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Schlagwortarchiv für: Vorabentscheidungsersuchen

Alexandra Ritter

Die verschiedenen gerichtlichen Verfahren vor dem EuG und dem EuGH – Teil 2

Europarecht, Europarecht Klassiker, Examensvorbereitung, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Uncategorized, Verschiedenes

Dies ist Teil 2 zu den verschiedenen gerichtlichen Verfahren vor dem EuG und dem EuGH, in dem das Vorabentscheidungsverfahren und die Schadensersatzklage dargestellt werden. In Teil 1 erfolgten bereits Darstellungen zu der Nichtigkeitsklage und dem Vertragsverletzungsverfahren.

Erneut sei an dieser Stelle auf den hilfreichen Beitrag „Europarecht im Examen – Rechtsschutz vor den europäischen Gerichten“ von Professor Dr. Matthias Ruffert gemeinsam mit den wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen Grischek und Schramm in der JuS 2022, 814 hingewiesen, sowie auf die Prüfungsschemata von Professor Dr. Matthias Pechstein, der diese frei zugänglich hier auf der Internetseite seines Lehrstuhls an der Europauniversität Viadrina Frankfurt (Oder) zur Verfügung stellt.

A)           Vorabentscheidungsverfahren, Art. 267 AEUV

Das Vorabentscheidungsverfahren ist ein sehr praxisrelevantes Verfahren, das der einheitlichen Auslegung und Kontrolle des Unionsrechts dient. Bei dem Vorabentscheidungsverfahren legt ein Gericht eines Mitgliedstaats dem EuGH eine Frage hinsichtlich der Auslegung des Unionsrechts bzw. über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union vor. Bedeutung hat dieses Verfahren auch im Zusammenhang mit der Verfassungsbeschwerde, denn die Verletzung der Vorlagepflicht (hierzu sogleich) kann einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG darstellen.

I.              Zulässigkeit

1.             Zuständigkeit

Zuständig für das Vorabentscheidungsverfahren ist der EuGH gem. Art. 256 Abs. 3 AEUV i. V. m. Art. 19 Abs. 3 lit. a) EUV), solange in der Satzung noch keine Festlegung über Zuständigkeit des EuG getroffen worden ist (Art. 23 Abs. 1 EuGH-Satzung).

2.             Zulässige Vorlagefrage

Die Vorlagefrage bezieht sich entweder auf die Auslegung des primären und abgeleiteten Unionsrechts (Art. 267 Abs. 1 lit. a) bzw. b) AEUV oder auf die Gültigkeit von Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union (Art. 267 Abs. 1 lit. b) AEUV). Die Vorlage muss alle relevanten rechtlichen und tatsächlichen Tatsachen sowie eine Erklärung enthalten, aus welchem Grund die Frage vorgelegt wird.

Das mitgliedstaatliche Gericht muss seine Vorlagefrage daher passend und lediglich auf Unionsrecht bezogen formulieren. Es darf nicht explizit nach der Vereinbarkeit mit nationalem Recht fragen, denn hierüber hat der EuGH keine Entscheidungskompetenz. Ebenso kann der EuGH nicht über den Ausgangsrechtsstreit entscheiden.

Ist ein einer Klausur eine Vorlagefrage selbst zu formulieren, muss darauf geachtet werden, dass sie diesen Anforderungen entspricht. Ist eine Vorlagefrage bereits gegeben, muss diese darauf untersucht werden, ob sie zulässig ist und ggf. umformuliert werden. In der Praxis stellt sich häufig die Frage, ob nationales Recht und Unionsrecht vereinbar sind. Nach dem soeben Gesagten, wäre es aber unzulässig zu fragen, ob eine Norm des nationalen Rechts mit den Vorschriften des Unionsrechts vereinbar ist. Daher wird wie folgt formuliert: Ist die Norm XY des Unionsrechts dahingehend auszulegen, dass sie einer Auslegung der nationalen Rechtsvorschrift § 1 Beispielgesetz entgegensteht, die vorsieht, dass (Erläuterung der nationalen Norm)?

3.             Vorlageberechtigung

Das vorlegende Gericht ist vorlageberechtigt, wenn es ein mitgliedstaatliches Gericht ist. Dies ist nach der Rechtsprechung des EuGH jedes unabhängige Organ, welches durch oder aufgrund eines (nationalen) Gesetzes im Rahmen einer obligatorischen Zuständigkeit bindend und unter Anwendung von Rechtsnormen in einem Verfahren, das auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter abzielt, entscheidet. Private Schiedsgerichte sind nicht vorlageberechtigt (EuGH v. 23.3.1982 – Rs 102/81, Nordsee).

4.             Vorlagerecht und Vorlagepflicht

Mitgliedstaatliche Gerichte können vorlageberechtigt oder sogar vorlagepflichtig sein.

a)             Vorlageberechtigung mitgliedstaatlicher Gerichte, Art. 267 Abs. 2 AEUV

Mitgliedstaatliche Gerichte sind vorlageberechtigt bei Zweifeln an der Gültigkeit oder Auslegung von Unionsrecht und Entscheidungserheblichkeit der der Vorlagefrage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits. Das Vorliegen letzterer Voraussetzung wird generell vermutete, es sei denn die Vorlagefrage steht offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens oder ist rein hypothetischer Natur oder die zur Beantwortung der Vorlagefragen erforderlichen tatsächlichen oder rechtlichen Angaben sind unzureichend.

b)            Vorlagepflicht mitgliedstaatlicher Gerichte

Aus dem Vorlagerecht der mitgliedstaatlichen Gerichte kann in bestimmten Fällen eine Vorlagepflicht werden. Das ist gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV dann der Fall, wenn das mitgliedstaatliche Gericht eine Entscheidung treffen soll, die selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann. Auch nicht-letztinstanzliche Gerichte sind nach der Foto-Frost-Doktrin (EuGH v. 22.10.1987 – Rs 314/85) zur Vorlage verpflichtet, wenn sie eine Norm des Unionsrechts wegen Verstoßes gegen höherrangiges Unionsrecht als ungültig erachten und daher nicht anwenden wollen. Daneben besteht eine Vorlagepflicht, wenn im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein mitgliedstaatlicher Vollzugsakt in seiner Anwendung vorübergehend ausgesetzt werden soll.

Von der Vorlagepflicht gibt es jedoch Ausnahmen. Sie besteht nicht, wenn die aufgeworfene Frage bereits in einem gleichgelagerten Fall vorgelegt und durch den EuGH beantwortet wurde. Sie entfällt außerdem, wenn eine gesicherte unionsgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Frage vorliegt, durch welche die Rechtsfrage geklärt ist (acte éclairé), oder wenn die richtige Auslegung des Unionsrechts so offensichtlich ist, dass kein Raum für vernünftige Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt und die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und der EuGH keine Zweifel an dieser Auslegung haben würden (acte clair).

II.           Beantwortung durch den EuGH

Im Unterschied zu den anderen Verfahren wird der zweite Teil der Prüfung nicht Begründetheit genannt, sondern „Beantwortung der Vorlagefrage(n) durch den EuGH“ oder „Vorlageentscheidung“.

Wenn die Vorlagefrage zulässig ist, legt der EuGH das Unionsrecht aus. In einer Klausur muss dann entweder aus der Vorbereitung bekanntes Unionsrecht (bspw. die Grundfreiheiten) geprüft werden oder es muss unbekanntes Unionsrecht mit Hilfe von Informationen aus dem Sachverhalt geprüft werden. Als Ergebnis ist die Vorlagefrage zu beantworten.

III.        Rechtskraftwirkungen des Vorabentscheidungsurteils

Zuletzt erfolgt ein Hinweis auf die Rechtskraftwirkungen des Vorabentscheidungsurteils. Hierbei ist zwischen Auslegungsurteilen und Ungültigkeitsurteilen zu unterscheiden.

Bei Auslegungsurteilen sind die mitgliedstaatlichen Gerichte dazu verpflichtet, das Unionsrecht in der Auslegung des EuGH anzuwenden oder bei Zweifeln an der Richtigkeit der Auslegung erneut vorzulegen. Von der Auslegung des EuGH darf nicht einfach so abgewichen werden, sondern es besteht eine Vorlagepflicht.

Ein Ungültigkeitsurteil führt dazu, dass auch die mitgliedstaatlichen Gerichte von der Ungültigkeit der betreffenden Norm ausgehen müssen. Hat der EuGH dagegen entschieden, dass die betreffende Norm gültig ist, so sind lediglich die mit dieser Sache befassten Instanzgerichte an die Entscheidung gebunden, da nur die konkrete Prüfung ergeben habe, dass der Gültigkeit der Norm nichts entgegensteht. Anders gelagerte Sachverhalte können jedoch eine neue Beurteilung gebieten und eine erneute Vorlage rechtfertigen bzw. erforderlich machen.

B)           Schadensersatzklage (Unionsrechtlicher Amtshaftungsanspruch), Art. 268 iVm Art. 340 Abs. 2 u. 3 AEUV

Die Schadensersatzklage dient der Durchsetzung von Amtshaftungsansprüchen aus Art. 340 AEUV. Dabei geht es um Ansprüche gegen Organe der Union bei schädigendem Verhalten von Unionsorganen. Davon zu unterscheiden ist der europarechtliche Staatshaftungsanspruch, der bei der Verletzung von Unionsrecht durch Mitgliedstaaten bestehen kann, wie der EuGH in der Rechtssache Frankovich (EuGH v. 19.11.1991 – Rs C-6/90 u. 9/90)entschieden hat (s. zu diesem Anspruch Sauer, JuS 2012, 695 (698)).

I.              Zulässigkeit

1.             Zuständigkeit

Bei Klagen von natürlichen und juristischen Personen ist das EuG zuständig, Art. 256 AEUV, Art. 51 EuGH-Satzung). Bei Klagen der Mitgliedstaaten ist der EuGH zuständig – jedoch wurde bislang durch Rechtsprechung nicht entschieden, ob Mitgliedstaaten Amtshaftungsklage erheben können.

2.             Parteifähigkeit

Aktiv parteifähig sind natürliche und juristische Personen, die nach ihrem Klagevortrag einen Schaden erlitten haben (und Mitgliedstaaten, was jedoch im Hinblick auf die Klagemöglichkeit nach Art. 263 Abs. 2 AEUV strittig ist). Passiv parteifähig ist das schadensverursachende Organ.

3.             Ordnungsgemäße Klageerhebung

Die Klage muss den Anforderungen von Art. Art. 21 Abs. 1 Satz 2 EuGH-Satzung sowie des Art. 57 VerfO-EuGH bzw. Art. 76 VerfO-EuG genügen.

4.             Klagegegenstand

Es muss geltend gemacht werden, dass ein Organ oder Bediensteter der Union in Ausübung der Amtstätigkeit einen Schaden verursacht hat.

5.             Klagefrist

Eine Klagefrist gibt es nicht, jedoch verjähren die Ansprüche gem. Art. 46 EuGH-Satzung in fünf Jahren nach Eintritt des Ereignisses, das ihnen zugrunde liegt.

6.             Rechtsschutzbedürfnis

Das Rechtsschutzbedürfnis ist nicht durch die Möglichkeit der Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV ausgeschlossen, da es sich bei der Amtshaftungsklage um einen selbstständigen Rechtsbehelf handelt. Nur wenn mit der Nichtigkeitsklage der Eintritt des Schadens hätte verhindert werden können, entfällt das Rechtsschutzbedürfnis. Ebenso entfällt es, wenn die Geltendmachung des Schadens vor nationalen Gerichten möglich ist (Grundsatz der Subsidiarität des unionalen gegenüber dem innerstaatlichen Rechtsschutz).

II.           Begründetheit

Die Amtshaftungsklage ist begründet, wenn ein Organ oder ein Bediensteter der Union in Ausübung einer Amtstätigkeit

  • bei gebundenen Entscheidungen: eine dem Schutz des Geschädigten dienende Rechtsnorm
  • bei Entscheidungen mit Gestaltungsspielraum: eine höherrangige, dem Schutz des Einzelnen dienende Rechtsnorm

in hinreichend qualifizierter Weise verletzt und dadurch unmittelbar kausal einen Schaden des Klägers verursacht hat.

Die Prüfung soll sich in ihrem Aufbau daher an den folgenden Punkten orientieren: Amtstätigkeit (Handeln oder Unterlassen) (1), Rechtswidrigkeit des Verhaltens (2), Schaden (3) und Kausalzusammenhang zwischen Amtstätigkeit und Schaden (4).

30.08.2023/von Alexandra Ritter
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2023-08-30 08:17:102023-09-04 13:02:58Die verschiedenen gerichtlichen Verfahren vor dem EuG und dem EuGH – Teil 2
Dr. Melanie Jänsch

EuGH: Neues zum Ausschluss des Verbraucherwiderrufsrechts bei individuell angefertigter Ware

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht

Mit aktuellem Urteil vom 21.10.2020 (Az.: C-529/19) hat der EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV entschieden, dass ein Widerrufsrecht bei individuell anzufertigender Ware auch dann ausgeschlossen ist, wenn mit der Produktion noch gar nicht begonnen wurde. Die Normen zum Verbraucherwiderruf bei einem außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrag gehen auf europäisches Sekundärrecht zurück; aufgrund des Gebots richtlinienkonformer Auslegung ist die Entscheidung daher für das Verständnis der nationalen Verbraucherwiderrufsvorschriften – konkret: des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB – maßgeblich und kann angesichts dessen auch in ihrer Bedeutung für Zivilrechtsklausuren als gewichtig eingeschätzt werden. In einer entsprechenden Klausur könnte die – trotz ihrer Examensrelevanz von den meisten Studierenden eher stiefmütterlich behandelte – Thematik problemlos in eine Anspruchsprüfung eingebettet werden, weshalb sich den Grundsätzen der Entscheidung im Rahmen des nachfolgenden Beitrags klausurtypisch in Form einer Anspruchsprüfung genähert werden soll.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Die K, eine Verbraucherin, kaufte auf einer gewerblichen Messe bei der V GmbH eine speziell auf ihre Bedürfnisse angepasste Einbauküche. Teile dieser Küche hätten bei einer Drittfirma angefertigt werden müssen und wären nach Anpassung in der Käuferwohnung nicht mehr weiter verwendbar gewesen. Ein paar Tage nach Abschluss des Vertrags überlegte es sich die K jedoch anders; sie kontaktierte die V GmbH und widerrief den Kauf. V berief sich auf den Ausschluss des Widerrufs bei individuell herzustellender Ware nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die K wandte daraufhin ein, dass dem Unternehmen zum Zeitpunkt des Widerrufs noch keinerlei Schaden entstanden sei, weil die Anfertigung der Passstücke noch gar nicht begonnen worden war. Und selbst bei Vertragserfüllung wäre der tatsächliche Schaden sehr gering gewesen. V bestand weiterhin auf Zahlung und Abnahme der Küche. Angesichts der europarechtlichen Grundlagen des Verbraucherwiderrufsrechts legte das AG Potsdam dem EuGH unter anderem die Frage vor, ob der Widerrufsausschluss der Verbraucherrechterichtlinie (Art. 16 Buchstabe c der Richtlinie) auch gilt, wenn der Verkäufer beziehungsweise die Drittfirma zum Zeitpunkt des Widerrufs noch gar nicht mit der individuellen Fertigung begonnen hat.
 
B) Rechtsausführungen
In einer entsprechenden Klausur könnte nach einem Anspruch der V auf Kaufpreiszahlung und Abnahme der Küche gemäß § 433 Abs. 2 BGB gefragt sein, der im Folgenden geprüft werden soll.
I. Zweifelsohne wurde ein hierfür erforderlicher wirksamer Kaufvertrag i.S.v. § 433 BGB über die Einbauküche abgeschlossen.
II. Der Anspruch auf Kaufpreiszahlung und Abnahme der Sache gemäß § 433 Abs. 2 BGB könnte indes erloschen sein, wenn die K ihre Willenserklärung nach den Grundsätzen des Verbraucherwiderrufsrechts gemäß § 355 Abs. 1 S. 1 BGB wirksam widerrufen hat. Dies setzt das Bestehen eines Widerrufsrechts voraus, welches innerhalb der Widerrufsfrist ausgeübt wurde.
 
Anmerkung: Ein Widerruf wirkt nach h.M. – wie der Rücktritt nach den §§ 346 ff. BGB und im Gegensatz zur Anfechtung gemäß § 142 Abs. 1 BGB – ex nunc.
 
1. Zunächst ist also zu prüfen, ob der K ein Widerrufsrecht zusteht. Ein solches kann sich mangels vertraglicher Vereinbarungen im vorliegenden Fall allein gesetzlich, konkret aus § 312g Abs. 1 BGB ergeben, der Verbrauchern bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (AGV) und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht einräumt.
a) Unproblematisch liegt hier ein für die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs notwendiger Verbrauchervertrag i.S.v. §§ 312 Abs. 1, 310 Abs. 3 BGB vor, der auf eine entgeltliche Leistung gerichtet ist: Als natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abgeschlossen hat, die weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können, sondern vielmehr privater Natur sind, handelte die K als Verbraucherin gemäß § 13 BGB. Die V GmbH ist eine juristische Person des Privatrechts, welche beim Abschluss des Kaufvertrags in Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit, mithin als Unternehmerin gemäß § 14 Abs. 1 BGB handelte. Der Kaufvertrag über die Einbauküche stellt einen auf entgeltliche Leistung des Unternehmers gerichteten Vertrag dar, § 312 Abs. 1 BGB.
b) Ist danach der persönliche Anwendungsbereich eröffnet, müsste der Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen worden sein. Nach der Legaldefinition des § 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB fallen hierunter Verträge, die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. Was ein Geschäftsraum ist, benennt § 312b Abs. 2 S. 1 BGB: Hier kommt ein sog. beweglicher Geschäftsraum in Betracht, der Gewerberäume erfasst, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt. Ein Schwerpunkt der gutachterlichen Prüfung sollte angesichts dessen darauf liegen, ob ein Messestand unter diese Definition subsumiert werden kann. Da das Verbraucherwiderrufsrecht auf europäisches Sekundärrecht (die RL 2011/83/EU) zurückgeht, sind bei der näheren Bestimmung der Reichweite des Begriffs auch europarechtliche Vorgaben zu beachten. Nach Ansicht des EuGH kommt es ausgehend vom Schutzzweck des Verbraucherwiderrufsrechts darauf an, ob „in Anbetracht aller tatsächlichen Umstände rund um diese Tätigkeiten und insbesondere des Erscheinungsbilds des Messestandes sowie der vor Ort auf der Messe selbst verbreiteten Informationen ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen konnte, dass der betreffende Unternehmer dort seine Tätigkeiten ausübt und ihn anspricht, um einen Vertrag zu schließen“ (EuGH, Urt. v. 07.08.2018 – C-485/17, EuZW 2018, 742). Vereinfacht: Maßgeblich ist, ob der Verbraucher wegen des offensichtlichen Verkaufscharakters der Messe davon ausgehen musste, dass Unternehmer dort Verträge abschließen.
 
Anmerkung: Der BGH hat sich mit der auf juraexamen.info bereits ausführlich besprochenen Problematik des Verbraucherwiderrufs bei Messeständen in einer examensrelevanten Entscheidung aus dem letzten Jahr bereits auseinandergesetzt (Urt. v. 10.04.2019 – VIII ZR 82/17, BeckRS 2019, 7655): Nach den Maßstäben dieses Urteils ist bei einer Verkaufsmesse mit unterschiedlichen Ausstellern unter Berücksichtigung der europarechtlichen Grundlagen nicht von einer typischen Überrumpelungssituation auszugehen; im Gegenteil muss ein Verbraucher – außer in Messebereichen, die ihrem äußeren Erscheinungsbild nach lediglich Werbe- und Informationszwecken dienen – mit Verkaufsangeboten rechnen, sodass ein beweglicher Geschäftsraum i.S.d. § 312b Abs. 2 S. 1 Alt. 2 BGB vorliegt und damit kein Widerrufsrecht besteht.
 
Handelt es sich also um einen Messebereich, in dem der durchschnittlich informierte Verbraucher damit rechnen muss, dass er vom Unternehmer angesprochen wird, liegt beim Abschluss des Kaufvertrags ein beweglicher Geschäftsraum und damit eben kein Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen vor. Schon aus diesem Grund wäre ein Widerruf dann ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall bedarf es diesbezüglich weitergehender Feststellungen: Der EuGH hat das AG Potsdam ausdrücklich darauf hingewiesen, dass – auf der Basis der vorstehenden Erwägungen – fraglich sei, ob der Kauf überhaupt außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen worden sei. Es bedürfe hier einer Aufklärung, wo denn genau auf der Messe die Küche gekauft worden sei (Rn. 16 f.).
 
2. Dies kann jedoch dahinstehen, weil ein Widerruf bei individuell anzufertigender Ware ohnehin ausgeschlossen ist – und das, wie der EuGH nunmehr eindeutig klarstellt – sogar dann, wenn zum Zeitpunkt des Widerrufs noch gar nicht mit der individuellen Fertigung begonnen wurde. § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB, der seinem klaren Wortlaut nach unabhängig vom Stand der Produktion darauf abstellt, ob für die Herstellung der Ware „eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist“, ist insoweit mit Unionsrecht vereinbar. Nach den Ausführungen des EuGH

„weist nichts im Wortlaut von Art. 16 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 darauf hin, dass die Ausnahme von dem in dieser Bestimmung geregelten Widerrufsrecht von irgendeinem Ereignis abhängt, das nach dem Abschluss eines außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags über die Lieferung von „Waren …, die nach Kundenspezifikation angefertigt werden oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind“, eintritt.“ (Rn. 24).

Im Gegenteil müsse ein Verbraucher vor bzw. bei Abschluss eines Vertrags sicher wissen, ob ihm ein Widerrufsrecht zustehe:

„Der Gerichtshof hat insoweit entschieden, dass mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83 sichergestellt werden soll, dass dem Verbraucher vor Abschluss eines Vertrags sowohl die Informationen über dessen Bedingungen und die Folgen des Vertragsschlusses übermittelt werden, die dem Verbraucher die Entscheidung ermöglichen, ob er sich vertraglich an einen Unternehmer binden möchte, als auch die Informationen, die zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung und vor allem zur Ausübung seiner Rechte, insbesondere seines Widerrufsrechts, erforderlich sind (Urteil vom 10. Juli 2019, Amazon EU, C‑649/17, EU:C:2019:576, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das Bestehen des Widerrufsrechts des Verbrauchers an ein zukünftiges Ereignis zu knüpfen, dessen Eintritt von der Entscheidung des Unternehmers abhängt, wäre jedoch mit dieser Pflicht zur vorvertraglichen Unterrichtung unvereinbar.“ (Rn. 26 f.)“

Dies gelte umso deutlicher, als der Verbraucher regelmäßig auf den Fortschritt der Produktion weder Einfluss habe noch darüber informiert werde. Letztlich ist daher der konkrete Vertragsschluss der maßgebliche Zeitpunkt, nach dem sich bestimmt, ob ein Widerrufsrecht besteht. Übertragen ins nationale Recht heißt das, dass ein Widerruf – unabhängig davon, ob überhaupt ein außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossener Vertrag besteht – jedenfalls nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen ist.
III. K ist damit weiterhin zur Kaufpreiszahlung und Abnahme der Küche nach § 433 Abs. 2 BGB verpflichtet.
 
C) Fazit
Selbst nach Ansicht des EuGH, der regelmäßig zur weiten Auslegung verbraucherschützender Vorschriften neigt, gilt: Verbraucherschutz nicht um jeden Preis. Wer einen Gegenstand kauft, bei dem einzelne Stücke speziell angepasst oder individuell hergestellt werden müssen, hat kein Widerrufsrecht – und das unabhängig davon, ob mit der Fertigung überhaupt schon begonnen wurde und dem Verkäufer damit ein Schaden entstünde oder nicht. Der Entscheidung gebührt uneingeschränkte Zustimmung: Aus Gründen der Rechtssicherheit muss im Zeitpunkt des Vertragsschlusses feststehen, ob dem Verbraucher ein Widerrufsrecht zusteht oder nicht – und dann kann es nicht auf den Stand der Produktion ankommen.
 

02.11.2020/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-11-02 08:39:212020-11-02 08:39:21EuGH: Neues zum Ausschluss des Verbraucherwiderrufsrechts bei individuell angefertigter Ware

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