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Schlagwortarchiv für: Verpflichtungsklage

Miriam Hörnchen

Tätowierungen als Einstellungshindernis im Polizeidienst?

Aktuelles, Examensvorbereitung, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Verwaltungsrecht

Die vom VG Berlin zu beantwortende Frage, ob die Ablehnung einer Bewerbung für den Polizeidienst wegen sichtbarer Tätowierungen rechtswidrig erfolgt, wirft eine Vielzahl examensrelevanter Fragestellungen auf: Aufgrund der Eilbedürftigkeit im Hinblick auf den Einstellungstermin wird diese Frage regelmäßig im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes relevant. Dabei sind dessen besondere Voraussetzungen ebenso zu prüfen wie – wegen des Bezugs zur Hauptsache – auch dessen Zulässigkeit und Begründetheit. Darüber hinaus eröffnet der Fall die Möglichkeit, allgemeine Probleme des Verwaltungsrechts – wie etwa den behördlichen Beurteilungsspielraum – sowie beamtenrechtliche Besonderheiten zu behandeln. (VG Berlin, Beschl. 27.2.2025 – VG 26 L 288/24, n.V.)

I. Der Sachverhalt (verkürzt dargestellt)

Dem Beschluss des VG Berlin lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Antragstellerin (im Folgenden: A) bewarb sich für die vorläufige Zulassung zum Vorbereitungsdienst des gehobenen Dienstes der Kriminalpolizei des Antragsgegners (im Folgenden: B) für den 1.4.2025. Dabei waren der Bewerbung auch Angaben zu etwaigen Tätowierungen beizufügen. A trägt unter anderem auf ihren beiden Handrücken Tätowierungen, die Motive von Rosenblüten sowie Namen ihrer Kinder abbilden und dabei den Großteil des Handrückens bedecken. Zudem finden sich an ihrem Handgelenk Tätowierungen in Form eines Armbands und der Zahl „248“ und an ihren Fingern ein bis drei Punkte und ein kleines Kreuz. Zusätzlich gab A an, dass sie beabsichtige, sich im Dezember 2024 weitere Tätowierungen stechen zu lassen. Die Bewerbung der A wurde jedoch vom B im November 2024 aufgrund der Tätowierungen „auf beiden Handrücken“ abgelehnt. Daraufhin stellte A beim VG Berlin einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit dem Ziel, den B zu verpflichten, sie vorläufig zum 1.4.2025 zum Vorbereitungsdienst zuzulassen.

II. Die Entscheidung (dargestellt im Gutachtenstil)

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat Erfolg, soweit dieser zulässig und begründet ist.

1. Zulässigkeit des Antrags

Der Antrag ist zulässig, wenn sämtliche Verfahrensvoraussetzungen erfüllt sind.

a) Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht setzt zunächst voraus, dass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Das ist dann der Fall, wenn auch für die Streitigkeit der Hauptsache der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist, welcher sich grundsätzlich nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO richtet, es sei denn es greift eine speziellere aufdrängende Sonderzuweisung an das Verwaltungsgericht ein. Vorliegend könnte die aufdrängende Sonderzuweisung nach § 54 Abs. 1 BeamtStG in Betracht kommen, wenn es sich um eine Streitigkeit aus dem Beamtenverhältnis handelt. Eine solche liegt jedenfalls dann vor, wenn der geltend gemachte Anspruch seine Grundlage im Beamtenrecht hat (BVerwG, Urt. v. 24.6.1982 – 2 C 91/81, NJW 1983, 638). A verlangt die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für die Laufbahn des gehobenen Dienstes der Kriminalpolizei. Dies findet seine Grundlage in Art. 33 Abs. 2 GG i.V.m. den Vorschriften des Beamtenrechts, insb. der Ernennung nach § 8 BeamtStG.

Folglich ist der Verwaltungsrechtsweg in der Hauptsache nach § 54 Abs. 1 BeamtStG und mithin auch im einstweiligen Rechtsschutz eröffnet.

b) Statthafter Antrag

Die Statthaftigkeit des Antrags richtet sich nach dem Begehren der Antragstellerin, §§ 122, 88 VwGO. A verfolgt das Ziel, dass B sie vorläufig zum Vorbereitungsdienst zum 1.4.2025 zulässt. Zur Verfolgung dieses Begehrens könnte ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 Abs. 1 VwGO in Betracht kommen. Dieser müsste statthaft sein.

aa) Kein Ausschluss nach § 123 Abs. 5 VwGO – kein Fall von §§ 80, 80a VwGO

Ein Antrag auf einstweilige Anordnung gem. § 123 Abs. 1 VwGO ist aufgrund der in § 123 Abs. 5 VwGO geregelten Subsidiarität zu den Anträgen nach §§ 80 und 80a VwGO dann ausgeschlossen, wenn er sein Begehren mit diesen Anträgen verfolgen kann. Das ist der Fall, wenn es um eine Vollziehung eines belastenden Verwaltungsaktes geht und somit in der Hauptsache eine Anfechtungsklage einschlägig ist. Dagegen ist § 123 VwGO einschlägig, wenn in der Hauptsache eine Verpflichtungs-, Leistungs- oder Feststellungsklage statthaft ist.

Vorliegend liegt zwar in der Ablehnung der Bewerbung durch B ein belastender Verwaltungsakt vor, jedoch begehrt A nicht die Aufhebung dieser Ablehnung, sondern primär die Zulassung zum Vorbereitungsdienst. Die Zulassung bedarf einer Ernennung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 BeamtStG, die einen begünstigenden Verwaltungsakt darstellt (VG Berlin, Urt. v. 21.6.2023 – VG 36 K 384/22, BeckRS 2023, 39968 Rn. 18; Stelkens/Bonk/Sachs/Stelkens, 10. Aufl. 2023, § 35 VwVfG Rn. 200). Dadurch, dass das Begehren mithin auf die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten Verwaltungsaktes gerichtet ist, ist in der Hauptsache eine Verpflichtungsklage in Gestalt der Versagungsgegenklage statthaft und mithin liegen keine vorrangigen Fälle des §§ 80, 80a VwGO vor.

Folglich ist der Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO durch § 123 Abs. 5 VwGO nicht ausgeschlossen.

bb) Die zwei Anordnungsformen
  • § 123 Abs. 1 VwGO enthält zwei Anordnungsformen:
    • § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO: die Sicherungsanordnung, die der Sicherung eines bestehenden Zustandes (des „status quo“) vor möglichen künftigen Beeinträchtigungen dient.
    • § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO: die Regelungsanordnung, mit der die Vornahme einer behördlichen Leistung verlangt wird um eine vorläufige Zustandsverbesserung zu erreichen.

A begehrt zum Vorbereitungsdienst zugelassen zu werden. Dieses Begehren kann in der Hauptsache im Wege einer Verpflichtungsklage geltend gemacht werden, da sie die Vornahme einer behördlichen Leistung verlangt. Folglich geht es um eine vorläufige Zustandsverbesserung, wobei die Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO die statthafte Antragsart ist.

c) Antragsbefugnis § 42 Abs. 2 VwGO analog

Für einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist eine Antragsbefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO analog erforderlich. Die Antragsbefugnis richtet sich wiederum danach, ob die Antragstellerin in der Hauptsache klagebefugt ist. Danach ist A klagebefugt, wenn A geltend macht durch die Ablehnung der Zulassung in ihren subjektiven Recht verletzt zu sein. Dies ist der Fall, wenn nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass der Anspruch auf die Zulassung zum Vorbereitungsdienst besteht.

Es existiert keine Anspruchsgrundlage, die einen Anspruch auf Zulassung zum Vorbereitungsdienst begründet. Vielmehr besteht die Entscheidung zur Zulassung im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn (s. hierzu später mehr unter: II. 2. a) bb) (1)). Doch auch wenn kein Anspruch auf einen begehrten Verwaltungsakt besteht, kann mit der Verpflichtungsklage dennoch ein Anspruch auf ermessens- bzw. beurteilungsfehlerfreie Entscheidung der Behörde (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO) verlangt werden. Dadurch, dass A geltend macht, dass B ihre Zulassung trotz ihrer Tätowierungen, hätte zubilligen müssen, ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass B sein Beurteilungsspielraum falsch ausgeübt hat und A demnach ein Anspruch auf eine erneute – beurteilungsfehlerfreie – Entscheidung hat.

A ist mithin klagebefugt und zugleich nach § 42 Abs. 2 VwGO analog antragsbefugt.

d) Richtiger Antragsgegner

Der richtige Antragsgegner ist der Klagegegner in der Hauptsache, welcher sich bei einer Verpflichtungsklage nach § 78 VwGO richtet. Nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gilt das sog. „Rechtsträgerprinzip“, wonach die Klage (bzw. Antrag) gegen den Rechtsträger der Behörde zu richten ist, die den Verwaltungsakt erlassen (bzw. unterlassen) hat. Die Behörde selbst kommt als Klagegegner nur dann in Betracht, wenn ein Landesrecht dies ausdrücklich bestimmt, § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO („Behördenprinzip“). Von dieser Möglichkeit hat das Land Berlin keinen Gebrauch gemacht (s. etwa OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 13.2.2023 – OVG 4 N 32/22, BeckRS 2023, 2047 Rn.7), sodass der Rechtsträger der Kriminalpolizei Berlin, mithin das Land Berlin, der richtige Klage- und zugleich Antragsgegner nach § 78 VwGO ist.

e) Die Beteiligte- und Prozessfähigkeit, §§ 61, 62 VwGO

A ist als natürliche Person nach § 61 Nr. 1 Var. 1 VwGO, das Land Berlin als juristische Person nach § 61 Nr. 1 Var. 2 VwGO beteiligtenfähig.

Die Prozessfähigkeit ergibt sich für A aus ihrer Geschäftsfähigkeit, nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO und für B handelt gem. § 62 Abs. 3 VwGO sein gesetzlicher Vertreter. Aus dem Ressortprinzip, Art. 58 Abs. 5 S. 1 VvB folgt, dass das Land Berlin gerichtlich durch das Mitglied des Senats vertreten wird, dessen Ressort betroffen ist. (Für NRW: Aus dem Ressortprinzip, Art. 55 Abs. 2 LVerfNRW folgt, dass das Land NRW durch den Minister vertreten wird, dessen Ressort betroffen ist.

f) Rechtsschutzbedürfnis

Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn die Klage in der Hauptsache schon offensichtlich unzulässig ist. Dies ist bei der Regelungsanordnung etwa dann der Fall, wenn der Antragssteller keinen Antrag bei der Behörde eingereicht hat. Vorliegend hat A eine Bewerbung auf Zulassung bei B eingereicht und andere Anhaltspunkte, die die offensichtliche Unzulässigkeit der Klage in der Hauptsache begründen würden, sind nicht ersichtlich.

g) Zwischenergebnis

Der Antrag auf einstweilige Anordnung in Form der Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO ist zulässig.

2. Begründetheit

Der Antrag nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO ist begründet, wenn die vorläufige Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder sie aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei genügt es, wenn die Anspruchstellerin die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs (Anordnungsanspruch) und die Gründe, die die Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung bedingen (Anordnungsgrund), glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

a) Vorliegen eines Anordnungsanspruchs

Der Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn ein Erfolg in der Hauptsache im Wege einer summarischen Prüfung überwiegend wahrscheinlich ist. Dabei ist eine in der Hauptsache einschlägige Verpflichtungsklage begründet, soweit die Ablehnung des Verwaltungsaktes (hier: die Zulassung zum Vorbereitungsdienst) rechtswidrig ist und die A dadurch in ihren Rechten verletzt wird.

Hinweis: Für die Begründetheitsprüfung einer Verpflichtungsklage gibt es zwei Aufbaumöglichkeiten: Der Regelfall ist der „Anspruchsaufbau“ (1. AGL, 2. Formelle Voraussetzungen, 3. Materielle Voraussetzungen) und die Ausnahme ist der sog. „Rechtswidrigkeits- bzw. Ablehnungsaufbau“ (Formelle und Materielle Rechtswidrigkeit des abgelehnten Verwaltungsaktes). Das VG Berlin wählte den Rechtswidrigkeitsaufbau, der sich bei der Prüfung von Beurteilungs- und Ermessensspielräumen anbietet. Dieser Aufbau ist jedoch nicht zwingend.

aa) Formelle Rechtswidrigkeit der Ablehnung der Bewerbung

Mangels Anhaltspunkte im Sachverhalt ist von der formellen Rechtmäßigkeit des Bescheids über die Ablehnung der Bewerbung auszugehen.

bb) Materielle Rechtswidrigkeit der Ablehnung der Bewerbung

Fraglich ist, ob der Bescheid der Ablehnung der Bewerbung materiell rechtswidrig ist.

(1) Bestehen eines Beurteilungsspielraums

Bevor die Frage der Rechtswidrigkeit der Ablehnung der Bewerbung erfolgt, muss geklärt werden, inwieweit die behördliche Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Eine gerichtliche Überprüfung könnte aufgrund eines bestehenden Beurteilungsspielraums der Behörde beschränkt sein.

Ein solcher wird insbesondere bei beamtenrechtlichen Beurteilungen angenommen. Vorliegend geht es um die Einstellung in den Vorbereitungsdienst für die Laufbahn des gehobenen Dienstes der Kriminalpolizei. Maßgeblich ist hierfür Art. 33 Abs. 2 GG – konkretisiert in der beamtenrechtlichen Vorschrift des § 9 BeamtStG –, der regelt, dass jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt hat. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass diese Vorschriften keinen unmittelbaren Anspruch auf Begründung eines Beamtenverhältnisses gewähren (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.5.1975 – 2 BvL 13/73, BVerfGE 39, 334; BVerwG, Beschl. v. 6.4.2006 – 2 VR 2.05; VG Berlin Urt. v. 21.6.2023 – 36 K 384/22, BeckRS 2023, 39968 Rn. 23).  Vielmehr wird dem Bewerber ein grundrechtsgleiches Recht darauf vermittelt, dass über seinen Antrag auf Zugang zu öffentlichen Ämtern nur nach Maßgabe seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung ermessensfehlerfrei entschieden wird (VG Berlin, Urteil. v. 21.06.2023 – VG 36 K 384/22, BeckRS 2023, 39968 Rn. 23). Demnach steht die Ernennung eines Bewerbers zum Beamten auf Widerruf im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn, der innerhalb des ihm durch die verfassungsrechtlichen und beamtenrechtlichen Vorschriften gesetzten Rahmens sowohl den Bedarf an Beamten als auch die aus seiner Sicht maßgebenden Eignungs-, Befähigungs- und Leistungskriterien bestimmen kann (VG Berlin, Beschl. 27.2.2025 – VG 26 L 288/24, S. 3, n.V.).

Von diesem Beurteilungsspielraum erfasst ist auch die – vorliegend maßgebliche – Entscheidung, ob die Voraussetzungen eines Einstellungshindernisses aufgrund des äußerlichen Erscheinungsbildes nach § 7 Abs. 1 S. 2 BeamtStG i.V.m. § 34 Abs. 2 BeamtStG vorliegen. Diese Regelungen lauten wie folgt

§ 7 Abs. 1 S. 2 BeamtStG:

In das Beamtenverhältnis darf nicht berufen werden, wer unveränderliche Merkmale des Erscheinungsbilds aufweist, die mit der Erfüllung der Pflichten nach § 34 Absatz 2 nicht vereinbar sind.

§ 34 Abs. 2 BeamtStG

Beamtinnen und Beamte haben bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen (S. 1). Insbesondere das Tragen von […] Tätowierungen im sichtbaren Bereich [kann] eingeschränkt oder untersagt wrden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert (S. 2). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen (S.3).

(2) Beurteilungsfehler

Die Ablehnung der Bewerbung könnte jedoch trotz Beurteilungsspielraum rechtswidrig sein, wenn die Entscheidung beurteilungsfehlerhaft erfolgt ist und mithin die B ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der Eignungsbeurteilung, die ein Akt wertender Erkenntnis ist, der gerichtliche Prüfungsmaßstab dahingehend beschränkt ist, dass lediglich überprüft werden kann, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff verkannt, der Beurteilung einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde gelegt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt hat (VG Berlin, Beschl. 27.2.2025 – VG 26 L 288/24, S. 3, n.V.).

Ein Beurteilungsfehler könnte dahingehend in Betracht kommen, dass die Ablehnung der Bewerbung aufgrund der konkreten Tätowierungen der A unverhältnismäßig ist. Denn bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 2 BeamtStG i.V.m. § 34 Abs. 2 BeamtStG vorliegen ist stets der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (VG Berlin, Beschl. 27.2.2025 – VG 26 L 288/24, S. 4, n.V.).

Hintergrund ist, dass die Untersagung des Tragens bestimmter Tätowierungen in das durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Persönlichkeitsrecht des Bewerbers eingreift (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.2017 – 2 C 25/17 –, juris Rn. 33). Dieser Eingriff reicht auch weiter als derjenige, Dienstkleidung anzulegen und Schmuck vor dem Dienstantritt abzulegen, weil er das auf Dauer angelegte äußere Erscheinungsbild des beim Tragen der Uniform sichtbaren Körperbereichs des Beamten betrifft (BVerwG, Urt. v. 14.5.2020 – 2 C 13.19 –, juris Rn. 11).

Zur Beurteilung, ob eine Ablehnung der Bewerbung auf § 7 Abs. 1 S. 2 BeamtStG i.V.m. § 34 Abs. 2 S. 2 und 3 BeamtStG gestützt werden kann, bedarf mithin einer individuellen Betrachtung der Tätowierung des Bewerbers und ihrer potentiellen Wirkungen im Rahmen der Dienstausübung. Insbesondere bei der Frage, ob die Tätowierungen über das übliche Maß hinausgehen, hat der Dienstherr sich an den Anschauungen zu orientieren, die in der pluralistischen Gesellschaft herrschen und darf sich dabei einem Wandel dieser Anschauungen nicht verschließen. Daher kann er ein gesellschaftlich weitgehend akzeptiertes Aussehen nicht schon deshalb untersagen, weil er es ungeachtet der veränderten Verhältnisse weiterhin für unpassend, unästhetisch oder nicht schicklich hält (OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 8.12. 2022 – 2 B 10974/22 –, juris Rn. 15 m.w.N.).

Nach dem dargelegten Maßstab gelangt das VG Berlin zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen nicht vorliegen und die Entscheidung der B als unverhältnismäßig anzusehen ist. Zur Begründung stützt sich das VG Berlin auf folgende Argumente:

1) Argumente dafür, dass die Tätowierung auf dem Handrücken (wie bei A) nicht über das übliche Maß hinausgehen (§ 34 Abs. 2 S. 3 Hs. 1 BeamtStG):

  • Anerkennung und Verbreitung von Tätowierungen: Bei der Beurteilung der Frage, ob Tätowierungen über das übliche Maß hinausgehen, müsse die heutzutage allgemein große Verbreitung von Tätowierungen beachtet werden. Das VG Berlin nennt eine Statistik des Instituts für Demoskopie Allensbach, die belegt, dass im Jahr 2014 24 % der 16- bis 29-Jährigen eine Tätowierung besaßen. wobei bei Frauen in dieser Altersgruppe der Anteil sogar bei 30 %, in Ostdeutschland (geschlechterübergreifend) bei 41 % lag (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.2017 – 2 C 25/17 –, juris Rn. 50). Zudem geht das VG Berlin davon aus, dass die Verbreitung der Tätowierungen – auch im sichtbaren Bereich – zugenommen haben.
  • Größe der Tätowierung: Zwar sei es richtig – wie von B vorgetragen – dass die Tätowierungen einen Großteil des Handrückens bedecken, jedoch im Verhältnis zum Körper nicht von einer derart großen Tätowierung gesprochen werden kann.
  • Keine außergewöhnlichen Motive: Bei den Motiven (Rosenblüten, Namenszüge, Zahl, Armband) handelt es sich nicht um außergewöhnliche Motive, sondern diesen seien weit verbreitet.

2) Argumente dafür, dass die Tätowierungen der A trotz ihrer Sichtbarkeit im vorliegenden Einzelfall nicht geeignet ist, ihre amtliche Funktion im angestrebten Amt als Polizeibeamtin in den Hintergrund zu drängen (§ 34 Abs. 2 S. 3 Hs. 2 BeamtStG):

  • ZWAR überwiegende Sichtbarkeit: Die Tätowierungen auf dem Handrücken sind nicht nur bei einem unmittelbaren Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern erkennbar, sondern bereits aus einiger Entfernung.
  • ABER keine Anhaltspunkte für eine gesteigerte Aufmerksamkeit auf die Tätowierungen: Aufgrund der klaren Erkennbarkeit und unkritischen Inhalte der Motive, ist nicht zu befürchten, dass Bürgerinnen und Bürger eine Interpretation bzw. Projektion der persönlichen Überzeugung der A als Privatperson vornehmen.
    • Namenszüge: Es entsteht der Eindruck, dass es sich um Namen von der A nahestehenden Personen handelt, ohne dass dies dazu führen könnte, dass die amtliche Funktion in den Hintergrund gedrängt wird
  • Gesellschaftliche Akzeptanz, insb. am Standort Berlin
    • Eine negative Bewertung der Tätowierungen von lebensälteren Bürgerinnen und Bürgern sei aufgrund der harmlosen Motive und der zunehmenden Verbreitung von Tätowierungen – insb. am Standort Berlin – nicht zu befürchten und könne keinen Rückschluss dahingehend begründen, dass die amtliche Funktion in den Hintergrund gedrückt werden würde.

Folglich überschreitet die B bei der Entscheidung, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 2 BeamtStG i.V.m. § 34 Abs. 2 BeamtStG vorliegen und mithin zu einer Ablehnung der Bewerbung führen, ihren Beurteilungsspielraum, da diese unzureichend den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt.

(3) Zwischenergebnis

Folglich ist die Ablehnung der Bewerbung rechtswidrig und verletzt die A in ihren Rechten.

cc) Spruchreife/Anspruchsinhalt

Dadurch, dass sich aus Art. 33 Abs. 2 GG kein unmittelbarer Anspruch auf Begründung eines Beamtenverhältnisses herleiten lässt, sondern vielmehr dem Bewerber ein grundrechtsgleiches Recht darauf vermittelt, dass über seinen Antrag auf Zugang zu öffentlichen Ämtern nach Maßgabe seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung beurteilungsfehlerfrei entschieden wird, ist die Sache noch nicht spruchreif. Eine Ermessensreduzierung auf Null liegt auch nicht vor, da die A bereits im Rahmen des Auswahlverfahrens angegeben hat, dass sie beabsichtige, sich im Dezember 2024 eine weitere Tätowierung stechen zu lassen, dessen Begutachtung von den Behörden noch aussteht. Folge ist nach § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO, dass das Gericht die Behörde verpflichtet unter Beachtung ihrer Rechtsauffassung neu über den Antrag zu bescheiden (sog. „Bescheidungsurteil“). Dabei ist es unerheblich, dass die Neubescheidung nicht von A beantragt wurde, da diese vielmehr als „Minus“ im Antrag zum Vornahmebegehren enthalten ist (Wysk/Bamberger, 4. Aufl. 2025, § 113 VwGO Rn. 105; ebenfalls als „Minus“ zum Antrag bezeichnend: VG Berlin, Beschl. v. 27.2.2025 – VG 26 L 288/24, S. 7, n.V.). Eine vorläufige Neubescheidung ist auch zeitlich vor dem Einstellungstermin (1.4.2025) noch möglich, sodass eine Verpflichtung der Behörde zur vorläufigen Einstellung der A nicht aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist (s. zu einer Konstellation, in der die Neubescheidung zeitlich nicht mehr möglich war: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.9.2022 – OVG 4 S 29/22, S. 5) (VG Berlin, Beschl. v. 27.2.2025 – VG 26 L 288/24, S. 7, n.V.).

dd) Zwischenergebnis

Folglich hat die Verpflichtungsklage in der Hauptsache mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg. Ein Anordnungsanspruch kann mithin glaubhaft gemacht werden.

b) Anordnungsgrund

Neben einem Anordnungsanspruch muss ebenfalls ein Anordnungsgrund vorliegen. Dieser ist im Rahmen einer Regelungsanordnung gegeben, wenn die Anordnung nötig ist, um wesentliche Nachteile für A abzuwenden oder drohende Gefahren zu verhindern. Vorliegend würde ein Abwarten des Hauptsachverfahrens bedeuten, dass A nicht zum zeitnahen Einstellungstermin (1.4.2025) eingestellt wird und mithin eine erhebliche, mit ihren Rechten aus Art. 12 GG, Art. 33 Abs. 2 GG nicht vereinbare Ausbildungsverzögerung in Kauf nehmen müsste. Folglich ist die einstweilige Anordnung nötig, um wesentliche Nachteile, die in Form der Ausbildungsverzögerung entstehen würden, erforderlich und mithin Anordnungsgrund gegeben.

c) Keine Vorwegnahme und Überschreitung der Hauptsache

Mit der Verpflichtung, dass B lediglich über die Zulassung zum Vorbereitungsdienst der A erneut entscheiden muss, wird weder die Hauptsache vorweggenommen, noch diese überschritten.

d) Zwischenergebnis Begründetheit

Folglich ist der Antrag nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO begründet.

3. Endergebnis

Der Antrag nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO ist sowohl zulässig als auch begründet.

03.06.2025/0 Kommentare/von Miriam Hörnchen
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Miriam Hörnchen https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Miriam Hörnchen2025-06-03 08:45:032025-06-06 10:50:46Tätowierungen als Einstellungshindernis im Polizeidienst?
Dr. Yannik Beden, M.A.

Verwaltungsrecht / Verwaltungsprozessrecht: Die 15 wichtigsten Definitionen für Klausur und Examen

Für die ersten Semester, Lerntipps, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes

Wer das juristische Studium erfolgreich absolvieren will, muss Zusammenhänge verstehen und auch für Unbekanntes praktikable Lösungsansätze entwickeln können. Bloßes Auswendiglernen führt nicht zum Ziel. Trotzdem gilt, dass einige wesentliche Begrifflichkeiten in fast jedem Rechtsgebiet bekannt sein sollten – nicht zuletzt, um in der Klausur wertvolle Zeit einzusparen. Für die Klausur im Öffentlichen Recht ist eine überschaubare Anzahl an Begriffen, die jeder ambitionierte Student und Examenskandidat im Handumdrehen schnell abrufen können sollte, zu beherrschen. Die nachstehende Auflistung enthält diejenigen Definitionen, die für die Klausur im Verwaltungsrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht notwendig sind. Wer diese beherrscht, ist für den Ernstfall bestens gewappnet:
(1) Öffentlich-rechtliche Streitigkeit
Nach der modifizierten Subjektstheorie liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor, wenn die streitentscheidende Norm dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist. Eine Norm ist dann öffentlich-rechtlicher Natur, wenn sie einen Träger öffentlicher Gewalt in seiner Funktion als solcher in jedem Anwendungsfall berechtigt oder verpflichtet.
(2) Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art
Eine Streitigkeit ist jedenfalls dann nichtverfassungsrechtlicher Art, wenn die Streitbeteiligten nicht unmittelbar am Verfassungsleben teilnehmen und auch im Wesentlichen nicht um die Anwendung oder Auslegung von Verfassungsrecht gestritten wird (sog. doppelte Verfassungsunmittelbarkeit)
(3) Klagebefugnis Anfechtungsklage
Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist die Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt zu sein. Die Rechtsverletzung muss tatsächlich möglich erscheinen (sog. Möglichkeitstheorie). Eine Rechtsverletzung kommt insbesondere bei einem Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts in Betracht (sog. Adressatentheorie), wobei im Einzelfall stets zu begründen ist, weshalb der Verwaltungsakt möglicherweise rechtswidrig sein und den Adressaten in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzen könnte.  
(4) Klagebefugnis Verpflichtungsklage
Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist die Verpflichtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsaktes in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt zu sein. Das ist der Fall, wenn der Kläger möglicherweise einen Anspruch auf Erlass des begehrten Verwaltungsaktes hat, der Anspruch also nicht offensichtlich ausgeschlossen ist.
(5) Feststellungsfähiges Rechtsverhältnis i.S.v. § 43 Abs. 1 VwGO
Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt auf Grund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft deren eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht.
(6) Feststellungsinteresse
Der Kläger muss ein berechtigtes Interesse an einer baldigen Feststellung des Rechtsverhältnisses haben. Ein berechtigtes Interesse kann dabei jedes als schutzwürdig anzuerkennende Interesse, insbesondere rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art sein.
(7) Fortsetzungsfeststellungsinteresse
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nur zulässig, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts hat. Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position des Klägers in den genannten Bereichen zu verbessern. Anerkannt ist ein solches Interesse jedenfalls für folgende Fälle: (1) Konkrete Wiederholungsgefahr, (2) Rehabilitationsinteresse, (3) präjudizielle Wirkung einer Feststellung und (4) tiefgreifende Grundrechtseingriffe.
(8) Erledigung eines Verwaltungsakts
Nach § 43 Abs. 2 VwVfG bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Er verliert folglich seine Wirksamkeit, wenn eine der in § 43 Abs. 2 VwVfG genannten Voraussetzungen eingetreten ist. Die Erledigung eines Verwaltungsaktes tritt erst ein, wenn dieser nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist.
(9) Subsidiarität i.S.v. § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO
Die Feststellung eines Rechtsverhältnisses kann gem. § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Die Feststellungsklage ist demnach insbesondere gegenüber der Anfechtungs-, Verpflichtungs- und allgemeinen Leistungsklage subsidiär.
(10) Rechtsschutzbedürfnis
Das Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses folgt dem allgemeinen Grundsatz, dass die begehrte Leistung bzw. Handlung zunächst bei der Behörde zu beantragen ist. Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt insbesondere, wenn der Kläger sein Ziel einfacher als durch Klageerhebung erreichen kann, die Klage keinen anzuerkennenden Zweck verfolgt, missbräuchlich ist oder der Kläger sein Klagerecht verwirkt hat.
(11) Sicherungsanordnung
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO ist statthaft, wenn der Antragsteller die vorläufige Sicherung eines von ihm behaupteten Rechts gegenüber einer drohenden tatsächlichen oder rechtlichen Änderung eines bereits bestehenden Zustands begehrt.
(12) Regelungsanordnung
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO ist statthaft, wenn der Antragsteller die vorläufige Erweiterung seines Rechtskreises begehrt, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder ein solche Regelung aus anderen Gründen nötig erscheint.
(13) Anordnungsanspruch
Der Anordnungsanspruch im Verfahren nach § 123 VwGO bezieht sich auf den materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird. Der Anordnungsanspruch entspricht folglich dem materiell-rechtlichen Anspruch, der im Hauptsacheverfahren geltend gemacht wird. Dies gilt sowohl für die Sicherungs- als auch Regelungsanordnung.
(14) Anordnungsgrund
Der Anordnungsgrund betrifft den Umstand, aus dem sich die Eilbedürftigkeit des Antragstellers ergibt, dieser mithin nicht bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren abwarten kann. Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.
(15) Objektive Klagehäufung
Nach § 44 VwGO können vom Kläger mehrere Klagebegehren in einer Klage zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist. Mehrere Klagebegehren liegen vor, wenn mehrere selbständige prozessuale Ansprüche in Rede stehen, mithin unterschiedliche Streitgegenstände in einer Klage adressiert werden.
 
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26.11.2020/0 Kommentare/von Dr. Yannik Beden, M.A.
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Dr. Maike Flink

BVerwG: Kein Anspruch auf Befreiung von der Motorrad-Helmpflicht aus religiösen Gründen

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

In seinem Urteil vom 4. Juli 2019  (Az.: 3 C 24.17) hat sich das BVerwG mit der höchst klausurrelevanten Frage beschäftigt, ob religiöse Gründe einen Anspruch auf eine Befreiung von der Schutzhelmpflicht im Straßenverkehr begründen können. Insofern werden Probleme aus dem Verwaltungs- und dem Verfassungsrecht kombiniert, sodass sich die Entscheidung hervorragend insbesondere für Examensklausuren, aber auch für die mündliche Prüfung eignet.
 I. Sachverhalt
K hat zwar ein Auto und verfügt auch über eine entsprechende Fahrerlaubnis, er fährt aber auch regelmäßig Motorrad, wobei er gem. § 21a Abs. 2 S. 1 StVO verpflichtet ist, einen Schutzhelm zu tragen. Allerdings ist K auch praktizierender Sikh. Bestandteil dieser Religion ist es – so führt K aus –, seine Haare zu bewahren, sie niemals zu schneiden und durch einen Turban zusammenzuhalten. Allenfalls zum Schlafen könne der Turban abgenommen werden, jedoch keinesfalls in der Öffentlichkeit. Indem K gezwungen sei, zum Motorradfahren seinen Turban abzunehmen, um stattdessen einen Helm zu tragen, müsse er gegen seine Religion verstoßen. Daher beantragt K bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gem. § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO zur Befreiung von der beim Motorradfahren geltenden Schutzhelmpflicht. Dies lehnt die Straßenverkehrsbehörde ab. K erhebt daraufhin Klage. Er möchte, dass die Straßenverkehrsbehörde zur Erteilung der Ausnahmegenehmigung verpflichtet wird.
 II. Rechtsausführungen
Die Klage des K ist begründet, soweit die Ablehnung oder Unterlassung der Erteilung der Ausnahmegenehmigung rechtswidrig und der K dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Dies ist der Fall, wenn K einen Anspruch auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung hat.
1. Anspruchsgrundlage
Dazu müsste K sein Begehren auf eine Anspruchsgrundlage stützen können. Gemäß § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO kann die Straßenverkehrsbehörde im Einzelfall eine Ausnahme von der Pflicht zum Tragen von Schutzhelmen gem. § 21a StVO genehmigen. K kann sein Begehren damit auf eine taugliche Anspruchsgrundlage stützen.
 2. Formelle Anspruchsvoraussetzungen
K hat auch einen Antrag auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde gestellt. Die formellen Anspruchsvoraussetzungen liegen vor.
3. Materielle Anspruchsvoraussetzungen
Zudem müssten auch die materiellen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. 
a) Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen
Dazu müssten zunächst die Tatbestandsvoraussetzungen des § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO erfüllt sein. Die Norm bestimmt indes allein, dass die Straßenverkehrsbehörden im Einzelfall Ausnahmen von der Schutzhelmpflicht genehmigen können, ohne dies an besondere Voraussetzungen zu knüpfen. Ziel der Norm ist es, besonderen Ausnahmesituationen Rechnung zu tragen, in denen bei strikter Anwendung der Schutzhelmpflicht eine unbillige Härte für den Betroffenen entstehen würde. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, einen Motorradhelm zu tragen. Möglich erscheint es allerdings auch, eine derartige Ausnahmesituation anzunehmen, wenn der Betroffene aus religiösen Gründen gehindert ist, einen Schutzhelm aufzusetzen. Denn befolgt der Betroffene seine von ihm als verbindlich empfundenen Bekleidungsvorschriften, die das Tragen eines Schutzhelms unmöglich machen, so müsste er auf das Motorradfahren verzichten und wäre damit zumindest mittelbar in seiner Religionsfreiheit beeinträchtigt. Eine unbillige Härte liegt mithin wegen der eintretenden Grundrechtsbeeinträchtigung auch in einem solchen Fall vor. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO sind damit erfüllt.
b) Rechtsfolgen
Fraglich ist allerdings, welche Rechtsfolge dies nach sich zieht. § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO bestimmt, dass die Straßenverkehrsbehörden eine Ausnahme von der Schutzhelmpflicht genehmigen können, es handelt sich mithin um eine Ermessensentscheidung. Der Betroffene hat dabei grundsätzlich lediglich einen Anspruch darauf, dass diese Entscheidung ermessensfehlerfrei erfolgt. In Betracht kommt allerdings eine Ermessensreduzierung auf Null, die letztlich einen Anspruch des Betroffenen auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung begründet. Eine Ermessensreduzierung auf Null setzt dabei voraus, dass der Ermessensspielraum der Verwaltung aufgrund besonderer Umstände so weit reduziert ist, dass alle Entscheidungen – mit Ausnahme der durch den Betroffenen begehrten – ermessensfehlerhaft wären. Solche besonderen Umstände könnten sich vorliegend daraus ergeben, dass dem Betroffenen der Verzicht auf das Motorradfahren nicht zugemutet werden kann.  K hat allerdings auch ein Auto und verfügt über eine entsprechende Fahrerlaubnis.  Er ist damit nicht zwingend auf die Nutzung des Motorrads angewiesen, sodass nicht davon auszugehen ist, dass ihm ein Verzicht auf das Motorradfahren nicht zugemutet werden kann. Eine Ermessensreduzierung auf Null kommt mithin nicht in Betracht.
Allerdings müsste die Entscheidung der Behörde, die Erteilung der beantragten Genehmigung abzulehnen, dennoch ermessensfehlerfrei sein. Dies wäre indes nur dann der Fall, wenn die Entscheidung nicht gegen die Religionsfreiheit des K gem. Art. 4 Abs. 1, 2 GG verstößt. Die Religionsfreiheit ist vorbehaltslos gewährleistet, sodass Einschränkungen nur zum Schutz kollidierenden Verfassungsrechts, d.h. zum Schutz von Grundrechten Dritter oder Gemeinschaftswerten mit Verfassungsrang zulässig sind. Dazu führt das BVerwG aus:
„Die in § 21a Abs. 2 Satz 1 StVO angeordnete Verpflichtung, beim Motorradfahren einen Schutzhelm zu tragen, soll dazu beitragen, die Folgen von Kraftradunfällen zu mindern und die Verkehrssicherheit auf öffentlichen Straßen zu erhöhen (Amtliche Begründung, VkBl. 1975, 667 <676>). Die Vorschrift dient zwar primär dem Schutz des Motorradfahrers und seiner Mitfahrer vor schweren Kopfverletzungen. Sie hat aber auch den Schutz der Allgemeinheit im Blick und soll Gefährdungen anderer Unfallbeteiligter oder Dritter vermeiden.“
Denn ein Motorradfahrer wird nach einem Unfall eher in der Lage sein, Gefahren für Leib und Leben anderer Personen abzuwenden, wenn er selbst – gerade weil er einen Helm getragen hat – weniger schwer verletzt ist. Die Schutzhelmpflicht dient damit dem Schutz von Leib und Leben, die ihrerseits durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützt sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass er Erste Hilfe leisten oder einen Notarzt rufen kann steigt, wenn er einen Schutzhelm trägt. Außerdem kann er besser dazu beitragen, weitere Schäden zu vermeiden, indem er die Unfallstelle z.B. durch das Aufstellen eines Warndreiecks absichert.
Dies ist auch von der Reichweite des Art. 2 Abs. 2 S. 1 gedeckt:
„Es ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt, in Ausübung seiner Schutzpflicht schon die Entstehung von Gefährdungslagen zu bekämpfen und auf eine Risikominimierung hinzuwirken. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährt nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in das Leben oder die körperliche Unversehrtheit; das Grundrecht stellt zugleich eine objektive Wertentscheidung der Verfassung dar, die staatliche Schutzpflichten begründen. Danach hat der Staat die Pflicht, sich schützend und fördernd vor diese Rechtsgüter zu stellen.“
4. Ergebnis
Damit stehen der Religionsfreiheit des K andere, ebenso schutzwürdige Interessen gegenüber. Diese in einen sachgerechten Ausgleich zu bringen, gewährleistet das der Straßenverkehrsbehörde durch § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO eingeräumte Ermessen im Einzelfall. Der Religionsfreiheit kommt damit jedenfalls kein genereller Vorrang zu, die Entscheidung ist mithin nicht bereits aus diesem Grund ermessensfehlerhaft und rechtswidrig. K hat keinen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. Seine Klage ist unbegründet.
III. Fazit
Die Entscheidung des BVerwG macht deutlich, dass fundiertes verfassungsrechtliches Wissen auch im Rahmen verwaltungsrechtlicher Klausuren erhebliche Bedeutung zukommt. Dies sollte Ansporn sein, bereits im Studium besonderes Augenmerk auf die Erlangung solider Kenntnisse in diesem Bereich zu legen das Rechtsgebiet auch in der Examensvorbereitung keinesfalls zu vernachlässigen.
 
 

25.11.2019/1 Kommentar/von Dr. Maike Flink
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maike Flink https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maike Flink2019-11-25 10:00:432019-11-25 10:00:43BVerwG: Kein Anspruch auf Befreiung von der Motorrad-Helmpflicht aus religiösen Gründen

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