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Schlagwortarchiv für: Treu und Glauben

Dr. Melanie Jänsch

BGH: Neues zu Schönheitsreparaturen im Mietrecht

Examensvorbereitung, Lerntipps, Mietrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite

Mit zwei aktuellen Urteilen vom 08.07.2020 (Az.: VIII ZR 163/18 und VIII ZR 270/18) hat sich der BGH abermals zu der extrem klausur- und examensrelevanten Thematik der Pflicht zur Vornahme von Schönheitsreparaturen im Mietrecht geäußert. Konkret hat der BGH festgestellt, dass ein Mieter, dem eine unrenovierte Wohnung als vertragsgemäß überlassen wurde und auf den die Schönheitsreparaturen nicht wirksam abgewälzt wurden, vom Vermieter die Durchführung von Schönheitsreparaturen verlangen kann, wenn eine wesentliche Verschlechterung des Zustands eingetreten ist. Gleichwohl ergibt sich in diesem Fall aus Treu und Glauben gemäß § 242 BGB, dass der Mieter sich an den hierfür anfallenden Kosten regelmäßig hälftig beteiligen muss, wenn die Ausführung der Schönheitsreparaturen zu einer Verbesserung des Zustands – im Vergleich zum Zustand bei Überlassung der Mietsache – führt. Als Dauerbrenner in Schuldrechtsklausuren im Grundstudium, Zivilrechtsübungen im Hauptstudium und Examensklausuren sind sichere Kenntnisse auf dem Gebiet des Mietrechts unerlässlich – eine Auseinandersetzung mit den nachfolgend besprochenen Grundsätzen wird daher dringend empfohlen.
 
A) Sachverhalte und Prozessverläufe (der Pressemitteilung Nr. 90/2020 entnommen)
Die Sachverhalte sind schnell erzählt: Die Kläger des ersten Verfahrens mieteten im Jahr 2002 von der beklagten Vermieterin eine bei Überlassung unrenovierte Wohnung in Berlin. Da sich aus ihrer Sicht der Zustand der Wohnungsdekoration zwischenzeitlich verschlechtert habe, forderten sie die Beklagte im März 2016 vergeblich auf, Tapezier- und Anstricharbeiten gemäß einem beigefügten Kostenvoranschlag ausführen zu lassen. Die auf Zahlung eines entsprechenden Vorschusses in Höhe von (zuletzt) 7.312,78 € gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. In der Begründung verwies das LG Berlin darauf, dass ein Vorschussanspruch aus § 536a Abs. 2 Nr. 1 BGB aus dem Grund nicht bestehe, dass die Mietsache wegen ihres dekorativen Verschleißes nicht mangelhaft i.S.v. § 536 Abs. 1 BGB sei. Da die Schönheitsreparaturklausel im Mietvertrag unwirksam sei, sei der Grundregel des § 535 Abs. 1 S. 2 BGB nach zwar der Vermieter zur Instandhaltung verpflichtet. Auch sei anzunehmen, dass sich der Zustand der Wohnungsdekoration nach einer Mietzeit von 14 Jahren im Vergleich zum (unrenovierten) Anfangszustand weiter verschlechtert habe. Jedoch hätten die Kläger diesen Zustand als vertragsgemäß akzeptiert, so dass ein Anspruch auf Vornahme von Renovierungsarbeiten gegen den Vermieter von vorne herein ausscheide, zumal dadurch eine deutlich über den vertragsgemäß geschuldeten Zustand der Wohnung hinausgehende Verbesserung erzielt würde, welche die Beklagte nicht schulde. Ein Anspruch des Mieters auf ein Tätigwerden des Vermieters bestehe nur dann, wenn die Wohnung zwischenzeitlich „verkommen“ und „Substanzschäden“ vorzubeugen sei – wofür im konkreten Fall nichts ersichtlich sei.
Ähnlich stellte sich der Sachverhalt im zweiten Verfahren dar: Hier begehrte der Mieter die Verurteilung der Vermieterin zur Vornahme konkret bezeichneter Schönheitsreparaturen. Die Wohnung war ihm bei Mietbeginn im Jahr 1992 von der Rechtsvorgängerin der Vermieterin ebenfalls unrenoviert überlassen worden. Im Dezember 2015 forderte er die Vermieterin vergeblich auf, die aus seiner Sicht zur Beseitigung des mangelhaften Renovierungszustands erforderlichen Malerarbeiten in der Wohnung auszuführen. Die Klage hatte – im Gegensatz zum ersten Verfahren – in den Vorinstanzen Erfolg. Das LG Berlin begründete seine Entscheidung damit, dass sich die Erhaltungspflicht des Vermieters zwar nach dem Zustand der Mietsache bei Vertragsschluss bestimme, wonach er im Falle einer unrenoviert überlassenen Wohnung lediglich dazu verpflichtet wäre, nach weiterem Verschleiß den Ursprungszustand wiederherzustellen. Indes sei in Fällen wie dem vorliegenden nicht anzunehmen, dass es sich bei dem unrenovierten Ursprungszustand um den „vertragsgemäßen“ Zustand handle. Vielmehr müsse sich ein Vermieter an dem im Mietvertrag aufgeführten – wenn auch unwirksamen – „Renovierungsprogramm“, wonach der Mieter zur regelmäßigen Ausführung von Schönheitsreparaturen verpflichtet sei, festhalten lassen.
 
B) Die Entscheidung des BGH
Der BGH hat in beiden Fällen das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Denn: Im Ausgangspunkt könne ein Mieter vom Vermieter grundsätzlich die Durchführung von Schönheitsreparaturen verlangen, wenn eine wesentliche Verschlechterung des Dekorationszustandes eingetreten sei. Jedoch müsse er sich in einem solchen Fall nach Treu und Glauben an den hierfür anfallenden Kosten beteiligen, wenn die Ausführung der Renovierungsarbeiten zu einem besseren Zustand als zu Mietbeginn führe. Doch der Reihe nach:
 
I. Voraussetzungen einer wirksamen Abwälzung von Schönheitsreparaturen auf den Mieter
Zunächst hat der BGH unter Verweis auf zwei Entscheidungen aus dem Jahre 2015 und 2018 seine Rechtsprechung bestätigt, wonach die Übertragung von Schönheitsreparaturen in einem Formularmietvertrag unwirksam ist, wenn die Wohnung unrenoviert überlassen wird und dem Mieter hierfür kein angemessener finanzieller Ausgleich gewährt wird (s. BGH, Urt. v. 18.03.2015 – VIII ZR 185/14, Rn. 15, 35; Urt. v. 22.08.2018 – VIII ZR 277/16). Wirksam kann eine Klausel, die die Pflicht zur Durchführung von Schönheitsreparaturen auf den Mieter überträgt, bei einer unrenoviert überlassenen Wohnung also nur dann sein, wenn dieser Nachteil durch einen angemessenen Ausgleich kompensiert wird – wenn er etwa bei der Bemessung der Miethöhe Berücksichtigung findet. Mangels entsprechenden Ausgleichs in den hier vorliegenden Fällen ist die Klausel jedoch unwirksam, sodass an ihre Stelle gemäß § 306 Abs. 1, Abs. 2 BGB die gesetzlichen Vorschriften treten. Konkret bedeutet das, dass nach der Grundregel des § 535 Abs. 1 S. 2 BGB dem Vermieter die Erhaltungspflicht obliegt. Ein anderes Ergebnis kann auch aus zweierlei Gründen nicht durch einen Rückgriff auf das Institut der ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB erreicht werden: Zwar ist anerkannt, dass eine Lücke, die sich durch den Wegfall einer unwirksamen Klausel gemäß § 306 Abs. 1 BGB ergeben kann, grundsätzlich auch im Wege ergänzender Vertragsauslegung geschlos­sen werden kann (s. hierzu beispielhaft BGH, Urt. v. 03.12.2015 – VII ZR 100/15, NJW 2016, 401, 402 f., Rn. 29; Urt. v. 01.02.1984 – VIII ZR 54/83, NJW 1984, 1177 ff.). Die ergänzende Vertragsauslegung erfordert aber unbestritten die Berücksichtigung beider Interessenlagen, sodass schon deshalb nicht das einseitig im Interesse des Vermieters stehende Ergebnis, der gesetzlichen normierten Verpflichtung zur Instandhaltung zu entgehen, erreicht werden kann. Insbesondere aber kann erst dann auf das Institut der ergänzenden Vertragsauslegung zurückgegriffen werden, wenn konkrete gesetzliche Regelungen zur Schließung der Lücke fehlen. Hier besteht aber mit § 535 Abs. 1 S. 2 BGB ohne Zweifel eine gesetzliche Vorschrift, die an die Stelle der unwirksamen Klausel treten kann.
 
Anmerkung: Lesenswert in Bezug auf die Anforderungen an eine wirksame Schönheitsreparaturklausel ist insbesondere das Urteil des BGH vom 18.03.2015 (Az.: VIII ZR 185/14), in dem der BGH in Kehrtwende zu seiner bisherigen Rechtsprechungslinie (hierzu BGH, Beschl. v. 01.07.1987, Az.: VIII ARZ 9/86) entschieden hat, dass die formularvertragliche Überwälzung der Verpflichtung zur Vornahme laufender Schönheitsreparaturen einer dem Mieter unrenoviert oder renovierungsbedürftig überlassenen Wohnung der Inhaltskontrolle am Maßstab des § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht standhält, sofern der Vermieter dem Mieter keinen angemessenen Ausgleich gewährt. Denn eine solche Klausel erlege dem Mieter die Verpflichtung zur Beseitigung sämtlicher Gebrauchsspuren des Vormieters auf und führe bei kundenfeindlichster Auslegung dazu, dass der Mieter die Wohnung vorzeitig renovieren oder sogar in einem besseren Zustand zurückgeben müsste, als er sie selbst vom Vermieter erhalten habe.
 
II. Grundsätzlich keine uneingeschränkte Renovierungspflicht des Vermieters bei unrenoviert überlassener Wohnung
Dennoch müsse sich der Vermieter nach der Ansicht des BGH nicht an dem im Mietvertrag aufgeführten – unwirksamen – Vorgaben für die Ausführung der Schönheitsreparaturen festhalten lassen, wie es in der Berufung teilweise vertreten wurde. Im Gegenteil treffe ihn gerade keine Pflicht zur uneingeschränkten Renovierung ohne Rücksicht auf den unrenovierten Zustand bei Mietbeginn. Denn – so ausdrücklich der BGH –

„Ausgangspunkt der den Vermieter treffenden Erhaltungspflicht ist grundsätzlich der Zustand der Wohnung im Zeitpunkt ihrer Überlassung an die jeweiligen Mieter, vorliegend nach der Verkehrsanschauung mithin der unrenovierte Zustand, in dem sie sie die Wohnung besichtigt und angemietet haben, ohne dass Vereinbarungen über vom Vermieter noch auszuführende Arbeiten getroffen wurden.“

Auch wenn der unrenovierte Zustand als „vertragsgemäß“ maßgeblich sei, seien Instandhaltungsansprüche der Mieter freilich nicht von vornherein ausgeschlossen. Den Vermieter treffe vielmehr dann eine Instandhaltungspflicht, wenn sich der anfängliche Zustand wesentlich verschlechtert habe. Bei einem längeren Mietverhältnis – wie in den vorliegenden Fällen bei einer Mietdauer von 14 bzw. 25 Jahren – sei dies sogar regelmäßig anzunehmen. Kurzum: Nach diesen Maßstäben muss der Vermieter bei wesentlicher Verschlechterung den Zustand wieder auf den (unrenovierten) Zustand, der bei Beginn des Mietverhältnisses, vorlag, zurückführen.
 
III. Aus Gründen der Praktikabilität aber uneingeschränkte Renovierung unter finanzieller Beteiligung des Mieters sachgerecht
Wie aber soll der Vermieter die Wohnung wieder in den unrenovierten Dekorationszustand zurückversetzen, den sie bei der Überlassung an den Mieter aufwies? Dass dieser Ansatz in praktischer Hinsicht Schwächen aufweist, hat auch der BGH gesehen:

„Allerdings ist die Wiederherstellung des (vertragsgemäßen) Anfangszustandes in der Regel nicht praktikabel, zumindest aber wirtschaftlich nicht sinnvoll und liegt auch nicht im Interesse vernünftiger Mietvertragsparteien. Vielmehr ist allein eine Durchführung von Schönheitsreparaturen sach- und interessengerecht, durch die der Vermieter die Wohnung in einen frisch renovierten Zustand versetzt. Da hierdurch auch die Gebrauchsspuren aus der Zeit vor dem gegenwärtigen Mietverhältnis beseitigt werden und der Mieter nach Durchführung der Schönheitsreparaturen eine Wohnung mit einem besserem als dem vertragsgemäßen Zustand bei Mietbeginn erhält, gebietet es der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), die jeweiligen Interessen der Vertragspartner in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Vor diesem Hintergrund hat der Senat entschieden, dass der Mieter in derartigen Fällen zwar einerseits vom Vermieter eine „frische“ Renovierung verlangen kann, sich aber andererseits in angemessenem Umfang an den dafür erforderlichen Kosten zu beteiligen hat. Soweit nicht Besonderheiten vorliegen, wird dies regelmäßig eine hälftige Kostenbeteiligung bedeuten.“

Letztlich ist damit eine komplette Renovierung seitens des Vermieters bei einem unrenoviert überlassenen Mietobjekt – folgt man strikt den Vorgaben des § 535 Abs. 1 S. 2 BGB – zwar nicht geschuldet; da eine Rückführung auf den Zustand bei Mietbeginn aber regelmäßig unpraktikabel und nicht interessengerecht ist, kann der Mieter sie aber trotzdem verlangen – und muss sich in angemessenem Umfang an den hierfür anfallenden Kosten beteiligen. Begehrt der Mieter die Vornahme der Schönheitsreparaturen durch den Vermieter, so kann der Vermieter die Kostenbeteiligung des Mieters „nach Art eines Zurückbehaltungsrechts“ einwenden. Verlangt der Mieter von dem mit der Durchführung der Arbeiten in Verzug geratenen Vermieter die Zahlung eines Kostenvorschusses, führt die angemessene Kostenbeteiligung zu einem entsprechenden Abzug von den voraussichtlichen Kosten. 
 
C) Fazit
Kurz zusammengefasst: Findet sich im Mietvertrag gar keine Schönheitsreparaturregelung oder ist eine solche unwirksam, gilt die Grundregel des § 535 Abs. 1 S. 2 BGB, wonach dem Vermieter die Pflicht zur Instandhaltung obliegt. Wurde die Wohnung unrenoviert überlassen, bedeutet das aber nach der Auffassung des BGH nicht, dass der Vermieter eine „frische“ Renovierung vornehmen muss, die den Zustand gegenüber dem Anfangszustand verbessern würde. Maßgeblich ist vielmehr der Zustand im Zeitpunkt der Überlassung; unrenoviert ist damit „vertragsgemäß“. Nach diesen Maßstäben müsste der Vermieter bei wesentlicher Verschlechterung den Zustand streng genommen wieder auf den (unrenovierten) Anfangszustand zurückführen. Da dies aber weder praktikabel noch interessengerecht ist, kann der Mieter eine uneingeschränkte Renovierung verlangen, muss sich aber – da er nach Durchführung der Schönheitsreparaturen eine Wohnung mit einem besserem als dem vertragsgemäßen Zustand bei Mietbeginn erhält – nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB in angemessenem Umfang, regelmäßig zur Hälfte, an den anfallenden Kosten beteiligen. Interessengerecht ist das. Das Ergebnis überzeugt mit Blick auf die Praxis – wenn man auch in dogmatischer Hinsicht die Stirn runzeln muss.

13.07.2020/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-07-13 08:35:282020-07-13 08:35:28BGH: Neues zu Schönheitsreparaturen im Mietrecht
Dr. Sabine Vianden

BGH: Zurückbehaltungsrecht auch bei Bagatellschäden

Rechtsprechung, Schuldrecht, Startseite

Kleiner Lackschaden – (k)ein Grund zur Aufregung? Liefert der Verkäufer dem Käufer eine mangelhafte Sache, so steht dem Käufer ein Zurückbehaltungsrecht zu. Dass dies auch dann gilt, wenn es sich bei dem Mangel nur um einen geringfügigen sog. „Bagatellschaden“ handelt, hat der BGH in einer kürzlich ergangenen Entscheidung klargestellt (BGH v. 26.10.2016 – VIII ZR 211/15).
I. Sachverhalt
Der Beklagte bestellte im Jahr 2013 bei der Klägerin ein Neufahrzeug der Marke Fiat. Dabei wurde auch die kostenfreie Auslieferung des Fahrzeugs an die Wohnadresse des Käufers. Das klagende Autohaus beauftragte daraufhin eine externe Spedition mit der Auslieferung des Fahrzeugs. Bei der Anlieferung fiel jedoch ein Lackschaden an der Fahrertür auf. Die Spedition vermerkte deshalb in ihrem Lieferschein: „Kleine Delle Fahrertür, Kosten für Ausbesserung werden von… (der Klägerin)… übernommen.“ Der Beklagte gab sich damit jedoch nicht zufrieden und erklärte noch am gleichen Tag der Beklagte, dass er das Fahrzeug „zurückweise“ und den Kaufpreis nicht freigebe. Das Autohaus verlangte aber vollständige Kaufpreiszahlung, da es sich ja nur um einen „Bagatellschaden“ handle. Der Beklagte holte daraufhin den Kostenvoranschlag eines Autolackierbetriebes in Höhe von 528,30 € ein und übersandte diesen an die Klägerin, wobei er Kostenübernahme verlangte. Diese war jedoch, bei Vorlage des Originals der Reparaturrechnung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, nur bereit maximal 300 € übernehmen.
Schließlich  holte die Klägerin das Fahrzeug im August 2013 beim Beklagten ab und lieferte das Fahrzeug im Oktober 2013, nach Behebung des Schadens, wieder an den Beklagten aus, der im Anschluss auch den gesamten Kaufpreis zahlte. Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage Ersatz von Transportkosten für die Rückholung und Wiederauslieferung des Fahrzeugs, sowie“ Standgeld“ und Verzugszinsen auf den Kaufpreis, insgesamt 1.138,64 €.
Weder vor dem Amtsgericht Wangen im Allgäu (v. 22.5.2014 – 4 C 91/14), noch vor dem Landgericht Ravensburg (v. 25.8.2015 – 1 S 86/14) hatte die Klage Erfolg
II. Die Entscheidung des BGH
Auch vor dem BGH hatte die Klage keinen Erfolg. Dieser entschied, dass der Käufer auch bei – jedenfalls behebbaren – geringfügigen Mängeln grundsätzlich weder den Kaufpreis zahlen noch die Kaufsache abnehmen muss, bevor der Mangel beseitigt ist.
1. Zurückbehaltungsrecht besteht
In seiner Pressemitteilung vom 26.10.2016 führt der BGH aus, dass sich aus der Pflicht des Verkäufers die Sache dem Käufer frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen, § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB das Recht des Käufers folgt, vom Verkäufer die Beseitigung von Mängeln der Sache zu verlangen. Bis dahin kann der Käufer die Zahlung des (gesamten) Kaufpreises nach § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB und die Abnahme des Fahrzeugs nach § 273 Abs. 1 BGB verweigern. Diese Unterscheidung rührt daher, dass die Einrede des nichterfüllten Vertrages gem. § 320 Abs. 1 S. 1 BGB nur bei den im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Hauptleistungspflichten –  beim Käufer Zahlung des Kaufpreises –  anwendbar ist. Dies ist aber bei der Pflicht zur Abnahme nicht der Fall, es handelt sich regelmäßig nur um eine Nebenpflicht (MüKo/Westermann, 7. Auflage 2016, § 433 BGB Rn. 65). Insofern kommt dann aber das Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 1 BGB in Betracht. Dessen Voraussetzungen liegen hier auch vor. Mit dem Kaufvertrag besteht ein Schuldverhältnis, aus diesem haben sowohl Käufer als auch Verkäufer jeweils eine Forderung gegen die andere Partei. Weiterhin ist die Forderung des Käufers bezüglich der Mängelbeseitigung auch fällig, durchsetzbar und konnex zu der Kaufpreisforderung des Verkäufers.
2. Kein Ausschluss nach Treu und Glauben
Allerdings kam hier aufgrund der Geringfügigkeit des Lackschadens in Betracht, dass die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls (ausnahmsweise) mit Rücksicht auf Treu und Glauben ausgeschlossen sein könnte. In der Pressemitteilung des BGH heißt es dazu:

„Derartige besondere Umstände lagen hier indes nicht vor. Im Gegenteil hatte die Klägerin dem Beklagten zunächst nicht einmal angeboten, selbst für eine ordnungsgemäße Behebung des Lackschadens zu sorgen und so ihrer Erfüllungspflicht als Verkäuferin nachzukommen. Sie hatte sich nämlich lediglich zu einer Übernahme der Reparaturkosten bereit erklärt. Es oblag jedoch nicht dem beklagten Käufer, einen Reparaturauftrag zu erteilen, sondern die Klägerin hatte die Reparatur im Rahmen der Erfüllung ihrer Verkäuferpflichten in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko zu veranlassen. Zudem hat die Klägerin selbst an der (unzureichenden) Bereitschaft zur Übernahme der Kosten nicht uneingeschränkt festgehalten, sondern eine Obergrenze von 300 € gesetzt, so dass den Beklagten das Risiko der Werkstattkosten, einschließlich eines etwaigen unwirtschaftlichen oder unsachgemäßen Arbeitens des Werkstattbetriebes, getroffen hätte. Bei den von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen (Transportkosten, „Standgeld“) handelte es sich im Übrigen um Kosten, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung des Kaufvertrages erforderlich waren und die deshalb ohnehin von ihr als Verkäuferin zu tragen waren.“

Der BGH stellt hier also darauf ab, dass das Verhalten der Klägerin nicht dem Pflichtenprogramm des Kaufrechts, wonach der Verkäufer sich bei Lieferung einer mangelhaften Kaufsache um die Behebung des Mangels kümmern muss, zu vereinbaren ist. Der Käufer darf in jedem Fall die Abnahme der Sache und die Kaufpreiszahlung verweigern, solange der Verkäufer diesen Pflichten nicht nachkommt. Die Geringfügigkeit des konkreten Schadens ist dabei unerheblich. Hinzufügen könnte man noch, dass es auch sonst im Kaufrecht gesondert geregelt ist, wenn die Geringfügigkeit des Schadens der Ausübung eines Rechts entgegen steht, siehe Ausschluss des Rücktrittsrechts, § 323 Abs. 5 S. 2 BGB. In den übrigen Fällen muss es dann dabei bleiben, dass der Verkäufer gem. § 439 Abs. 2 BGB die für die Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen zu tragen hat.
III. Vorgehen in der Klausur und in der mündlichen Prüfung
Bisher liegt nur die Pressemitteilung vor, sodass sich die Ausführungen des BGH auf das Bestehen des Zurückbehaltungsrechts beschränken, ohne beispielsweise die Anspruchsgrundlage, in deren Rahmen zu prüfen ist zu benennen. In der mündlichen Prüfung kommt durchaus in Betracht, dass direkt nach einem Recht des Käufers zur Verweigerung der Zahlung des Kaufpreises gefragt wird. In der Klausur wäre die Prüfung allerdings – je nach Fragestellung – eher an den Schadensersatzansprüchen des klagenden Autohauses aufzuhängen.
Für die Verzugszinsen käme dabei ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB in Betracht. Damit der Käufer jedoch in Verzug kommt, muss zunächst ein fälliger und durchsetzbarer Zahlungsanspruch des Verkäufers bestehen. Als Einrede des nicht erfüllten Vertrages steht § 320 Abs. 1 S. 1 BGB der Durchsetzbarkeit jedoch entgegen. Die weiteren „Schadensposten“, nämlich Ersatz der Transportkosten für die Rückholung und Wiederauslieferung des Fahrzeugs, sowie das „Standgeld“, sind entstanden, weil der Käufer das Fahrzeug nicht abgenommen hat. Die Abnahmepflicht aus § 433 Abs. 2 BGB steht zwar regelmäßig nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis (s.o.), dennoch kann § 273 Abs. 1 S. 1 BGB der Durchsetzbarkeit entgegenstehen.
An dieser Stelle ließe sich auch noch ein weiteres Problem einbauen. Während es bei § 320 Abs. 1 S. 1 BGB unstrittig ist, dass das bloße Vorliegen der Voraussetzungen bereits verzugshemmend wirkt (vgl. MüKo/Emmerich, 7. Auflage 2016, § 320 BGB Rn. 37), ist dies bei § 273 Abs. 1 BGB nicht der Fall. Die Hemmungswirkung der Einrede tritt in diesem Fall erst mit ihrer Geltendmachung durch den Schuldner ein. Erst dann hat der Gläubiger nämlich die Möglichkeit gemäß § 273 Abs. 3 BGB das Leistungsverweigerungsrecht durch Sicherheitsleistung abzuwenden. Beruft sich der Schuldner auf das ihm zustehende Zurückbehaltungsrecht erst nach Eintritt des Verzugs, beseitigt dies den vorherigen Verzug nicht. Macht der Schuldner also – anders als in dem vorliegenden Fall – das Zurückbehaltungsrecht nicht sofort geltend, muss er zumindest teilweise den Verzugsschaden ersetzen.
IV. Fazit
Im Examen gehört Schuldrecht zu den Gebieten, von denen erwartet wird, dass sich jeder Kandidat intensiv mit ihnen beschäftigt hat. Hier ist also Präzision gefragt, um eine gute Note zu erreichen. Das hier besprochene Urteil bietet Anlass sich noch einmal die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der verschiedenen Einreden vor Augen zu führen. Der Fall eignet sich auch deshalb besonders gut für eine Prüfung, weil er sich, wie auch gezeigt, beliebig ausbauen lässt und zudem den klassischen Fall „Mängel an Kraftfahrzeugen“ zum Gegenstand hat.

21.11.2016/0 Kommentare/von Dr. Sabine Vianden
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sabine Vianden https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sabine Vianden2016-11-21 14:00:462016-11-21 14:00:46BGH: Zurückbehaltungsrecht auch bei Bagatellschäden
Tom Stiebert

BGH: (Dingliches) Wohnrecht trotz Tötung des Eigentümers

BGB AT, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Sachenrecht, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Eine juristisch und praktisch äußerst spannende Fragestellung mit hoher juristischer Relevanz für das Erste und Zweite Staatsexamen hat der Bundesgerichtshof am heutigen Tag (BGH v. 11.3.2016 – V ZR 208/15) entschieden. Es geht um die Frage, ob ein dingliches Wohnrecht für den Fall, dass der Berechtigte den bisherigen Eigentümer getötet hat gekündigt werden kann.
Der Fall, der in den häufig vernachlässigten Gefilden der §§ 1018 ff. BGB stattfindet, ermöglicht eine sehr gute Wiederholung der allgemeinen Grundsätze der (Grund)dienstbarkeiten und eignet sich ob der unbekannten Materie, die aber mit allgemeinen juristischen Fähigkeiten gelöst werden kann perfekt für eine Klausur im ersten und erst recht im zweiten Staatsexamen.
I. Folgender Sachverhalt lag zugrunde:

Der Beklagte war zusammen mit seinem Bruder Eigentümer eines Hausgrundstücks in Leipzig. Anfang 1997 übertrug er seinen hälftigen Miteigentumsanteil auf den Bruder, behielt sich aber ein dingliches Wohnungsrecht an der Wohnung im Obergeschoss des Anwesens vor. Beides wurde in das Grundbuch eingetragen. Im Mai 2012 erstach der Beklagte seinen Bruder während eines Streits und wurde wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Erbin des Getöteten und damit Eigentümerin des Grundstücks wurde dessen Mutter. Der Beklagte wurde in einem Zivilrechtsstreit rechtskräftig für erbunwürdig erklärt.

Die frühere Ehefrau des Getöteten wohnt weiterhin auf dem Grundstück. Die Klägerin, die nicht auf dem Grundstück lebt, verlangt von dem Beklagten die – bedingungslose – Zustimmung zur Löschung des Wohnungsrechts.

II. Fraglich ist, ob eine solche Kündigung hier möglich ist.
Dabei sollte in der Klausur zunächst festgestellt werden, dass eine Dienstbarkeit, also ein Recht auf Duldung der Benutzung eines Grundstücks (§ 1018 BGB) bestellt wurde. Hier dürfte wohl der besonders geregelte Fall eines dinglichen Wohnungsrechts als beschränkte persönliche Dienstbarkeit iSd. §§ 1090, 1093 BGB vorliegen. Die Abgrenzung zu § 1018 BGB ist oftmals problematisch (vgl. hierzu MittBayNot 2010, 388).  Als dingliches Recht bedarf es jedenfalls gemäß § 873 BGB der Einigung und Eintragung. Auch hier können bereits Probleme auftreten (bspw. Gutgläubigkeit etc.). Im konkreten Fall war dies aber unproblematisch.
Fraglich ist aber, ob ein Erlöschen dieses Rechts hier möglich ist. Das Gesetz sieht keinen speziellen Kündigungstatbestand vor, sodass ein Erlöschen des dinglichen Rechts nur durch Aufhebung (§ 875 BGB – übereinstimmende Vereinbarung der Parteien), kraft Gesetzes oder durch Hoheitsakt möglich ist. Auch hier können bspw. Probleme im Rahmen der Aufhebung konstruiert werden. Im konkreten Fall liegt weder eine rechtsgeschäftliche Aufhebung noch ein gesetzlicher Erlöschensgrund vor.
Fraglich ist aber, ob sich aus den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ein ungeschriebenes Kündigungsrecht ergeben kann, da der Berechtigte der Grunddienstbarkeit gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB erbunwürdig ist. Ob sich hieraus überhaupt – gegen die mglw. abschließenden gesetzlichen Regelungen – ein Kündigungsrecht ergeben kann, lässt der BGH hier offen, da jedenfalls die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs nicht vorliegen. Der BGH legt dazu dar:

Zwar ist es Personen, die dem Getöteten nahe standen und die weiterhin auf dem mit dem Wohnungsrecht belasteten Grundstück wohnen, im Allgemeinen nicht zumutbar, mit dem Täter unter einem Dach zu leben. Auch in einer solchen Situation kommt ein Anspruch auf Aufgabe des Wohnungsrechts aber nur als letztes Mittel – oder, wie es der österreichische Oberste Gerichtshof formuliert, als „äußerstes Notventil“ – in Betracht, wenn andere zumutbare Wege der Konfliktlösung ausscheiden. Nach deutschem Dienstbarkeitenrecht besteht eine solche Möglichkeit regelmäßig. Der Berechtigte muss nämlich sein dingliches Wohnungsrecht nach § 1020 Satz 1 BGB so ausüben, dass die Interessen des Grundstückseigentümers tunlichst geschont werden. Zu diesen Interessen gehören bei einem dinglichen Wohnungsrecht auch die persönlichen Beziehungen zwischen dem Berechtigten und den Personen, die dem getöteten Grundstückseigentümer nahe standen und weiterhin auf dem Grundstück leben. Wenn diese mit dem Berechtigten wegen der Tat nicht mehr auf dem Grundstück unter einem Dach zusammenleben wollen, muss der Berechtigte dem Rechnung tragen. Dieses Ziel ist aber schon dadurch zu erreichen, dass er die Wohnung nicht mehr selbst nutzt, sondern sie Dritten überlässt, also etwa vermietet. Dazu ist er auf Verlangen des Grundstückseigentümers auch verpflichtet. Diese alternative Möglichkeit der Konfliktlösung schließt einen auf § 242 BGB gestützten Anspruch auf Aufgabe des Wohnungsrechts aus.

Der BGH behilft sich folglich mit einer recht eleganten und vermittelnden Lösung. § 1020 BGB ist gemäß § 1090 Abs. 2 BGB auch bei einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit anwendbar, sodass der Status für die Lösung nicht relevant ist. Der BGH erkennt hier das Interesse des Eigentümers an, nicht mit dem Mörder des Erblassers unter einem Dach leben zu können, bleibt aber weiterhin an den strengen gesetzlichen Regelungen gebunden. Eine Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben darf nur ultima ratio sein. Hier zeigen sich aber gerade mildere Mittel, nämlich bspw. die Vermietung an Dritte. Hierdurch wird den Interessen aller Beteiligter umfassen Rechnung getragen.
III. Fazit
Ein Fall mit sehr hoher Examensrelevanz: Eine Sachverhaltskonstellation aus einem Bereich, der vielen Prüflingen zunächst den Angstschweiß auf die Stirn treiben wird. Zu Unrecht – mit allgemeinem juristischen Handwerkszeug ist der Fall sehr gut lösbar. dabei kann natürlich nicht erwartet werden, dass die Lösung des BGH gekannt oder antizipiert wird. Häufig sehen Sachverhalte im Ersten und erst Recht im zweiten juristischen Staatsexamen aber bereits eine Vorkonturierung der Argumentation vor, die lediglich juristisch zutreffend und nachvollziehbar verwertet werden soll. Gerade für eine solche Konstellation in der juristischen Argumentationsgabe notwendig ist, ist der hier behandelte Fall prädestiniert.
Hinweis: In einer vorherigen Version fehlte der Hinweis auf § 1093 BGB. Wir bitten dies zu entschuldigen. Eine genaue Beantwortung dieser Frage zur Abgrenzung § 1093 BGB zu § 1018 BGB ist – ohne Vorliegen der Entscheidungsgründe aktuell nicht möglich. Für die entscheidendenden Fragen – Kündigungsmöglichkeit; § 242 BGB iVm. 1020 BGB ist dies aber nicht relevant.

11.03.2016/5 Kommentare/von Tom Stiebert
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2016-03-11 15:02:182016-03-11 15:02:18BGH: (Dingliches) Wohnrecht trotz Tötung des Eigentümers
Dr. Maximilian Schmidt

BGH: Neues zur Schwarzarbeit – Kein Rückzahlungsanspruch bei mangelhafter Werkleistung

Bereicherungsrecht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Der BGH hat mit Urteil vom 11.06.2015 – VII ZR 216/14  seine Rechtsprechung zu Rückzahlungsansprüchen bei mangelhafter Werkleistung aus Schwarzarbeit korrigiert – eine Entscheidung, die jedem Examenskandidaten bekannt sein sollte. Darüber hinaus empfehlen wir unseren Grundlagenbeitrag, freilich unter Berücksichtigung der neuen Entscheidungen des BGH zur Schwarzarbeit (BGH v. 01.08.2013 – VII ZR 6/13 und  vom 10.04.2014 – VII ZR 241/13).
I. Sachverhalt (der Pressemitteilung entnommen)

Der Kläger beauftragte den Beklagten 2007 mit der Ausführung von Dachausbauarbeiten. Vereinbart wurde ein Werklohn von 10.000 Euro ohne Umsatzsteuer. Der Beklagte führte die Arbeiten aus und stellte eine Rechnung ohne Steuerausweis. Der Kläger zahlte den geforderten Betrag. Mit der Klage begehrt er jetzt Rückzahlung von 8.300 Euro wegen Mängeln der Werkleistung.

II. Lösung des BGH
Der BGH lehnte einen solchen Rückzahlungsanspruch ab. Zwar kann ein Besteller, der aufgrund eines nichtigen Vertrags Leistungen erbracht hat, von dem Unternehmer grundsätzlich die Herausgabe dieser Leistungen verlangen (§ 812 Abs. 1 S. 1 F. 1 BGB). Doch steht diesem Rückzahlungsanspruch § 817 S. 2 BGB entgegen:

Dies gelte jedoch gem. § 817 Satz 2 BGB nicht, wenn der Besteller mit seiner Leistung gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen habe. Das sei hier der Fall. Entsprechend der Zielsetzung des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes, die Schwarzarbeit zu verhindern, verstoße nicht nur die vertragliche Vereinbarung der Parteien gegen ein gesetzliches Verbot, sondern auch die in Ausführung dieser Vereinbarung erfolgende Leistung, somit auch die Zahlung.

Damit verstößt der Besteller durch Zahlung des Werklohnes gegen das gesetzliche Verbot des § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG. Der Anwendung des § 817 S. 2 BGB steht auch nicht – anders als nach bisheriger Rechtsprechung ((BGH, Urt. v. 31.05.1990 – VII ZR 336/89) –  das Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegen:

Die Durchsetzung der vom Gesetzgeber mit dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz verfolgten Ziele, die Schwarzarbeit effektiv einzudämmen, erfordere eine strikte Anwendung dieser Vorschrift.

III. Einordnung: Schwarzarbeiterfälle streng nach Gesetz lösen!
Der BGH verfolgt mit dieser Entscheidung konsequent seinen Rechtsprechungswandel, den man mit einfachen Worten zusammenfassen kann: Strikte Anwendung des Bereicherungsrechtes. Die bisherige Lösung des BGH über § 242 BGB zu einzelfallgerechten Ergebnissen zu kommen, war lange umstritten, da hiermit letztlich die eindeutigen Wertungen des Bereicherungsrechtes durch die Hintertür umgangen wurde (s. zur alten Rechtslage unseren Beitrag). Nunmehr findet auch hinsichtlich etwaiger Mängelansprüche des Bestellers oder Zahlungsansprüche des Werkunternehmers allein das Bereicherungsrecht Anwendung, es erfolgt keine Korrektur mehr über § 242 BGB. In der Klausur sollte diese Möglichkeit der Korrektur dennoch thematisiert werden, mit dem Argument der Bekämpfung von Schwarzarbeit im Ergebnis aber abgelehnt werden.
Das Risiko von Schwarzarbeit hat sich durch die Entscheidungen des BGH deutlich erhöht. Im Zweifel wird nicht mehr wie im Ergebnis bisher über das Bereicherungsrecht abgewickelt als ob ein wirksamer Vertrag vorläge – also unter Berücksichtung der Parteiinteressen. Vielmehr trägt jede Partei der Schwarzarbeitsabrede ihr spezifisches Risiko: Der Besteller für die Herstellung des Werkes bzw. Mängel, der Werkunternehmer für den Erhalt des Lohnes. Die Parteien müssen also fürchten bei Hingabe ihrer Leistung die Gegenleistung nicht zu erhalten. Hierdurch soll eine abschreckende Wirkung erzielt werden und so dem Zweck des SchwarArbG gedient werden: Steuer- und Sozialabgabenhinterziehung, die letztlich auf Kosten der Allgemeinheit gehen, die wirtschaftliche Grundlage entziehen und so für einen fairen Wettbewerb auf dem Markt sorgen.

18.06.2015/7 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2015-06-18 09:00:292015-06-18 09:00:29BGH: Neues zur Schwarzarbeit – Kein Rückzahlungsanspruch bei mangelhafter Werkleistung
Dr. Sebastian Rombey

Inhaltskontrolle von Eheverträgen

Familienrecht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

I. Einführung
Die Ehegatten können ihre güterrechtlichen Verhältnisse durch Vertrag regeln. So statuiert es die nicht abschließende Legaldefinition des § 1408 Abs. 1 Hs. 1 BGB. Des Weiteren sind sie gemäß § 1408 Abs. 2 BGB i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 2 VersAusglG dazu berechtigt, den gegenseitigen Versorgungsausgleich auszuschließen. Diese Berechtigung folgt aus der grundsätzlichen Vertragsfreiheit der Ehepartner.[1] Inwieweit dieses Prinzip der Privatautonomie allerdings uneingeschränkt auf alle Arten von Eheverträgen Anwendung finden kann, bzw. welchen (teils immanenten) Schranken die freie eherechtliche Vertragsgestaltung unterliegt, soll im folgenden Beitrag anhand eines kurzen Überblicks über die – durchaus (examens-)relevante – Inhaltskontrolle[2] von Eheverträgen vermittelt werden.
Begrifflich ist innerhalb dieser Thematik stets zwischen generellen Eheverträgen, die dazu dienen, den Güterstand festzulegen, und speziellen Eheverträgen, welche die güterrechtlichen Regelungen modifizieren, zu differenzieren.[3]
II. Zweck
Eheverträge dienen dem Zweck, eine für beide Partner akzeptable Nachlassregelung herbeizuführen sowie für eine eventuelle Scheidung bzw. den Tod eines Ehegatten eine Vorsorge zu treffen.
III. Abschluss
Zum Abschluss eines Ehevertrags ist i. S. d. § 1410 BGB die gleichzeitige Anwesenheit der Vertragsschließenden vor einem Notar erforderlich, der den Vertrag beurkundet. Zu beachten ist, dass im Unterschied zur Eingehung der Ehe, eine Stellvertretung möglich ist, denn es handelt sich nicht um ein höchstpersönliches Rechtsgeschäft.[4] Die Erteilung der Vollmacht bedarf dabei i. S. v. § 167 Abs. 2 BGB nicht der Formvorschrift des § 1410 BGB.[5] Zudem ist es möglich, den Ehevertrag vor und auch während der Ehe abzuschließen, § 1408 Abs. 1 Hs. 2 BGB. Als Vertragspartner kommen nicht nur die (zukünftigen) Ehegatten in Betracht, sondern auch eingetragene Lebenspartner[6] (s. § 7 LPartG).
IV. Mögliche Inhalte
Inhaltlich können die Ehegatten weitgehende Regelungen durch den Ehevertrag treffen. So können sie nicht nur den Güterstand (§§ 1363 ff. BGB), also Gütergemeinschaft oder Gütertrennung, festlegen, sondern auch Vereinbarungen über einen möglichen Zugewinnausgleich nach dem Tod eines Ehegatten oder der Scheidung treffen.
Auch die Verfügungsbeschränkungen der §§ 1365-1369 BGB können vertraglich ausgeschlossen, jedoch – aufgrund der inter-omnes-Wirkung – nicht erweitert werden.[7] Abreden über den nachehelichen Unterhalt sind ebenfalls üblich.
Zudem werden oft erbrechtliche Einschübe i. S. d. § 2276 Abs. 2 BGB in den Vertrag mit aufgenommen. In solchen Konstellationen ist allerdings (besonders in Klausuren) genau zwischen den verschiedenen Begrifflichkeiten zu differenzieren, denn es handelt sich dann materiellrechtlich gesehen um Erbverträge[8] – freilich mit familienrechtlichem Einschlag.
Demnach bleibt festzuhalten, dass eine relativ freie Vertragsgestaltung (möglichst dem jeweiligen Ehetyp und Lebensmodell entsprechend) grundsätzlich erst einmal möglich ist.
V. Voraussetzungen für das Vorliegen eines wirksamen Ehevertrages
Folgende Punkte lassen sich als Voraussetzungen nennen:[9]
1. Das Bestehen einer wirksamen Ehe. (Natürlich kann der Vertrag gemäß § 1408 BGB auch für eine zukünftige Ehe geschlossen werden, jedoch entfaltet er erst bei Bestehen derselben Wirkung für die Parteien.)
2. Der Abschluss eines Vertrages mit all seinen rechtsgeschäftlichen Voraussetzungen unter Beachtung der oben (unter Gliederungspunkt III.) genannten Förmlichkeiten.
3. Der Vertrag muss eine Regelung enthalten, die für den Zeitraum der Ehe oder einen Teil dieses Zeitraums (bzw. mittelbar auch für den Zeitraum danach) gilt.
4. In dem Vertrag müssen güterrechtliche Verhältnisse der Ehegatten geregelt werden.
5. Der Vertag muss einer inhaltlichen Kontrolle standhalten.
VI. Zweistufige Inhaltskontrolle von Eheverträgen und Linien der Rechtsprechung
Früher nahmen die Gerichte nur bei äußerst gravierenden Benachteiligungen eines Ehegatten eine Kontrolle des Ehevertrages vor; man ging von einer fast gänzlich unbeschränkten Vertragsfreiheit aus.[10]
Diese Rechtsprechung haben die Gerichte mittlerweile aufgegeben, sodass heutzutage auch Eheverträge einer gerichtlichen Überprüfung unterliegen. Die Änderung der Rechtsprechung wurde durch das Bundesverfassungsgericht eingeleitet.[11] Dieses stellte fest, dass Eheverträge nur dann uneingeschränkte Geltung genießen können, wenn sie auf der gegenseitigen Selbstbestimmung der Parteien beruhen.
Dies folgt u. a. aus der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte. Grundgesetzlichen Schutz genießen nämlich nicht nur das in Art. 6 Abs. 1 GG genannte Recht der Ehegatten zur freien Lebens- und Eheschließungsgestaltung, sondern auch die Gleichberechtigung der Partner gemäß Art. 3 Abs. 2 GG. Privatautonomes Handeln, wie es in Art. 2 Abs. 1 GG kodifiziert ist, setzt stets zwingend das Vorliegen einer paritätischen Situation bei Vertragsschluss voraus.[12] Deshalb wies das Bundesverfassungsgericht die Fachgerichte an, Eheverträge anhand der zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 138, 242 (ggf. § 313 BGB) zu überprüfen, soweit ersichtlich ist, dass der Vertrag auf der einseitigen Verhandlungsposition eines Ehegatten fußt und deshalb nicht Ausdruck einer gleichberechtigten Partnerschaft sein kann.[13]
Auf dieser Grundlage entwickelte der Bundesgerichtshof eine Systematik zur inhaltlichen Kontrolle von Eheverträgen[14] (und Scheidungsvereinbarungen, die nach dem erweiterten Ehevertragsbegriff[15] mit einzubeziehen sind):
Die sog. Zwei-Stufen-Kontrolle.
Sie soll verhindern, dass der Schutzzweck der gesetzlichen Normen und Werteentscheidungen durch beliebige Vertragsgestaltung unterlaufen wird.[16]
1. Wirksamkeitskontrolle gemäß § 138 BGB
Auf erster Stufe der Vertragsüberprüfung steht die Wirksamkeitskontrolle. Diese bewertet die Situation zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.[17] Um eine Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB feststellen bzw. den Vertrag i. S. d. § 139 BGB für insgesamt nichtig erklären zu können,[18] ist das kumulative Vorliegen folgender Voraussetzungen erforderlich:
Zum einen muss eine objektive Benachteiligung eines Ehegatten, zum anderen nach einer Gesamtabwägung im Einzelfall die subjektive sittenwidrige Absicht eines Ehegatten bzgl. dieser Benachteiligung erkennbar sein. Ist dies der Fall, kann die Rechtsordnung die ehevertragliche Regelung nicht akzeptieren, sodass die dispositiven gesetzlichen Regelungen wieder Anwendung finden.
Die Sittenwidrigkeit des § 138 BGB wurde von der Rechtsprechung in der Weise definiert, dass sittenwidrig ist, was gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Menschen verstößt.[19] Diese offenkundig weit gefasste Definition wird durch die sog. Kernbereichslehre des Bundesgerichtshofs im Ehevertragsrecht modifiziert.
Diese Theorie macht es dem Bearbeiter einfacher, festzustellen, in welchem Einzelfall von einer Sittenwidrigkeit auszugehen ist (dazu später mehr unter Gliederungspunkt VI. 3.).
2. Ausübungskontrolle gemäß § 242 BGB (ggf. auch § 313 BGB)
Auf zweiter Stufe findet eine Ausübungskontrolle statt. Maßgeblich kommt es auf den Zeitpunkt der Geltendmachung der Verzichtsvereinbarung und damit die Situation zum Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe[20] sowie den tatsächlichen Verlauf der Ehe als gemeinsam gelebte Vertragsbeziehung an.[21]
Ist der Ehevertrag zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwar nicht sittenwidrig, so kann doch die Berufung eines Ehegatten auf den Ehevetrag im Nachhinein gegen Treu und Glauben i. S. v. § 242 BGB verstoßen. Das ist der Fall, wenn sich nachträglich eine einseitige und darüber hinaus unzumutbare Lastenverteilung ergibt, die eine erhebliche Abweichung von der zu Beginn der Ehe vorgesehenen und als Grundlage des Vertrags dienenden Lebensgestaltung darstellt.[22] Dann ist eine Berufung auf den Ehevertrag rechtmissbräuchlich, insbesondere weil sonst ehebedingte Nachteile entstehen.
Unbedingt zu trennen sind in diesem Zusammenhang die Rechtsfolgen der verschiedenen Kontrollen. Während bei der Wirksamkeitskontrolle ein Verstoß gegen § 138 BGB zur Nichtigkeit des Ehevertrages führt und damit die dispositiven gesetzlichen Normen wieder anzuwenden sind, führt ein Verstoß gegen § 242 BGB (ggf. auch gegen § 313 BGB) nicht zur Nichtigkeit des Vertrages, sondern viel mehr zu dem Ausgleich der durch die Ehe entstandenen Nachteile, mithin zu einer Vertragsanpassung:[23]
Dies geschieht anhand einer hypothetisch gedachten Karriere des benachteiligten Ehegatten, wobei die Ausgleichshöchstgrenze dort angesetzt wird, wo sie auch bei der Durchführung des Ausgleichs nach den gesetzlichen Vorschriften i. S. d. Halbteilungsgrundsatzes läge.[24] So soll auf die veränderte Lebenssituation der Ehegatten reagiert werden.[25]
Bei der Ausübungskontrolle ist darüber hinaus zu beachten, dass der zum Ausgleich der ehebedingten Nachteile verpflichtete, wirtschaftlich besser gestellte Ehegatte nur insoweit leisten muss, als dass es ihm (im konkreten Einzelfall) zumutbar ist.
Letztlich bleibt noch eine Abgrenzung des § 242 BGB von § 313 BGB vorzunehmen.
Dazu hat der Bundesgerichtshof im vergangenen Jahr ausgeführt, dass eine Ausübungskontrolle des Vertrages nach § 242 BGB stattzufinden hat, soweit der Vertrag einer Wirksamkeitskontrolle nach § 138 BGB standhält, sich aber dennoch im Nachhinein eine unzumutbar begünstigende Regelung ergibt, auf die sich der bevorteilte Ehegatten nicht berufen kann, ohne dass dies aufgrund der einseitigen Lastenverteilung als rechtsmissbräuchlich erscheinen würde.[26]
Die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB können ebenfalls Anwendung finden.[27] Dies ist der Fall, wenn die wirkliche Gestaltung der Lebensverhältnisse von der ursprünglichen, dem Vertrag zu Grunde gelegten und im Vorhinein vorgesehenen Lebensplanung abweicht.[28] Beispielshaft genannt sei eine Konstellation, in der die Parteien vor der Eheschließung davon ausgingen, sie wären beide berufstätig; sich während der Ehe aber nach einigen Jahren die Arbeitsunfähigkeit eines Ehegatten ergibt und der jeweilige Unterhalt für den Scheidungsfall vertraglich abbedungen wurde.[29]
3. Kernbereichslehre
Die bereits oben erwähnte Theorie vom Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts wurde durch den Bundesgerichtshof entwickelt[30] und stellt eine Bemessungsgrundlage für die rechtliche Beurteilung von Scheidungsfolgen auf, die sowohl auf die Wirksamkeits- als auch auf die Ausübungskontrolle ausstrahlt.
Der Ausschluss der nachfolgenden Unterhaltsverpflichtungen wiegt in absteigender Rangfolge immer schwerer:
a) Zugewinnausgleich, § 1371, §§ 1372 ff. BGB (nach der Rechtsprechung[31] am weitesten disponibel)
b) Aufstockungsunterhalt und Ausbildungsunterhalt, §§ 1573 Abs. 2, 1575 BGB
c) Krankheits- und Altersvorsorge, §§ 1578 Abs. 2, 3 BGB
d) Erwerblosenunterhalt, § 1573 BGB
e) Krankheits- und Altersunterhalt, §§ 1571 f. BGB, Versorgungsausgleich, § 1587 BGB
f) Kindesbetreuungsausgleich, § 1570 BGB (nach der Rechtsprechung nicht wirksam vertraglich auszuschließen)
Gut einzuprägen erscheint folgende Kurzformel:
Desto stärker in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingegriffen wird, desto geringer sind die Anforderungen an eine Sittenwidrigkeit bzw. einen Rechtsmissbrauch.
VII. Darlegungs- und Beweislast
Grundsätzlichen gelten an dieser Stelle die allgemeinen Grundsätze, d. h. wer sich auf einen Ehevertrag beruft, trägt auch die Beweislast der positiven Sachverhalte. So verhält es sich auch bei der Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle; derjenige, der sich darauf beruft, trägt auch die Beweislast für das Vorliegen der jeweiligen (sittenwidrigen oder rechtsmissbräuchlichen) Sachverhalte.[32]
Besonders hervorzuheben ist jedoch bei der Ausübungskontrolle der Beweis des Entstehens ehebedingter Nachteile, bei der es um den Beweis negativer Tatsachen, mithin also um eine sekundäre Beweislast geht.[33] Beispielhaft genannt sei ein Scheidungsverfahren zwischen einem erwerbstätigen Mann und einer sich um Kinder und Haushalt kümmernden Frau. Letztere begehrt eine Ausübungskontrolle des von den Parteien vor der Ehe geschlossenen Ehevertrages. Die Behauptung des Mannes, es seinen keine Nachteile ehebedingter Art entstanden, muss die Frau bestreiten und ihrerseits substantiiert darlegen, welche Nachteile solcher Art eben doch entstanden sein sollen.
VIII. Abschließende Bemerkungen
Wie sich gezeigt hat, führt die gerichtliche Inhaltsüberprüfung von Eheverträgen zu einem besseren Schutz evtl. benachteiligter Ehepartner und damit zu flexiblen Ergebnissen; gleichwohl entstand so ab 2004 für eine Vielzahl von Fällen ein Verlust an Rechtssicherheit.[34] Diese Problematik sollte mittlerweile durch eine gefestigte Rechtsprechung bzw. geschickte notarielle Vertragsgestaltung, zehn Jahre nach der wegweisenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs[35], überwiegend überwunden worden sein.
Abschließend bleibt darauf hinzuweisen, dass sich – insbesondere auch in Examensklausuren – ehevertragliche Probleme in allgemeinen Zivilrechtsklausuren wiederfinden. Da, wie bereits oben aufgezeigt wurde, die Inhaltskontrolle von Eheverträgen allein durch richterliche Rechtsfortbildung und Werteentscheidungen des BVerfG und des BGH entwickelt wurde, sei die grundlegende Kenntnis der Systematik dringend empfohlen. Ist dies der Fall, so kann die überwiegende Zahl von Problemen souverän behandelt werden.
 
[1] MüKo-BGB/Kanzleiter, 6. Aufl. 2013, § 1408, Rn. 1.
[2] Sowohl in der Kommentar- als auch in der Lehrbuchliteratur wird z. T. der etwas missverständliche Begriff der „Inhaltskontrolle“ verwendet. Dieser wird oft mit einer AGB-Kontrolle assoziiert; die §§ 305 ff. BGB sind in diesem Zusammenhang jedoch nicht gemeint und dürfen folglich nicht herangezogen werden, wie bereits ein Blick auf § 310 Abs. 4 BGB zeigt.
[3] BeckOK-BGB/J. Mayer, § 1408, Rn. 3.
[4] Jauernig/Berger/Mansel, 15. Aufl. 2014, § 1410, Rn. 3.
[5] So auch BGH NJW 1998, 1857.
[6] Auch Lebenspartnerschaftsvertrag genannt.
[7] Palandt/Brudermüller, 73. Aufl. 2014, § 1408, Rn. 15.
[8] HK-BGB/Rainer Kemper, 8. Aufl. 2014, § 1408, Rn. 1.
[9] Vgl. insbesondere die ausführliche Darstellung der Voraussetzungen bei Muscheler, Familienrecht, 3. Aufl. 2013, § 22, Rn. 380.
[10] Vgl. nur BGH FamRZ 1996, 1536.
[11] BVerfGE 103, 89.
[12] Dethloff, Familienrecht, 30. Aufl. 2012, § 5, Rn. 20.
[13] Eingehend Schwab, Familienrecht, 21. Aufl. 2013, § 30, Rn. 224.
[14] BGHZ 158, 81.
[15] So etwa BeckOK-BGB/J. Mayer, § 1408, Rn. 6.
[16] Schwab, Familienrecht, 21. Aufl. 2013, § 30, Rn. 225.
[17] BGH NJW 2004, 930.
[18] Eine Gesamtnichtigkeit des Vertrages wird in der Praxis oft dadurch vermieden, dass eine sog. salvatorische Klausel in den Vertrag aufgenommen, § 139 BGB also abbedungen wird. So etwa Deisenhofer, Unwirksamkeit des Ausschlusses des Versorgungsausgleichs bei Nichtigkeit des Ehevertrags, FPR 2007, 124 (126).
[19] S. etwa BGH NJW 2009, 1346 (1347).
[20] MüKo-BGB/Kanzleiter, 6. Aufl. 2013, § 1408, Rn. 36.
[21] Sanders, Statischer Vertrag und dynamische Vertragsbeziehung, Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle von Gesellschafts- und Eheverträgen, Diss. Köln 2008, § 14 III.
[22] BGH NJW 2005, 139.
[23] Zur Beweis- und Darlegungslast siehe Gliederungspunkt VII.
[24] BeckOK-BGB/J. Mayer, § 1408, Rn. 40.
[25] Dethloff, Familienrecht, 30. Aufl. 2012, § 5, Rn. 39.
[26] BGH NJW 2013, 1359 (1360).
[27] BGH a. a. O.
[28] BGH a. a. O.
[29] Beispiel nach Palandt/Brudermüller, 73. Aufl. 2014, § 1408, Rn. 12.
[30] BGH NJW 2004, 930; s. auch LMK 2005, 55 m. Anm. Langenfeld.
[31] Vgl. Palandt/Brudermüller, 73. Aufl. 2014, § 1408, Rn. 9 m. w. N. für die Urteile und Ansichten zur Kernbereichslehre und den verschiedenen Unterhaltsformen.
[32] MüKo-BGB/Kanzleiter, 6. Aufl. 2013, § 1408, Rn. 44.
[33] MüKo-BGB/Kanzleiter , a. a. O.
[34] Zur (damals aktuellen) Kritik s. Rakete-Dombek, NJW 2004, 1273 (1277).
[35] BGHZ 158, 81.

09.07.2014/0 Kommentare/von Dr. Sebastian Rombey
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2014-07-09 13:30:402014-07-09 13:30:40Inhaltskontrolle von Eheverträgen
Dr. Christoph Werkmeister

OLG Hamm: Rügepflicht bei offensichtlichen Mängeln im Verbrauchsgüterkauf

AGB-Recht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Zivilrecht, Zivilrecht

Das OLG Hamm entschied vor Kurzem mit Urteil vom 24.05.2012 (Az. I-4 U 48/12) über die Wirksamkeit einer Klausel in allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). In der Sache ging es um die vertraglich auferlegte Pflicht zur schriftlichen Rüge von offensichtlichen Mängeln innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach der Übergabe des Kaufgegenstandes – und dies obwohl es sich bei den infrage stehenden Kaufverträgen um Verbrauchsgüterkäufe i.S.d. § 475 BGB handelte.
Klauselverbot ohne Wertungsmöglichkeit
Das OLG räumte zunächst ein, dass eine derartige Klausel nicht unter § 309 Nr. 8 b) ee) BGB falle. Klauseln sind nach dieser Vorschrift im Grundsatz immer nur dann unwirksam, sofern der Verwender dem Vertragspartner wegen nicht offensichtlicher Mängel eine Ausschlussfrist setze.
Hier ging es allerdings streng genommen gar nicht um eine Ausschlussfrist, denn die Pflicht zur Mitteilung des offensichtlichen Mangels stand im vorliegenden Fall einfach als vertragliche Nebenpflicht im Raume, wobei die Verletzung dieser Pflicht nicht per se zum Ausschluss von Gewährleistungsrechten führte. Auch wenn die Klausel bei Nichteinhalten der Anzeigepflicht den Ausschluss der Gewährleistungsrechte vorsähe, ging es in der Sache auch nicht um eine Anzeigepflicht bei nicht offensichtlichen Mängeln, sondern gerade um das Gegenteil, nämlich eine Anzeigepflicht bei offensichtlichen Mängeln.
Unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 BGB
Angesichts der Tatsache, dass § 309 Nr. 8 b) ee) BGB bereits die Nichtigkeit bei Vorliegen einer Ausschlussfrist bei nicht offensichtlichen Mängeln vorsieht, könnte man im Umkehrschluss bei der nachfolgenden Prüfung von § 307 BGB anbringen, dass eine Klausel, die lediglich eine Prüfpflicht bei offensichtlichen Mängeln vorsieht, gerade keine unangemessene Beteiligung entgegen dem Grundsatz von Treu und Glauben darstellt. Dies sah das OLG Hamm auch so, so dass im Rahmen der allgemeinen Klauselkontrolle zu folgern sei, dass solche Ausschlussfristen bezogen auf offensichtliche Mängel im Allgemeinen nicht zu beanstanden seien.
Aus dem vorgenannten Umkehrschluss lasse sich laut dem OLG Hamm indes nicht schließen, dass auch beim Verbrauchsgüterkauf eine Rügepflicht bei offensichtlichen Mängeln zulässig sei. Angesichts der verbraucherschützenden Vorgaben der Bestimmungen der dem deutschen Kaufrecht zugrunde liegenden Verbrauchsgüterkaufrichtlinie müssten hier andere Maßstäbe gelten. Denn eine Rügepflicht, wie sie von der hier diskutierten Klausel vorgesehen ist, weiche zu Lasten des Verbrauchers vom Leitbild des Verbrauchsgüterkaufs ab und schränke die Mängelrechte damit zumindest faktisch unangemessen zum Nachteil des Verbrauchers ein. Durch die Klausel entstehe beim Verbraucher nämlich der Eindruck, dass er seine Gewährleistungsansprüche verliere, sofern er die Rügefrist versäume. Es wurde insofern die kundenfeindlichste Auslegung der Prüfpflichtklausel zugrunde gelegt.
Im Fall des Verbrauchsgüterkaufes dürfen nämlich weder unmittelbar noch durch Umgehungen im Sinne von § 475 Abs. 1 S.2 BGB von den gesetzlichen Regelungen abweichende Vereinbarungen getroffen werden, die die Verbraucherrechte zur Gewährleistung oder zur Verjährung in Ansehung des § 437 BGB betreffen. Auch wenn aus einer Versäumung der Rügepflicht für offensichtliche Mängel mangels entsprechender Regelung nicht zwingend folgen möge, dass sich der Verbraucher nicht mehr auf das Bestehen von Gewährleistungsansprüchen wegen offensichtlicher Mängel berufen könnte, werden seine Verbraucherrechte jedenfalls mittelbar betroffen. Der Verwender spekuliere erkennbar darauf, dass der Käufer die Rügeobliegenheit möglicherweise nicht kennt und deshalb verspätet rügt.
Bereits der Fakt, dass die Ausübung der Mängelrechte des Käufers potentiell und ohne sachlichen Grund behindert wird, führt insofern bereits zur Nichtigkeit der Klausel nach § 307 BGB. Im Rahmen einer sehr guten Klausurbearbeitung sollten überdies noch weitere Argumentationsstränge aufgegriffen werden, um das Ergebnis noch weiter abzusichern. Gerade bei der wertenden Abwägung im Rahmen von § 307 BGB wird in Klausuren nämlich stets eine umfassende Auslegung und Diskussion erwartet, da diese Prüfung meist den Schwerpunkt und auch die maßgebliche Weichenstellung in einer Klausur darstellt.
Argumentation mit den Vorgaben zum Handelskauf
Ferner könnte man im Rahmen dieser Diskussion nämlich noch Parallelen zu der Obliegenheit der Mängelrüge nach § 377 HGB anbringen. Bei Handelskäufen muss der Käufer gemäß § 377 Abs. 1 HGB die Ware unverzüglich nach der Ablieferung durch den Verkäufer, soweit dies nach ordnungsmäßigem Geschäftsgang tunlich ist, untersuchen und, wenn sich ein Mangel zeigt, dem Verkäufer unverzüglich eine Anzeige des Mangels tätigen.
Wenn man sich nun vor Augen führt, dass die vorgenannte Klausel zum einen eine schriftliche Mängelanzeige vorsieht, wobei § 377 HGB, der nur für Kaufleute gilt, auch eine mündliche Anzeige erlaubt, wird die unangemessene Benachteiligung des Verbrauchsgüterkäufers noch klarer. Zudem sieht die infrage stehende Klausel eine Prüfpflicht von zwei Wochen vor, während die Formulierung des § 377 HGB offen formuliert ist und in Sonderfällen je nach Fallgestaltung durchaus eine längere Frist als zwei Wochen genügen lässt.
Angesichts der Tatsache, dass die Klausel keinen Ausschluss der Mängelrechte, sondern lediglich eine Prüfpflicht vorsieht, ließe sich zwar argumentieren, dass ausdrücklich keine dem § 377 HGB vergleichbare Sanktion vereinbart wurde. Ein solcher Eindruck könne nach Auffassung des OLG Hamm im Sinne der vorangegangenen Argumentation aber zumindest beim Verbraucher erweckt werden, weil ihm der Sinn einer sanktionslosen Rügefrist nicht einleuchten mag und weil sich der Verwender auf die fehlende Rüge berufen könnte.
Die hier diskutierte Klausel, die im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs eingesetzt wurde, sieht insofern sogar teilweise strengere Vorgaben als § 377 HGB vor. Es erscheint indes unbillig, dem Verbrauchsgüterkäufer strengere Vorgaben als einem Kaufmann aufzuerlegen, so dass sich auch aus diesem Aspekt ein Verstoß gegen § 307 BGB ergibt.
Zum Aufbau
Anstelle einer Prüfung von § 307 BGB könnte auch direkt ein Verstoß gegen das Umgehungsverbot nach § 475 Abs. 1 S. 2 BGB oder sogar ein Verstoß gegen § 475 Abs. 1 S. 1 BGB geprüft werden. Zu beachten ist, dass das das Verbot nach § 475 Abs. 1 BGB auch dann gilt, wenn keine AGB vorliegen, sprich bei Individualvereinbarungen.
Vorliegend bietet sich allerdings eine Prüfung anhand der Maßgaben des AGB-Rechts eher an, da so zuerst § 309 BGB geprüft und verneint werden und sodann umfassend im Rahmen von § 307 BGB mit allen zur Verfügung stehenden Argumentationssträngen diskutiert werden kann. Ein derartiger Aufbau mag vielleicht übersehen, dass die Vorgaben in § 475 BGB als speziellere Regelungen der allgemeinen Klauselkontrolle nach §§ 307 ff. BGB vorgehen könnten, dass also eine AGB-Kontrolle bei einem Verstoß gegen § 475 Abs. 1 BGB bereits überflüssig ist (so etwa Lorenz, in MüKo-BGB, 6. Aufl. 2012, § 475, Rn. 25). Andererseits erscheint es im gutachterlichen Aufbau nicht schädlich, zunächst die Nichtigkeit nach § 307 BGB festzustellen und sodann in einem „Überdies-Satz“ zu postulieren, dass sich entsprechend der zuvor geführten Diskussion im Übrigen ebenfalls die Nichtigkeit aus § 475 Abs. 1 S. 2 BGB ergibt, wobei diese sogar bei Vorliegen einer Individualvereinbarung gelten würde.

22.07.2012/3 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-07-22 10:02:162012-07-22 10:02:16OLG Hamm: Rügepflicht bei offensichtlichen Mängeln im Verbrauchsgüterkauf
Dr. Christoph Werkmeister

EuGH zur Gesamtnichtigkeit eines Vertrages bei AGB-Verstoß

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Der EuGH hat gestern einen examensrelevanten Fall zum AGB-Recht entschieden (Az. C-453/10). Der EuGH konnte zu dieser allgemeinen zivilrechtlichen Frage urteilen, da die Richtlinie 93/13 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, 29) die europarechtliche Vorgabe für das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen darstellt. Die Richtlinie sieht vor, dass missbräuchliche Klauseln in einem Vertrag, der zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden nach dessen Vorgaben geschlossen wurde, für den Verbraucher unverbindlich sind.
Sachverhalt

Frau P. und Herr P. nahmen bei der SOS financ, die kein Kreditinstitut ist, aber Verbraucherkreditverträge auf der Grundlage von Standardformularverträgen gewährt, einen Kredit in Höhe von 150.000 SKK (4.979 Euro) auf. Nach dem Kreditvertrag ist der Kredit in 32 Monatsraten von je 6.000 SKK (199 Euro) zuzüglich einer 33. Monatsrate in Höhe des bewilligten Kredits zurückzuzahlen. Die Kreditnehmer sind somit verpflichtet, einen Betrag von 342.000 SKK (11.352 Euro) zurückzuzahlen. Der effektive Jahreszins des Kredits, d.h. die Summe der mit ihm verbundenen und vom Verbraucher zu tragenden Kosten, wurde in diesem Vertrag mit 48,63% angesetzt, während er nach Berechnung des slowakischen Gerichts, das den EuGH befragt, in Wirklichkeit 58,76% beträgt.
Frau P. und Herr P. haben beim Okresný súd Prešov (Bezirksgericht Prešov, Slowakei) Klage auf Feststellung erhoben, dass ihr Kreditvertrag mehrere missbräuchliche Klauseln wie die ungenaue Angabe des effektiven Jahreszinses enthält; ferner beantragen sie, die Unwirksamkeit des gesamten Vertrags festzustellen. Das slowakische Gericht möchte vom EuGH wissen, ob die Richtlinie es ihm erlaubt, die Unwirksamkeit eines Verbrauchervertrags, der missbräuchliche Klauseln enthält, festzustellen, wenn eine solche Lösung für den Verbraucher günstiger wäre. Nach seinen Ausführungen müssten die betroffenen Verbraucher im Fall der Feststellung der Unwirksamkeit nämlich nur die Verzugszinsen in Höhe von 9% und nicht die gesamten Kosten des bewilligten Kredits zahlen, die viel höher seien als diese Zinsen.

Entscheidung des EuGH
Der EuGH entschied, dass die nationalen Rechtsvorschriften durchaus über die Richtlinie hinaus gehende Vorgaben vorsehen können, wenn dadurch ein besserer Schutz des Verbrauchers gewährleistet wird. Auch wenn die Richtlinie (insbesondere dessen Art. 6) grundsätzlich nur auf die Beseitigung missbräuchlicher Klauseln abziele, sei es den Mitgliedstaaten gestattet, ein höheres Verbraucherschutzniveau vorzusehen.
Eine solche Entscheidung ist in meinen Augen dogmatisch Folgerichtig. Bei der Klauselrichtlinie handelt es sich um einen europäischen Rechtsakt zum Zwecke einer sog. minimum harmonization. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Regelungen, sowie den Hinweisen in den Erwägungsgründen der Richtlinie. Das bedeutet, dass die Richtlinie nur einen Minimalstandard an Schutz oktroyiert. Die Mitgliedsstaaten sind gehalten, diesen Schutzstandard zu gewährleisten. Sie dürfen aber darüber hinaus auch überschießend umsetzen, also einen höheren Schutzstandard gewähren. Anderes gilt nur bei europäischen Rechtsakten, die zum Zwecke einer sog. exhaustive harmonization erlassen wurden. So soll etwa die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG) einen umfassend harmonisierten Standard und gerade kein Minimum normieren.
In seinem Urteil weist der EuGH zunächst deshalb darauf hin, dass das Ziel der Richtlinie darin besteht, missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen zu beseitigen, und dabei – wenn möglich – die Wirksamkeit des Vertrags in seiner Gesamtheit aufrechtzuerhalten, nicht aber darin, sämtliche Verträge, die solche Klauseln enthalten, für nichtig zu erklären. Im deutschen Recht findet sich die hierzu korrelierende Vorschrift in § 306 Abs. 1 BGB. Hiernach wird die Vermutung des Rechtsgedankens des § 139 BGB umgekehrt. Sofern eine Klausel in AGB nichtig ist, ist grundsätzlich von der Wirksamkeit des übrigen Vertrages auszugehen.Wie bei den Slowaken bietet allerdings auch das deutsche Recht Abweichungen von diesem Grundsatz:

  1. Zum einen ist anerkannt, dass die Regel des § 306 Abs. 1 BGB dann nicht gilt, wenn ohne die entsprechenden vorformulierten Klauseln gar kein Vertragsrest mehr übrig bliebe. In solch einem Fall ist bei Nichtigkeit nach AGB-Recht (§§ 305 ff. BGB) somit auch von der Gesamtnichtigkeit des Vertrages auszugehen. Dieses Ergebnis wird im Übrigen durch den Wortlaut von Art. 6 der Klauselrichtlinie gestützt, wo es heißt: „[…] die Mitgliedstaaten sehen vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann. […]“.
  2. Darüber hinaus bietet § 306 Abs. 3 BGB eine zusätzliche Ausnahme vom Grundsatz des Abs. 1. Dieser gilt nämlich für die Fälle, wenn das Festhalten an den Vertrag eine unzumutbare Härte für eine Vertragspartei darstellen würde.

Die Entscheidung bestätigt insofern also auch die Europarechtskonformität unserer nationalrechtlichen Regelungen. Die Examensrelevanz darf deshalb nicht unterschätzt werden. Auch in Klausuren kann die Problematik ohne weiteres eingebaut werden, sofern der einschlägige Richtlinientext den Prüflingen vorgelegt würde.

16.03.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-03-16 09:37:552012-03-16 09:37:55EuGH zur Gesamtnichtigkeit eines Vertrages bei AGB-Verstoß

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