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Schlagwortarchiv für: Gleichbehandlung

Micha Mackenbrock

Stadt Essen muss der AfD ihre Stadthalle zur Verfügung stellen

Aktuelles, Kommunalrecht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite

Die Stadt Essen geriet im Sommer diesen Jahres in den Fokus einer juristischen Auseinandersetzung, als sie einen bereits geschlossenen Mietvertrag mit der AfD für deren Bundesparteitag in der Essener Stadthalle kündigte. Die Stadt begründete ihre Entscheidung mit Bedenken über mögliche rechtliche Verstöße während der Veranstaltung. Die AfD ging daraufhin vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen im Eilverfahren gegen die Kündigung vor und konnte sich mit Verweis auf das Gleichbehandlungsgebot der Parteien durchsetzen. Den Gerichtsbeschluss vom 14.06.2024 – 15 L 888/24 stellt unser Gastautor Micha Mackenbrock vor. Er hat an der Universität Bonn Rechtswissenschaft studiert und das erste Staatsexamen abgeschlossen. Nun ist er Mitarbeiter in einer mittelständigen Anwaltskanzlei und widmet sich seinem Promotionsvorhaben im Bereich Arbeitsrecht.

I. Der Sachverhalt

Die Stadt Essen betreibt eine Stadthalle, die „Grugahalle“. Dort finden Messen, Konzerte, Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und auch politische Veranstaltungen statt. Die Stadt betreibt die Stadthalle dabei nicht unmittelbar, sondern ist „nur“ Mehrheitsgesellschafterin der die Stadthalle vermietenden „Messe Essen GmbH“ (nachstehend nur GmbH genannt). An dieser hält die Stadt insgesamt 80% der Gesellschaftsanteile. Anfang 2023 hatte die GmbH einen Mietvertrag mit der AfD abgeschlossen. Die AfD wollte die Stadthalle für ihren Bundesparteitag am 29. und 30. Juni nutzen.

Doch in der Zeit zwischen dem Abschluss des Mietvertrags und dem geplanten Bundesparteitag wachsen bei der Stadt Essen Zweifel, ob der AfD tatsächlich die Stadthalle zur Verfügung gestellt werden soll.  Schließlich beschloss der Stadtrat im Mai 2024, dass die GmbH den Mietvertrag kündigen soll, falls die AfD eine Bedingung nicht erfüllt: Die AfD soll eine strafbewehrte Selbstverpflichtungserklärung dahingehend abgeben, dass Teilnehmer des Parteitags keine strafbaren Handlungen vornehmen. Damit wollte die Stadt insbesondere verhindern, dass auf dem Parteitag verbotene SA-Parolen gerufen werden. Die AfD gab diese Erklärung nicht ab, woraufhin die GmbH den Mietvertrag kündigte.

Die AfD wandte sich gegen die Kündigung im Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Die Stadt Essen sollte verpflichtet werden sicherzustellen, dass die AfD Zugang zur Stadthalle gewährt bekommt.

II. Die Entscheidung

Das Gericht entschied im Sinne der AfD. ihr ist der Zugang zur Stadthalle gewähren, ohne dass sie zuvor eine strafbewehrte Selbstverpflichtung abgeben muss.

1. Kein Zugangsanspruch nach § 8 Gemeindeordnung NRW

In Betracht kommt ein Anspruch aus § 8 II, IV Gemeindeordnung NRW. Die Stadthalle ist eine kommunale öffentliche Einrichtung im Sinne von § 8 I Gemeindeordnung NRW, denn sie ist ein Gegenstand, der den Einwohnern beziehungsweise einen in der Zweckbestimmung festgelegten Personenkreis durch die Gemeinde für bestimmte öffentliche Zwecke zugänglich gemacht wird. Dass die Stadthalle dabei „nur“ von der GmbH und nicht von der Stadt Essen unmittelbar betrieben wird, ist unbeachtlich: „Auch eine von einer juristischen Person des Privatrechts betriebene Einrichtung kann eine gemeindliche Einrichtung sein. Um eine solche Einrichtung handelt es sich jedenfalls dann, wenn sie tatsächlich zu den von der Gemeinde verfolgten öffentlichen Zwecken zur Verfügung steht und wenn die Gemeinde die öffentliche Zweckbindung der Einrichtung nötigenfalls gegenüber der privatrechtlichen Betriebsgesellschaft durchzusetzen imstande ist. In diesen Fällen wandelt sich der Benutzungsanspruch in einen Verschaffungs- beziehungsweise. Einwirkungsanspruch.“ (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 14.06.2024 – 15 L 888/24). Demnach würde die Stadt Essen dazu verpflichtet werden, auf die von ihr beherrschte GmbH dergestalt einzuwirken, dass diese der AfD die Stadthalle zur Verfügung stellt (sog. Einwirkungsanspruch).

Der Anspruch nach § 8 II, IV Gemeindeordnung NRW scheitert aber daran, dass der AfD-Bundesverband, welcher Einlass in die Stadthalle begehrt, seinen Sitz in Berlin, und nicht im Gemeindegebiet der Stadt Essen hat.

2. Gleichbehandlungsanspruch der Parteien

Doch auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 8 Gemeindeordnung NRW kann die Gemeinde dazu verpflichtet sein, einer Partei die Stadthalle zur Verfügung zu stellen: Eine solche Pflicht kann sich aus dem Gleichbehandlungsanspruch der Parteien gemäß § 5 I 1 PartG i.V.m. Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG ergeben. Die in Rede stehende GmbH hat die Stadthalle in der Vergangenheit regelmäßig an politische Parteien im Sinne von § 2 I PartG vermietet. § 5 I 1 PartG verpflichtet Träger öffentlicher Gewalt dazu, alle Parteien bei der Zurverfügungstellung von Einrichtungen und andere öffentlichen Leistungen gleich zu behandeln. Und auch aus Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG ergibt sich für alle politischen Parteien ein Gleichbehandlungsanspruch. Das Recht auf Chancengleichheit einer Partei ist verletzt, „wenn ein Träger öffentlicher Gewalt die Nutzung einer öffentlichen Einrichtung einer Partei verweigert, obwohl er sie anderen Parteien einräumt oder eingeräumt hat“ (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 14.06.2024 – 15 L 888/24). Demnach wird die Entscheidungsfreiheit einer Gemeinde, ob und wem sie Zugang zu ihren öffentlichen Einrichtungen gewährt, begrenzt.

Abweichungen von der bisherigen Vergabepraxis bedürfen zu ihrer Rechtfertigung eines sachlichen Grundes. Hier wurde in der Vergangenheit die Stadthalle an politische Parteien vermietet, ohne dass diese zuvor eine strafbewehrte Selbstverpflichtungserklärung abgeben mussten. Dem Grunde nach hat somit auch die AfD einen Anspruch dahingehend, dass ihr die Stadthalle bedingungslos vermietet wird.

3. Keine Rechtfertigung für Ungleichbehandlung der AfD
a) Strafbare Äußerungen

Die Stadt Essen begründet ihr Entscheidung damit, dass zu erwarten sei, die AfD könnte die Stadthalle für strafbare Handlungen, insbesondere verbotene SA-Parolen, missbrauchen. An eine derartige Gefahrenprognose seien aber hohe Anforderungen zu stellen, so das VG Gelsenkirchen. Eine Versagung des Zugangs zu einer öffentlichen Einrichtung greift in den Anspruch aus Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG ein, sodass eine solche nur dann in Betracht kommt, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Rechtsverletzung bestehe.

Die hier von der Stadt Essen vorgelegte Prognose genügt dieser Anforderung nicht.  Zwar legt sie mündliche und schriftliche Äußerungen einzelner AfD-Mitglieder vor, welche sich in der Vergangenheit strafbar geäußert haben. Das alleine genüge aber nicht als Anhaltspunkt dafür, dass sich auf dem AfD-Bundesparteitag in der Stadthalle erneut entsprechend geäußert werden würde. Insbesondere habe die Stadt Essen vorab keine Kenntnis von dem Inhalt der für den Parteitag geplanten Reden und könne dahingehend nur Mutmaßungen anstellen.

b) Gegendemonstrationen

Auch die Befürchtung der Stadt, dass es wegen dem Parteitag zu (möglicherweise sogar gewalttätigen) Gegendemonstrationen kommen wird, rechtfertige nicht die Versagung der Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung. Es sei Aufgabe der Polizei- und Ordnungsbehörden, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren und eingetretene Störungen zu beseitigen, so das VG Gelsenkirchen.

4. Ergebnis

Die AfD hat aus § 5 I 1 PartG i.V.m. Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG einen Anspruch gegen die Stadt Essen dahingehend, dass die Stadt auf die von ihr beherrschte GmbH so einwirkt, dass diese der AfD die Stadthalle für ihren Bundesparteitag zur Verfügung stellt, ohne dass diese eine strafbewehrte Selbstverpflichtungserklärung abgeben muss.

III. Einordnung der Entscheidung

Die Entscheidung kam wenig überraschend. Selbst die von der Stadt Essen und der GmbH mit der Sache anvertrauten Rechtsanwaltskanzleien prognostizierten eine gerichtliche Niederlage. Zudem wehrte sich die Stadt Essen im Nachgang nicht gegen den Beschluss des VG Gelsenkirchen und legte keine Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht NRW ein. Die Stadt Essen und mit ihr viele Menschen hätten sich wohl ein anderes Ergebnis gewünscht. Doch mit dem Beschluss des VG wurde einmal mehr die Gleichbehandlung aller Parteien gestärkt, welche nicht von dem Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig im Sinne von Art. 21 II GG eingestuft worden sind.

04.11.2024/1 Kommentar/von Micha Mackenbrock
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2024-11-04 09:34:032024-11-14 09:31:49Stadt Essen muss der AfD ihre Stadthalle zur Verfügung stellen
Micha Mackenbrock

Rechtsmissbrauch: Keine Entschädigung für AGG-Hopper

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Seit einigen Jahren sind Stellenausschreibungen geschlechtsneutral formuliert oder werden mit dem Hinweis „m/w/d“ versehen. Dadurch wird deutlich gemacht, dass sich Menschen allen Geschlechts auf eine Stelle bewerben können. Andernfalls liegt ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor und es drohen Konsequenzen. Für sogenannte „AGG-Hopper“ ist dies Anlass genug, um derartige Stellenausschreibungen gezielt aufzuspüren und lukrative Entschädigungsansprüche nach dem AGG geltend zu machen. Ersthafte Ambitionen, die ausgeschriebene Stelle auch tatsächlich zu besetzen, haben derartige „AGG-Hopper“ dabei nie. Warum es aber im vorliegenden Fall nicht gelang, einen Entschädigungsanspruch durchzusetzen, erklärt Gastautor Micha Mackenbrock. Er hat das Erste Staatsexamen an der Universität Bonn absolviert und widmet sich nun seinem Promotionsvorhaben im Bereich Arbeitsrecht.

I. Der Sachverhalt

Im Fall, den das LAG Hamm zu entscheiden hatte (LAG Hamm, Urteil vom 05.12.2023 – 6 Sa 896/23) bewarb sich der männliche Kläger auf eine Stelle, welche für eine „Sekretärin“ ausgeschrieben worden ist.  Der von Sozialleistungen lebende Kläger bewarb sich in der Vergangenheit schon mehrfach auf derartige Stellenausschreibungen bei verschiedenen Unternehmen und führte danach Entschädigungsprozesse aufgrund einer etwaigen Benachteiligung wegen des Geschlechts.

Anfang 2021 fand der Kläger eine Stellenausschreibung als „Sekretärin“ auf einem Internetportal und nutzte daraufhin die dortige Chat-Funktion, um mit dem Unternehmen in Kontakt zu kommen. In wenigen und recht formlosen Sätzen beschrieb sich der Kläger darin und bewarb sich so auf die Stelle. Zudem fragte er explizit nach, ob das Unternehmen ausschließlich eine weibliche Sekretärin suche. Motivationsschreiben, Lebenslauf, Zeugnisse oder andere sonst übliche Bewerbungsunterlagen reichte er neben der Chatnachricht nicht mit ein.

Das Unternehmen sagte dem Kläger mit dem Verweis darauf, dass ausschließlich eine weibliche Sekretärin gesucht werde, ab. Vor Gericht forderte der Kläger vom Unternehmen Entschädigung nach § 15 AGG.

II. Gesetzlicher Hintergrund

Tatsächlich können aus Stellenausschreibungen Entschädigungsansprüche resultieren, wenn diese nicht geschlechtsneutral formuliert sind. Nach §§ 1, 7 AGG ist eine Benachteiligung von Beschäftigten wegen des Geschlechts unzulässig. Eine Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt nach § 3 I AGG dabei immer dann vor, wenn eine Person wegen ihres Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. §§ 6 I 2, 11 AGG weiten den Anwendungsbereich auf Bewerber und Stellenausschreibungen aus. Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot, etwa wegen einer diskriminierenden Nichteinstellung, hat der Arbeitgeber eine Entschädigung nach § 15 AGG zu zahlen.

III. Die Entscheidung

Das LAG führt aus, dass dem Grunde nach die Anspruchsvoraussetzungen nach § 15 II AGG vorliegen könnten. Es läge jedoch ein rechtsmissbräuchliches Verhalten seitens des Klägers nach § 242 BGB vor, welches den Anspruch im Ergebnis ausschließe.

Das LAG verweist auf die ständige Rechtsprechung des BAG, wonach im Zusammenhang mit Entschädigungsansprüchen nach § 15 II AGG Rechtsmissbrauch anzunehmen sei, „sofern eine Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber/in iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen“ (BAG, Urteil vom 14.06.2023 – 8 AZR 136/22, Rn. 54).

1. Voraussetzungen für Rechtsmissbrauch im Sinne von § 242 BGB

Das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs setzt ein objektives und ein subjektives Element voraus.

a. Objektives Element

Die Rechtsprechung verlangt für das Vorliegen eines objektiven Elements, dass aus einer umfassenden Bewertung aller objektiven Faktoren hervorgeht, dass das Ziel der Regelung trotz Einhaltung aller formalen Vorgaben nicht erreicht wurde. Ein Rechtsmissbrauch liege vor allem dann vor, wenn der Bewerber zielgerichtet so vorgeht, dass er einen Gewinn einstreichen kann (LAG Hamm, Urteil vom 05.12.2023 – 6 Sa 896/23, Rn. 90, 92).

aa. Große Entfernung

Als Indiz für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs verwies das LAG zunächst auf die große Entfernung von 170 Kilometer zwischen dem Wohnort des Klägers und der ausgeschriebenen Stelle. Dies spreche dafür, dass eine Arbeitsaufnahme nicht beabsichtigt war. Zwar schrieb der Bewerber in der Chatnachricht, dass er derzeit eine Wohnung in der Nähe der ausgeschriebenen Stelle suche. Jedoch bewarb sich der Kläger auch auf andere Stellen, die wiederum weit entfernt waren. Daraus ließe sich schließen, dass der Bewerber nie vorhatte, tatsächlich in die Nähe des beklagten Unternehmens zu zuziehen. Auch sei die Entfernung zu hoch, als dass ein tägliches Pendeln möglich und wirtschaftlich rentabel sei.

bb. Art und Weise der Bewerbung

Auch die Art und Weise wie sich der Kläger auf die Stelle beworben hat, spreche für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten. Schließlich haben das Verhalten des Klägers eine Absage geradezu provoziert. Die Bewerbung wies weder einen konkreten Bezug auf die Stellenausschreibung aus, noch hatte der Kläger die erforderlichen Qualifikationen. Zudem übersandte der Kläger nicht die üblichen Bewerbungsunterlagen wie Lebenslauf, Zeugnisse oder Motivationsschreiben. Die Bewerbung sei somit von Anfang an zum Scheitern verurteilt und der Bewerber nie ernsthaft an der Stelle interessiert gewesen, so das LAG.

cc. Vielzahl an Bewerbungen und Entschädigungsprozessen

Vor allem die hohe Anzahl an Bewerbungen und Entschädigungsprozessen, die der Kläger in der Vergangenheit geführt hatte, sprächen nach Auffassung des LAG für einen Rechtsmissbrauch. Zwar passte der Kläger sein „Geschäftsmodell“ nach verlorenen und gewonnenen Entschädigungsprozessen stets entsprechend an. Er beließ seine Bewerbungen aber bewusst auf aussichtslosem Niveau. Sein Prozesskostenrisiko minimierte er in der Vielzahl von Prozessen dadurch, dass er erstinstanzlich auf einen Rechtsanwalt verzichtete. Zudem nutzte der Bürgergeld beziehende Kläger Prozesskostenhilfe, so dass das Geschäftsmodell des AGG-Hoppings für den Kläger durchaus lukrativ sein könnte.

Aus alledem ergibt sich nach Auffassung des LAG, dass das objektive Element des Rechtsmissbrauchs vorliegt (LAG Hamm, Urteil vom 05.12.2023 – 6 Sa 896/23, Rn. 98-140).

b. Subjektives Element

Hinsichtlich des subjektiven Elements muss nach der Rechtsprechung anhand einer Reihe objektiver Indizien erkennbar sein, dass die Absicht darin besteht, durch das willkürliche Herbeiführen der entsprechenden Voraussetzungen einen ungerechtfertigten Vorteil aus der Regelung zu erlangen. Dabei muss die Erlangung des Vorteils das einzige ersichtliche Ziel sein (LAG Hamm, Urteil vom 05.12.2023 – 6 Sa 896/23, Rn. 90).

Schon aus den objektiven Umständen ergebe sich im zu entscheidenden Fall, dass es dem Kläger nur um eine Entschädigungszahlung ging. Ein echtes Interesse an der Stelle bestand nicht.

Außerdem zitiert der Kläger in der Klageschrift umfassend die Rechtsprechung des BAG zum Rechtsmissbrauch und trägt vor, warum sein Verhalten gerade nicht rechtsmissbräuchlich sei. Dies wertet das LAG als „Eigentor“ des Klägers: Der Kläger scheine genau zu wissen, was er tut und tun muss, um sich die gegen § 11 AGG verstoßenden Stellenausschreibungen finanziell zu Nutze zu machen. Das spreche schon dafür, dass es dem Kläger nie um eine erfolgreiche Bewerbung ging, sondern einzig und allein um die Erlangung von Entschädigungszahlungen (LAG Hamm, Urteil vom 05.12.2023 – 6 Sa 896/23, Rn. 143).

Demnach läge auch das subjektive Element und ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nach § 242 BGB insgesamt vor.

Gegen das Urteil des LAG Hamm ging der Kläger in Revision. Erfolglos, denn das BAG schloss sich dem LAG jüngst an (BAG, Urteil vom 19.09.2024, Az. 8 AZR 21/24).

IV. Einordnung der Entscheidung

Unstreitig ist, dass die Stellenausschreibung des Beklagten gegen das AGG verstieß und Männer diskriminiert. Wirklich diskriminierten Personen erweisen „AGG-Hopper“ mit ihrem Verhalten einen Bärendienst. Mit ihrem Betreiben und ihrem Geschäftsmodelle diskreditieren sie alle tatsächlich Diskriminierten, welche eine Absage auf ihre Bewerbungen wegen ihres Geschlechts erhalten oder schon wegen geschlechtsspezifischen Stellenausschreibungen von einer Bewerbung absehen, obgleich sie ernsthaftes Interesse an der Stelle gehabt hätten. Sinn und Zweck des AGG ist es aber nicht, dass Unbeteiligte einen finanziellen Nutzen aus Diskriminierungen ziehen können. Richtig also, dass die Rechtsprechung „AGG-Hoppern“ klare Grenzen aufzeigt – auch wenn Diskriminierungen dadurch nicht bekämpft werden können.

30.09.2024/1 Kommentar/von Micha Mackenbrock
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2024-09-30 07:37:152024-10-14 15:39:23Rechtsmissbrauch: Keine Entschädigung für AGG-Hopper
Moritz Augel

Was das AGG mit sexueller Belästigung zu tun hat

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Eine Studie der deutschen Antidiskriminierungsstelle des Bundes “Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz” aus dem Jahr 2015 kommt zu dem Ergebnis, dass etwa die Hälfte der Befragten schon einmal sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ausgesetzt war. Ein erschreckender Befund, doch was genau hat das AGG damit zu tun? Dieser Frage widmet sich unser Gastautor Moritz Augel. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hat gem. § 1 AGG das Ziel Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Zahlreiche Phänomene, in denen das AGG thematisiert wird, wie etwa die Ablehnung der Einstellung von Menschen mit Behinderung, die Kündigung einer Muslima, weil sie ein Kopftuch trägt, oder Altershöchstgrenzen für den Berufseinstieg, etwa bei der Feuerwehr, sind vielen bekannt. Wohl die wenigsten jedoch assoziieren das AGG mit sexuellen Belästigungen.

Ein Fall der sexuellen Belästigung im Rahmen einer Betriebsfeier, über den kürzlich das Arbeitsgericht Siegburg (Urt. v. 24.7.2024 – 3 Ca 387/24) zu entscheiden hatte, gibt Anlass einen Blick auf § 3 Abs. 4 AGG zu werfen.

I. Tatbestand des § 3 Abs. 4 AGG:

§ 3 Abs. 4 AGG:

Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

Sexuelle Belästigung kann viele Formen haben und das AGG erfasst diese Weite: Sowohl körperliche Berührungen – etwa Streicheln, Tätscheln oder Küssen – als auch verbale Belästigungen – etwa in Form von zweideutigen Kommentaren, anzüglichen Bemerkungen oder gar Aufforderungen zu sexuellen Handlungen – stellen eine sexuelle Belästigung dar. Auch non-verbale Belästigungen in Form von anzüglichen Blicken, Gesten oder Hinterherpfeifen sind vom Tatbestand erfasst (vgl. Blattner, DB 2019, 487 (488)).

Stets muss ein „sexuell bestimmtes Verhalten“ vorliegen. Das bedeutet, dass ein Sexualbezug gegeben sein muss, also das Geschlechtliche des Menschen in den Vordergrund gestellt wird, wobei ein großzügiger Maßstab anzulegen ist. Der Gesetzgeber hat insoweit in Betracht kommende Tatbestandsalternativen beispielhaft (mithin nicht abschließend) aufgezählt (Horcher, BeckOK BGB, § 3 AGG, Rn. 71).

Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit erfordert nicht, dass die Betroffenen ihre ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht haben. Vielmehr genügt es, wenn die Unerwünschtheit objektiv erkennbar war (vgl. BAG, Urt. v. 9.6.2011 – 2 AZR 323/10). Auch erfordert das „Bewirken“ kein vorsätzliches Handeln. Es genügt der bloße Eintritt der Belästigung (BAG, Urt. v. 9. 6. 2011 − 2 AZR 323/10).

Wesentlicher Unterschied zur „einfachen Belästigung“ in § 3 Abs. 3 AGG ist, dass das von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen und Beleidigungen gekennzeichnete Umfeld nicht Voraussetzung, sondern lediglich unwiderlegbares Indiz einer die Würde verletzenden Verhaltensweise ist, so dass eine einmalige Handlung den Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllen kann (vgl. BAG Urt. v. 20.5.2021 – 2 AZR 596/20).

II. Pflichten des Arbeitgebers:

1. Vorbeugende Maßnahmen

Der Arbeitgeber muss seine Beschäftigten vor Benachteiligungen und sexuellen Belästigungen schützen. Dies ergibt sich nicht nur aus § 12 Abs. 1 AGG iVm § 3 Abs. 4 AGG, sondern folgt bereits aus den allgemeinen Schutz- und Fürsorgepflichten, die jeden Arbeitgeber aufgrund des Arbeitsvertrags treffen (Benkert, NJW-Spezial 2018, 690 (690)). Die allgemeinen Schutz- und Fürsorgepflichten gelten jedoch auch gegenüber der beschuldigten Person, sodass es keine Vorverurteilung geben darf (Benkert, NJW-Spezial 2018, 690 (690)).

Allerdings fordert § 12 Abs. 1 AGG, dass der Arbeitgeber organisatorisch darauf hinwirkt, dass solche Belästigungen unterbleiben. Kommt es gleichwohl zu einer sexuellen Belästigung, muss sich der Arbeitgeber die Frage gefallen lassen, ob seine bisherigen Maßnahmen ausreichend waren. Insbesondere dann, wenn es bereits in der Vergangenheit zu ähnlichen Vorfällen gekommen ist. Eine nicht pflichtgemäße Reaktion kann dazu führen, dass er sich gegebenenfalls selbst schadensersatzpflichtig macht (§ 15 AGG) (vgl. Benkert, NJW-Spezial 2018, 690 (690)).

2. Maßnahmen im Falle eines Verstoßes

Der Arbeitgeber hat im Falle eines Verstoßes die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung zu ergreifen. Ausdrücklich nennt das Gericht auch die Möglichkeit der Kündigung (§ 12 Abs. 3 AGG). Wie sich aus der vollständigen Aufzählung: „Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung“ ergibt, gilt jedoch auch hier das Ultima-ratio Prinzip (vgl. Benkert, NJW-Spezial 2018, 690 (690)).

III. Rechtsfolgen einer sexuellen Belästigung:

Eine sexuelle Belästigung iSv § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv § 626 Abs. 1 BGB geeignet und kann damit eine fristlose Kündigung begründen (vgl. BAG, Urt. v. 29.6.2017 – 2 AZR 302/16).

Wiederholung: Schema des § 626 Abs. 1 BGB.

Folgerichtig führte daher der Klaps auf den Po, sowie das Festhalten einer Kollegin gegen ihren erkennbaren Willen, trotz vorheriger Abmahnung wegen unflätigen Verhaltens, in dem eingangs geschilderten Fall des Arbeitsgericht Siegburg zur fristlosen Kündigung, die erstinstanzlich für rechtmäßig erklärt wurde.

Dies gilt im Übrigen auch, wenn die sexuelle Belästigung außerhalb der Arbeitszeit erfolgt, sofern dies negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat (LAG Niedersachsen, Urt. v. 28.2.2024 – 2 Sa 375/23) (vertiefend zum Erfordernis des Bezugs zum Beschäftigungsverhältnis: Horcher, BeckOK BGB, § 3 AGG, Rn. 74). Ebenfalls kann bereits der Verdacht einer erheblichen sexuellen Belästigung unter den allgemeinen Voraussetzungen einer Verdachtskündigung eine Entlassung rechtfertigen (BAG Urt. v. 26.9.2013 – 8 AZR 1026/12).

Jedoch sind stets die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Bei erstmaligen und einmaligen Entgleisungen ist auch der Ausspruch einer Abmahnung in Betracht zu ziehen (BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 651/13). Hingegen bedarf es einer solchen Abmahnung nicht, wenn das Verhalten besonders schwer wiegt, etwa weil es gegenüber einer hierarchisch nachgeordneten Mitarbeiterin erfolgt und es wiederholt zu Vorfällen dieser Art kam (LAG Köln, Urt. v. 2.3.2018 – 6 Sa 952/17).

05.09.2024/1 Kommentar/von Moritz Augel
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Moritz Augel https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Moritz Augel2024-09-05 08:00:002024-10-11 06:55:46Was das AGG mit sexueller Belästigung zu tun hat
Redaktion

Allgemeiner Gleichheitssatz (Art. 3 I GG)

Karteikarten, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Uncategorized, Verfassungsrecht

I. Ungleichbehandlung

  1. Wesentlich Gleiches: Vergleichsgruppenbildung unter gemeinsamen Oberbegriff
  2. Feststellung der Ungleichbehandlung

II. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung

Anforderungen richten sich nach der Intensität des Eingriffs

  1. Willkürformel: Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muss.
  2. Nicht einschlägig, wenn insbesondere Freiheitsrechte Betroffene sind, der Betroffene auf das Differenzierungsmerkmal keinen Einfluss nehmen kann oder eine Benachteiligung aufgrund eines in Abs. 3 genannten Merkmales vorliegt

Neue Formel: Je nach Intensität abgestufte Verhältnismäßigkeitsprüfung

  1. Legitimes Differenzierungsziel (=sachlicher Grund)
  2. Geeignete Differenzierungskriterien
  3. Erforderlichkeit der Differenzierung
  4. Angemessenheit
23.10.2023/0 Kommentare/von Redaktion
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2023-10-23 10:00:002023-10-19 12:22:05Allgemeiner Gleichheitssatz (Art. 3 I GG)
Gastautor

Zum Begriff von Religion und Weltanschauung: Kein Ausschluss von der Pedelec-Förderung wegen Verweigerung einer Distanzierung von Scientology

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Wir freuen uns sehr, einen weiteren Gastbeitrag von Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard) veröffentlichen zu dürfen. Der Autor ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn und Wissenschaftlicher Beirat des Projekts Juraexamen.info. 

Das BVerwG (8 C 9.21 – Urteil vom 06. April 2022) urteilte grundrechtfreundlich: Eine Gemeinde darf die Bewilligung einer finanziellen Zuwendung, mit der umweltpolitische Zielsetzungen verfolgt werden, nicht davon abhängig machen, dass die Antragsteller eine Erklärung zur Distanzierung von der Scientology-Organisation abgeben. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden. Erklärungen zur Weltanschauung einzufordern, sei keine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft im Sinne des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, so dass es bereits an einer Zuständigkeit der Beklagten fehle. Werde eine solche Erklärung verlangt und an deren Verweigerung der Ausschluss von der Förderung geknüpft, greife dies gezielt in die von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistete Religions- und Weltanschauungsfreiheit ein. Der Eingriff sei schon mangels einer gesetzlichen Grundlage verfassungswidrig. Schließlich verstoße die Vorgehensweise der Beklagten gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Sie stelle eine unzulässige Differenzierung dar, weil sie den Kreis der Förderberechtigten nicht sachgerecht abgrenze, sondern nach Kriterien, die mit dem Förderzweck in keinem Zusammenhang stehen.

Mit dem Ergebnis mag man leben können und das ist vielleicht auch richtig. Die Ausführungen zur Religion- und Weltanschauungsfreiheit lassen aufhorchen. Es wirft die ganz grundlegende Frage auf: Was ist eine Religion? Was ist eine Weltanschauung? Das BAG hat bereits vor vielen Jahren verneint, dass Scientology eine Religion ist (BAG, Beschl. v. 22.3.1995 – 5 AZB 21/94, NJW 1996, 143; Thüsing, ZevKR 2000, 592 – auch rechtsvergleichend). Das BVerwG hat schon in der Vergangenheit tendenziell großzügiger argumentiert: (BVerwG, Urt. v. 14.11.1980 – 8 C 12/79, NJW 1981, 1460; BVerwG, Beschl. v. 16.2.1995 – 1 B 205/93,  NVwZ 1995, 473; OVG Hamburg, Beschl. v. 24.8.1994 – Bs III 326/93, NVwZ 1995, 498). Für die Religion gibt das Grundgesetz keine Legaldefinition. Das ist verständlich, eignet sich doch der Typus der Religion kaum für eine subsumtionsfähige Definition und wird man doch in den meisten Fällen intuitiv wissen, ob eine bestimmte Überzeugung und Weltsicht eine Religion ist oder nicht. In Bezug auf die Scientology Church versagt diese Intuition: Ob es sich hier um eine Religion handelt, ist fraglich. Deutsche und englische Gerichte verneinen, französische und US-amerikanische Gerichte bejahen dies (Regina v. Registrar General, Ex parte Segerdal (1970) 2 QB 697; BVerwG, Urt. v. 15.12.2005 – 7 C 20/04, NJW 2006, 1303; Hernandez v. Commissioner, 490 U.S. 680, 109 S.C. 2136 (1989); Lyon, 28.7.1997, D. 1997, IR, 197 f.).

Das BVerfG hat eine solche Definition ebenfalls nicht formuliert. Einiges ist heute vielleicht überholt. Das BVerfG stellte schon vor einiger Zeit fest, das Grundgesetz habe „nicht irgendeine, wie auch immer geartete freie Betätigung des Glaubens schützen wollen, sondern nur diejenige, die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf der Basis gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet hat“ (BVerfG, Beschl. v. 8.11.1960 – 1 BvR 59/56, NJW 1961, 211). Diese stark auf die christlich-abendländische Geschichte bezogene Beschreibung der Religionsausübungsfreiheit findet Entsprechungen in vereinzelten Äußerungen des älteren Schrifttums, die Religionsfreiheit wird allgemein als Schutz allein des christlichen Bekenntnisses verstanden. Das BVerfG hat sich jedoch schon 1975 von dem oben zitierten Diktum erkennbar distanziert (BVerfGE, Beschl. v. 17.12.1975 – 1 BvR 63/68, NJW 1976, 947) und auch im Schrifttum wird der ausschließliche Schutz des Christentums und christlicher Religionsgesellschaften nicht mehr vertreten. Allgemein anerkannt ist, dass das Grundgesetz keine unterschiedliche Wertigkeit der Religionen kennt; für den neutralen Staat und den Schutz der Religion ist es nicht entscheidend, was für eine Religion eine Gemeinschaft verkündet, sondern nur, dass sie eine verkündet. Dies schließt indes nicht aus, den Religionsbegriff vor dem Hintergrund der christlichen Gesellschaft zu sehen, in der die Idee der Religionsfreiheit entstand. Die ganz hL – in der heutigen Rspr. findet sich nichts Gegenteiliges – betont demgegenüber, dass der Religionsbegriff des Grundgesetzes nicht aus einem christlichen Blickwinkel bestimmt werden dürfe und verlangt eine Interpretation dieser verfassungsrechtlichen Begriffe nach allgemeingültigen, nicht konfessionell oder weltanschaulich gebundenen Gesichtspunkten. Dementsprechend dürfe sich das Verfassungsrecht bei der Begriffsbestimmung auch nicht an den Aussagen einzelner Theologen über Wesen und Entstehung von Religion orientieren.

Vielleicht lassen sich aber doch Indizien einer Religion festmachen, die heute in ihrer Gesamtschau dann doch durch typologische Betrachtung eine Gemeinschaft Religion oder Nicht-Religion sein lassen (s. MüKoBGB/Thüsing, 9. Aufl. 2021, AGG § 1 Rn. 28-32):

Daneben steht die Weltanschauung: Religion und Weltanschauung liegen dicht beieinander und beides wird durch das Grundgesetz geschützt. Daher mag es müßig sein, beide Phänomene voneinander zu sondern. Dennoch: Klassisches Abgrenzungskriterium von Religion und Weltanschauung ist die Annahme, dass Religion sich auf Transzendenz bezieht, Weltanschauung dagegen ein rein diesseitig ausgerichtetes Phänomen ist. Liegen die Gründe für unser Geworfensein in diese Existenz in einer Wirklichkeit, die unserer wahrnehmbaren Welt vorgelagert ist, oder nicht? Diese Auffassung steht und fällt mit der Bestimmung eines nicht einfacheren Begriffes als des Religionsbegriffes, mit der Antwort auf die Frage, was Transzendenz ist. Hier hat gerade die Religionswissenschaft der letzten Jahrzehnte eine Aufweichung starrer Begriffe und Unterscheidungen bewirkt. Die Gedanken Emmanuel Lévinas und seine Idee von der Transzendenz in der Immanenz mögen hier nur beispielhaft angeführt werden. Daher wird heute verstärkt das rein subjektive Kriterium des Selbstverständnisses der jeweiligen Gemeinschaft als entscheidendes Abgrenzungsmerkmal angesehen. (MüKoBGB/Thüsing, 9. Aufl. 2021, AGG § 1 Rn. 34). Fest steht damit jedoch: Auch die Weltanschauung braucht eine umfassende Seinsdeutung. Weltanschauung ist nicht jede Weltsicht säkularer Art, sondern sie muss sich am gleichen umfassenden Anspruch wie die religiöse Überzeugung messen lassen, und sie muss auf die grundlegenden Fragen des Woher und Wohin menschlicher Existenz antworten. Sie muss Konsequenzen haben für das Verhalten des Menschen in dieser Welt. Wo eine Lehre lediglich Teilaspekte des Lebens beleuchtet, mag diese eine Lebensmaxime sein, nicht aber Weltanschauung. Weltanschauung ist das Analogon zur Religion, wenn auch mit säkularen Wurzeln. Deshalb wäre Scientology aus den gleichen Gründen, warum sie keine Religion ist, auch keine Weltanschauung. Die in eine entgegengesetzte Richtung weisende verwaltungsgerichtliche Rspr. vermag nicht zu überzeugen und behandelt die Frage der Eingruppierung von Scientology nur am Rande (VGH München, Beschl. v. 14.2.2003 – 5 CE 02.3212, NVwZ 2003, 998; VGH Mannheim, Urt. v. 12.12.2003 – 1 S 1972/00, NVwZ-RR 2004, 904; OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.3.2004 – 12 LA 410/03, NVwZ-RR 2004, 884).

Die Entscheidung ist also spannend. Wenn nicht nur die Pressemitteilung, sondern die Entscheidungsgründe veröffentlicht sind: Lesen!

11.04.2022/0 Kommentare/von Gastautor
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2022-04-11 08:45:002022-08-03 08:34:37Zum Begriff von Religion und Weltanschauung: Kein Ausschluss von der Pedelec-Förderung wegen Verweigerung einer Distanzierung von Scientology
Dr. Maike Flink

Rechtsprechungsüberblick Öffentliches Recht (Quartal 2 und 3/2019) – Teil 2: Verwaltungs- und Staatshaftungsrecht

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Bei der Vorbereitung auf die schriftliche und vor allem mündliche Examensprüfung, aber auch auf Klausuren des Studiums, ist die Kenntnis aktueller Rechtsprechung von entscheidender Bedeutung. Der folgende Überblick ersetzt zwar keinesfalls die vertiefte Auseinandersetzung mit den einzelnen Entscheidungen, soll hierfür aber Stütze und Ausgangspunkt sein. Dargestellt wird daher eine Auswahl der examensrelevanten Entscheidungen der vergangenen Monate anhand der betreffenden Leitsätze, Pressemitteilungen und ergänzender kurzer Ausführungen aus den Gründen, um einen knappen Überblick aktueller Rechtsprechung auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts zu bieten.
 
I. Verwaltungsrecht
BVerwG (Urt. v. 13.6.2019 – 3 C 28.16, 3 C 29.16) zur Rechtmäßigkeit des sog. „Kükenschredderns“
Das BVerwG hat sich mit einer rechtlich, aber auch gesellschaftlich brisanten Thematik beschäftigt, nämlich der Frage nach der Rechtmäßigkeit des „Schredderns“ männlicher Küken unmittelbar nach dem Schlüpfvorgang. Diese beurteilt sich anhand von § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG i.V.m. § 1 S. 2 TierSchG: Das Töten männlicher Küken ist nur dann zulässig, wenn es nicht gegen das Tierschutzgesetz verstößt. Ein solcher Verstoß liegt allerdings vor, wenn einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden. Inwiefern ein solcher „vernünftiger Grund“ für das Töten der Küken vorliegt, ergibt sich aus einer Abwägung zwischen dem menschlichen Nutzungsinteresses und dem Tierschutz. Dabei können rein wirtschaftliche Interessen allerdings nicht ausreichen, um ein überwiegendes menschliches Nutzungsinteresse zu begründen. So heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts:

„Vernünftig im Sinne dieser Regelung ist ein Grund, wenn das Verhalten gegenüber dem Tier einem schutzwürdigen Interesse dient, das unter den konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse am Schutz des Tieres. Im Lichte des im Jahr 2002 in das Grundgesetz aufgenommenen Staatsziels Tierschutz beruht das Töten der männlichen Küken für sich betrachtet nach heutigen Wertvorstellungen nicht mehr auf einem vernünftigen Grund. Die Belange des Tierschutzes wiegen schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe, aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung nur weibliche Küken zu erhalten.“

Trotz der damit anzunehmenden grundsätzlichen Unzulässigkeit des „Kükentötens“ bleibt das Verfahren indes zumindest vorübergehend weiterhin zulässig:

„Ohne eine Übergangszeit wären die Brutbetriebe gezwungen, zunächst mit hohem Aufwand eine Aufzucht der männlichen Küken zu ermöglichen, um dann voraussichtlich wenig später ein Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei einzurichten oder ihren Betrieb auf das Ausbrüten von Eiern aus verbesserten Zweinutzungslinien umzustellen. Die Vermeidung einer solchen doppelten Umstellung ist in Anbetracht der besonderen Umstände ein vernünftiger Grund für die vorübergehende Fortsetzung der bisherigen Praxis.“

Vgl. ausführlich unsere Entscheidungsbesprechung.
 
OVG Koblenz (Beschl. v. 12.6.2019 – 10 B 10515/19.OVG) zur Gleichbehandlung bei der Benutzung einer kommunalen Einrichtung
Das OVG Koblenz hatte die Rechtmäßigkeit einer Regelung in der Badeordnung eines gemeindlichen Schwimmbads zu beurteilen, die das Tragen von sog. Burkinis im Schwimmbad untersagte. Betreibt eine Gemeinde ein Schwimmbad als öffentliche Einrichtung, so hat sie grundsätzlich zugleich die Befugnis, das Benutzungsverhältnis durch Sonderverordnung zu regeln. Allerdings findet diese Regelungsbefugnis ihre Grenze einerseits in den verfassungsrechtlichen Rechten der Nutzer, andererseits darin, dass die jeweilige Nutzungsvorschrift der Erfüllung des bestimmungsgemäßen Anstaltszweck dienen muss. Zwar mag dabei das Burkiniverbot als solches – das eine Kontrolle ermöglichen soll, ob bei den Nutzern des Schwimmbads gesundheitsgefährdende Krankheiten bestehen – dem Anstaltszweck dienen, da es zum Schutz der übrigen Badegäste zumindest beiträgt. Allerdings verstößt die Regelung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, denn: Sie belastet Trägerinnen von Burkinis stärker als andere Badegäste, deren Badebekleidung den Körper ebenfalls weitgehend bedeckt. Dazu führt das Gericht aus:

„Neoprenanzüge können ebenso wie Burkinis den ganzen Körper bedecken und haben unter Umständen auch eine Kopfhaube, lassen daher zur Kontrolle durch das Badepersonal nicht weniger Körperteile frei als Burkinis. Dass Neoprenanzüge nur während des Schwimmtrainings zugelassen sind, vermag daran nichts zu ändern. Dadurch dürfte zwar die Zahl der Badegäste, die in einem solchen schwimmen (und folglich auch die von ihnen ausgehenden potentiellen Gesundheitsgefahren), eher gering sein. Dies gilt aber in gleicher Weise für die Trägerinnen von Burkinis, weil nach den Angaben der Antragsgegnerin die städtischen Schwimmbäder zur Zeit von nur fünf Burkini-Trägerinnen besucht werden. […] Nach alledem ist die ungleiche Behandlung von Burkini-Trägerinnen einerseits und Trägerinnen und Träger von Neoprenanzügen andererseits nach dem Regelungsprogramm der Antragsgegnerin sachlich nicht gerechtfertigt und verstößt gegen den Anspruch der Antragstellerin auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG.“

Vgl. ausführlich unsere Entscheidungsbesprechung.
 
II. Staatshaftungsrecht
BGH (Urt. v. 6.6.2019 – III ZR 124/18) zur Stellung als Verwaltungshelfer
Der BGH hat sich mit der Frage beschäftigt, inwiefern Mitarbeiter eines privaten Unternehmens, die zur Ausführung einer verkehrsbeschränkenden Anordnung der Straßenbaubehörde und des der Anordnung beigefügten Verkehrszeichenplans Verkehrsschilder nicht ordnungsgemäß befestigen, als Verwaltungshelfer und damit Beamte im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen sind. Dabei legte es folgende Kriterien zugrunde:

 „[Es] ist nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion, das heißt auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient, abzustellen […]. Hiernach können auch Mitarbeiter eines privaten Unternehmens Amtsträger im haftungsrechtlichen Sinne sein. Dies kommt neben den Fällen der Beleihung eines Privatunternehmens mit hoheitlichen Aufgaben auch dann in Betracht, wenn Private als Verwaltungshelfer bei der Erledigung hoheitlicher Aufgaben tätig werden […] Dafür ist erforderlich, dass ein innerer Zusammenhang und eine engere Beziehung zwischen der Betätigung des Privaten und der hoheitlichen Aufgabe bestehen, wobei die öffentliche Hand in so weitgehendem Maße auf die Durchführung der Arbeiten Einfluss nimmt, dass der Private gleichsam als bloßes „Werkzeug“ oder „Erfüllungsgehilfe“ des Hoheitsträgers handelt und dieser die Tätigkeit des Privaten deshalb wie eine eigene gegen sich gelten lassen muss […].“.

Vor diesem Hintergrund wurde der mit der Anbringung des Verkehrsschildes betraute Mitarbeiter als Verwaltungshelfer eingeordnet: Die getroffene Verkehrsregelung (§ 45 StVO) stellt eine Maßnahme der Eingriffsverwaltung dar: Das durch sie angeordnete Ge- oder Verbot ist ein für die Verkehrsteilnehmer bindender Verhaltensbefehl. Indes ist die Regelung ohne das Aufstellen des entsprechenden Verkehrsschildes nicht wirksam, sodass es sich auch bei dieser rein tatsächlichen Tätigkeit um eine hoheitliche Aufgabe handelt. Dabei hatte der Mitarbeiter die vorgegebene Verkehrsregelung an der vorgegebenen Stelle umzusetzen, einen eigenen Entscheidungs- oder Ermessensspielraum hatte er daher nicht, er war allein „verlängerter Arm“ der zuständigen Behörde.

02.10.2019/0 Kommentare/von Dr. Maike Flink
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maike Flink https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maike Flink2019-10-02 10:00:292019-10-02 10:00:29Rechtsprechungsüberblick Öffentliches Recht (Quartal 2 und 3/2019) – Teil 2: Verwaltungs- und Staatshaftungsrecht
Dr. Maike Flink

OVG Koblenz: Burkini-Verbot verletzt Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Zulassung zu kommunalen Einrichtungen

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Das Kommunalrecht ist ein von vielen Examenskandidaten gefürchtetes und häufig nur lückenhaft beherrschtes Rechtsgebiet. Dennoch ist es immer wieder Gegenstand von Examensklausuren. Dabei ist insbesondere der Anspruch auf Zulassung zu kommunalen Einrichtung ein „Dauerbrenner“ aus dem Bereich des Kommunalrechts, da er zugleich die Möglichkeit bietet, Grundkenntnisse des Verfassungsrechts abzufragen. Eine eingehende Auseinandersetzung mit der folgenden Entscheidung des OVG Koblenz vom 12.6.2019 (10 B 10515/19.OVG) zur Zulässigkeit eines Burkini-Verbots für die Benutzung eines städtischen Schwimmbads ist daher ratsam.
 
I. Sachverhalt
Die Stadt S betreibt ein städtisches Schwimmbad. In diesem Rahmen hat sie eine Badeordnung erlassen, welche die Voraussetzungen und Bedingungen der Nutzung des Schwimmbades festlegt. So bestimmt sie unter anderem, dass „Personen, die an anstoßerregenden Krankheiten oder an meldepflichtigen übertragbaren Krankheiten im Sinne des Bundesseuchenschutzgesetzes oder offenen Wunden bzw. Hautausschlägen leiden, der Zutritt zu den Bädern nicht gestattet ist.“ Diese Badeordnung enthält zudem seit dem 1.1.2019 eine Regelung über die im Schwimmbad zulässige Badekleidung. Demnach müssen Badegäste, die sich im Nassbereich aufhalten eine Badehose, einen Badeanzug, einen Bikini oder Badeshorts tragen. Andere Schwimmbekleidung ist nicht zulässig. Eine Ausnahme bilden Neoprenanzüge. Diese dürfen von Leistungsschwimmern und Triathleten im Rahmen ihres Schwimmtrainings getragen werden. M ist Einwohnerin von S und leidet – was zutrifft – aufgrund eines Bandscheibenvorfalls an starken Rückenschmerzen, zu deren Linderung der Besuch eines Schwimmbades dringend erforderlich ist. Allerdings ist M gläubige Muslima und kann aufgrund ihres Glaubens nur in einem sog. Burkini schwimmen gehen. Dieser bedeckt bis auf das Gesicht, die Hände und die Füße den gesamten Körper. M macht geltend, die Badeordnung, die ihr das Tragen eines Burkinis im Schwimmbad verbietet, verstoße gegen den verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Um schnellstmöglich wieder das Schwimmbad nutzen und ihre krankheitsbedingten Schmerzen lindern zu können, beantragt M beim zuständigen Oberverwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
 
II. Rechtliche Würdigung
 1. Zulässigkeit des Antrags
Zunächst müsste der Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO zulässig sein. Dies ist der Fall, wenn die Überprüfung der Vorschriften der Badeordnung einen statthaften Antragsgegenstand darstellt und die Antragstellerin antragsbefugt ist.
a) Statthafter Antragsgegenstand
Die Überprüfung der Nutzungsvorschriften der Badeordnung müssten zunächst einen statthaften Antragsgegenstand darstellen. Dies richtet sich nach § 47 Abs. 1 VwGO. In Betracht kommt vorliegend ein Verfahren nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 1 AGVwGO RP (Ausführungsgesetz zur VwGO des Landes Rheinland-Pfalz). Dazu müsste es sich bei der Badeordnung um eine öffentlich-rechtliche Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO handeln.
 aa) Öffentlich-rechtlich
Die Badeordnung müsste zunächst öffentlich-rechtlicher Natur sein. Grundsätzlich kann eine Gemeinde frei entscheiden, ob sie das Verhältnis zwischen der öffentlichen Anstalt und ihren Benutzern öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich regelt. Dies gilt auch dann, wenn eine Einrichtung eine öffentliche Einrichtung im Sinne des § 14 Abs. 2 GemO RP ist und den Einwohnern der Gemeinde daher ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Benutzung zusteht. Indes ist in einem solchen Fall regelmäßig von einer öffentlich-rechtlichen Regelung des Benutzungsverhältnisses auszugehen, sofern keine gegenteiligen Anhaltspunkte bestehen. So führt das Gericht aus:

„Eine Aufspaltung der Rechtsbeziehungen und eine Unterstellung des Benutzungsverhältnisses unter das Privatrecht trotz öffentlich-rechtlichen Zulassungsanspruchs kann nämlich nur dann vorgenommen werden, wenn die Rechtsbeziehungen zwischen der öffentlichen Einrichtung und den Benutzern von der Gemeinde eine eindeutige privatrechtliche Ausgestaltung erfahren haben.“

Dies ist vorliegend nicht der Fall: Bereits die Bezeichnung „Badeordnung“ ist ein Indiz für den öffentlich-rechtlichen Charakter, da sie unterstreicht, dass die Stadt S die Regelungen für die Benutzung durch einseitigen Willensakt festsetzt und diese für die Benutzer verbindlich sind. Dies wird dadurch untermauert, dass die Badeordnung Bestimmungen über den Benutzerkreis und den Ausschluss von Badegästen trifft und damit den öffentlich-rechtlichen Zulassungsanspruch nach § 14 Abs. 2 GemO RP näher ausgestaltet. Diese Bestimmungen sind letztlich Grundlage für den Erlass von entsprechenden Verwaltungsakten, welche die subjektiven Rechte der Gemeindeeinwohner auf Benutzung des städtischen Schwimmbades einschränken. Es handelt sich mithin mangels eindeutig privatrechtlicher Ausgestaltung durch S um eine öffentlich-rechtliche Regelung.
bb) Rechtsvorschrift im Sinne von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO
Zudem trifft die Badeordnung eine verbindliche abstrakte Regelung mit Außenwirkung für die Nutzer des Schwimmbades. Es handelt sich mithin um eine unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Ein statthafter Antragsgegenstand liegt damit vor.
b) Antragsbefugnis der Antragstellerin
Die M müsste auch antragsbefugt sein. Dies ist der Fall, wenn sie geltend machen kann, durch die Bekleidungsvorschriften der Badeordnung in ihren Rechten verletzt zu sein oder eine entsprechende Rechtsverletzung in absehbarer Zeit eintreten wird. Die M ist Einwohnerin der Stadt S und als solche grundsätzlich gem. § 14 Abs. 2 GemO RP grundsätzlich berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Stadt zu nutzen. M leidet aufgrund eines Bandscheibenvorfalls an Rückenschmerzen, die durch Schwimmen gelindert werden können. M ist gläubige Muslima und kann ihrem Glauben entsprechend das Schwimmbad nur dann benutzen, wenn sie einen Burkini trägt. Dies ist ihr indes untersagt, wohingegen das Tragen von Neoprenanzügen zulässig ist. Daher besteht zumindest die Möglichkeit, dass M in ihrem Recht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist. Sie ist mithin antragsbefugt.
c) Zwischenergebnis
Der Antrag der M ist zulässig.
2. Begründetheit
Der Antrag müsste jedoch auch begründet sein. Im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht eine einstweilige erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Entscheidend ist insofern eine Abwägung der Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag in der Hauptsache aber Erfolg hätte gegenüber denjenigen Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, der spätere Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe. Entscheidende Bedeutung hat dabei, ob der spätere Normenkontrollantrag offensichtlich begründet oder unbegründet ist. Für die Überprüfung der durch S erlassenen Badeordnung ist das Verfahren nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthaft. Diese hält der gerichtlichen Überprüfung nur dann stand, wenn die Stadt S sich bei Erlass der Badeordnung auf eine wirksame Rechtsgrundlage stützen kann und die Badeordnung formell wie materiell rechtmäßig ist.
a) Ermächtigungsgrundlage
Zunächst müsste die Stadt S den Erlass der Badeordnung auf eine wirksame Rechtsgrundlage stützen können. Zwar fehlt es insofern an einer ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage. Allerdings ist anerkannt, dass die Befugnis der Gemeinde zum Betrieb einer kommunalen Einrichtung zugleich die Ermächtigung umfasst, dass Benutzungsverhältnis generell zu regeln, um die Verwirklichung der verfolgten Anstaltszwecke zu gewährleisten, ohne dass es insofern einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage bedarf. Dies fußt auf dem Gedanken, dass es sich insofern nicht um eine Belastung des Bürgers im Rahmen der Eingriffsverwaltung handelt, sondern nur die Art und Weise einer Leistungsgewährung näher ausgestaltet wird.  Damit besteht eine ausreichende Rechtsgrundlage zum Erlass der Badeordnung.
b) Formelle Rechtmäßigkeit
An der formellen Rechtmäßigkeit der Badeordnung stehen mangels anderweitiger Anhaltspunkte keine Zweifel.
c) Materielle Rechtmäßigkeit
Fraglich ist allerdings, ob die Badeordnung auch materielle rechtmäßig ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn die in der Badeordnung festgelegten Nutzungsvorschriften einerseits der Erfüllung des Anstaltszwecks dienen und andererseits kein Verstoß gegen höherrangiges Recht, insbesondere die verfassungsrechtlichen Rechte der Nutzer vorliegt.
aa) Badeordnung dient der Erfüllung des Anstaltszwecks
Zunächst müssten die Nutzungsvorschriften der Badeordnung dem Anstaltszweck dienen. In der Badeordnung ist festgelegt, dass Personen, die unter anstoßerregenden Krankheiten oder meldepflichtigen Krankheiten im Sinne des Bundesseuchenschutzgesetzes oder offenen Wunden bzw. Hausausschlägen leiden, der Zutritt zum Nassbereich des Schwimmbads untersagt ist. Um diese Regelung zu überwachen, müssen die Körper der Badegäste für das Badepersonal sichtbar sein, was bei einer vollständigen Bekleidung gerade nicht der Fall ist. Dies dient dem Schutz der Gesundheit anderer Badegäste. Wäre dieser nicht ausreichend gewährleistet, könnte das Schwimmbad insgesamt nicht betrieben werden. Damit dienen die in der Badeordnung vorgesehenen Bekleidungsvorschriften – und damit das Burkiniverbot – dem Anstaltszweck.
bb) Kein Verstoß gegen höherrangiges Recht
Allerdings dürften die Nutzungsvorschriften der Badeordnung, namentlich das Burkiniverbot auch nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Möglich erschiene ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar darf der Anspruch auf Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung eingeschränkt werden, jedoch darf sich diese Einschränkung nicht nur gegen einen Teil der Gemeindeeinwohner richten, sondern muss auf sachlichen Kriterien beruhen, die für alle Gemeindeeinwohner gleichermaßen gelten. Das Verbot der vollständigen Bekleidung bei der Nutzung des Nassbereichs belastet allerdings Trägerinnen von Burkinis ohne ausreichende sachliche Gründe stärker als andere Badegäste, die ihren Körper ebenfalls weitgehend bedecken. Denn für Triathleten und Leistungsschwimmer ist das Tragen von Neoprenanzügen jedenfalls im Rahmen ihres Schwimmtrainings erlaubt, obwohl diese gleichfalls den Körper beinahe vollständig bedecken. Mit Blick auf den Gesundheitsschutz anderer Badegäste sind indes keine Gründe ersichtlich, sie insofern eine Unterscheidung zwischen Neoprenanzügen und Burkinis rechtfertigen.
Denn einerseits bedecken Neoprenanzüge den Körper ebenso weitgehend wie Burkinis: Auch die hüllen den ganzen Körper ein und haben regelmäßig eine Kopfhaube. Auch aus dem Umstand, dass Neoprenanzüge nur während des Schwimmtraining getragen werden dürfen, folgt keine andere Bewertung. Zwar handelt es sich insofern nur um eine kleine Anzahl von Badegästen, die einen Neoprenanzug tragen, aber auch die Zahl der Trägerinnen von Burkinis wird regelmäßig überschaubar sein. Zudem ist nicht ersichtlich, dass Trägerinnen von Burkinis weniger verantwortungsvoll handeln als Träger von Neoprenanzügen, wenn sie an ansteckenden Hautkrankheiten leiden. Darüber hinaus werden auch die Träger von Neoprenanzügen nicht vorab daraufhin überprüft, ob sie entsprechende Krankheiten aufweisen. Dies gilt weder im Rahmen eines professionellen, noch eines privaten Trainings. Denn weder wird der Schwimmtrainer die Verantwortung für die Kontrolle der Körper der Leistungsschwimmer übernehmen, noch wird das Badepersonal bei einem Training ohne Schwimmtrainer eine Kontrolle vor dem Anlegen des Neoprenanzugs durchführen. Beim Tragen von Neoprenanzügen besteht damit gleichermaßen die Gefahr, das Personen mit ansteckenden Hautkrankheiten das Schwimmbad nutzen. Es sind mithin keinerlei sachliche Gründe für eine unterschiedliche Behandlung von Trägerinnen von Burkinis und den Trägern von Neoprenanzügen ersichtlich. Die entsprechende Klausel in der Badeordnung verstößt erkennbar gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
c) Zwischenergebnis
Die Nutzungsvorschriften in der Badeordnung, die das Tragen eines Burkinis verbieten, aber zugleich das Tragen von Neoprenanzügen erlauben, sind materiell rechtswidrig.
3. Ergebnis
Der spätere Normenkontrollantrag gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO ist wegen der materiellen Rechtswidrigkeit der Nutzungsvorschriften der Badeordnung offensichtlich begründet. Damit ist der Erlass der einstweiligen Anordnung dringend geboten. Auch dieser Antrag ist mithin begründet.
III. Gesamtergebnis
Der Antrag der M auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet und hat daher Erfolg.
 
Anmerkung: In der Klausurbearbeitung müsste auch eine mögliche Verletzung von Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG angesprochen werden. Das Gericht hat sich vorliegend wegen des offensichtlichen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG begnügt, da  es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt und schon dieser Verstoß für sich genommen zur offensichtlichen Begründetheit des späteren Normenkontrollantrags in der Hauptsache führt.

17.09.2019/1 Kommentar/von Dr. Maike Flink
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maike Flink https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maike Flink2019-09-17 10:00:202019-09-17 10:00:20OVG Koblenz: Burkini-Verbot verletzt Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Zulassung zu kommunalen Einrichtungen
Dr. Lena Bleckmann

Wahl-O-Mat verfassungswidrig – Entscheidung des VG Köln

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Nur wenige Tage vor der Europawahl in Deutschland am 26. Mai 2019 entschied das Verwaltungsgericht Köln, der allseits viel genutzte „Wahl-O-Mat“, der von der Bundeszentrale für politische Bildung zur Verfügung gestellt wird, sei verfassungswidrig und dürfe daher vorerst nicht weiter betrieben werden.

Die Entscheidung gibt Anlass, die einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO sowie den speziellen Anspruch politischer Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 GG i.V.m. Art 3 GG zu wiederholen. Auch aufgrund der großen medialen Aufmerksamkeit kann von besonderer Prüfungsrelevanz der Entscheidung ausgegangen werden.
Was ist passiert?
Wie vor jeder größeren Wahl stellte die Bundeszentrale für politische Bildung auch zur Europawahl einen Wahl-O-Mat zur Verfügung. Hierbei kann der Nutzer zu insgesamt 38 Thesen Stellung beziehen und anschließend eine Gewichtung vornehmen, welche der Thesen ihm persönlich besonders wichtig sind. Sodann kann der Nutzer bis zu acht politische Parteien auswählen, mit denen seine Position verglichen werden soll. Das Ergebnis wird auf einer Übersichtsseite mit Zugang zu den detaillierten Antworten der einzelnen Parteien dargestellt.
Gegen dieses Anzeigeformat wendete sich nun die Partei Volt Deutschland. Diese ist seit März 2018 in Deutschland als Partei registriert und Teil der paneuropäischen Partei Volt Europa. Volt Deutschland ist – gerade im direkten Vergleich mit den etablierten Parteien – noch vergleichsweise unbekannt. Die Partei ist der Ansicht, die Auswahlmöglichkeiten und Anzeigepraxis benachteilige neue und kleine Parteien dadurch, dass lediglich acht Parteien in den direkten Vergleich miteinbezogen werden können. Es sei nicht einmal ein Vergleich mit allen zurzeit im Europaparlament vertretenen Parteien – 14 an der Zahl – möglich.
Wer sich mit mehr als acht Parteien vergleichen wolle, müsse den Vorgang mehrmals wiederholen und die jeweiligen Ergebnisse notieren. Hierunter litten in erster Linie kleinere Parteien, da Nutzer für eine schnelle Orientierung häufig nur die bereits bekannten Parteien auswählten, die auf der Anzeigeseite auch zuoberst angezeigt würden. Aufgrund der großen Bedeutung des Wahl-O-Mats für die politische Meinungsbildung begehrt Volt die Änderung dieses Anzeigeverfahrens. Nachdem die Bundeszentrale für politische Bildung selbst eine Änderung ablehnte, beantragte Volt am 15. Mai 2019 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Verwaltungsgericht Köln. (siehe zu den Gründen auch die Pressemitteilung von Volt Deutschland vom 15. Mai 2019).
Die Entscheidung des VG Köln
Das Verwaltungsgericht gab der Antragstellerin Recht: Kleinere Parteien seien durch den Anzeigemechanismus benachteiligt, wofür die Antragsgegnerin keine ausreichenden Rechtfertigungsgründe habe vorbringen können. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es:
„Hierin sieht die Kammer eine faktische Benachteiligung kleinerer bzw. unbekannterer Parteien, zu denen auch die Antragstellerin gehöre. Dieser Anzeigemechanismus verletze jedenfalls mittelbar das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit gemäß Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG.“
Die von der Antragsgegnerin vorgebrachten Gründe seien nicht geeignet gewesen, die Verletzung der Chancengleichheit zu rechtfertigen. Der weitere Einwand der Antragsgegnerin, die Umsetzung der einstweiligen Anordnung sei technisch nicht möglich, sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden.“
(Siehe Pressemitteilung des VG Köln vom 20. Mai 2019)
 
Die Entscheidung in einer Klausur
Die Entscheidung bietet eine hervorragende Grundlage für eine Klausur im Verwaltungsrecht. Schwerpunkte dürften die Prüfung der Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO sowie die Auseinandersetzung mit dem Anspruch der Parteien auf Chancengleichheit bei Wahlen aus Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG sein. Folgend soll ein Überblick über die wichtigsten Punkte gegeben werden. Es ist anzumerken, dass die Argumentation nicht unmittelbar der Pressemitteilung des Gerichts entnommen werden konnte, sodass in erster Linie auf die von den Parteien im Voraus vorgebrachten Argumente abgestellt wird.
Zulässigkeit
Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist beim Prüfungspunkt „Statthafte Antragsart“ stets zu einem Verfahren nach §§ 80, 80a VwGO abzugrenzen, das nur einschlägig ist, sofern sich der Antrag gegen einen adressat-belastenden Verwaltungsakt richtet. Ein solcher liegt nicht vor, sodass nur § 123 Abs. 1 VwGO in Betracht kommt. Hier ist wiederum zwischen Sicherungs- und Regelungsanordnung abzugrenzen. Die Partei begehrt hier nicht nur eine bloße Zustandssicherung, sondern eine vorläufige Regelung in der Form, dass der Bundeszentrale für politische Bildung das Betreiben des Wahl-O-Mats in der jetzigen Form untersagt wird.
Im Rahmen der besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen ist die Antragsbefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO analog sauber herauszuarbeiten – sie liegt grundsätzlich vor, wenn der Antragsteller auch in der Hauptsache klagebefugt ist, was inzident zu prüfen ist. Hier scheint eine Verletzung von Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG nicht schlechterdings ausgeschlossen, sodass die Antragsbefugnis im Ergebnis zu bejahen ist. Bearbeiter können auch auf die Möglichkeit der Verletzung eines Anspruchs aus § 5 Abs. 1 PartG eingehen, der jedoch im Ergebnis nicht einschlägig sein dürfte, da Volt Deutschland nicht den Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung begehrt.
Der richtige Antragsgegner entspricht ebenfalls dem Klagegegner in der Hauptsache. Eine Verpflichtungsklage in der Hauptsache scheidet aus, sodass sich der Klagegegner nicht aus § 78 VwGO analog, sondern aus dem Rechtsträgerprinzip als allgemeinem Prozessgrundsatz ergibt. Rechtsträger der Bundeszentrale für politische Bildung ist der Bund – mithin ist dieser auch im Rahmen des § 123 VwGO richtiger Antragsgegner.
Eine Antragsfrist ist nicht einzuhalten.
Siehe eine für ausführliche Prüfung der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung die klausurmäßige Aufbereitung einer früheren Entscheidung des VG Köln zum Wahl-O-Mat: https://juraexamen.info/vg-koln-eilantrag-der-ddp-gegen-wahl-o-mat-abgelehnt/
 
Begründetheit – Insbesondere: Der Anspruch der Parteien auf Chancengleichheit
Der Antrag ist begründet, wenn der Antragsteller Tatsachen glaubhaft macht, die einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund begründen und wenn die gewünschte gerichtliche Entscheidung nicht über das hinausgeht, was der Antragsteller im vorläufigen Rechtsschutzverfahren verlangen kann.
Schwerpunkt der Prüfung ist das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs. Dieser kann sich aus einer Verletzung des Rechts der Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG ergeben.
Der sachliche Geltungsbereich dieses Rechts beschränkt sich nicht auf die Chancengleichheit der Parteien bei Wahlen, sondern auf deren Tätigkeit schlechthin (vgl. Maunz/Dürig/Klein GG Art. 21 Rn. 297). Das Recht ergibt sich nach dem BVerfG „aus der Bedeutung, die der Freiheit der Parteigründung und dem Mehrparteienprinzip für die freiheitliche Demokratie zukommt“ (vgl. dazu. BVerfGE 85, 264 (297)). In der Klausur bietet es sich an, die Verletzung des Rechts anhand des bekannten Aufbaus für die Prüfung der Verletzung von Gleichheitsrechten zu prüfen.
Ungleichbehandlung
Alle Parteien müssen die gleichen Chancen auf das Gehört- und Gewähltwerden haben, um ihrem Mitwirkungsauftrag an der politischen Willensbildung aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG nachzukommen (vgl. Gröpl/Windhorst/von Coelln/von Coelln, Studienkommentar GG, Art. 21 Rn. 28). Der Staat soll keinen Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen.
Gerade im Zusammenhang mit Wahlen erlangt dieser Grundsatz besondere Bedeutung. Das Bundesverfassungsgericht führte hierzu aus:
„Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit hängt eng mit den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl zusammen, die ihre Prägung durch das Demokratieprinzip erfahren. Deshalb ist in diesem Bereich – ebenso wie bei der durch die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl verbürgten gleichen Behandlung der Wähler – Gleichheit in einem strikten und formalen Sinn zu fordern. Wenn die öffentliche Gewalt in den Parteienwettbewerb in einer Weise eingreift, die die Chancen der politischen Parteien verändern kann, sind ihrem Ermessen daher besonders enge Grenzen gezogen(…).“ (BVerfGE 120, 82 (105)).
Das bedeutet: Die Anforderungen an die Gleichbehandlung der Parteien durch die öffentliche Gewalt sind durch die sich aus Art. 38 Abs. 1 GG ergebenden Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl verschärft – der Staat darf nichts tun, um die unterschiedlichen Wettbewerbschancen der Parteien bei Wahlen zu beeinflussen (siehe dazu BVerfGE 85, 264 (297)).
Die Anzeigepraxis des Wahl-O-Mats, bei der nur die Übereinstimmung mit jeweils acht Parteien in einem Durchgang verglichen werden kann, könnte indes eine Beeinflussung der Wettbewerbschancen darstellen. Die meisten Nutzer werden lediglich einen Vergleich vornehmen und dabei ihre Position mit den Parteien vergleichen wollen, die ihm bereits bekannt sind. Die Positionen unbekannterer Parteien bleiben dem Nutzer so unbekannt, sodass diese nicht die gleiche Chance des Gehörtwerdens erlangen. Dies wird dadurch verstärkt, dass die etablierten Parteien auf der Auswahlseite ganz oben angezeigt werden. Diese Einschätzung ändert sich nicht dadurch, dass der Nutzer die Möglichkeit hat, mehrere Vergleichsvorgänge durchzuführen. Aufgrund der fehlenden Möglichkeit der Speicherung der Ergebnisse gestaltet sich dieses Vorgehen äußerst umständlich und dürfte nur in Einzelfällen tatsächlich stattfinden.
Mithin liegt eine Ungleichbehandlung kleinerer Parteien vor.
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
An dieser Stelle ist besonders zu betonen, dass es sich bei dem Recht der Parteien auf Chancengleichheit um eine streng formale Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes handelt, sodass die Ungleichbehandlung von Parteien nur aus zwingenden Gründen verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein kann (siehe dazu ausführlich Maunz/Dürig/Klein GG Art. 21 Rn. 306 ff.).
Die Rechtfertigungsgründe, die die Bundeszentrale für politische Bildung hierzu vorgebracht hat, sind im Einzelnen nicht bekannt. Das VG Köln beschränkt sich darauf festzustellen, „die von der Antragsgegnerin vorgebrachten Gründe seien nicht geeignet gewesen, die Verletzung der Chancengleichheit zu rechtfertigen. Der weitere Einwand der Antragsgegnerin, die Umsetzung der einstweiligen Anordnung sei technisch nicht möglich, sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden“(siehe Pressemitteilung des VG Köln vom 20. Mai 2019).
Volt Deutschland argumentierte insbesondere, dass dem Wahl-O-Mat vergleichbare Dienste gewährleisteten, dass die Positionen aller Parteien gleichermaßen zugänglich seien: „Denkbar wäre, dass den Nutzer*innen einfach alle 41 zur Wahl stehenden Parteien angezeigt werden. Das wäre wohl die fairste und beste Lösung, die auch bereits von anderen vergleichbaren Diensten genutzt wird“ (siehe Pressemitteilung von Volt Deutschland vom 15. Mai 2019).
Diese Argumentation scheint das VG Köln zu folgen. Ein zwingender Grund für die Ungleichbehandlung besteht nicht. Mithin ist das Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 21 Abs. 1 GG verletzt. Ein Anordnungsanspruch besteht.
Anordnungsgrund
Die besondere Eilbedürftigkeit ergibt sich unproblematisch aus der unmittelbar bevorstehenden Europawahl.
Keine Vorwegnahme der Hauptsache
An dieser Stelle des Gutachtens sollte der Bearbeiter stets betonen, dass die Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz grundsätzlich nicht dazu führen soll, dass der Antragsteller bereits alles Erwünschte erreicht hat, sodass das Verfolgen der Hauptsache überflüssig würde. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist allerdings dort zu machen, wo dem Antragsteller bei Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache unzumutbare Nachteile drohen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. So gestaltet es sich hier: Wenngleich die Partei mit der Abschaltung bzw. Änderung des Anzeigeformats des Wahl-O-Mats bereits alles erreicht hat, was sie erreichen wollte, so würden ihr bei einem Verweis auf das Abwarten der Hauptsache unzumutbare Wettbewerbsnachteile bei der anstehenden Europawahl drohen. Insoweit ist die Untersagung des Betreibens des Wahl-O-Mats in der jetzigen Form keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache.
Summa und Ausblick
Eine Fallgestaltung wie die vorliegende bietet dem Klausursteller die Möglichkeit, Grundlagen des Verwaltungs- und Verfassungsrechts abzuprüfen und dem Bearbeiter im Rahmen der Prüfung des Anordnungsanspruchs Raum für eigene Überlegungen und Argumentation zu lassen. Fälle der Ungleichbehandlung von Parteien sind stets aktuell und ein beliebtes Prüfungsthema – sie sollten von Examenskandidaten keinesfalls vernachlässigt werden.
Insoweit ist auch auf die kürzlich ergangene Entscheidung des BVerfG zu einem Wahlwerbespot der NPD zu verweisen, siehe dazu: https://juraexamen.info/bverfg-keine-ausstrahlung-von-npd-wahlwerbespot/
Nachdem die Bundeszentrale für politische Bildung ursprünglich  angekündigt hatte, Beschwerde gegen den Beschluss des VG Köln einzulegen, haben sich die Beteiligten außergerichtlich geeinigt. Der Wahl-O-Mat ist nun wieder online. 

 

24.05.2019/0 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2019-05-24 08:10:302019-05-24 08:10:30Wahl-O-Mat verfassungswidrig – Entscheidung des VG Köln
Dr. Lena Bleckmann

Die Chefarztentscheidung – Kündigung wegen zweiter Ehe?

Aktuelles, Arbeitsrecht, Europarecht, Schon gelesen?, Schwerpunktbereich, Startseite

Das Urteil des EuGH vom 11.9.2018 erfuhr eine Aufmerksamkeit in den deutschen Medien, wie sie für den Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts ausgesprochen selten ist. Die Entscheidung soll hier kurz aufgearbeitet werden, da ihre Kenntnis als Teil des juristischen Tagesgeschehens durchaus vorteilhaft ist und sie gerade im Bereich der Schwerpunktbereichsprüfung im Arbeitsrecht Bedeutung erlangen kann. Dem Examenskandidaten sollte die Entscheidung Anlass liefern, das Selbstbestimmungsrecht der Kirche sowie das Zusammenspiel nationaler und europarechtlicher Normen zu wiederholen.
I. Sachverhalt (gekürzt)
Der Kläger war von 2000 bis 2009 Chefarzt der Inneren Medizin in einem Krankenhaus der Beklagten. Er selbst ist katholischer Konfession, die Beklagte ist eine GmbH unter der Aufsicht der katholischen Kirche.
Nachdem seine erste Ehefrau aus katholisch anerkannter Ehe ihn bereits 2005 verlassen hatte und sich scheiden ließ, ging der Kläger im Jahre 2008 eine zweite standesamtliche Ehe ein. Die katholische Kirche hatte die erste Ehe zuvor nicht für nichtig erklärt.
Als die Beklagte hiervon Kenntnis erlangte, kündigte sie das Dienstverhältnis. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage und macht geltend, ein evangelischer Mitarbeiter in derselben Position wäre unter denselben Bedingungen nicht gekündigt worden.
Das Arbeitsgericht Düsseldorf entschied zugunsten des Klägers, ebenso wie das LAG Düsseldorf und das BAG. Das Urteil des BAG wurde allerdings vom BVerfG wegen mangelnder Berücksichtigung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aufgehoben und zurückverwiesen (siehe zu der wichtigen Entscheidung BVerfG, NZA 2014, 1387). Nun fand der Fall nach einem Vorabentscheidungsersuchen des BAG seinen Weg zum EuGH.
II. Gesetzliche Grundlagen
Das Arbeitsrecht im Rahmen der katholischen Kirche birgt einige Besonderheiten und ist von hoher praktischer Relevanz, da die Kirchen nach dem Staat der zweitgrößte Arbeitgeber Deutschlands sind.
Die Besonderheiten sowohl im nationalen als auch im europäischen Recht folgen daraus, dass der Status der Kirchen und ihr Selbstbestimmungsrecht ausdrücklich anerkannt werden (siehe Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV; Erwägungsgrund 24 RL 2000/78 EG).
Dem wird auch im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes Rechnung getragen: Während unmittelbare Diskriminierungen wegen der Religion nach § 7 I AGG i.V.m. § 8 I AGG nur gerechtfertigt werden können, wenn die Religion eine wesentliche berufliche Anforderung darstellt und die Ungleichbehandlung einen legitimen Zweck angemessen verfolgt, so gilt allein für kirchliche Einrichtungen zusätzlich der Rechtfertigungsgrund nach § 9 AGG. Hiernach ist sie auch zulässig, wenn die Religion im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirche oder nach Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Weiterhin dürfen die kirchlichen Einrichtungen nach § 9 II AGG im Hinblick auf ihr Selbstverständnis besondere Loyalitätsobliegenheiten der Mitarbeiter vorsehen.
Dies hat die katholische Kirche in Art.  4 I, 5 II, III GrO 1993 getan, wo festgelegt ist, dass eine nach kirchlichem Verständnis ungültige Ehe einen Kündigungsgrund insbesondere für leitende Mitarbeiter katholischer Konfession darstellt. Demgegenüber wird von nicht katholischen Mitarbeitern lediglich die Achtung der Werte des Evangeliums verlangt (Art. 4 II GrO 1993).
III. Fragen des BAG – Antworten des EuGH
Fraglich war nun zunächst, ob die Loyalitätsobliegenheiten, die die Kirchen nach Art der Tätigkeit und Umständen ihrer Ausübung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderungen vorsehen können, einer vollständigen gerichtlichen Überprüfbarkeit unterliegen. Dies hat der EuGH bejaht – insbesondere die Vereinbarkeit der Anforderungen mit der RL 2000/78 EG darf der gerichtlichen Kontrolle nicht entzogen werden. Schon im Fall Egenberger (Urt. v. 17.4.2018 – C-414/16) stellte der EuGH fest, dass die Gerichte in der Lage sein müssen zu überprüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 4 II RL 2000/78/EG (der von § 9 AGG umgesetzt wird) überhaupt erfüllt sind. Die Ungleichbehandlung wegen der Religion muss tatsächlich wesentliche Anforderung im Hinblick auf das Ethos der Kirche sein und darf kein sachfremdes Ziel verfolgen.
Sollte die Anordnung durch die Kirche insoweit zulässig sein, stellt sich weiterhin die Frage, ob sich die Anforderungen, die an loyales Verhalten gestellt werden, danach unterscheiden dürfen, ob der betreffende Mitarbeiter katholischer Konfession ist oder nicht. Dies bejaht der EuGH mit einem großen „Aber“: Grundsätzlich ist eine solche Ungleichbehandlung nicht unzulässig, solange die Religion oder Weltanschauung (hier genauer gesagt die katholische Konfession und damit verbundene Akzeptanz des unauflöslichen Charakters der Ehe) im Hinblick auf die Tätigkeit wesentliche, gerechtfertigte berufliche Anforderung i.S.d. Art. 4 II RL 2000/78/EG ist. Das wäre der Fall, wenn es dem Ethos der Kirche widerspräche, wenn der Mitarbeiter auf der betreffenden Position die Anforderung nicht erfüllt. In einem Hinweis an die nationalen Gerichte stellt der Gerichtshof sodann fest, dass doch allein die Tatsache, dass auf gleicher Ebene Mitarbeiter beschäftigt seien, die eben nicht katholischer Konfession sind und für die die Loyalitätsobliegenheit somit nicht gilt, gegen eine wesentliche Anforderung spreche. Letztlich obliegt diese Entscheidung aber dem BAG.
IV. Auswirkungen der Entscheidung
Nach dem deutlichen Hinweis des EuGH ist zu erwarten, dass das BAG zugunsten des Arztes entscheiden wird. Zu beachten ist, dass das AGG nach § 2 IV AGG auf Kündigungen grundsätzlich nicht anwendbar ist. Um auch bei Kündigungen einen angemessenen Diskriminierungsschutz zu gewährleisten geht man allerdings davon aus, dass eine diskriminierende Kündigung nicht sozial gerechtfertigt sein kann und damit nach § 1 I KSchG unwirksam ist.
Das BAG hat nun auch zu entscheiden, ob § 9 AGG europarechtskonform ausgelegt werden kann. Die volle gerichtliche Überprüfbarkeit und die Anforderung, dass jede Ungleichbehandlung nur wegen „wesentlicher, rechtmäßiger und gerechtfertigter“ beruflicher Anforderungen erfolgen kann, darf dem Wortlaut des § 9 AGG nicht widersprechen. Sollte eine europarechtskonforme Auslegung nicht möglich sein, muss die Norm von den deutschen Gerichten unangewendet bleiben – zwar entfaltet die Diskriminierungsrichtlinie selbst keine unmittelbare Wirkung innerhalb der Mitgliedsstaaten, allerdings konkretisiert sie das nun in Art. 21 Grundrechtecharta niedergelegte Diskriminierungsverbot, dessen volle Wirksamkeit durch die Gerichte zu gewährleisten ist (siehe zur Problematik auch ausführlich Thüsing/Mathy, RIW 2018, 559).
Die Reaktion des BAG bleibt gerade wegen dieser folgeträchtigen Frage mit Spannung abzuwarten.

15.10.2018/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2018-10-15 09:55:502018-10-15 09:55:50Die Chefarztentscheidung – Kündigung wegen zweiter Ehe?

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