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Schlagwortarchiv für: Kirche

Micha Mackenbrock

Warum die Kirche 300.000 € Schmerzensgeld an ein Missbrauchsopfer zahlen muss

Aktuelles, Deliktsrecht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Staatshaftung, Startseite, Zivilrecht

Schon viele schreckliche Missbrauchsfälle aus dem Umfeld der katholischen Kirche haben die deutschen Gerichte beschäftigt. Häufig wurden die bisher zugesprochenen Schmerzensgelder von Opfern als zu gering empfunden. Viele verzichteten daher gleich auf den mühsamen und gegebenenfalls retraumatisierenden Klageweg. Doch nun sorgt ein Urteil des Landgerichts Köln für Aufsehen: Einem ehemaligen Messdiener des Erzbistums Köln wurden 300.000€ Schmerzensgeld zugesprochen (LG Köln, Urteil vom 16.07.2024, 5 O 197/22). Was aus dem Urteil für die Berechnung der Höhe des Schmerzensgeldes zu lernen ist, erklärt unser Gastautor Micha Mackenbrock. Er absolvierte das erste Staatsexamen an der Universität Bonn und widmet sich nun seinem Promotionsvorhaben im Bereich Arbeitsrecht.

I. Der Sachverhalt

Der Kläger wurde im Jahr 1970 Messdiener und lernte kurz danach den Pfarrer Z, dessen Dienstherr das beklagte Erzbistum Köln war, kennen. Ab 1971 kam es regelmäßig zum Missbrauch durch den Pfarrer Z, etwa im Rahmen von Freizeiten, zu denen nur Jungen eingeladen wurden. Auf den Freizeiten inszenierte Pfarrer Z ein „Gericht“: Kinder und Jugendliche, die sich in den Augen des Pfarrers nicht benommen hatten, wurden verurteilt und bestraft. Die Strafen waren dabei kaltes Abduschen, sich Ausziehen oder Einschmieren mit Schuhcreme oder Zahnpasta. Auch wurden die Jungen halbnackt an einen Baum gebunden, um sodann Schläge über sich ergehen lassen zu müssen. Pfarrer Z ergötzte sich an diesen Darbietungen und gab Anweisungen.

Ab 1972 fanden dann auch sexuelle Übergriffe seitens des Pfarrers Z gegenüber dem Kläger statt: Von 1972 bis 1979 fanden 320 Fälle sexuellen Missbrauchs statt, darunter auch Vergewaltigungen. 1980 endete der Missbrauch schließlich dadurch, dass der Stiefvater eines anderen betroffenen Kindes Anzeige gegen den Pfarrer erstattete. Dieser wurde daraufhin vom Erzbistum Köln versetzt. Weitere Untersuchungen durch das Erzbistum, etwa die Suche nach weiteren Missbrauchsopfern, fanden aber nicht statt.

Der Kläger wurde durch den jahrelangen Missbrauch schwer traumatisiert. Infolge des Missbrauchs erkrankte er an schwerer Neurodermitis, Bluthochdruck, Migräne und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Im Jahr 2004 wurde ein Grad der Behinderung von 50% anerkannt. Im Zeitraum 1991-1995 beziehungsweise 2002-2012 befand er sich in Psychotherapie. 2012 forderte der Kläger vom Erzbistum außergerichtlich eine Entschädigung: Er erhielt 5.000 €. Nach einem Widerspruch erhielt er 2022 weitere 20.000 €. Zwischenzeitlich ist Pfarrer Z verstorben.

Nun fordert der Kläger vom Erzbistum Köln Schadensersatz in Höhe von 750.000 €.

II. Die Entscheidung

Das Landgericht Köln hat der Klage in weitem Umfang stattgegeben und das Erzbistum zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 300.000 € verurteilt.

1. Die Anspruchsgrundlage

Der Kläger hat Anspruch auf Schadenersatz gegen das beklagte Erzbistum Köln aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG. Der Amtshaftungsanspruch findet auch Anwendung bei Amtspflichtverletzungen von Personen, die im Rahmen von kirchlichen Aufgaben tätig geworden sind. Denn schließlich handelt es sich bei dem Erzbistum um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Folglich ist der Amtshaftungsanspruch also auch bei Handlungen des Pfarrers Z anzuwenden, in welchen er sein Kirchenamt als Pfarrer ausübt. Das umfasst seine Arbeit mit den Messdienern und die Teilnahme an den Freizeiten, bei welchen es zum Missbrauch gekommen ist. Indem Pfarrer Z den Kläger in Ausübung seines Priesteramtes während seiner Arbeit mit den Messdienern sexuell missbrauchte, verletzte er eine drittbezogene Amtspflicht (LG Köln, Urteil vom 16.07.2024, 5 O 197/22, Rn. 58-64).

Der Kläger hat auch vorgetragen, dass er im Rahmen eines Urlaubs des Pfarrers Z von selbigem missbraucht worden sei. Das Gericht lehnt es aber ab, auch für diese Übergriffe einen Amtshaftungsanspruch zu bejahen: Es bestehe im Rahmen des privaten Urlaubs kein Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit des Pfarrers (LG Köln, Urteil vom 16.07.2024, 5 O 197/22, Rn. 65).

2. Zur Höhe des Schadensersatzes

Der Missbrauch fand vor dem 31.07.2002 statt, sodass gemäß Art. 229 § 8 I Nr. 2 EGBGB der aktuelle § 253 II BGB keine Anwendung findet. Stattdessen gilt § 847 I 1 BGB in der Fassung von 01.01.1964. Die Ausführungen des Gerichts im vorliegenden Fall gelten aber entsprechend auch für den uns bekannten § 253 II BGB.

a. Berücksichtigung aller Umstände

Das Gericht führt aus: „Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet es, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Anspruchs aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen“ (LG Köln, Urteil vom 16.07.2024, 5 O 197/22, Rn. 82). Weiterhin führt das Gericht aus, dass – selbstverständlich – auch psychische Leiden zu berücksichtigen sind.

Für die Berechnung der Höhe des Schmerzensgeld steht „die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung ganz im Vordergrund“ (LG Köln, Urteil vom 16.07.2024, 5 O 197/22, Rn. 90). Aber auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten und des Schädigers finden Berücksichtigung.

b. Vergleichbarkeit mit Fällen körperlicher Behinderung

Des weiteren zieht das Gericht andere Fälle zur groben Orientierung heran. Vorsichtig ist das Gericht aber mit einer Heranziehung von anderen Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs, da sich solche Fälle wegen verschiedener Täterprofile, Intensität und Folgen nur schwer miteinander vergleichen lassen. Jedoch führt das Gericht aus, dass die durch Missbrauch bedingten psychischen Folgen ein Leben lang bleiben. Die Situation sei mit der eines Rollstuhlfahrer vergleichbar, der sein Leben ebenso komplett umstellen müsse. Daher sei es erforderlich, den vorliegenden Fall mit Fällen schwerwiegender körperlicher Behinderungen gleichzustellen. Denn jeweils wurde „die Möglichkeit eines Lebens als selbstbestimmte Persönlichkeit verloren“ (LG Köln, Urteil vom 16.07.2024, 5 O 197/22, Rn. 102).

Das Gericht verweist auf Fälle, in denen die Opfer schwere körperliche Beeinträchtigungen (Hirnschäden, beidseitige Amputation der Unterschenkel) erlitten haben. Wie im vorliegenden Fall lägen auch hier ganz erhebliche Belastungen, Schmerzen und Einschränkungen bis zum Lebensende vor. Die psychische Belastung des Klägers habe sich wegen des jahrlangen Missbrauchs, ähnlich wie eine körperliche Einschränkung, gefestigt.

c. Berücksichtigung von wirtschaftlichen Verhältnissen

Zuungunsten des Klägers berücksichtigt das Gericht aber auch, dass der Kläger trotz seiner Erfahrungen in der Lage war, eine Ausbildung abzuschließen und zu arbeiten. Auch konnte er trotz seiner Erfahrungen eine Familie gründen. Des Weiteren hat der Kläger die Aussicht, das Geschehene durch Therapie und den Abschluss des Gerichtsverfahrens eines Tages zu verarbeiten, um schließlich inneren Frieden finden zu können. Demnach stellte sich die Situation für den Kläger nicht hoffnungslos dar.

Schließlich entscheidet das Gericht, dass ein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000 € angemessen sei.

III. Einordnung der Entscheidung

Wie das Urteil des Landgerichts Köln zeigt, hat ein Sinneswandel stattgefunden. Mittlerweile können psychische mit körperlichen Belastungen gleichgestellt werden. Während es vor einigen Jahren noch eine Tendenz dahingehend gab, dass sich Betroffene „doch nicht so anstellen“ mögen, werden ihre Schicksale zunehmend anerkannt und angemessen berücksichtigt. Die Arbeit der Gerichte kann insoweit Vorbild für die Gesellschaft allgemein sein. Und auch Studierende und Referendare können aus dem Urteil einiges für die Fallbearbeitung mitnehmen. Insbesondere, wenn es darum geht, Kriterien für die Höhe von Schmerzensgeld aufzustellen.

23.09.2024/3 Kommentare/von Micha Mackenbrock
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2024-09-23 06:51:302024-10-14 15:39:55Warum die Kirche 300.000 € Schmerzensgeld an ein Missbrauchsopfer zahlen muss
Dr. Lena Bleckmann

Die Chefarztentscheidung – Kündigung wegen zweiter Ehe?

Aktuelles, Arbeitsrecht, Europarecht, Schon gelesen?, Schwerpunktbereich, Startseite

Das Urteil des EuGH vom 11.9.2018 erfuhr eine Aufmerksamkeit in den deutschen Medien, wie sie für den Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts ausgesprochen selten ist. Die Entscheidung soll hier kurz aufgearbeitet werden, da ihre Kenntnis als Teil des juristischen Tagesgeschehens durchaus vorteilhaft ist und sie gerade im Bereich der Schwerpunktbereichsprüfung im Arbeitsrecht Bedeutung erlangen kann. Dem Examenskandidaten sollte die Entscheidung Anlass liefern, das Selbstbestimmungsrecht der Kirche sowie das Zusammenspiel nationaler und europarechtlicher Normen zu wiederholen.
I. Sachverhalt (gekürzt)
Der Kläger war von 2000 bis 2009 Chefarzt der Inneren Medizin in einem Krankenhaus der Beklagten. Er selbst ist katholischer Konfession, die Beklagte ist eine GmbH unter der Aufsicht der katholischen Kirche.
Nachdem seine erste Ehefrau aus katholisch anerkannter Ehe ihn bereits 2005 verlassen hatte und sich scheiden ließ, ging der Kläger im Jahre 2008 eine zweite standesamtliche Ehe ein. Die katholische Kirche hatte die erste Ehe zuvor nicht für nichtig erklärt.
Als die Beklagte hiervon Kenntnis erlangte, kündigte sie das Dienstverhältnis. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage und macht geltend, ein evangelischer Mitarbeiter in derselben Position wäre unter denselben Bedingungen nicht gekündigt worden.
Das Arbeitsgericht Düsseldorf entschied zugunsten des Klägers, ebenso wie das LAG Düsseldorf und das BAG. Das Urteil des BAG wurde allerdings vom BVerfG wegen mangelnder Berücksichtigung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aufgehoben und zurückverwiesen (siehe zu der wichtigen Entscheidung BVerfG, NZA 2014, 1387). Nun fand der Fall nach einem Vorabentscheidungsersuchen des BAG seinen Weg zum EuGH.
II. Gesetzliche Grundlagen
Das Arbeitsrecht im Rahmen der katholischen Kirche birgt einige Besonderheiten und ist von hoher praktischer Relevanz, da die Kirchen nach dem Staat der zweitgrößte Arbeitgeber Deutschlands sind.
Die Besonderheiten sowohl im nationalen als auch im europäischen Recht folgen daraus, dass der Status der Kirchen und ihr Selbstbestimmungsrecht ausdrücklich anerkannt werden (siehe Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV; Erwägungsgrund 24 RL 2000/78 EG).
Dem wird auch im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes Rechnung getragen: Während unmittelbare Diskriminierungen wegen der Religion nach § 7 I AGG i.V.m. § 8 I AGG nur gerechtfertigt werden können, wenn die Religion eine wesentliche berufliche Anforderung darstellt und die Ungleichbehandlung einen legitimen Zweck angemessen verfolgt, so gilt allein für kirchliche Einrichtungen zusätzlich der Rechtfertigungsgrund nach § 9 AGG. Hiernach ist sie auch zulässig, wenn die Religion im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirche oder nach Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Weiterhin dürfen die kirchlichen Einrichtungen nach § 9 II AGG im Hinblick auf ihr Selbstverständnis besondere Loyalitätsobliegenheiten der Mitarbeiter vorsehen.
Dies hat die katholische Kirche in Art.  4 I, 5 II, III GrO 1993 getan, wo festgelegt ist, dass eine nach kirchlichem Verständnis ungültige Ehe einen Kündigungsgrund insbesondere für leitende Mitarbeiter katholischer Konfession darstellt. Demgegenüber wird von nicht katholischen Mitarbeitern lediglich die Achtung der Werte des Evangeliums verlangt (Art. 4 II GrO 1993).
III. Fragen des BAG – Antworten des EuGH
Fraglich war nun zunächst, ob die Loyalitätsobliegenheiten, die die Kirchen nach Art der Tätigkeit und Umständen ihrer Ausübung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderungen vorsehen können, einer vollständigen gerichtlichen Überprüfbarkeit unterliegen. Dies hat der EuGH bejaht – insbesondere die Vereinbarkeit der Anforderungen mit der RL 2000/78 EG darf der gerichtlichen Kontrolle nicht entzogen werden. Schon im Fall Egenberger (Urt. v. 17.4.2018 – C-414/16) stellte der EuGH fest, dass die Gerichte in der Lage sein müssen zu überprüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 4 II RL 2000/78/EG (der von § 9 AGG umgesetzt wird) überhaupt erfüllt sind. Die Ungleichbehandlung wegen der Religion muss tatsächlich wesentliche Anforderung im Hinblick auf das Ethos der Kirche sein und darf kein sachfremdes Ziel verfolgen.
Sollte die Anordnung durch die Kirche insoweit zulässig sein, stellt sich weiterhin die Frage, ob sich die Anforderungen, die an loyales Verhalten gestellt werden, danach unterscheiden dürfen, ob der betreffende Mitarbeiter katholischer Konfession ist oder nicht. Dies bejaht der EuGH mit einem großen „Aber“: Grundsätzlich ist eine solche Ungleichbehandlung nicht unzulässig, solange die Religion oder Weltanschauung (hier genauer gesagt die katholische Konfession und damit verbundene Akzeptanz des unauflöslichen Charakters der Ehe) im Hinblick auf die Tätigkeit wesentliche, gerechtfertigte berufliche Anforderung i.S.d. Art. 4 II RL 2000/78/EG ist. Das wäre der Fall, wenn es dem Ethos der Kirche widerspräche, wenn der Mitarbeiter auf der betreffenden Position die Anforderung nicht erfüllt. In einem Hinweis an die nationalen Gerichte stellt der Gerichtshof sodann fest, dass doch allein die Tatsache, dass auf gleicher Ebene Mitarbeiter beschäftigt seien, die eben nicht katholischer Konfession sind und für die die Loyalitätsobliegenheit somit nicht gilt, gegen eine wesentliche Anforderung spreche. Letztlich obliegt diese Entscheidung aber dem BAG.
IV. Auswirkungen der Entscheidung
Nach dem deutlichen Hinweis des EuGH ist zu erwarten, dass das BAG zugunsten des Arztes entscheiden wird. Zu beachten ist, dass das AGG nach § 2 IV AGG auf Kündigungen grundsätzlich nicht anwendbar ist. Um auch bei Kündigungen einen angemessenen Diskriminierungsschutz zu gewährleisten geht man allerdings davon aus, dass eine diskriminierende Kündigung nicht sozial gerechtfertigt sein kann und damit nach § 1 I KSchG unwirksam ist.
Das BAG hat nun auch zu entscheiden, ob § 9 AGG europarechtskonform ausgelegt werden kann. Die volle gerichtliche Überprüfbarkeit und die Anforderung, dass jede Ungleichbehandlung nur wegen „wesentlicher, rechtmäßiger und gerechtfertigter“ beruflicher Anforderungen erfolgen kann, darf dem Wortlaut des § 9 AGG nicht widersprechen. Sollte eine europarechtskonforme Auslegung nicht möglich sein, muss die Norm von den deutschen Gerichten unangewendet bleiben – zwar entfaltet die Diskriminierungsrichtlinie selbst keine unmittelbare Wirkung innerhalb der Mitgliedsstaaten, allerdings konkretisiert sie das nun in Art. 21 Grundrechtecharta niedergelegte Diskriminierungsverbot, dessen volle Wirksamkeit durch die Gerichte zu gewährleisten ist (siehe zur Problematik auch ausführlich Thüsing/Mathy, RIW 2018, 559).
Die Reaktion des BAG bleibt gerade wegen dieser folgeträchtigen Frage mit Spannung abzuwarten.

15.10.2018/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2018-10-15 09:55:502018-10-15 09:55:50Die Chefarztentscheidung – Kündigung wegen zweiter Ehe?
Dr. Christoph Werkmeister

Störung des Kölner Weihnachtsgottesdienstes durch Femen-Aktivistin

Aktuelles, Strafrecht BT

Im letzen Jahr ereignete sich kurz vor Weihnachten der folgende Sachverhalt, der sich hervorragend zum Abprüfen im Rahmen einer mündlichen Examensprüfung eignen würde:

Kurz nach Beginn der morgendlichen Weihnachtsmesse im Kölner Dom stürmte die 20-jährige Femen-Aktivistin Josephine Witt aus der ersten Reihe nach vorne und sprang nur mit einem Slip bekleidet auf den Altar. Sie hatte sich die Worte „I am God“ („Ich bin Gott“) auf den Oberkörper gemalt. Vor den Augen von Erzbischof Joachim Kardinal Meisner wurde die Frau von den Sicherheitskräften im Dom abgeführt (siehe hier).

Die Staatsanwaltschaft griff das Verhalten auf und ermittelte gegen die Aktivistin wegen Störung der Religionsausübung (§ 167 StGB). Der Straftatbestand gehört sicherlich nicht zum Kernfachpflichtstoff für die juristischen Staatsexamina. Da das AG Köln die Aktivistin aber kürzlich zu einer Geldstrafe verurteilt hat (Urteil vom 03.12.2014 – 647 Ds 240/14), gewinnt der Fall – nicht zuletzt, da Weihnachten wieder kurz vor der Tür steht – an Aktualität. Wenn es tatsächlich so kommen sollte, dürften die Prüfer allerdings keine Detailkenntnisse erwarten. Was hingegen erwartet werden kann, wäre das Auffinden des einschlägigen Straftatbestandes und zumindest der Versuch der Definition der relevanten Tatbestandsmerkmale.
Auffinden des Straftatbestandes
Der 11. Abschnitt des StGB beschäftigt sich mit Straftaten, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen. In diesem Abschnitt findet sich der hier einschlägige § 167 StGB. Eine Strafbarkeit der Aktivistin kommt insbesondere gemäß § 167 Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht. Hiernach macht sich strafbar, wer einen kirchlichen Gottesdienst absichtlich und in grober Weise stört.
Definition der Tatbestandsmerkmale
Voraussetzung für die Strafbarkeit ist zunächst das Vorliegen eines Gottesdienstes. Gottesdienste sind Veranstaltungen von Mitgliedern einer Religionsgesellschaft zur gemeinsamen Anbetung und Verehrung von Gott nach ihren eigenen Vorschriften, Gebräuchen und Formen (OLG Celle NJW 1997, 1167). Das Vorliegen dieses Merkmals wäre im vorliegenden Fall ohne Probleme zu bejahen, da die Aktivistin während einer Messe im Kölner Dom protestiert hat. Der Gottesdienst müsste zudem von einer Kirche abgehalten werden. Da der Gottesdienst hier von der katholischen Kirche veranstaltet wurde, wäre auch dieses Merkmal ohne weiteres erfüllt.
Tathandlung ist das Stören der Veranstaltung. Der Begriff der Störung lässt sich derart definieren, dass eine Beeinträchtigung des konkreten Gottesdienstes vorliegen muss. Die Störung hat allerdings auch in grober Weise zu erfolgen. Es stehen also nur besonders empfindliche und nachhaltige Beeinträchtigungen eines Gottesdienstes unter Strafe. Ob eine grobe Störung vorliegt, ist somit eine Frage des Einzelfalls, wobei es insbesondere auf die Intensität (Art und Dauer) der Beeinträchtigung ankommt. Insofern ist unter anderem zu fragen, ob der Gottesdienst trotz der Störung fortgeführt werden kann. Vorliegend stand die Aktivistin auf dem Altar des Kölner Doms, sodass der Gottesdienst nur dann fortgeführt werden konnte, wenn sich die Aktivistin entfernt. Die Aktivistin musste hier sogar gewaltsam (durch Sicherheitskräfte) entfernt werden, sodass es nahe liegt eine grobe Störung anzunehmen.
Die Meinungsfreiheit der Aktivistin dürfte hingegen nicht bei der vorangestellten Abwägung zu berücksichtigen sein, da jedwede grobe Störung des Gottesdienstes letztlich zu einer erheblichen Beeinträchtigung der übrigen Gottesdienstteilnehmer (bzw. der Veranstalter) führt, sodass die Grundrechte der Aktivistin in diesem Zusammenhang keine Berücksichtigung finden. Durch das Schaffen der Norm des § 167 StGB hat der Gesetzgeber bereits eine Abwägung vorweggenommen und damit entschieden, dass die Meinungsfreiheit Dritter grundsätzlich hinter der Religionsfreiheit der Teilnehmer eines Gottesdienstes zurücksteht. Aus ebendiesem Grunde kommt auch keine Rechtfertigung der Tathandlung aufgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen der Aktivistin in Betracht.
Die Tathandlung, also das grobe Stören, muss vom Täter auch billigend in Kauf genommen werden (dolus eventualis). Im Hinblick auf den Taterfolg setzt der Tatbestand des § 167 StGB allerdings Absicht voraus. Es muss dem Täter also darauf ankommen, den Gottesdienst zu stören, wobei es aber unerheblich ist, wenn die Störung nur ein Mittel zu einem weiteren Zweck (z.B. dem Erlangen von medialer Aufmerksamkeit) ist. Angesichts der Motivation der Aktivistin, den Gottesdienst zu unterbrechen, um gegen das aus ihrer Sicht bestehende „Machtmonopol der katholischen Kirche“ zu protestieren, dürfte das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen (obschon der gesteigerten Voraussetzungen) in diesem Fall zu bejahen sein.
Der Tatbestand des § 167 Abs, 1 Nr, 1 StGB war somit erfüllt. Der Auffassung des AG Köln kann also mit guten Argumenten gefolgt werden.
Denkbare Exkurse
Der hier nur kursorisch geschilderte Fall bietet sich nicht nur deshalb für mündliche Prüfungen an, da mit der Definition und Subsumtion des (voraussichtlich) unbekannten Straftatbestands die Argumentationsfähigkeit der Prüflinge auf die Probe gestellt wird. Der Fall bietet weiterhin die Möglichkeit, auf breiterer Ebene Wissen abzufragen, zum Beispiel zu den Themen Grundrechte und Religionsfreiheit (siehe dazu hier). Zudem können noch weitere (examensrelevantere) Straftatbestände als der hier einschlägige § 167 StGB geprüft und diskutiert werden. Dies wären etwa § 240 StGB (Nötigung), § 123 StGB (Hausfriedensbruch) oder § 185 StGB (Beleidigung). Im Rahmen einer mündlichen Prüfung würde sich die Diskussion folglich noch auf weitere Themen erstrecken.

10.12.2014/2 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2014-12-10 09:26:402014-12-10 09:26:40Störung des Kölner Weihnachtsgottesdienstes durch Femen-Aktivistin
Dr. Christoph Werkmeister

Aktuelle examensrelevante verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung mit weiterführenden Hinweisen

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Verwaltungsrecht

In den letzten Tagen sind erneut eine Reihe von öffentlich-rechtlichen Problemkreisen durch die verwaltungsgerichtliche Judikatur gegangen (siehe zur Examensrelevanz der aktuellen Judikatur hier). Kandidaten, für die bald die mündliche Prüfung ansteht, sollten sich deshalb mit den im Folgenden genannten Problemkreisen einmal kurz auseinandergesetzt haben. Daneben ist es zumindest denkbar, dass die folgenden Sachverhalte zu gegebener Zeit auch als Aufhänger in Klausuren für das erste sowie zweite Staatsexamen Eingang finden werden.
Da die Pressemitteilungen der genannten Fälle die jeweils einschlägige Problematik bereits ausreichend erläutern, werden im Folgenden lediglich Auszüge aus den respektiven Mitteilungen zitiert, wobei jeweils am Ende auf weiterführende Lektüre hingewiesen wird.
VG Neustadt: Gewerberechtliche Untersagung einer „Seitensprungagentur“ (Beschluss vom 21.12.2012 – 4 L 1021/12.NW)

Der Antragsteller betrieb in Ludwigshafen eine sogenannte Seitensprungagentur nebst Partnervermittlung, ohne das Gewerbe angemeldet zu haben. Kunden übergab er gegen Entgelt eine Liste mit Telefonnummern von angeblich an Seitensprüngen oder einer näheren Beziehung interessierten Frauen. In der Folgezeit beschwerte sich bei der Stadt eine Frau über zunehmende telefonische Belästigungen von Männern. Sie habe dem Antragsteller ihre Daten nicht zur Verfügung gestellt. Eine Bundeszentralregisterauskunft ergab, dass der Antragsteller im Zeitraum 1997 – 2011 in 13 Fällen zu Geld- und Freiheitsstrafen verurteilt worden war. Die Stadt untersagte diesem daraufhin wegen gewerberechtlicher Unzuverlässigkeit die Ausübung der Seitensprungagentur und ordnete die sofortige Vollziehung an.
Bei der Ausübung einer «Seitensprungagentur» handelt es sich nach dem VG wegen der Schutzbedürftigkeit der Kunden und der Missbrauchsanfälligkeit um ein nach der Gewerbeordnung besonders überwachungsbedürftiges Gewerbe („Vermittlung von Eheschließungen, Partnerschaften und Bekanntschaften“, vgl. § 38 Abs. 1 Nr. 3 GewO). Nach dem Gesamteindruck des bisherigen Verhaltens des Antragstellers fehle diesem jedoch die erforderliche Zuverlässigkeit für die Ausübung eines solchen Gewerbes. Er sei in der Vergangenheit mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Zwar hätten die meisten der 13 im Bundeszentralregister eingetragenen Straftaten keinen Gewerbebezug. In ihrer Häufigkeit zeigten diese aber, dass der Antragsteller dazu neige, in strafbewehrter Weise die Rechtsordnung zu verletzen. Durch das bisherige gewerbliche Verhalten des Antragstellers sieht das VG die sich aufdrängende Prognose eines künftig rechtswidrigen Verhaltens bei der Ausübung des Gewerbes bestätigt. So habe er den Gewerbebetrieb erst angemeldet, nachdem ihn die Stadt dazu aufgefordert habe. Aus den Akten ergebe sich ferner, dass der Antragsteller Telefonnummern von Damen an potentielle Kunden weitergegeben habe, die ihm diese nicht zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt hätten.

Anmerkung: Das Gewerberecht ist äußerst häufig Gegenstand von Examensklausuren. Zum besseren Verständnis und zur Einordnung der hiesigen Entscheidung, empfiehlt sich insofern die Lektüre des „Mini-Crashkurses Gewerbeordnung“. Im Übrigen ergingen erst kürzlich andere äußerst examensrelevante Entscheidungen zum Rechtsbegriff der Zuverlässigkeit – dies jedoch in einem anderen Kontext, nämlich dem Schornsteinfegerrecht, siehe dazu hier).
VGH Mannheim: Disziplinarische Maßnahme gegen Pfarrer gerichtlich nicht überprüfbar (Beschluss vom 18.12.2012 – 4 S 1540/12)

Einem katholischen Pfarrer im Ruhestand wurde vorgeworfen, in den 1960er Jahren sexuelle Handlungen an Minderjährigen vorgenommen zu haben. Der Bischof erteilte ihm mit Dekret vom 22.06.2011 nach kanonischem Recht einen Verweis und fügte dem eine Buße hinzu. Insoweit erlegte er dem Antragsteller eine 20-prozentige Kürzung seiner Bezüge auf.
Das Gericht nahm an, dass die kirchenrechtliche Gehaltskürzung als disziplinarische Maßnahme nach kanonischem Recht nicht der Kontrolle durch ein staatliches Gericht unterliegt. Zwar sei es den öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften überlassen, für Streitigkeiten aus den Rechtsverhältnissen ihrer Beamten und Seelsorger den Rechtsweg zu staatlichen Verwaltungsgerichten wie bei Klagen staatlicher Beamter zu eröffnen. Eine solche kirchenrechtliche Rechtswegzuweisung gebe es hier aber nicht. Den Kirchen sei das Recht zur eigenständigen Ordnung und Gestaltung ihrer inneren Angelegenheiten verfassungsrechtlich gewährleistet. Soweit dieses Selbstbestimmungsrecht reiche, unterlägen sie nicht der staatlichen Gerichtsbarkeit. Das gelte insbesondere für die Art und Weise, in der die Kirche ihren geistlich-religiösen Auftrag auffasse und erfülle. Insoweit gehöre auch das Dienstrecht der Geistlichen zum Kernbereich innergemeinschaftlicher Angelegenheiten der Kirchen. Diesbezügliche Entscheidungen der Kirchen und Kirchengerichte seien von den staatlichen Gerichten hinzunehmen.
Auch die Justizgewährungspflicht des Staates und das Rechtsstaatsprinzip ermächtigten staatliche Gerichte nicht, über kircheninterne Maßnahmen zu entscheiden, heißt es im Beschluss weiter. Denn die nach kanonischem Recht als Werk der Caritas auferlegte Buße in Gestalt einer Gehaltskürzung sei eine solche rein innerkirchliche Maßnahme als Folge eines innerkirchlichen Pflichtenverstoßes des Antragstellers. Das Disziplinarrecht der Kirchen wurzele als Teil ihres Amtsrechts in ihrem geistlichen Wesen und bilde einen Kern ihres Selbstbestimmungsrechts.

Anmerkung: Der hier dargestellte Sachverhalt eignet sich – aufgrund der Verneinung des Verwaltungsrechtswegs – weniger für eine Examensklausur. Wahrscheinlicher ist, dass dieser Sachverhalt im Rahmen von mündlichen Prüfungen abgefragt wird. Die Entscheidung ist insofern besonders interessant, da im Querschnitt noch weitere aktuelle Entwicklungen, etwa im kirchlichen Arbeitsrecht, in das Gespräch mit einfließen können (siehe dazu hier). Gleichzeitig bietet sich der Fall für den Prüfer als Eingangstor an, um verwaltungs- sowie verfassungsrechtliche Fragestellungen rund um die Religionsfreiheit zu erörtern (siehe dazu aktuell etwa hier).
VG Neustadt: Zur Entziehung der Fahrerlaubnis in einem Sonderfall (Urteil vom 18.12.2012 – 1 L 986/12.NW)

Der Antragsteller besitzt nur die Fahrerlaubnis für die Klassen M, L und S […]. Er fährt dementsprechend ein Elektrofahrzeug, dessen Geschwindigkeit auf 45 km/Std. beschränkt ist. Nach einem Unfallgeschehen mit dem Fahrzeug im Straßenverkehr wurde er mit rechtskräftigem Strafbefehl zu einer Geldstrafe verurteilt wegen Verkehrsunfallflucht und fahrlässiger Körperverletzung. Im Verkehrszentralregister wurden dafür 12 Punkte eingetragen und er nach dem im Punktesystem vorgesehenen Maßnahmenkatalog verwarnt. Die Straßenverkehrsbehörde forderte ihn darüber hinaus auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten über seine Fahreignung vorzulegen und entzog ihm, nachdem er das Gutachten nicht vorlegte, die Fahrerlaubnis wegen fehlender Eignung zum Führen von Fahrzeugen im Straßenverkehr und ordnete den sofortigen Vollzug an.
Nach Auffassung des Gerichts hat die Behörde das medizinisch-psychologische Gutachten nicht rechtmäßig angefordert, deshalb dürfe sie aus der unterbliebenen Vorlage des Gutachtens nicht den Schluss ziehen, dass der Antragsteller zum Führen von Fahrzeugen ungeeignet sei. Bei der Anordnung des Gutachtens habe sie ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt und sei nicht auf die Besonderheiten des Einzelfalls eingegangen. Diese bestünden hier darin, dass der Antragsteller im Unterschied zum Regelfall eines Kraftfahrers nur deutlich in der Geschwindigkeit reduzierte Fahrzeuge führen dürfe und nach seinen Angaben zudem nur einen eingeschränkten örtlichen Bereich befahre. Außerdem sei bei der Ermessensausübung zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er durch die Verwarnung und den Strafbefehl nachdrücklich im Hinblick auf seine Pflichten als Verkehrsteilnehmer ermahnt worden sei. Der Gesetzgeber gehe grundsätzlich davon aus, dass die abgestuften Maßnahmen nach dem Punktekonto im Verkehrszentralregister ausreichend seien, auch dies habe in die Ermessenserwägungen mit einbezogen werden müssen.

Anmerkung: Fälle zur Entziehung des Führerscheins werden durchaus Gegenstand von Examensklausuren. Zum Verständnis des einschlägigen Rechtsrahmens, der FeV sowie dem StVG, sei aus diesem Grund auf einen weiterführenden Beitrag verwiesen.

11.01.2013/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2013-01-11 15:30:092013-01-11 15:30:09Aktuelle examensrelevante verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung mit weiterführenden Hinweisen
Gastautor

BAG: Aufruf von Gewerkschaften zum Streik in kirchlichen Einrichtungen rechtmäßig

Arbeitsrecht, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht, Zivilrecht, Zivilrecht

Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Marvin Granger veröffentlichen zu können. Der Autor hat seit 2007 an der Universität Münster studiert und in diesem Jahr sein Studium dort erfolgreich abgeschlossen.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 20. November 2012 in einem Urteil (Az: 1 AZR 179/11) entschieden, dass der gewerkschaftliche Aufruf zum Streik die Kirche als Arbeitgeberin nicht in ihrem verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrecht aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV verletzt. Bislang liegt nur die Presseerklärung zu der Entscheidung vor.
I. Sachverhalt
Geklagt hatte u.a. die Evangelische Kirche von Westfalen, die von der Gewerkschaft ver.di verlangt hatte, Warnstreikaufrufe in kirchlichen diakonischen Werken zu unterlassen. Die Kirche meinte, diese Aufrufe würden sie in ihrem Selbstverwaltungsrecht aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV verletzen. Dagegen hatte ver.di vorgebracht, wegen der vorbehaltlos gewährleisteten Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG, auch gegen die Kirche als Arbeitgeberin zum Warnstreik aufrufen zu dürfen. Trotz der zwischen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite ausgehandelten Arbeitsbedingungen konnte die Kirche einseitig zwischen verschiedenen Arbeitsregelungen wählen.
Die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Hamm, hatte die Klage der Kirche abgewiesen. Gegen diese Entscheidung hatte die Kirche Revision eingelegt.
II. Entscheidungsgründe
Das BAG hat nun das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm bestätigt. Zwar habe die Kirche gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV das Recht, ihre Angelegenheiten eigenständig zu ordnen und zu verwalten, doch dieses Recht sei nicht vollumfänglich gewährleistet, sondern

„funktional auf die Verwirklichung der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG“ beschränkt, heißt es in der Presseerklärung. „Sein Schutzbereich umfasst auch die Entscheidung, die Arbeitsbedingungen der in der Diakonie beschäftigten Arbeitnehmer nicht mit Gewerkschaften durch Tarifverträge zu regeln, sondern entsprechend ihrem religiösen Bekenntnis einem eigenständigen, am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichteten Arbeitsrechtsregelungsverfahren zu überantworten.“

Zur Erläuterung: Dieses genannte Arbeitsrechtsregelungsverfahren am Leitbild der Dienstgemeinschaft wird von einem Gremium vorgenommen, das jeweils zum Teil aus Vertretern der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite zusammengesetzt ist. Kommt es zwischen den Parteien zu Unstimmigkeiten, so werden diese durch eine Schlichtungskommission mit einem neutralen Vorsitzenden geklärt. Dieses Arbeitsrechtsregelungsverfahren bezeichnet man als sog. „Dritten Weg“. Daneben gibt es noch die Möglichkeiten, die Arbeitsbedingungen entweder einseitig durch Kirchengesetze (sog. „Erster Weg“) oder durch Tarifvertrag festzulegen (sog. „Zweiter Weg“) (Ehlers, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl., München 2011, Art. 140, Art. 137 WRV Rn. 10 m.w.N. ).
Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht hat im Rahmen der o.g. Grenzen einen weiten Schutzbereich und umfasst stets die Ausgestaltung kirchlicher Arbeitsverhältnisse (Ehlers, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl., München 2011, Art. 140, Art. 137 WRV Rn. 10. ) . Konsequenterweise ist deren Ausgestaltung durch staatliche Gerichte auch grundsätzlich nicht überprüfbar, denn in innerkirchliche – religiöse – Angelegenheiten hat der Staat sich wegen des aus Art. 4 Abs. 1 GG folgenden religiösen und weltanschaulichen Neutralitätsgebots nicht einzumischen.
Auch die Gewerkschaften dürfen sich in der Regel nicht in die innerkirchlichen privatrechtlichen Arbeitsregelungen einmischen, so das BAG, doch dies gelte nur,

„sofern diese (Anm.: also die Gewerkschaft) sich innerhalb des Dritten Weges noch koalitionsmäßig betätigen kann, die Arbeitsrechtssetzung auf dem Dritten Weg für die Dienstgeber verbindlich ist und als Mindestarbeitsbedingung den Arbeitsverträgen auch zugrunde gelegt wird.“

Auf die Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 GG können die Gewerkschaften sich dann also nicht berufen, denn dies würde im vorliegenden Fall die diakonische Tätigkeit der Kirche stark behindern und ihrer Glaubwürdigkeit schädigen, so das BAG. Zwar waren zwischen der Kirche und den Arbeitnehmern im Rahmen des „Dritten Weges“ Arbeitsrechtsregelungen ausgehandelt worden, doch diese waren für die Kirche nicht verbindlich, vielmehr konnte sie einseitig zwischen unterschiedlichen Regelungen wählen. Daher sei die Koalitionsfreiheit in diesem Fall nicht ausgeschlossen, so das BAG.
Die Kirche muss also die Warnstreikaufrufe dulden. Folglich war die Klage vom Landesarbeitsgericht Hamm zu Recht abgewiesen worden und dementsprechend die Revision unbegründet.
Anmerkungen/Prüfungsrelevanz
Der Fall kann auch für Prüfungen in der Ausbildung bzw. im Examen aus mehreren Gründen relevant sein:
• Man kann an der Entscheidung des BAG sehr schön sehen, dass die Gerichte in Fällen mit Grundrechtsbezug die widerstreitenden Grundrechte gegeneinander abwägen und zu einem möglichst schonenden Ausgleich bringen müssen (sog. praktische Konkordanz). Dabei darf nicht das eine Verfassungsgut ohne Rücksicht auf das andere über dieses gestellt werden, sondern beide Güter müssen berücksichtigt und gegeneinander abgewogen werden. Die Verfassungsgüter begrenzen sich gegenseitig, sodass beide zu möglichst optimaler Wirkung gelangen können (Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1995, Rn. 72. ). Wo diese „optimale“ Wirkung beider Güter liegt, muss im Einzelfall durch Abwägung im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung festgestellt werden (Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1995, Rn. 72. ).
Im vorliegenden Fall des BAG standen sich das kirchliche Selbstverwaltungsrecht auf der einen und die Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaft auf der anderen Seite gegenüber. Das Gericht hat festgestellt, dass die Koalitionsfreiheit nicht per se hinter das kirchliche Selbstverwaltungsrecht zurücktritt (obgleich dieses sehr weit geht, s.o.), sondern nur, sofern die Gewerkschaften bei der Aushandlung der Arbeitsrechtsregelungen hinreichend beteiligt worden sind und die erzielten Ergebnisse für die Arbeitgeberin (Kirche) als Mindestarbeitsbedingungen verbindlich sind. Streiks und Aufrufe hierzu sind dann rechtswidrig, weil die Arbeitnehmer sich nicht auf Art. 9 Abs. 3 GG berufen können. Dies war hier nicht der Fall (s.o.).
Es sollte, was die Rechtmäßigkeit von Streiks betrifft, unbedingt die Parallele zu Tarif-verträgen gesehen werden: Solange ein Tarifvertrag Geltung hat, sind Streiks rechtswidrig (sog. Friedensfunktion von Tarifverträgen). Hier wurde zwar kein Tarifvertrag geschlossen (Zweiter Weg), aber im Rahmen des Dritten Weges eine besondere vertragliche Vereinbarung. Auch diese entfaltet eine Friedensfunktion, wenn die Arbeitnehmer hinreichend beteiligt worden sind.
• Der Fall könnte im Examen, jedenfalls in der mündlichen Prüfung, einerseits als arbeitsrechtliche Aufgabe wie oben kommen. Denkbar ist jedoch wegen seiner Grundrechtsrelevanz andererseits auch, dass die Thematik in einer öffentlich-rechtlichen Prüfungsaufgabe gestellt wird, etwa im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde. Bei der Begründetheitsprüfung einer solchen „Urteilsverfassungsbeschwerde“ ist zu beachten, dass das BVerfG nur prüft, ob das Fachgericht (hier das BAG) spezifisches Verfas-sungsrecht verletzt hat. Dies ist nur dann der Fall, wenn das Fachgericht die Grund-rechtsrelevanz des Falles entweder komplett verkannt hat oder wenn es sie zwar gesehen, aber die widerstreitenden Grundrechte bei der Abwägung nicht hinreichend gewichtet hat (beides kann man dem BAG nicht vorwerfen). Die Sachentscheidung über-prüft das BVerfG dagegen nicht, denn das ist nach seiner ständigen Rechtsprechung al-lein die Aufgabe der Fachgerichte. Das BVerfG ist keine Superrevisionsinstanz.
Für eine solche Grundrechtsprüfung sei an dieser Stelle auf die etwas versteckten, aber nicht zu unterschätzenden „Weimarer Kirchenartikel“ (Art. 136-139, 141 WRV) hin-zuweisen. Es ist allgemein anerkannt, dass diese Vorschriften, die gem. Art. 140 GG sog. inkorporiertes und damit voll gültiges Verfassungsrecht darstellen, die Religions-freiheit der Glaubensgemeinschaften ergänzen und überlagern. Sie sind besondere Ausprägungen der Religionsfreiheit. Daher sind auch diese Artikel verfassungsbeschwerdefähig. Wenn im Prüfungsfall eine Religionsgesellschaft (z.B. die Evangelische Kirche von Westfalen) also eine Verfassungsbeschwerde erhebt, ist nicht nur auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, sondern auch auf Art. 140 GG i.V.m. den Weimarer Kirchenartikeln einzugehen.
• Gerade die Kombination zweier klassischer Rechtsgebiete – Arbeitsrecht und Verfassungsrecht – macht den Fall des BAG für das Examen interessant. Es geht im Kern mal wieder darum, wo die Religionsfreiheit (hier der Kirche, in spezieller Ausprägung des Selbstverwaltungsrechts) ihre Grenzen findet. Mit dem gleichen Problem hatten sich in jüngster Zeit schon andere Gerichte zu beschäftigen (z.B. BVerwG: Berliner Schulgebet; LG Köln: Beschneidung Minderjähriger).

27.11.2012/0 Kommentare/von Gastautor
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2012-11-27 09:30:002012-11-27 09:30:00BAG: Aufruf von Gewerkschaften zum Streik in kirchlichen Einrichtungen rechtmäßig

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