilweise wird hierin ebenfalls eine Ausnahme von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB gesehen (ErfK/Reinhard, 24. Aufl. 2024, EFZG § 3 Rn. 3; MüKoBGB/Müller-Glögle, 9. Aufl. 2023, EFZG § 3 Rn. 3). Andere sehen hierin eine eigene Anspruchsgrundlage, die den nach § 326 Abs. 1 BGB entfallenden Anspruch auf Arbeitsentgelt ersetzt (BeckOK ArbR/Ricken, 72. Ed. 1.6.2024, EFZG § 3 Rn. 2; Schmitt EFZG/Schmitt, 9. Aufl. 2023, EFZG § 3 Rn. 8). Für letztere Ansicht spricht vor allem der klare Wortlaut der Vorschrift („so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung“).

Beide Ansichten unterscheiden sich jedoch nur im dogmatischen Anknüpfungspunkt und wirken sich nicht auf die rechtliche Qualität des Anspruchs aus (siehe ausführlich zum Meinungsstand BeckOK ArbR/Ricken, 72. Ed. 1.6.2024, EFZG § 3 Rn. 2 f.)  Folglich handelt es sich hierbei lediglich um eine Frage des Klausuraufbaus, weshalb ein Meinungsstreit nicht geführt werden muss. Es bleibt demnach dem Prüfling überlassen, welche Variante er bevorzugt – eine Begründung der gewählten Herangehensweise sollte in der Klausur in jedem Falle unterbleiben.

Hinweis: Vereinzelt wird in Vorlesungen empfohlen, alle Fallgruppen als eigene „Anspruchsgrundlage“ zu prüfen, um sich so den „Umweg“ über § 326 BGB zu sparen. Dies stellt jedoch eine äußerst unsaubere und juristisch zu beanstandende Prüfung dar, weshalb hiervon dringend abgeraten wird. Eine solche Prüfungsweise zeigt dem Prüfer, dass man den rechtlichen Gehalt der Fallgruppen „Lohn ohne Arbeit“ nicht verstanden hat.

C. Prüfungsweise in der Klausur

„Hat A einen Anspruch auf Zahlung seines Lohns i.H.v. 4.000 € für den Monat April?“ So (oder so ähnlich) sieht eine typische Fallfrage aus, die auf die hier dargestellte Problematik abzielt. Als Bearbeiter steht man nun vor der Frage, wie man das Gelernte umsetzen und darstellen soll. Hierfür muss auf Grundlage der oben dargestellten rechtlichen Einordnung zwischen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und den sonstigen Ausnahmen differenziert werden.

Aus didaktischen Gründen wird die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in diesem Beitrag als eigene Anspruchsgrundlage klassifiziert, um so die unterschiedlichen Aufbauvarianten in einer Klausur darzustellen. Außerdem wird die Prüfungsweise in der Klausur aus Gründen der besseren Übersicht und Verständlichkeit im Rahmen eines gutachterlichen Aufbaus dargestellt.

I. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

Im Falle der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall liegt stets eine zweigliedrige Prüfung vor. Zuerst muss in gewohnter Weise ein Anspruch auf Lohnzahlung nach § 611a Abs. 2 BGB geprüft werden und wegen dem Untergang nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB abgelehnt werden. Im Anschluss wird der Entgeltfortzahlungsanspruch gem. § 3 Abs. 1 EFZG als eigene Anspruchsgrundlage geprüft.

A. § 611a Abs. 2 BGB

A könnte gem. § 611a Abs. 2 BGB einen Anspruch auf Zahlung seines Lohns i.H.v. 4.000 € für den Monat April haben.

I. Anspruch entstanden

Ein wirksamer Arbeitsvertrag liegt vor. Es ist ein monatliches Entgelt in Höhe von 4.000 € vereinbart worden.

Hinweis: Unter „Anspruch entstanden“ muss geprüft werden, ob ein wirksamer Arbeitsvertrag bzw. ein wirksames Arbeitsverhältnis vorliegt. Das häufigste Problem wird hierbei eine mögliche Anfechtung oder Kündigung des Arbeitgebers sein. Außerdem kann hier die Höhe des Anspruchs – also das vereinbarte Monatsgehalt – genannt werden.

II. Anspruch erloschen

Im Monat April hat der Arbeitnehmer jedoch nicht gearbeitet. Der Anspruch könnte daher gem. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB untergegangen sein (Grundsatz: „Ohne Arbeit kein Lohn“).

Bei dem Arbeitsvertrag handelt es sich um einen gegenseitigen Vertrag. Darüber hinaus müsste die geschuldete Leistung gem. § 275 BGB unmöglich geworden sein. Die Arbeitsleistung ist eine absolute Fixschuld, die nach Zeitablauf nicht nachgeholt werden kann. Dies muss vor allem aus Arbeitnehmerschutzerwägungen gelten, damit dieser nicht neben der regulär anfallenden Arbeit, zusätzlich auch noch die ausgefallene Arbeit nachholen muss. Folglich tritt mit Zeitablauf eine Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB ein, weshalb der Anspruch auf die Gegenleistung, also auf den Lohn, gem. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB erlischt. Etwaige Ausnahmetatbestände greifen hier nicht ein.

Somit ist der Anspruch gem. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB untergegangen.

Hinweis: Unter „Anspruch erloschen“ muss nach den allgemeinen schuldrechtlichen Grundregeln das Erlöschen des Lohnanspruchs nach § 326 Abs. 1 BGB aufgrund der synallagmatischen Verknüpfung mit der Arbeitsleistung geprüft werden („Ohne Arbeit kein Lohn“). Die obigen Ausführungen stellen den Regelfall dar und können daher grundsätzlich in der Form übernommen werden.

III. Ergebnis

A hat gem. § 611a Abs. 2 BGB keinen Anspruch auf Zahlung seines Lohns i.H.v. 4.000 € für den Monat April.

B. § 3 Abs. 1 EFZG

A könnte gem. § 3 Abs. 1 EFZG einen Anspruch auf Zahlung seines Lohns i.H.v. 4.000 € für den Monat April haben.

Hinweis: Hier müssen nun die Tatbestandsvoraussetzungen des Entgeltfortzahlungsanspruchs der Reihe nach geprüft werden (siehe hierzu C.).

II. Die sonstigen Ausnahmen

Hinweis: Die sonstigen Ausnahmen müssen dagegen im Rahmen des § 326 BGB angesprochen werden. Der Einstieg in die Klausur beginnt demnach auch hier mit § 611a Abs. 2 BGB und eben nicht direkt mit der Ausnahmeregelung.

A könnte gem. § 611a Abs. 2 BGB einen Anspruch auf Zahlung seines Lohns i.H.v. 4.000 € für den Monat April haben.

A. Anspruch entstanden

Ein wirksamer Arbeitsvertrag liegt vor. Es ist ein monatliches Entgelt in Höhe von 4.000 € vereinbart worden.

Hinweis: Auch hier muss unter „Anspruch entstanden“ natürlich geprüft werden, ob ein wirksamer Arbeitsvertrag bzw. ein wirksames Arbeitsverhältnis vorliegt.

B. Anspruch erloschen

Im Monat April hat der Arbeitnehmer jedoch nicht gearbeitet. Der Anspruch könnte daher gem. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB untergegangen sein (Grundsatz: „Ohne Arbeit kein Lohn“).

Bei dem Arbeitsvertrag handelt es sich um einen gegenseitigen Vertrag. Darüber hinaus müsste die geschuldete Leistung gem. § 275 BGB unmöglich geworden sein. Die Arbeitsleistung ist eine absolute Fixschuld, die nach Zeitablauf nicht nachgeholt werden kann. Dies muss vor allem aus Arbeitnehmerschutzerwägungen gelten, damit dieser nicht neben der regulär anfallenden Arbeit, zusätzlich auch noch die ausgefallene Arbeit nachholen muss. Folglich tritt mit Zeitablauf eine Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB ein, weshalb der Anspruch auf die Gegenleistung, also auf den Lohn, zunächst gem. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB erlischt.

Dem könnte jedoch die Ausnahmeregelung des § 615 S. 3 BGB i.V.m. Betriebsrisiko des Arbeitgebers entgegenstehen.

Hinweis: § 615 S. 3 BGB i.V.m. Betriebsrisiko dient hier nur als Beispiel für eine Ausnahmeregelung. Es könnte natürlich ebenso § 615 S. 1 BGB oder etwa § 326 Abs. 2 BGB sein. Anders als oben beim Entgeltfortzahlungsanspruch gem. § 3 Abs. 1 EFZG steigt man in diesen Fällen also nicht aus der Prüfung aus, sondern prüft den Ausnahmetatbestand unmittelbar als Ausnahme zu § 326 Abs. 1 BGB. An dieser Stelle müssen dann die Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen Ausnahmeregelung geprüft werden.

C. Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

Abschließend soll im Folgenden näher auf das Prüfungsschema des Entgeltfortzahlungsanspruchs und dessen Tatbestandsvoraussetzungen eingegangen werden.

I. Prüfungsschema des § 3 Abs. 1 EZG
  1.         Wirksamer Arbeitsvertrag

2.         Ablauf der Wartefrist, § 3 Abs. 3 EFZG

3.         Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit

4.         Ohne Verschulden des Arbeitnehmers

5.         Rechtsfolge, §§ 3, 4 EFZG

Hinweis: Das Prüfungsschema des Entgeltfortzahlungsanspruchs gem. § 3 Abs. 1 EFZG muss (und sollte!) keinesfalls auswendig gelernt werden, sondern lässt sich in Gänze aus dem Gesetz herleiten. Das vorgestellte Prüfungsschema dient lediglich als Empfehlung und Orientierung.

II. Einzelne Tatbestandsvoraussetzungen

Im Folgenden sollen die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen – entsprechend ihrem jeweiligen Bedeutungsgehalt in einer Klausur – in angemessenem Umfang dargestellt werden.

Hinweis: Die Verletzung der Pflicht des Arbeitnehmers zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (§ 5 Abs. 1 EFZG) sowie zur Angabe seiner ausländischen Urlaubsanschrift (§ 5 Abs. 2 EFZG) sind keine Tatbestandsvoraussetzungen des Entgeltsfortzahlungsanspruchs (MüKoBGB/Müller-Glögle, 9. Aufl. 2023, EFZG § 5 Rn. 2). Diese Nebenpflichtverletzungen lösen lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG aus (zu prüfen unter „Anspruch durchsetzbar“) bzw. können auch einen Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers begründen.

1. Wirksamer Arbeitsvertrag

Zu Beginn muss (wieder einmal) geprüft werden, ob ein wirksamer Arbeitsvertrag bzw. ein wirksames Arbeitsverhältnis vorliegt. Dem kann – insbesondere im Rahmen von Krankheitsfällen – vor allem eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung oder eine Anfechtung entgegenstehen. Dies muss an dieser Stelle dann gegebenenfalls inzident geprüft werden. Im Rahmen dieses Prüfungspunktes kann auch in gebotener Kürze die Anwendbarkeit des EFZG nach § 1 EFZG hinterfragt werden, sofern dem Sachverhalt Bedenken hinsichtlich der Arbeitnehmereigenschaft zu entnehmen sind.

2. Ablauf der Wartefrist, § 3 Abs. 3 EFZG

Der Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht gem. § 3 Abs. 3 EFZG erst, wenn das Arbeitsverhältnis 4 Wochen lang ununterbrochen bestanden hat. Der Arbeitnehmer muss hierbei nicht tatsächlich beschäftigt worden sein, es reicht der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses. Sollte er während dieser 4 Wochen krank werden, sind diese Krankheitstage nicht anzurechnen (MüKoBGB/Müller-Glögle, 9. Aufl. 2023, EFZG § 3 Rn. 48).

Hinweis: Dies kann auch bereits unter dem ersten Prüfungspunkt geprüft werden. Insbesondere wenn beide Aspekte unproblematisch gegeben sind, empfiehlt es sich diese in gebotener Kürze im (verkürzten) Gutachtenstil oder direkt im Urteilsstil zu prüfen.

3. Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit

Der Arbeitnehmer muss infolge der Krankheit außerstande sein, seine Arbeitsleistung zu erbringen („durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert“, § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG). Kerngegenstand der Prüfung ist hierbei, dass die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung sein muss (Dütz/Thüsing, 28. Aufl. 2023, § 5 Rn. 224a). Diese geforderte Kausalität kann dann zu Problemen führen, wenn mehrere mögliche Ursachen für den Arbeitsausfall bestehen. In solchen Fällen muss dann die Kausalität im Detail geprüft werden. Ist der Arbeitnehmer beispielsweise an einem Feiertag krank, so bleibt dennoch die Krankheit weiterhin die Ursache für den Arbeitsausfall. Es bleibt demnach bei der Anspruchsgrundlage des § 3 EFZG, lediglich die Höhe richtet sich sodann nach § 2 EFZG (§ 4 Abs. 2 EFZG; siehe auch Dütz/Thüsing, 28. Aufl. 2023, § 5 Rn. 224a).

4. Ohne Verschulden des Arbeitnehmers

Der Arbeitnehmer darf die Krankheit nicht zu verschulden haben („ohne dass ihn ein Verschulden trifft“, § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG).

Hierunter ist nicht Vorsatz und Fahrlässigkeit i.S.d. § 276 BGB zu verstehen, da ansonsten ausnahmslos jede Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt sofort zum Ausschluss des Entgeltfortzahlungsanspruchs führen würde. Vielmehr muss hierunter ein grobes Verschulden gegen sich selbst zu verstehen sein, das einen groben Verstoß gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen darstellt (Dütz/Thüsing, 28. Aufl. 2023, § 5 Rn. 224b). Das Verhalten des Arbeitnehmers muss demzufolge vorsätzlich oder besonders leichtfertig gewesen sein (MüKoBGB/Müller-Glögle, 9. Aufl. 2023, EFZG § 3 Rn. 36).

Hierzu hat sich über die Jahre eine sehr umfassende Kasuistik gebildet. Der Versuch diese auswendig zu lernen wäre vergeblich und führt nicht zum Ziel. Daher sollte man hier – wie so oft – auf sein juristisches Verständnis vertrauen.

Nichtsdestotrotz muss man im Hinblick auf Sportverletzungen mit der bestehenden Rechtsprechung vertraut sein: Allein die Ausübung eines Sports kann dem Arbeitnehmer wegen dem positiven Wert der sportlichen Betätigung nicht angelastet werden. Anders verhält sich dies jedoch bei besonders gefährlichen Sportarten, bei denen sich selbst ein professioneller Sportler unter Beachtung sämtlicher Regeln einem Verletzungsrisiko in gesteigertem Maße ausgesetzt sieht. Die Beurteilung des Verschuldens bleibt jedoch eine Einzelfallentscheidung. Maßgeblich ist, ob der Arbeitnehmer im Rahmen seines Sportunfalls besonders leichtfertig gegen die anerkannten Regeln des konkreten Sports verstoßen hat oder ob er an dem Sport in einer Weise teilgenommen hat, die seine bisherigen Fähigkeiten und Kräfte überstiegen hat. Als häufiges Beispiel lässt sich hierfür die vorsätzliche Nichtbeachtung von Schutzvorkehrungen anführen, vor allem, wenn der Arbeitnehmer auf die entsprechende Schutzausrüstung (z.B. ein Helm) verzichtet (vgl. zur Problematik der Sportverletzungen MüKoBGB/Müller-Glögle, 9. Aufl. 2023, EFZG § 3 Rn. 40).

5. Rechtsfolge, §§ 3, 4 EFZG

Nach § 4 EFZG hat der Arbeitnehmer ein Anspruch auf Fortzahlung seines Entgelts.

Die Dauer des Anspruchs bestimmt sich grundsätzlich nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG, wonach der Arbeitnehmer den Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zur Dauer von sechs Wochen hat. Sollte der Arbeitnehmer infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig werden, so steht ihm der Entgeltfortzahlungsanspruch für sechs weitere Wochen nur in den beiden Fällen des § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG zu. Nach Nr. 1 darf er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Wochen nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig gewesen sein. Nach Nr. 2 müssen seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit mindestens zwölf Monate vergangen sein.

Die Höhe dieses Anspruchs bestimmt sich gem. § 4 Abs. 1 bis 3 EFZG nach dem sog. Lohnausfallprinzip in modifizierter Form (siehe hierzu im Detail Dütz/Thüsing, 28. Aufl. 2023, § 5 Rn. 227). Hiernach muss das Entgelt fortentrichtet werden, das ohne Eintritt der Krankheit zu zahlen gewesen wäre. Überstunden und Überstundenzuschläge bleiben hierbei im Rahmen des § 4 Abs. 1a EFZG außer Betracht. Per Tarifvertrag kann gem. §§ 4 Abs. 4, 12 EFZG von diesen Grundsätzen abgewichen werden. In der Klausur muss zu der Dauer des Anspruches nur bei Anlass im Sachverhalt etwas geschrieben werden. Die Höhe des Anspruchs bemisst sich in erster Linie nach der Höhe des normalen monatlichen Gehalts des Arbeitnehmers – weitergehende Berechnungen mit Blick auf etwaige Überstunden oder Ähnlichem sind in einer Klausur eher atypisch (Stichwort: „iudex non calculat“ – Ausnahme: im Schadensrecht, im Erbrecht und bei der Berechnung des Zugewinnausgleichs im Familienrecht…).

16.07.2024/1 Kommentar/von Gastautor
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2024-07-16 17:00:092024-07-16 17:04:45Der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ und die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Moritz Augel

Kleidung nach Weisung – Warum die schwarze Hose ein Kündigungsgrund sein kann

Aktuelles, Arbeitsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Darf der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vorgeben, welche Kleidung er während der Arbeit zu tragen hat? Eine Frage, deren Antwort in der Reichweite des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts nach § 106 GewO liegt. Wie ist das billige Ermessen des § 106 GewO zu bestimmen und wie wird es durch die Rechtsprechung konkretisiert? Diesen Fragen widmet sich unser Gastautor Moritz Augel. Er studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist dort studentische Hilfskraft am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit.

Ein eher kurios anmutender Fall machte kürzlich Schlagzeilen: Eine rote Arbeitsschutzhose wurde zum Gegenstand eines Kündigungsschutzprozesses, mit dem jüngst das Landesarbeitsgericht Düsseldorf befasst war. Die Entscheidung soll nachstehend zusammengefasst werden. Sie soll aber auch zum Anlass genommen werden, um die rechtlichen Grenzen des Weisungsrechts des Arbeitgebers in Bezug auf Kleidungsvorschriften ganz grundlegend darzustellen.

I. Ausgangspunkt der Betrachtung

Ausgangspunkt der Betrachtung soll zunächst, ob der Aktualität, der jüngst vom LAG Düsseldorf (Urteil vom 21.5.2024 – 3 SLa 224/24) entschiedene Fall sein, in dem es um die Frage ging, ob dem Kläger aufgrund seiner Weigerung eine rote Arbeitsschutzhose zu tragen rechtmäßig gekündigt werden konnte.

1. Der Sachverhalt

Angestellt war der Kläger seit 2014 im Produktionsbereich eines Industriebetriebs. Die betriebliche Kleiderordnung sieht vor, dass für alle Tätigkeiten in Montage, Produktion und Logistik funktionelle Arbeitskleidung, gestellt vom Betrieb, getragen werden muss. Dazu gehört auch eine rote Arbeitsschutzhose. Diese jedoch wollte der 43-jährige Handwerksmeister nicht tragen und weigerte sich beharrlich und trug stattdessen eine schwarze bzw. graue Hose. Infolgedessen wurde er zwei Mal abgemahnt – ohne Erfolg. Der Arbeitgeber sah sich nunmehr zur Kündigung veranlasst und erklärte die ordentliche Kündigung, welche Ende Februar 2024 wirksam wurde – das Ende eines immerhin neun-jährigen Arbeitsverhältnisses. Viel Aufregung um Stoff mag man meinen; insbesondere aufgrund der Tatsache, dass der Arbeitnehmer zuvor jahrelang die rote Hose getragen hatte.

2. Die Entscheidung

Die 3. Kammer des LAG Düsseldorf, wie auch zuvor das Arbeitsgericht Solingen (Urteil vom 15.3.2024 – 1 Ca 1749/23) entschieden, dass die Kündigung rechtmäßig war. Dem Arbeitgeber habe das Recht zugestanden, Rot als Farbe für die Arbeitsschutzhosen vorzuschreiben. Die entsprechende Weisung des Arbeitgebers unterliegt dabei gemäß § 106 GewO iVm. § 315 Abs. 3 S. 1 BGB dem billigen Ermessen, sodass eine Abwägung zwischen den wechselseitigen konkreten Interessen des Beschäftigten, sowie denen des Arbeitgebers vorzunehmen ist. Hierbei sind auch im Rahmen der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte, die Wertungen des Grundgesetzes zu berücksichtigen.

Im vorliegenden Fall tritt das ästhetische Empfinden des Kläger nach Auffassung der Gerichte hinter dem Weisungsrecht des Arbeitgebers zurück. Zwar liegt ein Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art. 1 Abs. 1 GG) des Arbeitnehmers vor, dieser betrifft jedoch allein die Sozialsphäre, sodass sachliche Gründe den Eingriff rechtfertigen können.

a) Arbeitsschutz

Zunächst führte der Arbeitgeber an, dass die rote Hose der Arbeitssicherheit diene: Rot sei eine Signalfarbe, die in den Hallen besser als dunkle Farben zu sehen sei und damit Zusammenstöße beispielsweise mit umherfahrenden Gabelstaplern verhindert werden sollen. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers umfasst auch, das Tragen persönlicher Schutzausrüstung anzuweisen (Stück/Zapp, ARP 2022, 84 (84)).

Es gehört nach § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG zu den Grundpflichten des Arbeitgebers, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen. Die Normen des ArbSchG konkretisieren dabei den Inhalt der Fürsorgepflichten des Arbeitgebers nach § 618 BGB. Korrespondierend hierzu besteht die Pflicht des Arbeitnehmers, nach seinen Möglichkeiten, sowie nach Weisung des Arbeitgebers für seine Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit zu sorgen, § 15 Abs. 1 S. 1 ArbSchG.

Die Signalfarbe rot ist in besonderer Weise dazu geeignet die Sichtbarkeit der Arbeitnehmer zu erhöhen und damit Zusammenstöße mit anderen Arbeitsmitteln zu verhindern. Damit liegt ein sachlicher Grund – die Förderung des Arbeitsschutzes vor.

b) Corporate Identity

Weiterhin stellte die Wahrung der Corporate Identity in den Werkshallen aus Sicht des LAG Düsseldorf einen weiteren sachlichen Grund dar, der den Eingriff in das APR rechtfertigt. Dabei geht es um ein einheitliches Erscheinungsbild nach außen. Die Implementierung einer Corporate Identity durch eine (ungewöhnliche) farbliche Gestaltung der Arbeitskleidung um hierdurch einen werbewirtschaftlich relevanten Wiedererkennungswert bei der Kundschaft zu erzeugen und sich von der Konkurrenz abzusetzen ist rechtlich nicht zu beanstanden (so VG Berlin, Urteil vom 24.3.2015 – 14 K 150.12).

c) Vorverhalten des Klägers

Darüber hinaus spielte auch das Vorverhalten des Klägers eine Rolle, der jahrelang beanstandungslos die rote Hose getragen hatte. Woher der Stimmungswandel kam und warum sich der Mann so beharrlich weigerte war für das Gericht nicht nachvollziehbar.

Insgesamt lagen damit aus Sicht des LAG Düsseldorf ausreichend sachliche Gründe vor, welche den Eingriff rechtfertigen. Letztlich überwog damit am Ende das Beendigungsinteresse des Betriebes – trotz der langen beanstandungsfreien Beschäftigungsdauer. Und das alles, wegen einer roten Arbeitsschutzhose.

II. Grundsätze zur Bekleidung des Arbeitnehmers

Grundsätzlich sind die Arbeitnehmer frei darin, welche Kleidung sie auf der Arbeit tragen, sofern sie nicht gezwungen sind, Schutzkleidung zu tragen. Zwar ist der Arbeitnehmer verpflichtet, sein Äußeres den Gegebenheiten des Arbeitsverhältnisses anzupassen; Anforderungen des Arbeitgebers, kommen jedoch nur in Betracht, wenn die vom Arbeitnehmer übernommene Funktion dies, beispielsweise weil Kundenkontakt besteht, erfordert (Linck, Schaub Arbeitsrechts-Handbuch, § 53, Rn. 21). Sofern kein Publikumsverkehr besteht – und ja, auch darüber hatte bereits ein Arbeitsgericht zu entscheiden – darf daher auch von männlichen Arbeitnehmern an heißen Tagen eine kurze Hose getragen werden (ArbG Mannheim, Urteil vom 16.2.1989 – 7 Ca 222/88). Umgekehrt kann der Arbeitgeber im Verkauf von Waren gehobenen Grades durchaus verlangen, dass der Arbeitnehmer mit Hemd, Krawatte und Sakko zur Arbeit erscheint und das Tragen von Jeans und Turnschuhen unterlässt (LAG Hamm, Urteil vom 22.10.1991 – 13 Ta BV 36/91).

III. Weitere Beispiele, in denen um die Arbeitskleidung gestritten wurde

Der Fall der roten Arbeitsschutzhose mag zunächst ein wenig skurril erscheinen. Tatsächlich sind Streitigkeiten, die die Bekleidung am Arbeitsplatz betreffen recht häufig anzutreffen. Anhand prominenter Beispiele soll die Relevanz dieses Themas aufgezeigt werden:

1. Dienstmützenvorschrift für Piloten

Im Jahr 2014 hatte das BAG über die Frage zu entscheiden, ob männliche Lufthansa-Piloten, anders als ihre weiblichen Kolleginnen verpflichtet sind, in der Öffentlichkeit eine zur Dienstuniform gehörende Mütze zu tragen (BAG, Urteil vom 30.9.2014 – 1 AZR 1083/12). Grundlage hierfür ist eine Betriebsvereinbarung gewesen, die aus Sicht des BAG gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstieß. Unterschiedliche Tragepflichten seien demnach nur gerechtfertigt, wenn hierfür ein sachlicher Grund besteht. Einen solchen sah das BAG jedoch vorliegend nicht für gegeben an.

Offen gelassen hatte das BAG die Frage, ob in dem Verzicht auf die Tragepflicht der Mütze bei Frauen eine geschlechtsbezogene Benachteiligung im Sinne des § 3 AGG liegt. Das LAG Köln hatte dies zuvor verneint. Die unterschiedliche Ausgestaltung der Dienstkleidung in der Betriebsvereinbarung stelle keine weniger günstigere Behandlung der Männer dar. Dies sei allenfalls dann der Fall, wenn durch die Ausgestaltung der Bekleidungsvorschriften eine unterschiedliche Wertschätzung der Geschlechter zu erkennen ist (Thüsing, MüKo BGB, § 7 AGG, Rn. 2).

Exkurs: Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates für Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Hiervon erfasst ist auch die Verpflichtung zum Tragen von Dienstkleidung. Der Mitbestimmungstatbestand hat grundsätzlich das Ziel, das arbeitgeberseitige Direktionsrecht gegen individuelle Freiheitsrechte des Arbeitnehmers auszutarieren und eine vernünftige Balance zwischen den betrieblichen Ansprüchen und der Individualität der Arbeitnehmer, zu finden (Fischer, NZA-RR 2015, 169 (171)).

[das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gehört regelmäßig nicht zum Pflichtfachstoff des 1. Staatsexamens]

2. Kopftuch

Immer wieder führen Verbote religiöse Bekleidungen wie etwa ein islamisches Kopftuch zu tragen zu Rechtsstreitigkeiten. Dabei spielt insbesondere das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eine Rolle, das Benachteiligungen wegen der Religion verbietet (§ 7 Abs. 1 AGG). Eine Benachteiligung liegt demnach vor, wenn eine Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt werden kann. Differenzieren muss man dabei zwischen unmittelbaren Benachteiligungen, also solcher die direkt, an ein verpöntes Merkmal iSd. § 1 AGG anknüpfen (§ 3 Abs. 1 AGG) und mittelbaren  Benachteiligungen, die auf dem Anschein nach neutralen Regelungen beruhen, jedoch bestimmte Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen in besonderer Weise benachteiligen (§ 3 Abs. 2 AGG).

Eine interne Unternehmensregelung, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, stellt nach Auffassung des EuGH keine unmittelbare, sondern allein eine mittelbare Diskriminierung dar (EuGH, Urteil vom 14.3.2017 – C-157/15, RS Achbita). Dies jedoch nur unter der Prämisse, dass der Arbeitgeber seine Neutralitätspolitik in kohärenter und systematischer Weise verfolgt. Ferner darf sich ein solches Verbot nur an die Arbeitnehmerinnen richten, die mit Kunden in Kontakt treten und sofern dies der Fall ist, ist vor einer Entlassung stets zu erwägen, ob eine Versetzung auf einen Arbeitsplatz ohne Kundenkontakt möglich ist.

Eine solche mittelbare Benachteiligung kann gerechtfertigt werden, wenn ein rechtmäßiges Ziel verfolgt wird und das gewählte Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich ist. Es bedarf insoweit einer Abwägung zwischen der Religionsfreiheit der Arbeitnehmerin, sowie der Unternehmerfreiheit, die grundsätzlich auch den Wunsch des Arbeitgebers erfasst, den Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln. Dabei muss der Arbeitgeber in Anbetracht des hohen Stellenwertes des Grundrechts der Religionsfreiheit reale Gefährdungen, konkrete Störungen oder wirtschaftliche Einbußen im Einzelfall darlegen können (BAG, Urteil vom 10.10.2002 – 2 AZR 472/01). Jedenfalls ist eine solche Regelung auf das „unbedingt Erforderliche“ zu begrenzen (EuGH Urteil vom 14.3.2017 – C-157/15).

Ein auf das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen beschränktes Verbot kann jedoch eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung darstellen (EuGH, Urteil vom 15.7.2021 – C-804/18, C-341/19). Die Rechtfertigung einer solchen unmittelbaren Benachteiligung kann allenfalls dann erfolgen, wenn das Verbot durch wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungen begründet ist. Eine Anforderung ist dann „entscheidend“ für eine bestimmte berufliche Tätigkeit, wenn die Tätigkeit ohne sie nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden kann. Die zusätzliche Einschränkung auf „wesentliche“ Anforderungen soll eine gewisse Erheblichkeitsschwelle statuieren: Hierbei ist ein Vergleich nötig zwischen dem gesamten Aufgabenbereich, der dem Beschäftigten zugewiesen werden soll, und dem Teilbereich, den er auf Grund seiner Benachteiligung nicht ordnungsgemäß ausüben kann (Thüsing, MüKo BGB, § 8 AGG, Rn. 6).

Das Tragen einer Burka wird der Arbeitgeber einer Arbeitnehmerin jedenfalls dann untersagen können, wenn diese auch kommunikativ mit Arbeitskollegen oder – erst recht – mit Kunden arbeitet (Linck, Schaub Arbeitsrechts-Handbuch, § 53, Rn. 21; Brose/Greiner/Preis, NZA 2011, 369 (380). Besonderheiten bestehen darüber hinaus auch in kirchlichen Arbeitsverhältnissen (s. bspw. BAG Urteil vom 24.9.2014 – 5 AZR 611/12).

IV. Summa

Es lässt sich insgesamt konstatieren, dass das Sprichwort „Kleider machen Leute“ und die durch die Bekleidung zum Ausdruck gebrachte Persönlichkeit immer wieder Gegenstand arbeitsgerichtlicher Entscheidungen ist. Dabei gilt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht grundsätzlich erlaubt, sich nach eigenem Belieben zu kleiden. Grenzen bestehen insbesondere dort, wo der Arbeitsschutz es erfordert: Weder ein schönes Paar Schuhe, noch ein Basecap haben etwas auf der Baustelle verloren – hier erfordert der Schutz des Arbeitnehmers das Tragen vom Helm und Schutzschuhen. Auch das Tragen einer mehr oder weniger modischen Warnweste kann hier verpflichtend sein. Darüber hinaus kann ein Arbeitgeber von seinen Arbeitnehmern mit Kundenkontakt erwarten, sich dem Charakter des Handelsgeschäfts und dessen Kundenstamm entsprechend branchenüblich zu kleiden (BAG, Urteil vom 10.10.2002 – 2 AZR 472/01).

Ein freies Weisungsrecht des Arbeitgebers besteht jedoch gerade nicht. Das Direktionsrecht findet seine Grenzen, wo keine sachlichen Gründe vorliegen, oder die Grundrechte des Arbeitnehmers überwiegen. Festzuhalten bleibt: Die beharrliche Weigerung einer berechtigten Kleiderordnung Folge zu leisten, kann eine Kündigung rechtfertigen – auch, wenn nur um die Farbe geht.

14.06.2024/4 Kommentare/von Moritz Augel
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Moritz Augel https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Moritz Augel2024-06-14 06:49:232024-10-11 06:56:13Kleidung nach Weisung – Warum die schwarze Hose ein Kündigungsgrund sein kann
Redaktion

Gedächtnisprotokoll Zivilrecht III Mai 2024 NRW

Aktuelles, Examensreport, Gesellschaftsrecht, Handelsrecht, Kreditsicherung, Nordrhein-Westfalen, Rechtsgebiete, Sachenrecht, Schuldrecht, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur dritten Zivilrechtsklausur des Mai-Durchgangs 2024 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Laura erneut ganz herzlich für die Zusendung, die den Mai-Durchgang im Zivilrecht komplett macht. Selbstverständlich kann juraexamen.info keine Gewähr dafür geben, dass die in Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht. Dennoch sollen Euch die Protokolle als Anhaltspunkt dienen, was euch im Examen erwartet.

Sachverhalt:

Die Rechtsanwälte A, B und C gründen am 15.1.24 die Rechtsberatungs-oHG (kurz ABC-oHG), welche noch am gleichen Tag ordnungsgemäß ins Handelsregister eingetragen wird. Am 29.1.24 setzen sich A, B und C nochmals zusammen und treffen folgende Vereinbarungen: der C soll die Gesellschaft alleine vertreten können, während der A und B die oHG nur zusammen vertreten können sollen. Aufgrund eines Kanzleiinternen Fehlers wird diese Änderung nicht ins Handelsregister eingetragen.

Am 5.4.24 kommt der E auf Grund einer Rechtsberatung in die Kanzlei und spricht mit dem A – von den Vereinbarungen, die am 29.1.24 getroffen wurden hat der E keine Kenntnis. Der E schildert dem A folgendes:

Sein Vater V hat im Oktober 1992 eine 20-Mark Münze des Kaiserreichs gefunden (damaliger Wert: umgerechnet 375 Euro). Er versuchte nicht den ursprünglichen Eigentümer zu finden und meldete den Fund auch nicht den Behörden. Die Münze bewahrte er in der Gartenlaube auf, welche auf dem gemeinsamen Grundstück von V und F steht. Am 10.6.1998 verstirbt der V und seine Frau F beerbt ihn als Alleinerbin. Die F ging bei der Münze immer davon aus, dass der V die Münze selbst erworben hatte und wusste nichts von dem Fund.

Im Januar 2013 bricht der Dieb D in die Gartenlaube ein und entwendet die Münze. Am 1.5.2014 veräußert der D die Münze an die wohlhabende Witwe W für 500 Euro.

Am 1.8.2015, die W ist in finanzielle Schwierigkeiten geraten, einigen sich W und K über einen Privatkredit, der ab dem 1.8 in 6 monatlichen Raten iHv 500 Euro zurückgezahlt werden soll. Zur Sicherung des Darlehens, bestellt die W dem K ein Pfandrecht an der Münze, welche den gleichen Wert des Darlehens hat, und übergibt dem K die Münze sogleich.

Am 1.2.2016, die W konnte die Raten bisher nicht zahlen, möchte der K, um das Darlehen zu sichern, die Münze veräußern. Dafür übergibt er die Münze dem Antiquitätenhändler X e.K. (kurz X), damit dieser die Münze „öffentlich versteigern“ kann. Der X führt in seinem Laden häufiger solche Versteigerungen durch, ist aber nicht befugt öffentliche Versteigerungen durchzuführen.

Am 10.3.2016 erhält der Z den Zuschlag für die Münze und der X übergibt dem Z diese so gleich.

Am 10.7.2017 verstirbt die F und der E ist ihr alleiniger Erbe. Der E möchte nun die Münze vom Z herausgegeben haben und ist der Meinung er hätte sie durch den Tod seiner Mutter geerbt.

Der A schlägt dem E vor, dass er den Sachverhalt prüfen werde und, sollte der E einen Herausgabeanspruch haben, ein entsprechendes Schreiben an den Z senden, dies würde er nach seinem Urlaub am 22.4.24 machen. Der E erklärt sich damit einverstanden und die beiden unterschreiben einen Vertrag mit der Überschrift „Mandatschaftsvertrag“ und die beiden einigen sich zudem, dass der E dem A die alleinige Vertretungsmacht gibt.

Der A vermerkt auf der Akte gut leserlich die Frist 22.4.24 und legt diese dem Rechtsanwaltsfachangestellten R, der in der ABC-oHG angestellt ist, aber ausschließlich in der Sphäre des A tätig ist, auf den Schreibtisch damit dieser das Datum in den Fristenkalender eintragen kann.

Der R sieht dies am Montag auch, verliest sich allerdings und trägt in den Fristenkalender eine 2-Monatsfrist ein, anstelle der 2 Wochen.

Als der A am 22.4 aus dem Urlaub zurückkommt, fällt dies nicht auf. Am 6.5.24 erkundigt sich der E telefonisch bei dem A über den Sachstand, welcher sofort am gleichen Tag ein Herausgabeverlangen an den Z übersendet.

Der Z ist der Meinung, dass er das Eigentum an der Münze längst erworben habe und spätestens am 1.5.24 das Eigentum durch Ersitzung habe, da ihm auch die Ersitzungszeit der W zugerechnet werden müsse.

Der E ist sauer darüber und ruft beim C an, da er der Meinung sei er habe einen Anspruch auf 500 Euro gegen die Gesellschaft, da er die Münze sicherlich bekommen hätte, wenn der A das Schreiben rechtzeitig wie vereinbart versendet hätte. Der C meint, dass der geschlossene Vertrag zwischen A und E sowieso nicht gültig sei, da der A ohne den B nicht vertretungsbefugt sei und außerdem hätte das ganze keine Aussicht auf Erfolg gehabt, da der E keinen Herausgabeanspruch gegen den Z gehabt hätte.

Frage 1: Hat der E einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 500 Euro gegen die ABC-oHG?

Frage 2: Nehmen Sie an, der E hätte einen Anspruch aus Frage 1, müsste dann auch der C gegenüber E haften?

27.05.2024/2 Kommentare/von Redaktion
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2024-05-27 07:20:142024-05-27 07:20:19Gedächtnisprotokoll Zivilrecht III Mai 2024 NRW
Redaktion

Gedächtnisprotokoll Zivilrecht II Mai 2024 NRW

Aktuelles, BGB AT, Examensreport, Nordrhein-Westfalen, Rechtsgebiete, Sachenrecht, Schuldrecht, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur zweiten Zivilrechtsklausur des Mai-Durchgangs 2024 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Laura erneut ganz herzlich für die Zusendung. Selbstverständlich kann juraexamen.info keine Gewähr dafür geben, dass die in Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht. Dennoch sollen euch die Protokolle als Anhaltspunkt dienen, was euch im Examen erwartet.

Sachverhalt Teil I:

Die B betreibt ein Brautmodengeschäft, in welchem sie neue und gebrauchte Brautkleider verkauft. Die B hat eine Angestellte V, welche befugt ist gebrauchte Kleider anzukaufen.

Die Eigentümerin E hat ein ausgefallenes und besonderes Brautkleid, welches sie an B verkaufen möchte. Da ihr der Laden der B zu weit entfernt ist, sucht sie die ihr bekannte V auf um ihr das Kleid zu verkaufen. Die V und die E einigen sich auf einen Kaufpreis von 1000 Euro, den die V aus den Tageseinnahmen der B nimmt, welche sie mitgenommen hatte, um sie bei der Bank einzuzahlen.

Die V, welche bald selbst heiratet, findet Gefallen an dem Kleid und schickt der B Bilder vom Kleid und fragt sie ob sie das Kleid für einen Preis von 1200 Euro verkaufen würde. V und B einigen sich darüber, das Kleid soll sofort der V gehören, allerdings einigen sie sich darüber dass die B das Kleid für die nächsten 2 Wochen in ihrem Schaufenster ausstellen darf.

Wenig später: Die V streitet sich fürchterlich mit ihrer Verlobten und die Hochzeit ist abgesagt. Am gleichen Tag kommt die K in den Laden der B und bekundet Interesse am ausgestellten Kleid. Die V erklärt ihr, dass sie das Kleid haben kann, da es ihr gehören würde und B es lediglich in ihrem Schaufenster ausstellen durfte. Die beiden einigen sich auf einen Kaufpreis von 1.500 Euro, welche in drei monatlichen Raten gezahlt werden sollen. Sie einigen sich darauf, dass die V der K das Kleid noch am gleichen Abend vorbeibringt und sobald die erste Zahlung iHv 500 Euro erhält.

Die B erfährt am nächsten Tag davon und ist gar nicht damit einverstanden. Sie möchte das Kleid noch für die vereinbarte Zeit in ihrem Schaufenster ausstellen.

Frage: Hat B einen Anspruch gegen K?

Sachverhalt Teil II:

Die E veräußert ihr Grundstück wirksam an den H. Die E informiert Nachbarin N darüber, dass sie zu einer dreimonatigen Reise aufbricht, erzählt ihr aber nichts von dem Eigentümerwechsel. Nach der Grundbucheintragung kommt der H in ein Krankenhaus und anschließend in die Reha, so dass die N den Eigentümerwechsel nicht mitbekommt.

Bei einem starken Sturm fällt auf dem Grundstück des H ein großer Apfelbaum um. Da die N weiß, dass die E großen Wert auf Ordnung legt, beauftragt sie den U mit der Beseitigung des Baumes. Er häckselt den Baum klein und verteilt die Späne danach im Rosenbeet des Grundstückes. Die Rechnung in Höhe von 500 Euro begleicht die N sofort, da sie davon ausgeht, dass sie das Geld von der E zurückerhalten wird.

Als die E wiederkommt, informiert sie die N, dass sie nicht mehr Eigentümerin ist und nicht dafür aufkommen wird. Der H möchte auch nicht dafür zahlen, da es sein Plan ist – wie er der E auch bei Übertragung erzählte – das Grundstück verwildern zu lassen um einen natürlichen Lebensraum für Insekten und Vögel zu schaffen. Er hätte den Baum also auf keinen Fall beseitigt sondern liegen lassen.

Frage: Hat die N einen Anspruch gegen E und/oder H?

23.05.2024/2 Kommentare/von Redaktion
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2024-05-23 15:34:162024-05-23 15:35:35Gedächtnisprotokoll Zivilrecht II Mai 2024 NRW
Simon Mantsch

BGH zur Haftung des Halters eines KFZ mit Arbeitsfunktion

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Der BGH hatte sich in einem jüngst bekannt gewordenen Urteil mal wieder mit der Frage zu beschäftigen, wann ein nach § 7 Abs. 1 StVG ersatzfähiger Schaden „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entstanden ist (BGH, Urt. v. 18.7.2023 – VI ZR 16/23). Die Halterhaftung nach dem StVG gilt als absoluter Examensklassiker, sodass Prüflingen auch etliche Problemkonstellationen im Zusammenhang mit der Frage, wann ein Schaden „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entstanden ist, bekannt sein müssen.

I. Der Sachverhalt (leicht abgewandelt)

Kläger K betreibt ein Weingut. Da er selbst nicht über die für die Ernte der Trauben notwenigen Maschine verfügt, beauftragte er den Lohnunternehmer und Beklagten B. Dieser soll mit einem sog. Traubenvollautomaten die notwendigen Weinlesearbeiten durchführen, wobei B selbst der Halter der einzusetzenden Maschine ist. Derartige Maschinen fahren zwecks Weinlese in Schrittgeschwindigkeit über die Rebstöcke hinweg und lösen die Trauben durch maschinenverursachte Rüttelbewegungen von den Rebstöcken. Die geernteten Trauben gelangen sodann in ein Auffangbehältnis im Geräteinneren. Um zum jeweiligen Einsatzort zu gelangen, nehmen die Maschinen am Straßenverkehr teil und erreichen dort Geschwindigkeiten von bis zu 40 km/h. Die Ernte erfolgte am 30.9.2018. Geführt wurde die Maschine von M, einem Mitarbeiter des B, obgleich auch K anwesend war und die Ernte verfolgte. Es kam zur Ernte von insgesamt 2,5 Tonnen Trauben, als K und M plötzlich Dieselgeruch bemerkten. M untersuchte daraufhin die Maschine und entdeckte ein Leck in der Dieselleitung. Die Ernte wurde daraufhin eingestellt. Die bereits geernteten Trauben wurden dennoch gepresst und im Anschluss chemisch-analytisch untersucht. Festgestellt werden konnte eine Kontaminierung mit Dieselkraftstoff, die einer Weiterverarbeitung der Trauben entgegensteht. Auch wenn K nicht an ein Verschulden von B oder M glaubt, da die Maschine fast neu war und das Leck in der Dieselleitung nicht auf Anhieb erkennbar war, verlangt er von B Schadensersatz in Höhe von 17.000 EUR nebst Zinsen und Rechtsanwaltskosten. Zu Recht?

II. Die Entscheidung (leicht abgewandelt)

Das erstinstanzlich zuständige Landgericht lehnte Ansprüche des K gegen B aus § 7 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB und § 280 Abs. 1 BGB ab. Auf die Berufung des K hin, wurde das erstinstanzliche Urteil jedoch aufgehoben und B dem Grunde nach verurteilt, 100 % des Schadens sowie die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu ersetzen. Der Grund: Die Erntemaschine ist ein KFZ iSd § 7 Abs. 1 StVG und war darüber hinaus in Bewegung, als die Erntearbeiten durchgeführt und die Früchte dabei kontaminiert wurden, sodass der Schaden gerade „bei dem Betrieb“ verursacht worden ist. Die Fortbewegungs- und Transportfunktion habe eine maßgebliche Rolle gespielt, da es sich insoweit um eine „fahrbare Arbeitsmaschine“ handele, der zweckbestimmte Einsatz der Maschine also denklogisch voraussetze, dass sie auch in Bewegung ist. Ohne Fortbewegung kann die Maschine ihren Zweck nicht erfüllen. Da sie überdies, wenn auch nicht bei der Ernte selbst, eine Geschwindigkeit von über 20 km/h erreichen kann, greift der Ausschlussgrund des § 8 Nr. 1 StVG nicht. Der Ausschlusstatbestand des § 8 Nr. 3 StVG komme ebenso wenig in Betracht, da die Trauben nicht zum Zwecke eines Ortswechsels transportiert wurden, sondern sich nur innerhalb des KFZ befanden, weil dies eine automatische Folge des Erntevorgangs sei. Angesichts dessen kann nicht von der gesetzlich verlangten „Beförderung“ gesprochen werden.

Diesen Ausführungen tritt der BGH jedoch nunmehr zuwider. Es fehle an der Schadensherbeiführung „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ nach § 7 Abs. 1 StVG. Dies sei Ausfluss des Schutzzwecks der Norm.

„Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. […]. Erforderlich ist […] stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist“ (BGH, Urt. v. 18.7.2023 – VI ZR 16/23, Rn. 10).

Entscheidend ist mithin die Verwirklichung der Betriebsgefahr. Handelt es sich um ein KFZ mit Arbeitsfunktion muss differenziert werden. Wird es im Verkehr bewegt und verursacht dabei einen Schaden, so liegt ein die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG auslösendes Ereignis vor. Anders muss die Situation hingegen bewertet werden, wenn das KFZ nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird, die Fortbewegungs- und Transportfunktion also überhaupt keine Rolle mehr spielt. Ereignet sich in letzterer Konstellation ein Schaden, so kann nicht mehr von einer Betriebsgefahr gesprochen werden. Vielmehr hat sich ein eigenständiger Gefahrenkreis verwirklicht, vor dem § 7 Abs. 1 StVG nicht schützen soll.

Schwieriger ist es hingegen in Fällen wie dem Vorliegenden. Zwar stellt auch der Traubenvollautomat ein KFZ mit Arbeitsfunktion im vorstehend genannten Sinn dar, doch kommt in diesem Fall die Besonderheit hinzu, dass es sich in Bewegung befindet, wenn es die Ernte vornimmt. Fortbewegungs- und Arbeitsvorgang lassen sich folglich nicht sauber trennen. Wann und inwieweit auch in derartigen Fallkonstellationen noch von der Verwirklichung einer im Rahmen des § 7 Abs. 1 StVG obligatorischen Betriebsgefahr gesprochen werden kann, ist Ausfluss einer Gesamtbetrachtung aller Umstände. Im Rahmen dieser ist zu ermitteln, ob die Bestimmung des KFZ als Fortbewegungsmittel den Schadensablauf entscheidend mitgeprägt hat oder nicht. Nur in ersterem Fall würde sich eine Betriebsgefahr realisieren und eine Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG käme in Betracht.

Für die demnach vorzunehmende Gesamtabwägung ist es auch von Bedeutung, ob sich der durch die Arbeitsmaschine verursachte Schaden ereignet hat, als selbige auf einem Privatgelände, im öffentlichen Straßenverkehr oder in der Nähe zu diesem genutzt wurde. Dabei ist es unschädlich, dass der BGH bereits mehrfach entschieden hat, dass die Schadensverursachung auf Privatgelände einer Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG nicht entgegensteht. Vorliegend wurde der Traubenvollautomat im Weinberg des K und somit weit weg vom öffentlichen Straßenverkehr genutzt. Die Arbeitsfunktion hat klar im Vordergrund gestanden, während die Fortbewegung der Maschine nur erfolgte, damit die Ernte der Trauben vorgenommen werden konnte. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn feststünde, dass die Kontaminierung erst während des Transports vom Weinberg zum Weingut stattgefunden hat. In diesem Zeitraum stünde schließlich der Transport und nicht die Arbeitsfunktion im Vordergrund. Für einen derartigen Sachverhalt fehlen jedoch vorliegend Anhaltspunkte.

Es muss also dabei bleiben, dass der Schaden nicht „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ verursacht wurde. Ein Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG scheidet folglich aus. Ein anderer zivilrechtlicher Anspruch, etwa aus § 823 Abs. 1 BGB oder gar aus § 280 Abs. 1 BGB scheidet in Ermangelung eines Verschuldens aus.

III. Einordnung der Entscheidung

Es ist nicht die erste Entscheidung des BGH zur Halterhaftung bei Schäden, die im Zusammenhang mit Arbeitsmaschinen entstehen. Dabei scheint sich zunehmend herauszustellen, dass es in derartigen Fällen vor allem darauf ankommt, wo das Schadensereignis stattfindet. Fehlt beim Einsatz der Arbeitsmaschine eine Nähe zum öffentlichen Verkehrsraum, so scheidet eine Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG regelmäßig aus. Ähnlich entschied der BGH bereits 2021 bei der Schadensverursachung durch einen Traktor beim Mähen einer als Weideland genutzten Wiesenfläche mittels Kreiselmähers (Urt. v. 21.9.2021 – VI ZR 726/20). Verursacht hingegen eine Straßenkehrmaschine oder ein Streufahrzeug beim Einsatz im öffentlichen Straßenverkehr einen Schaden (etwa durch hochgeschleuderte Steine), so wird man annehmen müssen, dass diese Schäden „bei dem Betrieb“ eines KFZ verursacht worden sind (so entschieden für das Streufahrzeug BGH, Urt. v. 5.7.1988 – VI ZR 726/20; ähnlich für ein am Seitenrand der Autobahn eingesetztes Mähfahrzeug BGH, Urt. v. 18.1.2005 – VI ZR 346/87). Etwas zu weit gehen dürften hingegen die Ausführungen des BGH, wonach der Schadensablauf nicht durch den Betrieb des Kraftfahrzeugs geprägt ist, wenn vielmehr die Funktion des Kraftfahrzeugs als Arbeitsmaschine im Vordergrund steht. Mit dieser Argumentation dürfte die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG wohl in (zu) vielen Fällen abgelehnt werden. Schließlich wird auch die Straßenkehrmaschine oder die Mähmaschine am Straßenrand nicht zu Fortbewegungs- und Transportzwecken, sondern primär als Arbeitsmaschine genutzt. Gleichwohl muss eine Halterhaftung in derartigen Fällen – wie auch vom BGH festgestellt – noch in Betracht kommen.

Steht nicht der Einsatz von derartigen Arbeitsmaschinen in Rede, so sollte man mit einer Argumentation, die zwischen Schadensversuchung im und außerhalb des öffentlichen Straßenverkehrs unterscheidet, äußerst vorsichtig sein. § 7 Abs. 1 StVG setzt nach ständiger Rechtsprechung insoweit nicht die Schadensverursachung im öffentlichen Straßenverkehr voraus.

Die Entscheidung sollte zum Anlass genommen werden, sich nochmals mit der Haftung nach dem StVG zu befassen. Soweit die in Prüfungsarbeiten oftmals zu diskutierende Frage in Rede steht, ob ein KFZ überhaupt im Betrieb war, sollte einem die Argumentation mit der „verkehrstechnische Auffassung“ und der „maschinentechnische Auffassung“ keine größere Schwierigkeiten bereiten. Sollte eine Haftung des Kraftfahrzeugführers in Rede stehen, so ist auf § 18 Abs. 1 StVG abzustellen. Dabei handelt es sich jedoch – anders als bei § 7 Abs. 1 StVG – nicht um eine Gefährdungshaftung, sondern um eine verschuldensabhängige Haftung, auch wenn das Verschulden vermutet wird. In Fallkonstellationen mit Verkehrsunfällen ist derweil auch immer an § 823 Abs. 1 BGB zu denken, obgleich es dann einer positiven Feststellung des Verschuldens bedarf.

12.10.2023/1 Kommentar/von Simon Mantsch
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Simon Mantsch https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Simon Mantsch2023-10-12 09:32:412023-10-12 09:32:43BGH zur Haftung des Halters eines KFZ mit Arbeitsfunktion
Marie-Lou Merhi

Neues zur falsa demonstratio beim Grundstückskauf

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Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Marie-Lou Merhi veröffentlichen zu können. Die Autorin studiert Rechtswissenschaften im siebten Semester an der Universität Bonn

Examenskandidaten aufgepasst: Der BGH hat abermals zur falsa demonstratio beim Grundstückskauf entschieden (Urt. v. 23.6.2023 – V ZR 89/22). Das verkaufte Grundstück war in Wahrheit 19m² kleiner als bei Abschluss des Kaufvertrags angenommen. Der BGH schließt sich im Ergebnis der Auffassung des Berufungsgerichts an. Nach Ansicht des BGH wollte der beklagte Verkäufer gerade nicht das Nachbargrundstück mitverkaufen und hat die Aufklärung über die tatsächliche Grundstücksgrenze schuldhaft unterlassen. Anlass, den Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“ bei formbedürftigen Rechtsgeschäften noch einmal in der Fallbearbeitung zu wiederholen!

I. Sachverhalt

Die Kläger und Beklagten sind Vertragspartner. Am 9. Dezember 2009 schlossen sie einen notariellen Vertrag über ein mit einem Wohnhaus bebauten Grundstück ab. Benannter Kaufgegenstand ist das Flurstück 291/3. Dabei gingen die Kläger irrtümlich davon aus, dass dazu auch das angrenzende, 19m² große Flurstück 277/22 gehöre und dieses mitveräußert werde. Allerdings war in Wahrheit der Nachbar Eigentümer dieses Flurstücks. Mit ihrer am 28. Dezember 2020 eingegangen Klage begehren die Kläger die Rückabwicklung des Vertrags sowie die Feststellung, dass die Beklagten sie von sämtlichen im Zuge der Rückabwicklung ergebenden materiellen Schäden freizustellen haben.

II. (Gutachterliche) Entscheidung

Das Hauptanliegen der Kläger ist es, sich nachträglich wegen ihres Irrtums über den Umfang des Grundstücks von dem Grundstückkaufvertrag zu lösen. Bedeutsam ist, dass zwischen Abschluss des Kaufvertrags und Eingang der Klage beim Landgericht elf Jahre vergangen sind. Auch in einer Klausur könnte eine derartige Konstellation vorkommen. Besonders ist dann auf die Möglichkeit der Verjährung sowie die Einhaltung von Fristen zu achten. Im vorliegenden Fall ist ein Anfechtungsrecht der Kläger nach § 121 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, da seit Abgabe der Willenserklärung der Kläger mehr als zehn Jahre verstrichen sind (BGH, Urt. 23.6.2023 – V ZR 89/22, BeckRS 2023, 18992 Rn. 35). In Bezug auf die Verjährung ist zu beachten, dass gemäß § 194 Abs. 1 BGB nur materiell-rechtliche Ansprüche der Verjährung unterliegen, nicht aber Gestaltungsrechte wie der Rücktritt und die Minderung. Den Ausschluss der Geltendmachung der Gestaltungsrechte durch Zeitablauf (sog. Gestaltungsverjährung) regelt § 218 BGB (MüKoBGB/Grothe, 9. Aufl. 2021, § 218 Rn. 1). BGH, Urt. v. 23.6.2023 – V ZR 89/22, BeckRS 2023, 18992 Rn. 34). Vorliegend stellt der BGH bei der Prüfung der Rückabwicklung des Kaufvertrags die Prüfung des § 218 BGB an den Anfang und erläutert, dass sich auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht beurteilen lässt, ob ein von den Klägern erklärter Rücktritt gemäß § 218 BGB unwirksam wäre. Der Zeitpunkt des Fristbeginns nach § 200 S. 1 BGB ist nicht eindeutig feststellbar (BGH, Urt. 23.6.2023 – V ZR 89/22, BeckRS 2023, 18992 Rn. 9 ff.). Auch bei der Möglichkeit der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs wird die Prüfung der Verjährung relevant (siehe Gliederungspunkt II.3.)

1. Anspruch gemäß §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 434, 326 Abs. 5, 323, 346 Abs. 1 BGB

Die Kläger könnten einen Anspruch gegen die Beklagten auf Rückgewähr des Kaufpreises gemäß §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 434, 326 Abs. 5, 323, 346 Abs. 1 BGB haben.

Das setzt voraus, dass ein wirksamer Kaufvertrag geschlossen wurde, ein Sachmangel vorliegt, ein Rücktrittsrecht aus §§ 437 Nr. 2 Alt. 1 i.V.m. § 326 Abs. 5, 323 BGB besteht und der Rücktritt wirksam erklärt wurde.

a) Wirksamer Kaufvertrag, § 433 BGB

Es müsste ein wirksamer Kaufvertrag zwischen den Klägern und Beklagten zustande gekommen sein. Die Parteien haben am 9. Dezember 2009 einen notariellen und damit formgemäßen Kaufvertrag (§ 311b Abs. 1 BGB i.V.m. § 128 BGB) über ein mit einem Wohnhaus bebauten Grundstück (Flurstück 291/3) abgeschlossen. Es liegt somit ein wirksamer Kaufvertrag vor.

b) Sachmangel, § 434 BGB

Es müsste ein Sachmangel (§ 434 BGB) bei Gefahrübergang (§ 446 BGB) vorliegen. Gemäß § 434 Abs. 1 BGB ist die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen entspricht. Nach § 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB müsste die Sache, um den subjektiven Anforderungen zu entsprechen, die vereinbarte Beschaffenheit haben. Zur Beschaffenheit einer Sache gehören nach § 434 Abs. 2 S. 2 BGB die Art, Menge, Qualität, Funktionalität, Kompatibilität, Interoperabilität und sonstige Merkmale der Sache. In Bezug auf ein verkauftes Grundstück stellt der BGH in seiner Entscheidung klar, dass zu dessen Beschaffenheit grundsätzlich nicht gehöre, dass es sich auch auf einen Teil des Nachbargrundstücks erstrecke. Etwas anderes komme allenfalls beim Vorliegen besonderer Umstände in Betracht, die im konkreten Fall nicht vorlägen (BGH, Urt. v. 23.6.2023 – V ZR 89/22, BeckRS 2023, 18992 Rn. 5). Somit betrifft die Tatsache, dass das verkaufte Flurstück 291/3 nicht das Flurstück 277/22 umfasst, nicht die Beschaffenheit des verkauften Flurstücks 291/3. Dem verkauften Flurstück 291/3 fehlt es nicht an der vereinbarten Beschaffenheit.

Konsequenterweise kann die Tatsache, dass sich das verkaufte Grundstück nicht auf das Nachbargrundstück erstreckt, auch nicht Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung der Parteien sein. Eine entsprechende Vereinbarung würde den Kaufgegenstand selbst und nicht lediglich seine Beschaffenheit festlegen (BGH, Urt. v. 23.6.2023 – V ZR 89/22, BeckRS 2023, 18992 Rn. 5; BGH, Urt. v. 11.11.2011 – V ZR 245/10, NJW 2012, 846, 847 Rn. 9). Im Übrigen besteht keine Zweifel an der Mangelfreiheit des veräußerten Grundstücks. Mithin ist ein Sachmangel (§ 434 BGB) bei Gefahrübergang (§ 446 BGB) zu verneinen.

c) Zwischenergebnis

Die Kläger haben keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Rückgewähr des Kaufpreises gemäß §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 434, 326 Abs. 5, 323, 346 Abs. 1 BGB.

2. Anspruch auf Rückabwicklung nach § 433 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. §§ 326 Abs. 5, 323 Abs. 5 S. 1 BGB

Die Kläger könnten gegen die Beklagten einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gemäß § 433 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. §§ 326 Abs. 5, 323 Abs. 5 S. 1 BGB haben.

Dafür müsste ein wirksamer gegenseitiger Vertrag geschlossen worden sein, die Leistung müsste teilweise nach § 275 Abs. 1 bis Abs. 3 BGB ausgeschlossen sein und der Kläger müsste kein Interesse an der Teilleistung haben.

a) Bezeichnung des Kaufgegenstands

Zunächst müsste ein wirksamer gegenseitiger Vertrag vorliegen. In Betracht kommt ein Kaufvertrag über das aus beiden Flurstücken (Flurstück 291/3 und Flurstück 277/22) bestehende Grundstück zwischen Kläger und Beklagten. Problematisch ist dabei die Bezeichnung des Kaufgegenstands.

(1) Wortlaut der Vertragsurkunde

Nach dem Wortlaut der Vertragsurkunde ist der Kaufgegenstand das Flurstück 291/3. Es ist davon auszugehen, dass die Beklagten dieses nur in dem Zuschnitt und Umfang verkaufen wollten, wie aus dem Grundbuch und dem Liegenschaftskataster ersichtlich (BGH, Urt. v. 23.6.2023 – V ZR 89/22, BeckRS 2023, 18992 Rn. 16). Eine Mitveräußerung des Flurstücks 277/22 findet in der Vertragsurkunde keinen Ausdruck.

(2) Versehentliche Falschbezeichnung bzw. falsa demonstratio

Allerdings ist nach Ansicht des BGH der Wortlaut einer in einem Kaufvertrag erhaltenen Erklärung nicht maßgeblich, wenn feststeht, dass die Vertragsparteien in der Erklärung Begriffe nicht im gemeinverständlichen Wortsinn, sondern übereinstimmend in einem anderen Sinn verstehen oder mit Flurstücks- oder Grundbuchangaben andere Vorstellung über den verkauften Grundbesitz verbinden (sog. versehentliche Falschbezeichnung bzw. falsa demonstratio) (BGH, Urt. v. 23.6.2023 – V ZR 89/22, BeckRS 2023, 18992 Rn. 18; Brox/Walker, BGB AT, § 6 Rn. 10). Es gilt dann nach § 133 BGB nicht das fehlerhaft Erklärte, sondern das wirklich Gewollte.

Fraglich ist, ob einer Anwendung der Grundsätze der falsa demonstratio das Formerfordernis des Grundstückkaufvertrags nach § 311b Abs. 1 S. 1 BGB entgegensteht. Bei der versehentlichen Falschbezeichnung wird das objektiv Erklärte von den Parteien übereinstimmend anders verstanden. Die Parteien haben tatsächlich etwas anderes vereinbart und gehen irrtümlich davon aus, dies auch im Vertrag zum Ausdruck gebracht zu haben. Beurkundet ist somit das wirklich Gewollte nur falsch bezeichnete. Die von den Parteien übereinstimmend verstandene Regelung ist der Vertragsurkunde zu entnehmen und nur bei der Auslegung der Vereinbarung ist auf außerurkundliche Umstände zurückzugreifen. (BGH, Urt. v. 23.6.2023 – V ZR 89/22, BeckRS 2023, 18992 Rn. 21) Somit ist dem Formerfordernis nach § 311b Abs. 1 S. 1 BGB genüge getan. Die Grundsätze der falsa demonstratio sind somit auch bei formbedürftigen Rechtsgeschäften anwendbar (Brox/Walter, BGB AT, § 6 Rn. 11, Rn. 18).

Dementsprechend stellt sich die Frage, ob die Kläger und Beklagten übereinstimmend bei der Bezeichnung des Flurstücks 291/23 im notariellen Kaufvertrag ebenfalls das Flurstück 277/22 erfassen wollten und sich somit auf den Kauf eines aus beiden Flurstücken 291/3 und 277/22 bestehenden Grundstücks geeinigt haben (sog. versehentliche Falschbezeichnung).

Es ist im absoluten Regelfall davon auszugehen, dass der Verkäufer eines Grundstücks nur das ihm gehörende Grundstück und nicht auch das nicht in seinem Eigentum stehende Nachbargrundstück verkaufen möchte (BGH, Urt. v. 23.6.2023 – V ZR 89/22, BeckRS 2023, 18992 Rn. 27). Somit spricht die Tatsache, dass das Flurstück 277/22 im Eigentum des Nachbarn steht, dagegen, dass der Beklagte dieses Flurstück 277/22 an die Kläger verkaufen wollte. Eine Abweichung von diesem Grundsatz ist nicht lediglich dadurch anzunehmen, dass eine gemeinsame Besichtigung des Grundstücks stattfand. Der BGH erläutert, dass eine Besichtigung des Grundstücks des Verkäufers, auch wenn dessen Grundstück und das angrenzende Nachbargrundstück scheinbar eine Einheit bilden, nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen den Schluss auf eine Einigung über den Mitverkauft des nicht im Eigentum des Verkäufers stehenden Nachbargrundstücks zulasse. Nicht jede Abweichung von der bei der Besichtigung wahrgenommenen Grundstücksgrenze rechtfertige die Annahme, dass die Parteien das tatsächlich wahrgenommene Grundstück zum Vertragsgegenstand machen wollten und dieses im notariellen Grundstückkaufvertrag lediglich falsch bezeichnet hätten (BGH, Urt. v. 23.6.2023 – V ZR 89/22, BeckRS 2023, 18992 Rn. 27).

Unerheblich für die Frage, ob die Parteien sich auf den Kauf eines aus beiden Flurstücken 291/3 und 277/22 bestehenden Grundstücks geeinigt haben, ist im konkreten Fall, ob der Verkäufer Kenntnis von den wahren Eigentumsverhältnissen hatte und den Kläger darüber schuldhaft im Unklaren lies oder ob der Verkäufer davon ausging, dass das Flurstück 277/22 Bestandteil seines eigenen Grundstücks 291/3 war. Im ersten Fall scheidet eine Anwendung der Grundsätze der falsa demonstratio daran, dass die Parteien nicht übereinstimmend einem Irrtum bei der Bezeichnung des Kaufgegenstands unterlagen. Tatsächlich kennt in diesem Fall der Verkäufer die Grenzen seines Grundstücks und hat die gebotene Aufklärung hierüber fahrlässig oder vorsätzlich unterlassen. Die Parteien haben sich somit nicht über den Mitverkauf des Flurstücks 277/22 geeinigt. Eine versehentliche Falschbezeichnung liegt nicht vor (BGH, Urt. v. 23.6.2023 – V ZR 89/22, BeckRS 2023, 18992 Rn. 28). Im zweiten Fall ist ebenfalls nicht von einer versehentlichen Falschbezeichnung auszugehen, denn es liegen keinerlei Anhaltspunkte vor, die den Schluss zulassen, dass der Verkäufer mehr verkaufen wollte als das, was nach dem Grundbuch und dem Liegenschaftskataster in seinem Eigentum stand. (BGH, Urt. v. 23.6.2023 – V ZR 89/22, BeckRS 2023, 18992 Rn. 31). Dementsprechend liegt im Ergebnis keine versehentliche Falschbezeichnung in Bezug auf den Kaufgegenstand vor.

b) Zwischenergebnis

Es wurde kein wirksamer Kaufvertrag über das aus beiden Flurstücken (Flurstück 291/3 und Flurstück 277/22) bestehende Grundstück zwischen Kläger und Beklagten geschlossen. Die Kläger haben gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gemäß § 433 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. §§ 326 Abs. 5, 323 Abs. 5 S. 1 BGB.

3. Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB

Die Kläger könnten gegen die Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz aus culpa in contrahendo (= Verschulden vor Vertragsschluss) gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB haben.

a) Schuldverhältnis i.S.d. § 311 Abs. 2 BGB

Es müsste ein Schuldverhältnis i.S.d. § 311 Abs. 2 BGB vorliegen. Gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB entsteht ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen. Vorliegend fand eine Grundstücksbesichtigung statt. Bei der Besichtigung handelte es sich um einen Vorbereitungsakt für den späteren Abschluss eines Kaufvertrags. Mithin haben die Kläger und Beklagten Vertragsverhandlungen aufgenommen und es ist ein Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB entstanden.

b) Schuldhafte Pflichtverletzung, §§ 241 Abs. 2, 276 Abs. 1 S. 1 BGB

Die Beklagten müssten eine Pflicht aus dem entstandenen Schuldverhältnis vorsätzlich oder fahrlässig (§ 276 Abs. 1 S. 1 BGB) verletzt haben. Gemäß § 241 Abs. 2 BGB ergeben sich Rücksichtnahmepflichten der Kläger und Beklagten. Die Revisionsinstanz geht davon aus, dass die Beklagten einen Irrtum der Kläger über den wahren Grenzverlauf und damit über den Umfang des zu verkaufenden Grundstücks hervorgerufen oder diesen Irrtum erkannt und nicht berichtigt haben. Dabei haben sie zumindest die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missachtet (§ 276 Abs. 2 BGB) und mithin fahrlässig gehandelt. Somit liegt die schuldhafte Verletzung einer Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB aus dem Schuldverhältnis vor.

c) Schaden, §§ 249 BGB

Zudem müsste ein Schaden entstanden sein. Das ist dann anzunehmen, wenn die vom Beklagten versprochene Leistung (hier die Übereignung lediglich des Flurstücks 291/3 ohne das Flurstück 277/22) für die Zwecke der Kläger nicht geeignet ist. (BGH, Urt. v. 23.6.2023 – V ZR 89/22, BeckRS 2023, 18992 Rn. 34). Nach dem Klägervortrag ist das erworbene Grundstück ohne das Flurstück 277/22 zur Wohnnutzung nicht geeignet und zumindest die Nutzbarkeit erheblich eingeschränkt. (OLG Oldenburg, Beschl. v. 29.4.2022 – 14 U 300/21, BeckRS 2022, 49980 Rn. 3). Der Schaden besteht somit in der Eingehung der für die Zwecke der Kläger ungeeigneten vertraglichen Verpflichtung (BGH, Urt. v. 23.6.2023 – V ZR 89/22, BeckRS 2023, 18992 Rn. 34).

d) Ausschluss durch Verjährung

Der Anspruch könnte allerdings wegen Verjährung gemäß §§ 196, 200 S. 1 BGB ausgeschlossen sein. Nach §§ 196, 200 S. 1 BGB verjährt der Anspruch in zehn Jahren, wobei die Verjährungsfrist mit der Entstehung des Anspruchs beginnt. Der Anspruch entsteht, wenn der Anspruch erstmalig geltend gemacht und notfalls im Wege der Klage durchgesetzt werden kann. (BGH, Urt. v. 23.6.2023 – V ZR 89/22, BeckRS 2023, 18992 Rn. 10). Vorliegend ist der Anspruch mit dem Schadenseintritt und somit mit dem Abschluss des Grundstückkaufvertrags am 9. Dezember 2009 entstanden. Die Klage ist erst am 28. Dezember 2020 beim Landgericht eingegangen. Somit sind bereits über zehn Jahre seit Entstehung des Anspruchs verstrichen. Der Anspruch ist gemäß §§ 196, 200 S. 1 BGB verjährt.

e) Zwischenergebnis

Die Kläger haben gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz aus culpa in contrahendo (= Verschulden vor Vertragsschluss) gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB.

4. Ergebnis

Der neue Eigentümer des Grundstücks 291/3 kann sich nicht mehr nachträglich vom Kaufvertrag lösen.

III. Einordnung der Entscheidung

Die Entscheidung verdeutlicht, dass die Anwendung der Grundsätze der falsa demonstratio bei einem Irrtum in Bezug auf den Grundstücksumfang im Rahmen des Abschlusses eines Grundstückkaufvertrags lediglich eine Ausnahme ist. Nur in besonderen Ausnahmefällen ist davon auszugehen, dass mehr oder weniger verkauft werden soll, als aus dem Grundbuch und dem Liegenschaftskataster ersichtlich (BGH, Urt. v. 23.6.2023 – V ZR 89/22, BeckRS 2023, 18992 Rn. 26). Für den Klausurbearbeiter ist ratsam sich zunächst einen Überblick über die Eigentumsverhältnisse zu verschaffen. Im absoluten Regelfall will der Verkäufer nur das Grundstück verkaufen, das in seinem Eigentum steht, und nicht auch das Nachbargrundstück. (BGH, Urt. v. 23.6.2023 – V ZR 89/22, BeckRS 2023, 18992 Rn. 27). Etwas anderes ist nur unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls anzunehmen (siehe etwa BGH, Urt. v. 18.1.2008 – V ZR 174/06, NJW 2008, 1658 Rn. 12 für den Verkauf einer sich auf das Nachbargrundstück erstreckenden ganzen Parkanlage).

Der BGH nimmt in dem Urteil zudem Bezug auf seine bisher getätigte Rechtsprechung zur Anwendung der Grundsätze der falsa demonstratio auf Grundstückskaufverträge und erläutert dabei drei wichtige Fallgruppen. (BGH, Urt. v. 23.6.2023 – V ZR 89/22, BeckRS 2023, 18992 Rn. 24 f.). Eine versehentliche Falschbezeichnung kann dadurch vorliegen, dass:

  • Beim Grundstückkaufvertrag die Parzellenbezeichnung verwechselt wird oder vergessen wird, eine von mehreren verkauften Parzellen aufzuführen (BGH, Urt. v. 25.3.1983 – V ZR 268/81, BGHZ 87, 150, 152).
  • Im Grundstückkaufvertrag als Kaufgegenstand das gesamte Grundstück genannt wird, obwohl nur eine bestimmte Teilfläche verkauft und übereignet werden soll (BGH, Urt. v. 12.10.2012 – V ZR 187/11, NJW-RR 2013, 789).
  • Im Grundstückkaufvertrag eine Fläche versehentlich nicht bezeichnet wird, diese aber nach den Umständen des Einzelfalls mitverkauft sein sollte (BGH, Urt. 18.1.2008 – V ZR 174/06, NJW 2008, 1658).
06.09.2023/von Marie-Lou Merhi
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Marie-Lou Merhi https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Marie-Lou Merhi2023-09-06 10:00:002024-06-06 12:43:10Neues zur falsa demonstratio beim Grundstückskauf
Miriam Hörnchen

BGH zum Wahlrecht des geschädigten Käufers im Rahmen des kleinen Schadensersatzanspruchs

Aktuelles, Kaufrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schuldrecht, Zivilrecht

Der BGH hatte sich am 25.05.2023 (V ZR 134/22) mit der examensrelevanten Frage der Grenzen des Wahlrechts des geschädigten Käufers zu beschäftigen. Da diese Entscheidung sich mit grundlegenden Aspekten des Schadensrechts beschäftigt und diese in die Argumentation einbindet, ist ein Blick in diese Entscheidung für die Examensprüfung empfehlenswert.

I. Der Sachverhalt

K erwarb von V einen Miteigentumsanteil an einem Grundstück verbunden mit dem Sondereigentum an der Wohnung im Dachgeschoss nebst Spitzboden. Der V übernahm die Verpflichtung, dass der Kaufgegenstand neu ausgebaut zu übergebene war. Wie der Ausbau konkret gestaltet werden sollte, sah ein Exposé vor, der als Anlage zum notariellen Kaufvertrag mitbeurkundet wurde. Dieses enthielt unteranderem die Angabe, dass der Raum im Spitzboden als Wohnfläche genutzt werden soll. Eine entsprechende Baugenehmigung für den Ausbau des Spitzbodens als Wohnraum wurde jedoch wegen Fehlens eines zweiten Rettungsweges von der Behörde verweigert.

Nach erfolgloser Aufforderung zur Nacherfüllung verlangte K von V die Zahlung des Schadenersatzes zum Ausgleich des sich aus der fehlenden Genehmigung des Spitzbodens zu Wohnzwecken ergebenden Minderwerts. Nachdem die erste Instanz der Klage auf den Minderwert stattgab, änderte das Oberlandesgericht das Urteil in der Berufung so ab, dass der K nicht den Minderwert fordern kann, sondern lediglich auf die fiktive Mängelbeseitigungskosten verwiesen werden könne. Dies wurde damit begründet, dass der Umfang des Schadenersatzanspruches eines geschädigten Käufers sich auf die Mängelbeseitigungskosten beschränke, wenn diese weniger als die Hälfte des Minderwertes ausmachen.

II. Die Entscheidung

Der BGH hat nun in der Revisionsinstanz der Annahme des Oberlandesgerichtes, dass ein Schadenersatz statt der Leistung auf die erforderlichen Mängelbeseitigungskosten beschränkt sei, wenn diese Kosten weniger als die Hälfte des Minderwertes der Kaufsache ausmachen, eine Absage erteilt.

Dass dem K dem Grunde nach einem kaufrechtlichen Schadenersatzanspruch gem. §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB zusteht, wird nicht bestritten. Vielmehr geht es um das Wahlrecht des Käufers auf der Rechtsfolgenseite.

Im Rahmen des kleinen Schadenersatzes steht dem Käufer ein Wahlrecht zwischen dem Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts der Kaufsache oder Ersatz der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten zu. Entscheidet er sich für den Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts, ist dieser auf den Ausgleich des Wertunterschieds zwischen dem hypothetischen Wert der Kaufsache im mangelfreien Zustand und dem tatsächlichen Wert der Sache mit Mangel gerichtet. Im Fall betrug der mangelbedingte Minderwert 54.000 Euro, während die Mängelbeseitigungskosten lediglich 11.000 Euro betrugen.

Obwohl die Mängelbeseitigungskosten weniger als die Hälfte des Minderwerts der Kaufsache ausmachten, entschied der BGH, dass dem Käufer dennoch ein unbeschränktes Wahlrecht zusteht.

Dies begründet er mit den folgenden Argumenten:

1. Keine gesetzliche Regelung über den Ausschluss des mangelbedingten Minderwerts wegen Unverhältnismäßigkeit

Der Nacherfüllungsanspruch nach § 439 BGB unterliegt Grenzen, indem er dem Verkäufer gestattet, die Nacherfüllung wegen unverhältnismäßiger Kosten gem. § 439 Abs. 4 BGB zu verweigern. Dies wirkt sich ebenfalls auf die Höhe des nachfolgenden Schadenersatzanspruches aus. Kann nämlich der Verkäufer die Nacherfüllung wegen unverhältnismäßiger Kosten verweigern, beschränkt sich der Schadenersatzanspruch des Käufers auf den Ersatz des mangelbedingten Minderwerts.

Dies kann jedoch auf die vorliegende Konstellation nicht übertragen werden. Denn vorliegend geht es nicht um die Unverhältnismäßigkeit der Mängelbeseitigungskosten, sondern um die Unverhältnismäßigkeit des mangelbedingten Minderwerts. § 439 Abs. 4 BGB sieht jedoch nur eine Verweigerung der Nacherfüllung wegen Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllungskosten vor und nicht wegen der Unverhältnismäßigkeit des mangelbedingten Minderwertes. Folglich kann der Gedanke aus § 439 Abs. 4 BGB, der sich auch auf die Höhe des Schadenersatzes auswirkt nicht auf die Konstellation übertragen werden, dass der Minderwert unverhältnismäßig ist.

2. Nicht gerechtfertigte Einschränkung des Wahlrechts des Käufers

Eine Verneinung des Anspruchs auf den mangelbedingten Minderwert und der dadurch resultierenden Verweisung auf die Mängelbeseitigungskosten, stellt eine nicht gerechtfertigte Einschränkung des Wahlrechts des Käufers dar.

3. Vergleich zur Minderung nach § 437 Nr. 2 BGB

Zudem spricht gegen eine Verweisung des Käufers auf die geringeren Mängelbeseitigungskosten ein Vergleich mit dem wahlweise zur Verfügung stehenden Recht auf Minderung gem. § 437 Nr. 2 BGB, das ebenso auf den vollumfänglichen mangelminderwert gerichtet ist.

4. Gefahr der Überkompensation besteht nicht

Für eine Einschränkung des Wahlrechts auf die Mängelbeseitigungskosten könnte ein allgemeiner Grundsatz des Schadensrechts gelten: „das Verbots der Überkompensation“. Denn im Kaufrecht ist richtiger Bezugspunkt für die Schadensermittlung die primär zu erfüllende Nacherfüllung, deren Ausbleiben durch den Schadenersatzanspruch kompensiert werden soll. Wenn nun der mangelbedingte Minderwert der Kaufsache weitaus höher ist als der Nacherfüllungsaufwand (Mängelbeseitigungskosten), könnte dies eine nicht gerechtfertigte Bereicherung darstellen.

Dieses Argument wird jedoch dahingehend entkräftet, dass die Gefahr einer Überkompensation dann nicht in Betracht kommt, wenn der Mangel mit den Mängelbeseitigungskosten nicht ohne Zweifel behoben werden kann.

Vorliegend bestand der Mangel in der fehlenden Zweckbestimmung des Spitzbodens zu Wohnzwecken in der Teilungserklärung und in der fehlenden entsprechenden Baugenehmigung wegen des Fehlens eines zweiten Rettungsweges. Ob die Mängelbeseitigungskosten zur vollen Kompensation des Schadens führen würden, bestehen jedoch Zweifel, da für die Erlangung der Genehmigung ein erhebliches (Prozess-)Risiko des K besteht. Das erhebliche (Prozess-)Risiko ergibt sich dabei aus den nachstehenden Umständen:

Zum einem ist es nicht rechtssicher, ob der K, die für die Nutzung des Spitzbodens zu Wohnzwecken erforderlichen Änderung der Teilungserklärung erhält, denn auch ein Sondereigentümer kann grundsätzlich sein Teileigentum nicht ohne Mitwirkung der übrigen Eigentümer in Wohnungseigentum umwandeln.

Zum anderen wäre zur Erfüllung der Voraussetzungen für die Baugenehmigung die Anlegung eines zweiten Rettungsweges erforderlich, welche jedoch als bauliche Veränderung iSv § 20 Abs. 1 WEG dem Beschlusszwang unterliegt und somit wiederum eine Einigung mit den Miteigentümern erreicht werden muss.

Somit kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass der Käufer vom Verkäufer bei Verlangen des Ausgleiches des mangelbedingten Minderwerts der Kaufsache, jedenfalls dann nicht auf wesentlich geringere Mängelbeseitigungskosten verwiesen werden kann, wenn der Mangel damit nicht ohne Zweifel behoben werden kann.

III. Exkurs (insbesondere) für Referendare und Referendarinnen

Zudem beschäftigte sich der BGH mit der Vorschrift § 130d ZPO, die seit dem 01.01.2022 in Kraft getreten ist.

Danach handelt es sich um eine Vorschrift, die unteranderem für Rechtsanwälte Vorgaben zur Einreichung von vorbereitenden Schriftsätzen, deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen gibt. Dabei gilt nach § 130d S. 1 ZPO der Grundsatz der elektronischen Übermittlung.

Es gilt jedoch nach § 130d S. 2 ZPO die Möglichkeit der Ersatzeinreichung nach den allgemeinen Vorschriften, wenn die elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist und dies nach § 130d S. 3 Hs. 1 ZPO bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft gemacht wird (zum Zeitpunkt der Glaubhaftmachung: siehe BGH, Beschl. v. 17.11.2022 – IX ZB 17/22).

Der BGH entschied, dass eine vorübergehende technische Unmöglichkeit iSv § 130d S. 2 ZPO dann angenommen werden kann, wenn das System des besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) ausgefallen ist.

Hinsichtlich der Glaubhaftmachung stellt der BGH klar, dass dies sich nur auf die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des elektronisch einzureichenden Dokuments bezieht, sodass eine Glaubhaftmachung, dass die Funktionsfähigkeit des beA bis zum Büroschluss weiterhin überprüft wurde, nicht erforderlich ist.

In Bezug auf den Aufbau der Prüfung ist zu beachten, dass die Vorgaben der Einreichung von Erklärungen in elektronischer Form nach § 130d S. 1 ZPO die Frage der Zulässigkeit betrifft und mithin in der Zulässigkeit zu prüfen ist.

IV. Einordnung der Entscheidung

Die Entscheidung des BGH verdeutlicht die besondere Bedeutung des Wahlrechts des geschädigten Käufers im Rahmen des Schadenersatzanspruchs, in dem der BGH seine Ansicht mit Argumenten des allgemeinen Schadensrechts untermauert. Diese Argumentationslinie gibt eine hilfreiche Stütze für Prüflinge, die diese Argumente auf den konkreten Einzelfall übertragen können.

Ebenfalls ist die Beschäftigung mit der Vorschrift des § 130d ZPO von herausragender praktischer Bedeutung und ist somit für Referendare und Referendarinnen interessant, denn bisher lag keine Entscheidung vor, wie lange der Rechtsanwalt bei einer technischen Störung eine elektronische Übermittlung versuchen muss. Die entwickelten Grundsätze der Fax-Übermittlung, wonach eine Übermittlung „nicht vorzeitig“ aufgegeben werden durfte, ist nicht auf den elektronischen Rechtsverkehr zu übertragen. Denn diese Übermittlungswege unterscheiden sich grundlegend darin, dass es für die Übermittlung per Fax keine fristwahrende Alternative gibt, während für den elektronischen Rechtsverkehr ausdrücklich in § 130d S. 2 ZPO eine Ersatzeinreichung nach den allgemeinen Vorschriften vorgesehen wird. Durch diese Möglichkeit der Ersatzeinreichung ist – anders als beim Fax – zur Fristwahrung keine erneute Einreichung auf elektronischem Wege erforderlich (nur bei gerichtlicher Aufforderung § 130d S. 3 Hs. 2 ZPO). (Vgl. zum vorstehendem: Anmerkung von Guido Toussaint zum besprochenem Urteil, FD-ZVR 2023, 458540).

23.08.2023/1 Kommentar/von Miriam Hörnchen
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Miriam Hörnchen https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Miriam Hörnchen2023-08-23 14:12:462023-10-02 12:20:01BGH zum Wahlrecht des geschädigten Käufers im Rahmen des kleinen Schadensersatzanspruchs
Simon Mantsch

BGH zur teilweisen Rückerstattung des Flugpreises bei konkludenter Vertragskündigung

AGB-Recht, Aktuelles, Bereicherungsrecht, Rechtsprechung, Werkvertragsrecht, Zivilrecht, Zivilrecht

Bekomme ich mein Geld für eine Flugbuchung zurückerstattet, wenn ich den Flug ohne Grund einfach nicht antrete? Mit genau dieser Frage hatte sich der BGH in einem am 1. August 2023 verkündeten Urteil zu befassen (BGH, Urteil v. 1.8.2023 – X ZR 118/22). Die Entscheidung ist brisant und nicht nur für das juristische Studium, sondern auch für die nächste Urlaubsplanung interessant.

I. Der Sachverhalt (leicht angepasst)

Der sich nach einem Urlaub sehnende A bucht bei der irischen Billigfluggesellschaft R einen Flug von Memmingen auf die griechische Insel Kreta zum Preis von 27,30 EUR. Den Rechnungsbetrag überweist A sofort auf das aus der Buchungsbestätigung ersichtliche Konto von R. Weil ihm ein spontaner Termin aber einen Strich durch seine Urlaubsplanung macht, beschließt er, den Flug nicht anzutreten. Dabei ist er der Auffassung, dass R durch seinen Nichtantritt (der des A) Kosten in Gestalt von den pro Passagier bemessenen Steuern, Gebühren etc. (sog. Flugnebenkosten) einspart. Diese Einsparungen belaufen sich auf insgesamt 18,41 EUR, wobei die Höhe der Flugnebenkosten von R nicht bestritten wird. In der dem A ausgestellten Rechnung wird auf diese Kosten nicht eingegangen, vor allem aber ist eine Übernahme dieser Kosten, die im Normalfall die Fluggesellschaft selbst entrichtet, nicht geregelt. Die 18,41 EUR sind insoweit kein Teilbetrag bzw. Summand des Endpreises in Höhe von 27,30 EUR. A verlangt diesen Betrag von R zurück. Da er den Anspruch jedoch nicht selbst gerichtlich verfolgen will, tritt er die Forderung an Z ab, der gewerbsmäßig Fluggastrechte geltend macht. Eine Abtretung war dabei in dem zwischen A und R geschlossenen „Flugbeförderungsvertrag“ formularmäßig ausgeschlossen worden. Hat Z gegen R unter Anwendung deutschen Rechts einen Anspruch auf Zahlung von 18,41 EUR?

II. Die Entscheidung (leicht angepasst)

Der Zessionar Z könnte gegen R einen Anspruch auf Zahlung von 18,41 EUR gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 i.V.m. § 398 BGB haben. Dafür müsste zunächst Zedent A gegen R einen entsprechenden Anspruch gehabt haben, der sodann wirksam an Zessionar Z abgetreten worden sein müsste.

1. Anspruch A gegen R

Ein Anspruch von A gegen R auf Rückzahlung von 18,41 EUR könnte sich aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ergeben.

R müsste zunächst „etwas“ erlangt haben. Durch die Überweisung des Geldbetrages von A auf ein Konto von R hat letztere gem. § 675t Abs. 1 S. 1 BGB einen Anspruch gegen seine Bank auf Gutschrift erlangt, aus dem sodann ein Auszahlungsanspruch gem. §§ 700 Abs. 1, 488 Abs. 1 S. 2, 697, 695 BGB folgt. Dies stellt einen Vermögensvorteil dar, der Gegenstand eines Kondiktionsanspruchs sein kann.

Dieses „etwas“ hat R auch „durch Leistung“ im Sinne einer bewussten und zweckgerichteten Mehrung fremden Vermögens erlangt. Schließlich wollte A seine Verpflichtung aus einem „Flugbeförderungsvertrag“ erfüllen.

Womöglich fehlt jedoch der Rechtsgrund. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, wie der von den Parteien geschlossene „Flugbeförderungsvertrag“ rechtlich zu qualifizieren ist. Angesichts der Direktbuchung bei der Fluggesellschaft ohne weitere Reiseleistungen muss ein Pauschalreisevertrag iSv § 651a BGB ausscheiden. Es wurde lediglich ein konkreter Erfolg (nämlich der Personentransport von Deutschland nach Griechenland) geschuldet, womit der Flugbeförderungsvertrag als Werkvertrag iSv § 631 BGB qualifiziert werden muss (so zuvor schon BGH, Urt. v. 20.3.2018 – X ZR 25/17, NJW 2018, 2039, Rn. 18 und BGH, Urt. v. 16.2.2016 – X ZR 97/14, NJW 2016, 2604, Rn. 14).

Der Rechtsgrund könnte jedoch – jedenfalls teilweise – durch Kündigung entfallen sein (Anmerkung: eben weil allenfalls eine Kündigung und kein Nichtigkeitsgrund etc. in Rede steht, die nur Wirkungen für die Zukunft hat (ex nunc), dürfte es sich meiner Auffassung zufolge um eine contictio ob causam finitam nach § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 handeln (vgl. BeckOK BGB/Voit, Stand: 1.11.2022, § 648 Rn. 8; BeckOK BGB/Wendehorst, Stand: 1.5.2023, § 812 Rn. 80), während der BGH ohne Begründung auf eine condictio indebiti gem. § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 abstellt). Als Kündigungsgrund kommt insoweit § 648 BGB in Betracht, wo es heißt:

„Der Besteller kann bis zur Vollendung des Werkes jederzeit den Vertrag kündigen. Kündigt der Besteller, so ist der Unternehmer berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen; er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Es wird vermutet, dass danach dem Unternehmer 5 vom Hundert der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden vereinbarten Vergütung zustehen.“

A ist nicht zum Flug erschienen und hat damit schlüssig zum Ausdruck gebracht, dass er an der vertraglich geschuldeten Leistung von R kein Interesse mehr hat. Er hat den Vertrag insoweit konkludent gekündigt. Einen Grund für die Ausübung des Kündigungsrechts verlangt § 648 BGB ebenso wenig, wie die Einhaltung einer bestimmten Form. A hat das Kündigungsrecht somit dem Grunde nach wirksam ausgeübt. Der Vertrag wird damit für die Zukunft beendet. R wird seines Anspruchs auf Zahlung ausweislich des Gesetzestextes dadurch nicht verlustig, aber gleichwohl muss er sich ersparte Aufwendungen infolge der Vertragsaufhebung anrechnen lassen.

Rein tatsächlich hat R die geltend gemachten Kosten in Höhe von 18,41 EUR nicht abführen müssen. Fraglich erscheint jedoch insoweit, ob dies auch dazu führt, dass der Rechtsgrund in dieser Höhe entfällt. Die in Rede stehenden Flugnebenkosten sind jedenfalls nicht in den Flugpreis von 27,30 EUR einberechnet worden. Die Kosten bezogen sich nur auf den Flug. Die Nebenkosten hat insoweit die Fluggesellschaft zu tragen, der diese in Rechnung gestellt werden. Dies vermag im Ergebnis jedoch nichts zu ändern. Dass die Aufwendungen im Sinne des § 648 S. 2 BGB Teil der vereinbarten Vergütung sein müssen, geht aus der Vorschrift nicht hervor. Vor allem aber kommt es tatsächlich zu einer Ersparnis bei R. Sie selbst hat die Flugnebenkosten schließlich nicht zu entrichten, wenn ein Passagier die Reise nicht antritt. Es wäre ein widersprüchliches Ergebnis, wenn die Fluggesellschaft im Falle der Vertragsdurchführung schlechter stünde, als im Falle der Kündigung – im ersteren Fall wären die Flugnebenkosten schließlich bei R angefallen. Zudem wäre es auch mit dem Verbraucherschutz kaum zu vereinbaren, wenn Luftfahrtunternehmen über die Erstattungsfähigkeit von Flugnebenkosten disponieren könnten, indem sie diese nicht als Bestandteil des Flugpreises ausweisen.

Angedacht werden könnte die Berücksichtigungsfähigkeit des Umstandes, dass es jedenfalls bei Billigfluggesellschaften – wie der hier in Rede stehenden – geläufig zu sein schein, Ticketpreise „unter Wert“ zu verkaufen, da sich ein wirtschaftlich rentables Geschäft erst durch den Abschluss von Zusatzgeschäften, etwa durch den Verkauf von Speisen und Getränken an Bord oder auch durch die Vermittlung von Mietwagen am Zielort, ergibt. Zwar kann nicht in Abrede gestellt werden, dass die Zusatzgeschäfte für Billigfluggesellschaften von überragender Bedeutung sind, aber dennoch haben sie keinen Anspruch darauf, dass es zum Abschluss solcher Zusatzgeschäfte kommt. Deshalb kann auch keine für den Fall einer Kündigung berücksichtigungsfähige Schätzung dahingehend aufgestellt werden, welche Zusatzeinnahmen der Fluggesellschaft durch den Wegfall eines zahlungswilligen Gastes entgangen sind. Sie können die ersparten Aufwendungen daher nicht relativieren.

Angesichts des Umstands, dass die Flugnebenkosten auch einen spezifischen Bezug zur konkreten Flugbeförderung aufweisen, können sie zudem nicht als allgemeine Geschäftskosten betrachtet werden, die nicht zu den abzuziehenden Aufwendungen gehören.

Auch das Unionsrecht gebietet in dieser Hinsicht keine andere Betrachtung. Die in diesem Zusammenhang einschlägige Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft statuiert insoweit ausschließlich Informations- und Transparenzpflichten, regelt jedoch nicht die Frage, welche beiderseitigen Rechte und Pflichten bestehen, wenn der Fluggast von einem ihm zustehenden Kündigungsrecht Gebrauch macht (vgl. EuGH, Urt. v. 6.7.2017 – C-290/16). Es gelten daher ausschließlich die nationalen Regelungen und, im Falle der Anwendung des deutschen Rechts, schlussendlich die Vorschrift des § 648 BGB.

Nach alledem ergibt sich, dass A gegen R ein Anspruch auf Rückzahlung der Flugnebenkosten in Höhe von 18,41 EUR zumindest zunächst zustand.

2. Wirksame Abtretung des Anspruchs

Nicht gesagt ist damit jedoch, dass nunmehr Z dieser Anspruch zusteht. Dies wäre folglich nur unter der Prämisse der Fall, dass A den Anspruch wirksam an Z nach § 398 BGB abgetreten hat. Jedenfalls haben sich A und Z dahingehend geeinigt. Als einzig ersichtlicher Unwirksamkeitsgrund käme ein vertraglicher Abtretungsausschluss nach § 399 Alt. 2 BGB in Betracht. Angesichts des formularmäßigen Abtretungsausschlusses in dem geschlossenen „Flugbeförderungsvertrag“ scheint ein solcher einschlägig zu sein. Etwas anderes würde sich jedoch ergeben, wenn dieser unwirksam ist. Eine Unwirksamkeit wäre dabei anzunehmen, wenn sich ein formularmäßiger Abtretungsausschluss als mit dem AGB-Recht nach §§ 305 ff. BGB nicht vereinbar herausstellt.

Vorbehaltlich einer wirksamen Einbeziehung in den Vertrag nach §§ 305 ff. BGB, hält die Klausel jedenfalls einer Inhaltskotrolle am Maßstab des § 307 BGB nicht stand. Nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB ist eine Bestimmung in den allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner unangemessen benachteiligt. Es gilt jedoch festzustellen, dass ein Luftfahrtunternehmen keine nennenswerten Interessen an einem Abtretungsausschluss haben kann. Demgegenüber haben jedoch Verbraucher regelmäßig ein Interesse daran, ihre Ansprüche mit gewissen Abzügen an Fluggastportale zu verkaufen und zu diesem Zweck an selbige abzutreten, damit diese den Anspruch gerichtlich durchsetzen (sog. echtes Factoring). Verbietet eine Klausel jedoch eine solche Abtretung, wird die Durchsetzung der Ansprüche der Verbraucher unangemessen erschwert. Schließlich werden sie angesichts des in der Regel recht geringen Streitwerts selbst nicht gewillt sein, den Rechtsweg zu bestreiten.

Das formularmäßige Abtretungsverbot ist folglich unwirksam, die Abtretung an Z war insoweit rechtlich möglich. Z ist infolgedessen Inhaber der Forderung geworden.

3. Ergebnis

Z hat gegen R einen Anspruch auf Zahlung von 18,41 EUR.

III. Einordnung der Entscheidung

Über einen besonders hohen Geldbetrag hatte der BGH in diesem Urteil nicht zu entscheiden. Große Wellen schlagen dürfte das Urteil nichts desto trotz. Insbesondere die auf Dumpingpreise ausgerichtete Preispolitik der Billigfluggesellschaften wird zu überdenken sein. Flugnebenkosten machen hier regelmäßig weit über 50 % des Ticketpreises aus. Für die betroffenen Fluggesellschaften werden spontane Stornierungen somit zum doppelten Risiko: Zum einen muss man auf sehr rentable Zusatzeinnahmen der oben geschilderten Art verzichten und zum anderen muss ein Teil des Ticketpreises erstattet werden. Auch der Abschluss irgendwie gearteter „Premium-Tickets“ mit kostenloser Stornierungsmöglichkeit dürfte zukünftig schwer vermittelbar sein, wenn schon das Gesetz eine sehr verbraucherfreundliche Kündigungsmöglichkeit vorsieht.

Nach dem Gesagten rückt die Frage in den Vordergrund, ob und wie die Abbedingung des § 648 BGB erreicht werden kann. Individualvertraglich dürfte es ohne weiteres möglich sein – eine Überprüfung am Maßstab der §§ 305 ff. BGB gibt es dann nicht. Formularmäßige Ausschlüsse, die in vollem Umfang an §§ 305 ff. BGB zu messen wären, sind derweil kritisch zu betrachten. Schließlich wird mit einem Pauschalausschluss des § 648 BGB in nicht unerheblichem Maße vom gesetzlichen Leitbild des Werkvertrages abgewichen, was mit Blick auf § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu beanstanden sein dürfte. Ferner erweist sich ein solcher Ausschluss auch als mit den Wertungen der § 308 Nr. 7a BGB und § 309 Nr. 5b BGB kaum vereinbar (einen guten Überblick zum Ganzen bietet Eben/Quarsch, NZV 2018, S. 117-122).

18.08.2023/von Simon Mantsch
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Simon Mantsch https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Simon Mantsch2023-08-18 14:45:172024-09-14 09:22:54BGH zur teilweisen Rückerstattung des Flugpreises bei konkludenter Vertragskündigung
Gastautor

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01.08.2023/1 Kommentar/von Gastautor
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-08-01 12:20:552024-12-30 11:17:26Examensrelevante Änderungen im Recht der GbR durch das MoPeG – Die entsprechende Anwendung von § 15 HGB und die liquidationslose Vollbeendigung zweigliedriger GbR
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