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Schlagwortarchiv für: BGH

Sören Hemmer

Das Entsperren und Auslesen von Smartphones zu Zwecken der Strafverfolgung

Rechtsprechung, StPO, Strafrecht, Strafrecht, Uncategorized

Dürfen sich Ermittlungspersonen Zugang zu dem Smartphone von Beschuldigten per Fingerscan oder Gesichtserkennung verschaffen? Diese Frage ist nicht nur praktisch bedeutsam und umstritten. Sie dürfte sich zudem als Gegenstand einer Examensprüfung eignen. Das benannte Problemfeld soll daher in dem folgenden Beitrag unter besonderer Würdigung der kürzlich ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. v. 13.03.2025 – 2 StR 232/24) beleuchtet werden.

A.  Einleitung

Der Auswertung von Smartphones kommt eine enorme Bedeutung in der Strafverfolgung zu. Die Aufklärbarkeit von Straftaten kann mit einem Einblick in das Telefon von Tatverdächtigen erheblich erleichtert werden, gegebenenfalls sogar stehen und fallen, denn häufig wird sich ein Großteil des Lebens von Beschuldigten in der einen oder anderen Form auf dem Gerät widerspiegeln (Horn, Kriminalistik 2019, 641; El-Ghazi, Verhandlungen des 74. Deutschen Juristentages, Band I, C 21 f.). Doch so praktisch wichtig dieser Zugang zu Daten sein mag, so kontrovers wird die Zulässigkeit seiner Einrichtung diskutiert.

Dies fängt bereits bei der Frage an, inwieweit durch BesitzerInnen eingerichtete Sicherungen gegen den ungewollten Zugriff überwunden werden dürfen. Ist das Telefon durch ein Passwort, eine PIN oder ein Entsperrungsmuster gesichert, würde es gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz und § 136a Abs. 1 StPO verstoßen, Beschuldigte zur entsprechenden Preisgabe zu zwingen (Bäumerich, NJW 2017, 2718 (2720); Momsen, DRiZ 2018, 140 f.; Nadeborn/Irscheid, StraFo 2019, 274 f.). Wenn also keine Bereitschaft besteht, die Entsperrung freiwillig herbeizuführen und auch nicht etwa eine Notiz der Zugangsdaten aufgefunden werden konnte – denn für so erlangte Zugangsdaten kommt eine Verwendung als Annexmaßnahme nach § 94 StPO in Betracht – (Bäumerich, NJW 2017, 2718 (2720)), kann es um die Chancen der Strafverfolgungsbehörden, die Daten auf dem Smartphone auszulesen, schlecht stehen. Je nach Gerät kann eine Entschlüsselung zeitaufwendig, teuer und dennoch wenig erfolgsversprechend sein (dazu Horn, Kriminalistik 2019, 641).

Ferner problematisch erscheint der Zugriff auf die Daten an sich. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2005 entschieden, dass grundsätzlich auch Datenträger und die darauf gespeicherten Daten nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 94 ff. StPO sichergestellt und beschlagnahmt werden können. Dem vorgelagert könne auch eine Durchsicht der Daten gemäß § 110 StPO erfolgen. Zwar habe die historische Gesetzgebung „Gegenstände“ als taugliche Objekte i.S.v. § 94 Abs. 1 StPO ursprünglich körperlich verstanden. Die Bedeutung von elektronischen Daten als Beweismittel sei jedoch noch nicht absehbar und eine entsprechende Begrenzung auch von der jüngeren Gesetzgebung nicht gewollt gewesen (vgl. BT-Drs. 7/2539, S. 11). Die in Anwendung der Vorschrift gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung lasse hinreichend Raum, um beeinträchtigte Grundrechte, insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, zu berücksichtigen. Zudem gewährleiste die Ausgestaltung des Verfahrens (vgl. §§ 110, 489, 491 StPO; Beweisverwertungsverbote zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen) einen effektiven Grundrechtsschutz (BVerfG, Beschl. v. 12.04.2005 – 2 BvR 1027/02, BVerfGE 112, 29 (44 ff.)).

Während einerseits zu fragen ist, ob mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung – gegenüber dem Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme – der richtige verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkt auch dann gewählt ist, wenn es nicht etwa um einfache Datenträger, sondern das Smartphone oder ähnliche Geräte geht (vgl. Neuhaus, StV 2020, 489; s. u. B. II. 1. c)), muss ferner erörtert werden, inwieweit der Verweis auf Verfassungsrechtsprechung aus dem vorletzten Jahrzehnt vor dem Hintergrund zwischenzeitlicher technischer Entwicklungen und ihrer alltäglichen Auswirkungen auch heute noch tragen kann (vgl. El-Ghazi, Verhandlungen des 74. Deutschen Juristentages, Band I, C 66 f.; s.u. B. II. 1. c)).

B.   Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Lichte des Streitstands

In diesem rechtlichen Kontext hat nun der Bundesgerichtshof entschieden:

„Der Versuch der Ermittlungsbehörden, Zugang zu den auf einem Mobiltelefon eines Beschuldigten gespeicherten Daten durch zwangsweises Auflegen von dessen Finger auf den Fingerabdrucksensor zu erlangen, ist von § 81b Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 94 ff. StPO als Ermächtigungsgrundlage jedenfalls dann gedeckt, wenn eine zuvor nach §§ 102, 105 Abs. 1 StPO richterlich angeordnete Durchsuchung gerade auch dem Auffinden von Mobiltelefonen dient und der beabsichtigte Datenzugriff trotz seiner Eingriffsintensität verhältnismäßig ist.“ (BGH, Beschl. v. 13.03.2025 – 2 StR 232/24, Ls.)

Eine kontroverse Diskussion dessen erscheint nicht nur mit einem beschränkten Blick auf die StPO (I.), sondern auch aus verfassungs- und unionsrechtlicher Perspektive (II.) geboten.

I.        Denkbare Ermächtigungsgrundlagen

Während sich die Ausführungen des Zweiten Strafsenats auf § 81b Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 94 ff. StPO konzentrieren, erstreckt sich der weitere juristische Diskurs auch auf andere Ermächtigungsgrundlagen.

1.      § 100j StPO

Allenfalls auf den ersten Blick einschlägig erscheint § 110j StPO. Zwar beinhaltet die Vorschrift in Abs. 1 S. 2 eine explizite Regelung zu Zugangsdaten zu Endgeräten. Sie betrifft allerdings nur ein Auskunftsverlangen gegenüber Telekommunikationsdienstleistenden. Dass damit das Erlangen solcher Informationen abschließend geregelt werden sollte, ist nicht ersichtlich (Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 196 (198 f.)).

2.      §§ 100a, 100b StPO

Auch eine Anwendung von §§ 100a f. StPO scheidet aus. Die Vorschriften zur Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung betreffen den heimlichen Zugriff mit technischen Mitteln. Das Auflegen eines Fingers von Beschuldigten auf den Sensor des Geräts erfolgt in aller Regel als offene Maßnahme. Jedenfalls wird kein technisches Mittel verwendet (Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 196 (197 f); vgl. Momsen, DRiZ 2018, 140 (142 f.), der eine analoge Anwendung zumindest erwägt).

3.      § 81a StPO

Ferner ist das Entsperren von Smartphones auch nicht unter § 81a StPO zu fassen, denn es handelt sich dabei nicht um eine „körperliche Untersuchung“ i.S.v. Abs. 1 S. 1 (LG Ravensburg, Beschl. v. 14.02.2023 – 2 Qs 9/23 jug, NStZ 2023, 446 (447); Bäumerich, NJW 2017, 2718 (2720); Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 196 f.; Horter, NStZ 2023, 447). Die Vorschrift ermöglicht, Beschaffenheiten eines Körpers selbst festzustellen und zum Beweismittel zu machen. Bei dem Auflegen des Fingers auf einen Smartphonesensor geht es vielmehr um die Verwendung biometrischer Merkmale als „Schlüssel“ (Bäumerich, NJW 2017, 2718 (2720); Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 196 f.).

4.      §§ 81b Abs. 1, 94 ff. StPO

Die wohl hM – und nun auch der Bundesgerichtshof – erkennen in § 81b Abs. 1 Fall 1 StPO i.V.m. §§ 94 ff. StPO eine taugliche Grundlage. § 81b Abs. 1 StPO lautet:

„Soweit es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist, dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden.“

Der Anwendung dieser Norm wird entgegengehalten, es werde verkannt, dass die Vorschrift lediglich Maßnahmen zu erkennungsdienstlichen Zwecken erlaube. Da der eigentliche Zweck hier jedoch in der Verwendungsmöglichkeit der gespeicherten Daten liege, biete § 81b Abs. 1 StPO keine Grundlage (Momsen, DRiZ 2018, 140 (141); Nadeborn/Irscheid, StraFo 2019, 274 (275); Horter, NStZ 2023, 447 (448)).

Verfassungs- und unionsrechtliche Fragestellungen zurückgestellt, ist der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs diesen Bedenken überzeugend entgegengetreten:

a)       Zwei-Schritt-Struktur

Zum einen sei gar nicht die gesamte Maßnahme an § 81b Abs. 1 StPO zu messen, sondern nur der „erste Schritt“ des Entsperrens.

„Das Auslesen des Mobiltelefons als Ziel der Entsperrung ist eine dem Entsperren nachfolgende Maßnahme, die selbstständig an den für sie geltenden Regeln gemessen werden kann (vgl. Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193, 195 f.; Neuhaus, StV 2020, 489, 491). Mit Blick auf diesen Vorgang bestehen bei einer Entsperrung des Mobiltelefons gegen den Willen des Beschuldigten durch zwangsweises Auflegen seines Fingers keine Besonderheiten. Es handelt sich – sobald das Mobiltelefon entsperrt ist – um den klassischen Zugriff auf ein Mobiltelefon und die dort gespeicherten Daten“ (BGH, Beschl. v. 12.03.2025 – 2 StR 232/24, Rn. 43).

Ermächtigungsgrundlage ist daher nicht § 81b Abs. 1 Fall 1 StPO allein, sondern i.V.m. §§ 94 Abs. 1, 110 Abs. 1, 3 StPO (BGH, Beschl. v. 12.03.2025 – 2 StR 232/24, Rn. 35 ff.; ebenso OLG Bremen, Beschl. v. 08.01.2025 – 1 ORs 26/24, NJW 2025, 847 ff.; LG Ravensburg, Beschl. v. 14.02.2023 – 2 Qs 9/23 jug., NStZ 446 f.; Neuhaus, StV 2020, 489 (491); Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 194 ff.; MüKoStPO/Trück, 2. Aufl. 2023, § 81b Rn. 8, 24; Schmitt/Köhler/Schmitt, StPO, 68. Aufl. 2025, § 81b Rn. 8a).

b)       Keine Begrenzung auf erkennungsdienstliche Maßnahmen

Zum anderen stehe § 81b StPO grds. dem Auflegen eines Fingers auf einen Fingerabdrucksensor zu nichterkennungsdienstlichen Zwecken offen.

Hier führt der Bundesgerichtshof aus, es könne dahinstehen, ob das Führen des Fingers auf den Sensor des Mobiltelefons eine Aufnahme des Fingerabdrucks darstelle, denn jedenfalls handele es sich um eine „ähnliche Maßnahme“ i.S.d. § 81b Abs. 1 StPO. Der Vorgang unterscheide sich äußerlich nicht von dem klassischen Fall des Pressens von Fingern auf eine Vorrichtung, um die Papillarlinien festzustellen und abzugleichen. Dass die Vorschrift jedoch nicht auf daktyloskopische Vergleichsuntersuchungen begrenzt sei, zeige sich, indem Maßnahmen nicht nur für Zwecke des Erkennungsdienstes (Fall 2), sondern auch für Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens (Fall 1) gestattet seien. Erfasst seien damit auch solche Maßnahmen, die allgemein dem Beweis der Schuld oder der Unschuld von Beschuldigten dienen. § 81b Abs. 1 Fall 1 StPO sei insofern im Lichte des jeweiligen Stands der Technik zu lesen, sodass es auch nicht entgegenstehe, dass für die historische Gesetzgebung erkennungsdienstliche Zwecke im Vordergrund gestanden haben (BGH, Beschl. v. 12.03.2025 – 2 StR 232/24, Rn. 35 ff.). Die Vorschrift sei auch nicht 2015 durch die Einführung der Überschrift „Erkennungsdienstliche Maßnahmen bei dem Beschuldigten“ eingeschränkt worden, denn die gesetzgeberische Intention sei einzig gewesen, selbsterstellten Überschriften in der Gesetzeskommentierung entgegenzuwirken (BGH, Beschl. v. 12.03.2025 – 2 StR 232/24, Rn. 41 mit Verweis auf BR-Drs. 491/14, S. 81; a.A. Horter, NStZ 2023, 447 (448)).

5.      §§ 94 ff. StPO; §§ 160, 161 StPO

Mit § 81b Abs. 1 StPO ist demnach eine jedenfalls insoweit taugliche Ermächtigungsgrundlage gefunden. Damit verbleibt kein Raum, schon das Entsperren selbst unter die §§ 94 ff. StPO als Annexmaßnahme zu fassen (so Horn, Kriminalistik 2019, 641 (642 f.)) oder die Generalermächtigungsgrundlage der §§ 160, 161 StPO zu bemühen (vgl. Momsen, DRiZ 2018, 140 (143)), denn § 81b Abs. 1 StPO ist die speziellere Vorschrift (Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193 (196)). Auf diesem Weg ließen sich auch keine der bislang ausgeklammerten verfassungs- und unionsrechtlichen Probleme umgehen.

II.     Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz und Unionsrecht

Damit ist zu dem zweiten Problemkomplex übergeleitet, der – wie das Folgende zeigt – weniger den Aspekt des zwangsweisen Entsperrens und vielmehr das Auslesen des Smartphones an sich betrifft: Die Vereinbarkeit der hier besprochenen Maßnahmen mit dem höherrangigen Recht.

1.      Gemessen am Grundgesetz

a)       Anwendbarkeit

Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Verhältnis der Grundrechtekataloge des Grundgesetzes und der Charta der Europäischen Union folgend, ist die Ermittlungsmaßnahme am Grundgesetz zu messen.

Mit der Richtlinie (EU) 2016/680 hat die Europäische Union auch für den aus dem Anwendungsbereich der DSGVO ausgenommenen Bereich der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten (Art. 2 Abs. 2 lit. d) DSGVO) Vorgaben für die Verarbeitung von Daten geschaffen. Verlangt ist insbesondere, dass personenbezogene Daten auf rechtmäßige Weise und nach Treu und Glauben verarbeitet werden, für festgelegte, eindeutige und rechtmäßige Zwecke erhoben und nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise verarbeitet werden. Personenbezogene Daten müssen dem Verarbeitungszweck entsprechen, maßgeblich und in Bezug auf die Zwecke, für die sie verarbeitet werden, nicht übermäßig sein (Art. 4 Abs. 1 lit. a) – c) RL (EU) 2016/680). Ein weites Verständnis von Datenverarbeitung zu Grunde gelegt, nach dem bereits der fehlschlagende Versuch des Datenzugriffs erfasst ist, und Erwägungsgrund 26 RL (EU) 2016/680 gewürdigt, der die Zulässigkeit bestimmter Ermittlungsmaßnahmen explizit thematisiert, sind entsprechende Ermittlungsmaßnahmen der StPO „Durchführung von Unionsrecht“ i.S.v. Art. 51 Abs. 1 Fall 2 GRC, sodass die Unions-Grundrechte (insb. Art. 7, 8, 52 GRC) Anwendung finden, soweit sie den Datenschutz betreffen (Rataj, NStZ 2025, 398 (400 f.)).

Das Bundesverfassungsgericht prüft innerstaatliches Recht und dessen Anwendung jedoch grds. auch dann ausschließlich am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, wenn es zwar im Anwendungsbereich des Unionsrecht liegt, dabei aber durch dieses nicht vollständig determiniert ist. Es erkennt damit ein Nebeneinander verschiedener Grundrechte-Ordnungen an, wobei die Mitgewährleistung des unionsrechtlichen Schutzniveaus durch die Anwendung von Grundrechten des Grundgesetzes – wiederum in Auslegung im Lichte der GRC – vermutet wird. Eine Prüfung innerstaatlichen Rechts unmittelbar am Maßstab der Grundrechte der Charta soll daneben nur erfolgen, wenn konkrete und hinreichende Anhaltspunkte bestehen, dass ihr Schutzniveau durch die Anwendung von Grundrechten des Grundgesetzes ausnahmsweise nicht gewährleistet ist (BVerfG, Beschl. v. 06.11.2019 – 1 BvR 16/13, BVerfGE 152, 152 – Recht auf Vergessen I). In vollständig von Unionsrecht determinierten Bereichen zieht das Bundesverfassungsgericht hingegen grds. nur die Grundrechte der GRC als Prüfungsmaßstab heran (BVerfG, Beschl. v. 06.11.2019 – 1 BvR 276/17, BVerfGE 152, 216 – Recht auf Vergessen II).

Nach diesen Maßstaben ist das Auflegen eines Fingers von Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor eines Smartphones zwar eine „Verarbeitung personenbezogener Daten“ i.S.v. Art.  2 Abs. 1 RL (EU) 2016/680 (BGH, Beschl. v. 13.03.2025 – 2 StR 232/24, Rn. 29; El-Ghazi, NJW 2025, 850; a.A. OLG Bremen, Beschl. v. 08.01.2025 –1 ORs 26/24, NJW 2025, 847 (849); vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2024 – C-548/21, NVwZ 2025, 321 (332 f.)). Die Ausgestaltung zulässiger Strafermittlungsmaßnahmen liegt jedoch weiterhin im Wesentlichen bei den Mitgliedsstaaten, sodass keine Determination durch Unionsrecht besteht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.11.2019 – 1 BvR 16/13, BVerfGE 152, 152 (171 ff.); Rataj, NStZ 2025, 398 (403)).

Hinweis: Die Entscheidung des BGH hat sich an dieser Stelle darauf beschränkt, die Anwendbarkeit der Richtlinie festzustellen. Eine einschlägige Klausurbearbeitung (hier dürfte dann der Abdruck entsprechender Passagen der Richtlinie zu erwarten sein) sollte den Zusammenhang von Unions- und dem nationalen Grundrechtsschutz jedoch darstellen.

b)       Nemo tenetur se ipsum accusare

In keinem Konflikt steht das zwangsweise Auflegen des Fingers von Beschuldigten auf den Sensor eines Smartphones mit dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit. Aus dem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG folgt, dass niemand gezwungen werden darf, aktiv an der Strafverfolgung der eigenen Person mitzuwirken (BVerfG, Beschl. v. 06.09.2016 – 2 BvR 890/16, Rn. 34 f.). Da hier jedoch die bloße Duldung abverlangt wird, ist diese Schwelle nicht überschritten (BGH, Beschl. v. 13.03.2025 – 2 StR 232/24 Rn. 32; OLG Bremen, Beschl. v. 08.01.2025 – 1 ORs 26/24, NJW 2025, 847 (848 f,); Bäumerich, NJW 2017, 2718 (2721); Momsen, DRiZ 2018, 140 (141); Neuhaus, StV 2020, 489 (491)).

Hinweis: Zu einem anderen Ergebnis kann insbesondere zu kommen sein, wenn ein Gerät durch Gesichtserkennung entsperrt wird. Während das Aufhalten der Augenlieder durch Ermittlungspersonen noch in den Bereich des passiven Duldens einer Zwangsmaßnahme fällt, würde es gegen den nemo-tenetur-Grundsatz verstoßen, wenn Beschuldigte aufgrund von Täuschung oder Zwang selbstständig in die Kamera des Gerätes blicken (Neuhaus, StV 2020, 489 (491)).

c)       Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG

Bei der weiteren Bestimmung der betroffenen Grundrechte, ist sich der zweistufigen Struktur der Maßnahme zu vergegenwärtigen. Auf der ersten Stufe steht das zwangsweise Auflegen des Fingers auf den Scanner des Smartphones. Indem hierdurch zwar biometrische Daten verwendet, aber nicht gespeichert werden, wird mit lediglich geringer Intensität in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG eingegriffen (OLG Bremen, Beschl. v. 08.01.2025 – 1 ORs 26/24, NJW 2025, 847 (849); Neuhaus, StV 2020, 489 (491)). Soweit die körperliche Einwirkung auf Beschuldigte nicht über das Auflegen des Fingers hinausgeht, ist der Schutzbereich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) mangels Erheblichkeit nicht betroffen (Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193 (199)).

Auf der zweiten Stufe steht der mit dem Auflegen eines Fingers auf den Scanner verschaffte Zugriff auf die Inhalte des entsperrten Geräts. Dabei gilt es zu beachten, dass die Stufen nicht unabhängig voneinander stehen, sondern die erste Stufe im Zweck auf die zweite ausgerichtet ist. Auch wenn nur nach der Rechtmäßigkeit des Entsperrens des Smartphones nach § 81b Abs. 1 StPO gefragt sein sollte, muss im Rahmen der hier gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung die zweite Stufe (§§ 94 ff. StPO) inzident in den Blick genommen werden. Wo der Zugriff auf die Daten schlussendlich ausscheiden muss, verbietet sich bereits die Entsperrung (OLG Bremen, Beschl. v. 08.01.2025 – 1 ORs 26/24, NJW 2025, 847 (849); Neuhaus, StV 2020, 489 (491); nur bei einem offensichtlichen Fehlen der Voraussetzungen nach Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193 (196, 200)).

(1)    Die Auffassung des Bundesgerichtshofs

Jener Zugriff auf die auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten stellt eine intensive Beeinträchtigung des Allgemeinen Persönlichkeitsrecht dar. Insofern hat der Bundesgerichtshof dargelegt, dass auf dem Smartphone einer Person regelmäßig diverse vertrauliche und höchstpersönliche Daten verschiedener Art gespeichert seien, die detaillierte Informationen zu den persönlichen Verhältnissen und der Lebensführung eröffnen oder genaue Schlüsse auf politische, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen zulassen. Der staatliche Zugriff auf einen solchen umfassenden Datenbestand sei mit dem Risiko verbunden, dass die erhobenen Daten in einer Gesamtschau weitreichende Rückschlüsse auf die Persönlichkeit von Betroffenen bis hin zu einer Bildung von Verhaltens- und Kommunikationsprofilen ermöglichen. Auch bei einer offenen Maßnahme ergebe sich so ein schwerwiegender oder sogar besonders schwerwiegender Eingriff in das Recht von Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung (BGH, Beschl. v. 13.05.2025 – 2 StR 232/24, Rn. 33).

Den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den hierauf gespeicherten Daten sei jedoch mit den Vorschriften der §§ 94 ff. StPO und §§ 102 ff. StPO genüge getan, weil der Datenzugriff an den Ermittlungszweck und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden sei. Damit sei im einzelnen Anwendungsfall einerseits dem jeweiligen staatlichen Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung Rechnung zu tragen, wobei die Schwere der Tat, der Grad des Tatverdachts, die potenzielle Beweisbedeutung der auf dem Mobiltelefon vermuteten Daten und der innere Zusammenhang zwischen Tat und Mobiltelefon maßgeblich seien. Andererseits seien die geschützten Rechtsgüter der Betroffenen gegenüber zu stellen. Eine weitergehende Eingrenzung der Eingriffsbefugnisse sei wegen der Vielgestaltigkeit der Sachverhalte von Verfassungs wegen nicht geboten (BGH, Beschl. v. 13.05.2025 – 2 StR 232/24, Rn. 45 ff.).

(2)    Diskussion

Zumindest aus der Perspektive der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erscheinen diese Ausführungen in der Anknüpfung im Recht auf informationelle Selbstbestimmung fraglich. Dieses schützt grds. vor jeder Form der Erhebung personenbezogener Informationen, sodass das Bundesverfassungsgericht noch 2006 seine Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern nach §§ 94 ff., 102 ff. auch auf Personal Computer angewandt hat (BVerfG, Urt. v. 02.03.2006 – 2 BvR 2099/04, BVerfGE 115, 166).

Seit seiner Entscheidung zu sog. „Online-Durchsuchungen“ aus dem Jahr 2008 besteht jedoch mit dem Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine eigene, neben der informationellen Selbstbestimmung stehende Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts: Zu erkennen sei eine früher nicht absehbaren Bedeutung und zugleich Gefährdung der Nutzung moderner Informationstechnik, der unter den bis dahin anerkannten Gewährleistungen nicht hinreichend Rechnung zu tragen sei. Während Art. 10 Abs. 1 GG nur die laufende Kommunikation schütze, sei die Gewährleistungen von Art. 13 Abs. 1 GG auf Zugriffe in der räumlichen Sphäre der Wohnung begrenzt. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung trage der spezifischen Persönlichkeitsgefährdung, die sich aus der Nutzung informationstechnischer Systeme ergebe, nicht vollständig Rechnung, indem eine Person auf die Nutzung angewiesen sei und dabei dem System persönliche Daten anvertraue oder zwangsläufig durch die Nutzung liefere. Ohne noch auf weitere Datenerhebungs- und Datenverarbeitungsmaßnahmen angewiesen zu sein, könnten sich Dritte durch den Zugriff auf ein solches System einen potentiell äußerst großen und aussagekräftigen Datenbestand verschaffen. Dies gehe im Gewicht für die Persönlichkeit von Betroffenen über einzelne Datenerhebungen hinaus, vor denen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schütze. Die sich so eröffnende Lücke werde durch das Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme gefüllt (BVerfG, Urt. v. 27.02.2008 – 1 BvR 370/07, 595/07, BVerfGE 120, 274 (303 ff.)).

Inwieweit es dieser eigenständigen Dimension des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts tatsächlich bedurfte und der informationellen Selbstbestimmung nicht eine hinreichende Offenheit beizumessen ist, um diesen neuen Herausforderungen zu begegnen, wird durchaus in Frage gestellt (Britz, DÖV 2008, 411 (413 f.); Eifert, NVwZ 2008, 521 f.; Sachs/Rixen, GG, 10. Aufl., Art. 2 Rn. 73d). Soweit man das sog. „IT-Grundrecht“ jedoch anerkennt, ist es bei dem Zugriff auf das Smartphone von Beschuldigten auch einschlägig, denn eine Beschränkung des Schutzbereichs auf heimliche Maßnahmen zu präventiven Zwecken, mit denen sich das Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2008 befasst hat, lässt die Entscheidung nicht erkennen (OLG Bremen, Beschl. v. 08.01.2025 – 1 ORs 26/24, NJW 2025, 847 (849); Neuhaus, StV 2020, 489; El-Ghazi, Verhandlungen des 74. Deutschen Juristentages, Band I, C 48 ff.; vgl. mit einem jeweils abweichenden Verständnis der APR-Ausprägungen im Verhältnis zueinander LG Ravensburg, Beschl. v. 14.02.2023 – 2 Qs 9/23 jug, NStZ 2023, 446 (447); Momsen, DRiZ 2018, 140 (143); a.A. Horn, Kriminalistik 2019, 641 (642)). Nicht nur in einer Klausur dürfte sich die Entscheidung, unter welche Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Zugriff auf das Smartphone gefasst wird, allerdings nicht weiter auswirken. Insbesondere sind die besonderen Eingriffsrechtfertigungsanforderungen, die das Bundesverfassungsgericht für die heimliche „Online-Durchsuchung“ aufgestellt hat (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.02.2008 – 1 BvR 370/07, 595/07, BVerfGE 120, 274 (314, 322 ff.)), nicht ohne Weiteres auf offene Maßnahmen zur Strafverfolgung – wie hier – zu übertragen (OLG Bremen, Beschl. v. 08.01.2025 – ORs 26/24, NJW 2025, 847 (849); El-Ghazi, Verhandlungen des 74. Deutschen Juristentages, Band I, C 71 ff.; ders., NJW 2025, 850).

Doch auch in der Sache lässt sich durchaus zu einem anderen Ergebnis als der Bundesgerichtshof kommen. Aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip (vgl. Art. 20 GG) folgt, dass die Entscheidung wesentlicher Fragen der parlamentarischen Gesetzgebung vorbehalten ist (BVerfG, Urt. v. 19.09.2018 – 2 BvF 1/15, 2/15, BVerfGE 150, 1 (96 ff.)). Im Rahmen der Abwägung zur Verhältnismäßigkeit und zur Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage ist zwar im Blick zu behalten, dass mit einer wachsenden Durchdringung der Smartphonenutzung des Alltags in diversen Lebensbereichen nicht nur die grundrechtliche Eingriffsintensität, sondern auch das Interesse der Allgemeinheit steigt, hier zu Zwecken der Strafverfolgung überhaupt und flexibel Einblicke erhalten zu können (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2024 – C-548/21, NVwZ 2025, 321 (325); BGH, Beschl. v. 13.05.2025 – 2 StR 232/24, Rn. 46, 49; Neuhaus, StV 2020, 489 f.; El-Ghazi, Verhandlungen des 74. Deutschen Juristentages, Band I, C 75; MüKoStPO/Trück, 2. Aufl. 2023, § 81b Rn. 24).

Insbesondere berücksichtigt, dass der Zugriff auf das persönliche Smartphone Erkenntnisse in einem enormen Umfang zulässt, der sich auch von demjenigen signifikant absetzt, den das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Durchsuchung eines Personal Computers im Jahr 2006 oder zum IT-Grundrecht 2008 vor Augen haben konnte, darf jedoch bezweifelt werden, ob die Gesetzgebung die Konkretisierung des erforderlichen Strafverfolgungsinteresses an der Maßnahme (etwa durch qualifizierte Anforderungen an die Straftat, den Tatverdacht oder die Beweismittelrelevanz) sowie die Achtung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung (vgl. § 100d StPO) der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Einzelfall überlassen darf und auch keine gesteigerte Regelungsdichte des Verfahrens zur Gewährleistung des gebotenen Schutzes notwendig ist (Horn, Kriminalistik 2019, 641 (643 ff.); ausführlich El-Ghazi, Verhandlungen des 74. Deutschen Juristentages, Band I, C 64 ff.).

2.      Gemessen am Unionsrecht

In dieser Hinsicht steht auch die Konformität der Maßnahme mit Unionsrecht in Frage. Insofern hat der Europäische Gerichtshof auf entsprechende Fragen des Landesverwaltungsgerichts Tirol im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens entschieden,

„dass Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2016/680 im Licht der Art. 7 und 8 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung, die den zuständigen Behörden die Möglichkeit gibt, zum Zweck der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten im Allgemeinen auf die auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten zuzugreifen, nicht entgegensteht, wenn diese Regelung die Art oder die Kategorien der betreffenden Straftaten hinreichend präzise definiert, die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gewährleistet und die Ausübung dieser Möglichkeit, außer in hinreichend begründeten Eilfällen, einer vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle unterwirft.“ (EuGH, Urt. v. 04.10.2024 – C-548/21, NVwZ 2025, 321 (326))

Der Bundesgerichtshof sieht auch diese Voraussetzungen in Anwendung von §§ 81b Abs. 1, 94 ff. StPO gewahrt. Der ersten Anforderung werde nicht erst durch einen gesetzlichen Straftatenkatalog i.S.v. einer Begrenzung auf bestimmte, schwere Kriminalität Genüge getan, sondern könne im Rahmen der gesetzlich verankerten Zweckbindung und Verhältnismäßigkeitsprüfung Rechnung getragen werden. Damit seien den Strafverfolgungsbehörden hinreichend klare Vorgaben in der Einzelfallanwendung gemacht, die vor etwaig willkürlichen Eingriffen schützen. Zudem bestehe eine ausreichende Vorabkontrolle durch Gerichte, indem eine Durchsuchung gemäß § 105 Abs. 1 StPO grds. unter einem „Richtervorbehalt“ stehe. Hier werde u.a. die Verhältnismäßigkeit des Zugangs zu Inhalten des Mobiltelefons geprüft. Ist die Sicherstellung von Mobiltelefonen und der darauf gespeicherten Daten im Voraus nicht richterlich zu billigen, werde die den Datenzugriff ermöglichende Durchsuchungsanordnung verweigert (BGH, Beschl. v. 13.05.2025 – 2 StR 232/24, Rn. 49 ff.).

Ob sich der Europäische Gerichtshof damit richtig verstanden sehen wird, insbesondere wenn die Definition von Art und Kategorie der Straftaten (Anforderung I) auf diese Weise mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Anforderung II) verschliffen wird, erscheint fraglich (vgl. El-Ghazi, NJW 2025, 850).

C.   Ausblick

Das letzte Wort dürfte mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs noch nicht gesprochen worden sein. Im Mindestmaß könnte der Beschluss jedoch zu einer Schärfung des allgemeinen Blicks für die Bedeutung von Unionsrecht im Strafprozessrecht beigetragen haben (vgl. Rataj, NStZ 2025, 398 (403 f.)).

Rufen nach einer eindeutigen und spezifischen Regelung der hier besprochenen Maßnahme (Bäumerich, NJW 2017, 2718 (2722); Momsen, DRiZ 2018, 140 (143); Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193 (200); Neuhaus, StV 2020, 489 (492)) steht die Mahnung zur Erhaltung von Regelungen, die sich in ihrer Praktikabilität bewährt haben und nicht aufgrund ihrer Spezifizierung mit jeder Neuerung auf dem Markt elektronischer Endgeräte einer Reformierung bedürfen (MüKoStPO/Trück, 2. Aufl. 2023, § 81b Rn. 24), entgegen. Die enorme Präsenz von Smartphones und ähnlichen Geräten in der Lebensführung, spricht jedoch dafür, dass ein Zugriff auf die Daten, die sich so auf Geräten einer Person finden lassen, schlechthin einer spezifischeren gesetzlichen Ausgestaltung bedarf, als sie gegenwärtig in der StPO zu finden ist (vgl. Horn, Kriminalistik 2019, 641 (643 ff.); El-Ghazi, Verhandlungen des 74. Deutschen Juristentages, Band I, C 21 f., 64 ff.).

In der Ersten Prüfung scheint neben Fragen in der mündlichen Prüfung eine Behandlung des Vorstehenden in einer prozessualen Zusatzaufgabe in der Strafrechtsklausur oder in einer verfassungsrechtlichen Klausur möglich. Eine materiell-strafrechtliche Einbindung ist – in Anlehnung an die Entscheidung des OLG Bremen, Beschl. v. 08.01.2025 – 1 ORs 26/24, NJW 847 – über § 113 Abs. 3 StGB denkbar. Im Ergebnis ist dann, wie aufgezeigt, Vieles vertretbar.

18.08.2025/0 Kommentare/von Sören Hemmer
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Sören Hemmer https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Sören Hemmer2025-08-18 07:36:092025-08-19 08:27:29Das Entsperren und Auslesen von Smartphones zu Zwecken der Strafverfolgung
Alexandra Alumyan

BGH: Des Maklers Müh‘ ist oft vergebene Müh’

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Ein Studienplatz im Ausland, heiß begehrt – und teuer vermittelt. Doch was, wenn der Bewerber es sich anders überlegt? Der BGH hat mit seinem Urteil vom 5.6.2025 (Az.: I ZR 160/24) klargestellt, dass Vermittlungsfirmen, die Studienbewerbern zu Studienplätzen im Ausland verhelfen, keinen Vergütungsanspruch haben, wenn das Studium letztlich nicht angetreten wird.

In diesem Beitrag wird der Sachverhalt des zugrunde liegenden BGH-Urteils zunächst dargestellt und anschließend eine gutachterliche Aufarbeitung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen vorgenommen. Ziel ist es, die Argumentation des Gerichts in einer systematischen und nachvollziehbaren Form darzustellen. Die zitierten Randnummern bei den Rechtsprechungsnachweisen entsprechen der Nummerierung des Online-Portals „Juris“.

Sachverhalt (verkürzt dargestellt)

Gesellschaft A betreibt eine Agentur, die Studienbewerbern aus Deutschland und Österreich gegen ein Erfolgshonorar bei der Vermittlung von Studienplätzen im Ausland für Humanmedizin hilft. A bietet die Zusammenstellung der Bewerbungsunterlagen, Übersetzungen, Kommunikation mit den Universitäten, ggf. Organisation von Aufnahmeprüfungen in Deutschland sowie Begleitung bei organisatorischen Angelegenheiten vor Ort an. Eine Vergütung erhält A ausschließlich vom Bewerber, nicht von den Universitäten. Die Höhe der Vergütung entspricht einer Jahresstudiengebühr der jeweiligen Universität.

Der Bewerber B forderte am 14.7.2022 über die Website von A ein Infopaket an und erhielt zusammen mit diesem ein Formular zur Erteilung eines Vermittlungsauftrags. Am 20.7.2022 füllte B dieses Formular aus, unterzeichnete es und übersandte es an A. B wählte den Studiengang Humanmedizin, den Studienort Mostar in Bosnien-Herzegowina und als Studienbeginn Wintersemester 2022/2023 bzw. Sommersemester 2023. Eine Jahresstudiengebühr an der Universität Mostar beträgt 11.198,67 EUR.

Unter „VI. Vermittlungsbedingungen“ des Antragsformulars der Agentur ist folgendes geregelt:

Ziff. 1 (Studienbewerber): Der Studienbewerber übermittelt die für das Bewerbungsverfahren erforderlichen Unterlagen und nimmt an eventuellen Aufnahmetests der gewählten Universität(en) teil.

Ziff. 2 (Aufnahmetest): Soweit die gewählte Universität einen eigenen Aufnahmetest durchführt, bemüht [A] sich, diesen Test in Deutschland anzubieten. Für die Durchführung eines Aufnahmetests betragen die Kosten 500 EUR (netto).

Ziff. 3 (Vergütung):

3.1: Erhält der Studienbewerber einen Studienplatz unter Mitwirkung von [A], zahlt der Studienbewerber an [A] ein Erfolgshonorar (netto) in Höhe einer Jahresstudiengebühr der jeweiligen Universität für den beauftragten Studiengang.

3.2: Auslagen, (zum Beispiel für Übersetzungen/ Beglaubigungen/ Universitätsgebühren) werden nach ihrem tatsächlichen Anfall vom Studienbewerber erstattet. 

Ziff. 4 (Sonstiges):

4.1: Die Parteien sind an diese Vermittlungsvereinbarung ab Unterzeichnung und nur bis zum Ablauf des Kalenderjahres des gewünschten Studienbeginns gebunden.

4.2: In der Vergütung beinhaltet ist die Teilnahme am Studien-Vorbereitungskurs der [A]. Die Teilnahme erfolgt freiwillig, eine Nichtteilnahme begründet keine finanziellen Ansprüche.

4.3: Für den Abschluss und die Abwicklung dieses Vertrages gilt deutsches Recht. …

Ziff. 5 (Rücktritt):

5.1: [zusammengefasst: Rücktrittsoption für den Fall, dass der Studienbewerber im angegebenen Studiengang an einem anderen als dem gewünschten Studienort an einer staatlichen deutschen Universität oder an einem anderen der ausgewählten Studienorte im Vermittlungsjahr einen Studienplatz erhält und antritt. Der Provisionszahlungsanspruch soll im Falle des Rücktritts entfallen, jedoch berechnet A hierfür eine Gebühr in Höhe von 1.000 – 1.500 EUR]…

Mitarbeiter der A sandten B die für die Bewerbung erforderlichen Dokumente zu, welche B einige Tage später an A zurücksandte. A reichte daraufhin die Bewerbungsunterlagen des B bei der Universität Mostar ein.

Die Universität Mostar übersandte B am 6.8.2022 schließlich einen Zulassungsbescheid.

Am 22.8.2022 teilte B der A per E-Mail mit, er könne aus gesundheitlichen Gründen das Studium im Oktober nicht antreten. Er bat darum, das Bewerbungsverfahren zu stoppen. Am 6.9.2022 stellte A dem B dennoch eine Rechnung über 11.198,67 EUR. Diese Rechnung hat B, anwaltlich vertreten durch R, mit Schreiben vom 13.9.2022 jedoch bestritten. Daraufhin erhob A Klage auf Zahlung der Vergütung in Höhe von 11.198,67 EUR.

Frage: Hat A gegen B einen Anspruch auf Zahlung in Höhe von 11.198,67 EUR?

Die nachfolgende Lösungsskizze fasst die Erwägungen der Gerichte aller drei Instanzen zusammen und richtet sich in ihren Ergebnissen nach dem BGH. Die Schwierigkeit der Bearbeitung liegt vor allem im verschachtelten Aufbau des Gutachtens. Neben dem hier gewählten Ansatz bestehen auch andere vertretbare Möglichkeiten, die Themenschwerpunkte – Qualifizierung des typengemischten Vermittlungsvertrags als Maklervertrag, Auslegung von AGB sowie Unwirksamkeit der Vergütungsklausel – sinnvoll darzustellen.

Lösungshinweise

A könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung in Höhe von 11.198,67 EUR aus dem Vermittlungsvertrag, Ziff. 3.1 der Vermittlungsbedingungen, haben.

A. Anspruch entstanden

I. Vertragsschluss

Zunächst müsste ein Vertrag zwischen A und B zustande gekommen sein. Ein Vertrag kommt zustande durch zwei korrespondierende, in Bezug aufeinander abgegebene Willenserklärungen, Angebot und Annahme, §§ 145, 147 BGB. Bei einer lebensnahen Betrachtung des Sachverhalts lässt die Zurverfügungstellung eines Formulars auf der Website der A noch keinen objektiven Rechtsbindungswillen der A erkennen, sodass es sich beim Formular zunächst um kein Angebot, sondern um eine invitatio ad offerendum handelt. Ein Angebot des B ist jedoch in der Übersendung des ausgefüllten und unterzeichneten Formulars an A zu erkennen, § 145 BGB. Dieses hat A spätestens durch Zusendung der auszufüllenden Bewerbungsdokumente an B konkludent angenommen, § 147 BGB. Die Erklärungen sind durch Zugang jeweils wirksam geworden, § 130 I BGB. Somit besteht zwischen A und B ein wirksamer Vertrag.

II. Wirksame Einbeziehung

Sodann müsste die Ziff. 3.1 der Vermittlungsbedingungen, welche eine Regelung für die Entstehung des Vergütungsanspruchs trifft, wirksam in den Vertrag einbezogen worden sein.

Bei den Vermittlungsbedingungen könnte es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen handeln, sodass die wirksame Einbeziehung nach §§ 305 ff. BGB zu beurteilen wäre.

1. Vorliegen von AGB und Einbeziehung in den Vertrag

Der persönliche und sachliche Anwendungsbereich ist gem. § 310 I, II, IV BGB eröffnet.

Die Vermittlungsbedingungen stellen von A bei Vertragsschluss gestellte, vorformulierte allgemeine Vertragsbedingungen dar, § 305 I BGB, welche in den Vertrag auch einbezogen wurden, § 305 II BGB, sodass Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff. BGB vorliegen. Die Wirksamkeit der Einbeziehung richtet sich also nach den §§ 305 ff. BGB.

Anmerkung: Umfassendere Ausführungen sind nur bei entsprechender Sachverhaltsangabe möglich.

An dieser Stelle könnte bereits die Auslegung der AGB in Ziff. 3.1 über § 305c II BGB problematisiert werden – demnach wäre die Klausel zunächst nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn aus der Sicht eines durchschnittlichen, verständigen und redlichen Vertragspartners auszulegen. Sofern nach Ausschöpfung aller Auslegungsmöglichkeiten Zweifel verbleiben und zumindest zwei Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar sind, geht die Unklarheit nach § 305c II BGB zulasten des Verwenders (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 31)

Es müsste diskutiert werden, wie „Erhalt“ eines Studienplatzes zu verstehen ist. Der BGH erkennt darin die Zusage des Studienplatzes, nicht den Abschluss des Studienplatzvertrags. Nach Ansicht der Verfasserin führt die Diskussion an dieser Stelle zu einer unübersichtlichen Schachtelprüfung – und man weicht vom BGH ab, welcher seine wesentlichen Erwägungen bezüglich der Qualifizierung des Vertrags und dessen Unwirksamkeit nach § 307 BGB erst im Rahmen der Inhaltskontrolle anstellt. 

2. Inhaltskontrolle

Die Klausel müsste einer Inhaltskontrolle unterliegen und dieser standhalten können.

a. § 307 III 1 BGB

Eine Inhaltskontrolle kommt nur in Betracht, wenn die Klausel dem Anwendungsbereich gem. § 307 III 1 BGB unterfällt. Dafür müsste die Klausel eine von den gesetzlichen Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelung darstellen, § 307 III  1 BGB.

Ziff. 3.1 der Vermittlungsbedingungen regelt den Vergütungsanspruch der Agentur A.

Hierbei könnte es sich um eine Abweichung von der gesetzlichen Regelung zur Entstehung des Anspruchs auf Zahlung des Maklerlohns gem. § 652 I 1 BGB handeln.

aa. Qualifikation des Vertrags

Dafür müsste es sich beim Vermittlungsvertrag um einen Maklervertrag im Sinne des § 652 BGB handeln.

Der Maklervertrag ist gem. § 652 I BGB auf den Nachweis der Gelegenheit zum Abschluss eines Vertrages oder auf die Vermittlung eines Vertrages, in der Regel zwischen dem Auftraggeber und einem Dritten, gerichtet (vgl. OLG München, Urt. v. 5.8.2024 – 36 U 3263/23 e, Rn. 40). Typischerweise handelt es sich bei der Tätigkeit des Auftragnehmers (d.h. des Maklers) um eine Nachweis- oder Vermittlungstätigkeit, wobei die Vergütungspflicht im Grundsatz an den erfolgreichen Nachweis oder die erfolgreiche Vermittlung anknüpft – der Auftraggeber kann frei entscheiden, ob er das nachgewiesene Geschäft abschließen will (vgl. OLG München, Urt. v. 5.8.2024 – 36 U 3263/23 e, Rn. 40).

A verpflichtet sich dazu, die Bewerbungsunterlagen des Bewerbers zusammenzustellen und bei der Universität einzureichen. Die Aufnahme an der Universität erfolgt durch einen Studienplatzvertrag, der typischerweise auf einer Zusage der Universität (Angebot) und dem Antritts des Studienplatzes durch den Bewerber  (Annahme) beruht. Durch ihre Mitwirkung vermittelt A dem B also den Nachweis der Gelegenheit zum Abschluss eines Studienplatzvertrags mit der Wunschuniversität.

Daher kommt ein Maklervertrag grundsätzlich in Betracht.

Der Vermittlungsvertrag könnte aber auch als Dienstvertrag gem. § 611 BGB oder als Werkvertrag gem. § 631 BGB eingeordnet werden.

Beim Dienstvertrag gem. § 611 BGB verpflichtet sich der Dienstverpflichtete zur Leistung der zugesagten Dienste und der Dienstberechtigte zur Gewährung der vereinbarten Vergütung (vgl. OLG München, Urt. v. 5.8.2024 – 36 U 3263/23 e, Rn. 44). Beim Werkvertrag gem. § 631 BGB verpflichtet sich der Werkunternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes und der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung (vgl. OLG München, Urt. v. 5.8.2024 – 36 U 3263/23 e, Rn. 47).

Gegen einen reinen Dienstvertrag spricht jedoch, dass gem. Ziff. 3.1 nicht die Tätigkeit als solche vergütet wird, sondern an den Vermittlungserfolg („Erhält der Studienbewerber einen Studienplatz unter Mitwirkung…) angeknüpft wird (vgl. LG München II, Urt. v. 24.7.2023 – 2 O 3233/22, Rn. 63). Das honorarauslösende Ereignis ist damit der Erhalt des Studienplatzes und keine konkrete Leistungshandlung der Agentur. Gegen einen reinen Werkvertrag lässt sich einwenden, dass der Vermittlungserfolg durch einen Vertrag zwischen dem Bewerber und der Universität erzielt wird, der ausschließlich durch deren Willenserklärungen zustande kommt und daher nicht „Werk“ der Agentur sein kann (vgl. LG München II, Urt. v. 24.7.2023 – 2 O 3233/22, Rn. 64). Ein reiner Dienst- bzw. Werkvertrag liegt mithin nicht vor.

Neben der Vermittlung übernimmt A bei Bedarf jedoch auch die Anfertigung von Übersetzungen und Beglaubigungen und führt die Korrespondenz mit den Universitäten. Zusätzlich bietet A Vorbereitungskurse an und begleitet die Bewerber bei organisatorischen Angelegenheiten. Diese Tätigkeiten werden gem. Ziff. 3.2 separat vergütet. Je nach Art der konkreten Zusatzleistung könnte diese entweder als bloßes Tätigwerden (§ 611 BGB) oder als Leistungserfolg (§ 631 BGB) geschuldet sein, sodass der Vermittlungsvertrag jedenfalls Elemente des Dienst- und Werkvertrags aufweist.

Der Vermittlungsvertrag zwischen A und B ist somit ein typengemischter Vertrag mit Elementen des Makler-, Dienst- und Werkvertragsrechts.

bb. Rechtliche Behandlung eines sog. „typengemischten“ Vertrags

Fraglich ist, welche die nach § 307 III BGB maßgebliche Vorschrift zur Regelung des Vergütungsanspruchs ist. Die Vergütung könnte sich vorliegend nach § 611 I BGB, nach § 631 I BGB oder nach § 652 I 1 BGB richten.

Dies knüpft unmittelbar an die Frage an, wie ein durch mehrere Vertragstypen geprägter Vertrag rechtlich zu behandeln ist.

Nach der Rechtsprechung des BGH bildet ein gemischter Vertrag ein einheitliches Ganzes und kann daher bei der rechtlichen Beurteilung nicht in seine verschiedenen Bestandteile zerlegt werden, dass auf die jeweiligen Vertragsanteile das partiell einschlägige Vertragsrecht angewendet wird (sog. Absorptionstheorie, abzugrenzen von der Kombinationstheorie, vgl. BeckOK BGB/Gehrlein, BGB § 311 Rn. 21).

Der Eigenart des Vertrags wird nur die Unterstellung unter ein einziges Vertragsrecht gerecht, nämlich dasjenige, in dessen Bereich der Schwerpunkt des Vertrags liegt. Überwiegt ein Vertragsbestandteil und ist er deshalb für das Wesen dieses Vertrags prägend, so ist das Recht dieses Bestandteils auch für den ganzen Vertrag entscheidend. Der Schwerpunkt des Vertrags richtet sich nach der inhaltlichen Ausgestaltung des Vertrags und nach dem tatsächlichen Inhalt der wechselseitigen Rechte und Pflichten der Parteien, nicht nach der von den Vertragspartnern gewählten Benennung (BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 18).

Hierzu sind die in den Vermittlungsbedingungen getroffenen Vereinbarungen der Parteien auszulegen.

Allgemeine Geschäftsbedingungen sind – anders als individuelle Vertragsbestimmungen – „nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie ein verständiger und redlicher Vertragspartner sie unter Abwägung der Interessen der Normalerweisen beteiligten Verkehrskreise versteht, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind“ (BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 19).

Erwägung 1: Erfolgshonorar

Zunächst könnte das Vergütungsmodell darauf hindeuten, dass der Schwerpunkt des Vertrags im Maklervertragsrecht liegt.

Das in Ziff. 3.1 bezeichnete Honorar orientiert sich nicht am Aufwand für geleistete Dienste der Agentur, sondern an der Höhe der Studiengebühren, die je nach Universität unterschiedlich hoch ausfallen (vgl. OLG München, Urt. v. 5.8.2024 – 36 U 3263/23 e, Rn. 46). Damit entspricht die Struktur der Vergütung nicht dem Dienst- oder Werkvertrag, bei denen typischerweise die Höhe von der Art der Leistungshandlung abhängig ist. Dagegen ist es beim Maklervertrag typisch, dass die Maklerprovision am vermittelten Hauptvertrag gemessen wird (vgl. MüKoBGB/Althammer, 9. Aufl. 2023, BGB § 652 Rn. 71).

Diese Auslegung legt auch die Vereinbarung in Ziff. 5.1 nahe. Demnach soll der Agentur im Falle des Rücktritts ein Vergütungsanspruch in Höhe von 1.500/ 1.000 EUR zustehen. Dies biete „einen Orientierungsrahmen für den pauschalierten Sach- und Personalaufwand“ der Agentur (OLG München, Urt. v. 5.8.2024 – 36 U 3263/23 e, Rn. 46). Die Jahresstudiengebühr – wie im hiesigen Fall beispielsweise 11.198,67 EUR – fällt deutlich höher aus und übersteigt den Rahmen der pauschalen „Ersatzvergütung“ im Rücktrittsfall.

Erwägung 2: Vereinbarung einer befristeten Bindungswirkung

Für einen Schwerpunkt im Dienst- oder Werkvertragsrecht hingegen könnte die Vereinbarung einer zeitlich befristeten Bindungswirkung sprechen.

Ein solcher „Makleralleinauftrag“ mit einer befristeten Bindungswirkung schränkt den Auftraggeber in seiner Freiheit, den Hauptvertrag selbst oder durch andere Vermittler zu beschaffen, ein. Im Gegenzug dafür wird der Makler dazu verpflichtet, aktiv tätig zu werden.

Typischerweise begründet aber nur ein Dienst- oder Werkvertrag, nicht aber ein Maklervertrag eine Pflicht zum Tätigwerden des Auftragnehmers. Ein normaler Maklervertrag lässt auch die Freiheit des Auftraggebers zum Abschluss anderer Vermittlungsverträge unberührt (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 23).

Jedoch handelt es sich hierbei um eine in der Praxis übliche, anerkannte Form des Maklervertrags, bei dem die wesentlichen Grundgedanken der §§ 652 ff. BGB unangetastet bleiben (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 24). Daher spricht die vereinbarte Bindungswirkung nicht gegen einen Schwerpunkt im Maklervertragsrecht.

Erwägung 3: Leistungsspektrum und Abrechnung der Leistungen

Die schwerpunktmäßige Einordnung im Maklervertragsrecht könnte sich auch aus dem angebotenen Leistungsspektrum ergeben.

Die Ziff. 2, Ziff. 3.2 und Ziff. 4.2 zeigen, dass die Agentur neben der bloßen Vermittlung des Studienplatzes auch Serviceleistungen, sozusagen ein „Rundum-Sorglos-Paket“ anbietet (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 27). Die Agentur vermittelt daher nicht nur die Gelegenheit zum Abschluss des Studienplatzvertrags, sondern übernimmt auch die gesamte Bewerbungsorganisation für den Auftraggeber.

Jedoch ist nur die erfolgreiche Vermittlung des Studienplatzes kostenpflichtig, gem. Ziff. 3.1. Zusätzliche Gebühren und Auslagen kommen nur im Einzelfall bei tatsächlicher Inanspruchnahme der Serviceleistungen dazu, Ziff. 3.2. Das angebotene „Rundum-Sorglos-Paket“ ist also nicht von der Vergütung nach Ziff. 3.1 erfasst. Bei einer Gesamtbetrachtung handelt es sich bei den einzelnen Serviceleistungen vielmehr um ergänzende Tätigkeitspflichten des Maklers, die jedoch „nicht dazu führen, dass eine Vereinbarung ihren Charakter als Maklervertrag verliert“ (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 24).

Der Schwerpunkt des Vermittlungsvertrags liegt somit im Maklervertragsrecht. Es liegt ein Maklervertrag mit dienst- und werkvertraglichen Elementen vor.

Die nach § 307 III BGB maßgebliche Vorschrift zur Regelung des Vergütungsanspruchs ist daher § 652 I 1 BGB.

cc. Abweichung von den gesetzlichen Rechtsvorschriften

Nunmehr müsste die in Ziff. 3.1 getroffene Vergütungsvereinbarung eine von § 652 I 1 BGB abweichende oder ergänzende Regelung darstellen.

(1) Auslegung der Ziff. 3.1: „erhalten“

Laut Ziff. 3.1 müsste der Bewerber einen Studienplatz unter Mitwirkung von A „erhalten“ haben, damit der Lohnanspruch der Agentur entsteht.

Fraglich ist, wie der Begriff „erhalten“ zu verstehen ist.

Nach dem natürlichen Sprachgebrauch eines durchschnittlichen, verständigen  Vertragspartners eröffnet der Begriff „erhalten“ zwei Auslegungsmöglichkeiten (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 32):

Zum einen könnte darunter bereits die Zusage der Universität verstanden werden. Zum anderen könnte damit erst die Annahme des Studienplatzes durch den Bewerber gemeint sein, mit der der Bewerbungsvorgang seinen Abschluss findet. Der Wortlaut bietet dahingehend jedoch keine eindeutige Klarheit.

Über den Wortlaut hinaus können auch der Kontext des gesamten Klauselwerks sowie außerhalb der Erklärung liegenden Umstände, deren Kenntnis von einem Durchschnittskunden erwartet werden kann, herangezogen werden (MüKoBGB/Fornasier, 9. Aufl. 2022, BGB § 305c Rn. 34).

Das LG München zieht zur Auslegung die Internetseite der A heran: Dort wurde der Verlauf des Bewerbungsverfahrens dargestellt – „Persönliches Kennenlernen, Auftragserteilung, Bewerbungsunterlagen, Aufnahmetest, Studienvertrag“. Jedoch nennt die Agentur nicht auch die Erteilung des Zulassungsbescheids, sondern nur den Studienvertrag (vgl. LG München II, Urt. v. 24.7.2023 – 2 O 3233/22 –, Rn. 53).

Aus einem Umkehrschluss zu Ziff. 5.1 könnte sich ergeben, dass bereits die Zusage als zwingender Anknüpfungspunkt zu verstehen ist. Die Klausel enthält eine entgeltliche Rücktrittsoption bei Erhalt und Antritt eines Studienplatzes an einer anderen als der vermittelten Universität. „Eine solche Rücktrittsoption wäre überflüssig, wenn nicht das Honorar bereits mit der Studienplatzzusage geschuldet sein sollte“ (BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 33).

Der honorarauslösende „Erhalt“ des Studienplatzes ist somit bereits in der Studienplatzzusage zu erkennen.

Anmerkung: Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich leider nicht der konkrete Wortlaut der Klausel. Insoweit lässt sich schwer einordnen, weshalb die Rücktrittsoption überflüssig wäre. Eine Rücktrittspauschale ist nach Auffassung der Verfasserin auch schon vor der Zusage für den Makler sinnvoll, sodass die „Zusage“ kein zwingender Anknüpfungspunkt sein kann.

Anmerkung: Würde man sich hier dafür entscheiden, dass der Wortlaut und die ergänzende Auslegung weiterhin zu keinem eindeutigen Auslegungsergebnis führen, würde die Zweifelsregel des § 305c II BGB zum Zuge kommen. Die Unklarheit der Klausel geht nach § 305c II BGB zulasten des Verwenders. Maßgeblich ist dabei die kundenfeindlichste Auslegung, mithin eine Auslegung die zur Unwirksamkeit der Klausel und zur Anwendung des dispositiven Rechts führen würde (BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 31). 

Im Rahmen der Prüfung des § 305c II BGB müsste der Bearbeiter sich inzident mit der Unwirksamkeit der Klausel nach §§ 307-309 BGB befassen.

(2) Abweichung von § 652 I 1 BGB

Die Klausel müsste von den gesetzlichen Rechtsvorschriften abweichen.

§ 652 I 1 BGB geht davon aus, dass der Lohnanspruch des Maklers erst entsteht, wenn der Makler seine Maklerleistung erbracht hat, der Hauptvertrag zustande gekommen ist und das Zustandekommen kausal auf der Maklerleistung beruht.

Hier könnte eine Abweichung vom Erfordernis des Abschlusses des Hauptvertrags vorliegen. Beim Studienplatzvertrag handelt es sich um den maßgeblichen Hauptvertrag. Der Bewerber müsste den Studienplatz angetreten sein, indem er die Zusage bestätigt und einen Studienplatzvertrag mit der Universität abschließt. Nach dem Gesetz genügt es also – entgegen Ziff. 3.1 – nicht, dass der Studienbewerber lediglich eine Zusage von der Universität erhält, die er nicht annimmt.

Die Klausel Ziff. 3.1 stellt also eine vom Gesetz abweichende Vergütungsregelung dar.

dd. Zwischenergebnis

Damit unterliegt die Klausel der Inhaltskontrolle, § 307 III 1 BGB.

b. Wirksamkeit der Klausel nach §§ 307-309 BGB

Die Klausel müsste ferner einer Inhaltskontrolle gem. §§ 307-309 BGB standhalten und dürfte nicht zur Unwirksamkeit gelangen.

Ein Verstoß der Ziff. 3.1 gegen §§ 308, 309 BGB ist nicht ersichtlich.

Die Klausel könnte aber eine unangemessene Benachteiligung gem. § 307 II Nr. 1 BGB darstellen und daher gem. § 307 I 1 BGB unwirksam sein.

Eine unangemessene Benachteiligung liegt gem. § 307 II Nr. 1 BGB dann vor, wenn die Klausel mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist.

aa. Verstoß gegen wesentliche Grundgedanken

Die Klausel müsste gegen wesentliche Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen zum Maklervertrag verstoßen.

„Zum Leitbild des Maklervertrags gemäß § 652 BGB gehören die Erfolgsabhängigkeit der Provision, die Entschließungsfreiheit des Auftraggebers, die Ursächlichkeit der Maklertätigkeit für den Vertragsabschluss und die fehlende Verpflichtung des Maklers zur Leistungserbringung.“ (BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 35)

Erwägung 1: B könnte sich gezwungen fühlen, den Studienplatz anzunehmen

Typischerweise ist der Auftraggeber frei darin, das vom Makler nachgewiesene bzw. vermittelte Geschäft abzuschließen (BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 37). Dies bedeutet, dass der Bewerber sich – auch wenn die Agentur erfolgreich einen Studienplatz vermittelt hat – gegen eine Zusage und damit gegen den Abschluss des Hauptvertrags mit der Universität entscheiden kann. B ist krank geworden und war daher nicht in der Lage, ein derart räumlich entferntes Studium aufzunehmen. Sein Interesse an dem Abschluss eines Studienplatzvertrags ist damit vollständig entfallen. B ist also insoweit benachteiligt, als dass die Maklerleistung der A für ihn (B) keinen Wert mehr hat (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 35). Wenn B die Vergütung zahlen muss, obwohl er kein Interesse mehr am Studienplatz hat, wird seine Entscheidungsfreiheit eingeschränkt, da er sich gedrängt fühlen könnte, den Vertrag nur wegen seiner Zahlungspflicht abzuschließen – sonst hätte er „für nichts“ bezahlt. Die Höhe der Vergütung führt zu einer Verschärfung dieses Konflikts (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 35).

Erwägung 2: Überwälzung des Vertragsabschlussrisikos

Nach obiger Auslegung wird der Bewerber aufgrund Ziff. 3.1 bereits vor Abschluss des Studienvertrags zahlungspflichtig. Der Zahlungsanspruch der Agentur entsteht unabhängig davon, ob der Bewerber einen Studienplatzvertrag mit der Hochschule abschließt. Dadurch wird das – typischerweise dem Makler zugeordnete – Vertragsabschlussrisiko auf den Auftraggeber abgewälzt. Die Überwälzung des Maklerrisikos auf den Auftraggeber widerspricht aber der Natur des Maklervertrags (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 35).

…oder in anderen Worten: „Des Maklers Mühe ist oft vergebene Mühe“ (LG München II, Urt. v. 24.7.2023 – 2 O 3233/22, Rn. 65).

Damit liegt ein Verstoß gegen wesentliche Grundgedanken des Maklervertragsrechts vor.

bb. Keine Rechtfertigung der Leitbildabweichung

Ein sachlicher Grund, der die Abweichung vom Leitbild des Maklervertrags rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich. Auch wurde die Wahrung des gesetzlichen Schutzzwecks nicht auf andere Weise sichergestellt (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2025 – I ZR 160/24, Rn. 43).

cc. Zwischenergebnis

Die Klausel stellt folglich eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 II Nr. 1 BGB dar.

c. Zwischenergebnis

Die Klausel hält der Inhaltskontrolle nicht stand und ist gem. § 307 I 1 BGB unwirksam.

3. Zwischenergebnis

Die Klausel wurde mithin nicht wirksam in den Vertrag einbezogen.

III. Anwendung dispositiven Rechts

Der Lohnanspruch müsste sich aus einer anderen Rechtsgrundlage als Ziff. 3.1 ergeben.

Die Unwirksamkeit der Ziff. 3.1 lässt gem. § 306 I BGB die Wirksamkeit des Vertrags im Übrigen unberührt, sodass eine vertragliche Grundlage für den Lohnanspruch weiterhin besteht. Anstelle der Klausel Ziff. 3.1 treten gem. § 306 II BGB jedoch die gesetzlichen Vorschriften.

Der Vergütungsanspruch des Maklers wird in § 652 I 1 BGB geregelt. Das honorarauslösende Ereignis ist demnach das Zustandekommen des Hauptvertrags. Ein Hauptvertrag zwischen der zusagenden Universität und dem B ist jedoch mangels Annahme des Studienplatzangebots durch B nicht zustande gekommen.

Damit ist der Lohnanspruch der Agentur nicht entstanden.

B. Ergebnis

A hat folglich keinen Anspruch gegen B auf Zahlung in Höhe von 11.198,67 EUR.

16.07.2025/0 Kommentare/von Alexandra Alumyan
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Alumyan https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Alumyan2025-07-16 08:10:182025-07-21 05:16:02BGH: Des Maklers Müh‘ ist oft vergebene Müh’
Gastautor

„Hausbau auf fremden Grund“ – Verwendungsersatzanspruch aus EBV unter Berücksichtigung der Rechtsprechungsänderung des BGH

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Die Frage nach dem Verwendungsersatz beim „Hausbau auf fremdem Grund“ ist ein Klassiker des EBV in der juristischen Ausbildung und bildet gemeinsam mit der diesbezüglichen Rechtsprechungsänderung des BGH (Urt. v. 14.3.2025, V ZR 153/23) den Gegenstand des nachfolgenden Beitrags unseres Gastautors Jakob Brohl. Er studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist studentische Hilfskraft am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Kanzlei Meyer-Köring.

I. Einleitung

Die Regelungen des Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (§§ 985 ff. BGB) und dabei insbesondere die Problematik der Konkurrenzen zu anderen Regelungsregimen im BGB bereiten Studierenden auf dem Weg zum Examen häufig größere Schwierigkeiten. Eine stark umstrittene Frage war, ob ein Verwendungsersatzanspruch aus Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (§§ 994 ff. BGB) auch dann bestehen kann, wenn ein gutgläubiger Besitzer auf einem fremden Grundstück ein Gebäude errichtet und der wahre Eigentümer später die Herausgabe des Grundstücks verlangt. Der Bundesgerichtshof hat nach knapp 60 Jahren seine Rechtsprechung zu dieser Rechtsfrage aufgegeben und sich der Literatur angeschlossen. Die Grundkonstellation der Problematik, der bisherige Meinungsstand und auch die neue Entscheidung des Bundesgerichtshofes sollen in dem folgenden Beitrag beleuchtet werden.

II. Das Problem des „Hausbaus auf einem fremden Grundstück“

1. Die Grundkonstellation

Hinter dem Problem des „Hausbaus auf fremden Boden“ und der Frage, ob Verwendungsersatzansprüche bestehen, steht die folgende Grundkonstellation:

„V verkauft sein Grundstück an K und erklärt die Auflassung, woraufhin K als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen wird. Nach dem Erwerb errichtet K auf dem Grundstück ein Wohnhaus. Als das Wohnhaus gerade fertig gestellt ist, stellt sich heraus, dass der V zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses und der Auflassung aufgrund der Einnahme von Betäubungsmitteln vorübergehend gestört und geschäftsunfähig (§ 104 Nr. 2 BGB) war. V verlangt von K die Herausgabe des Grundstücks.

K befürchtet, keinen Ersatz für die zum Bau des Wohnhauses aufgewendeten Mittel zu erlangen und will daher das Grundstück nur Zug-um-Zug gegen Ersatz der entsprechenden Kosten für die Errichtung des Wohnhauses herausgeben.“

2. Die aufgeworfenen Rechtsfragen & der bisherige Meinungsstand
a) Stellt der Bau eines Hauses auf einem fremden Grundstück eine „Verwendung“ i.S.d. §§ 994 ff. BGB dar?

In einer Klausur stellt sich im Rahmen der Prüfung des Verwendungsersatzanspruchs aus § 994 oder § 996 BGB, nach der Prüfung des Vorliegens der Vindikationslage, die Frage, ob eine „Verwendung“ i.S.d. §§ 994 ff. BGB vorliegt. Als Verwendungen i.S.v. § 994 BGB werden gemeinhin willentliche Vermögensaufwendungen verstanden, die der Sache selbst zugutekommen sollen, indem sie ihrer Erhaltung, Wiederherstellung oder Verbesserung dienen (vgl. nur Vieweg/Lorz, SachenR, 9. Aufl. 2022, § 8 Rn. 33). In der Klausur ist hier Vorsicht geboten: dem Grunde nach lässt sich auch der Bau eines Gebäudes auf einem fremden Grundstück unter diese Definition subsumieren. Dennoch legten BGH und Lehre unterschiedliche Verwendungsbegriffe zugrunde und gelangten so zu unterschiedlichen Ergebnissen.

aa) Der „enge“ Verwendungsbegriff der (bisherigen) Rechtsprechung:

Der BGH hat sich erstmals im Jahre 1964 im sog. Grindelhochhaus-Urteil (BGH, Urt. v. 26. Februar 1964, V ZR 105/61) zu der aufgeworfenen Problematik geäußert. Nach seiner bisherigen Rechtsprechung konnte nur dort von einer Verwendung gesprochen werden, wo die Sache als solche erhalten bleibt, also weiterhin wie bisher verwendet werden kann. Eine (sach)verändernde Maßnahme, wie z.B. die Bebauung eines bisher unbebauten Grundstücks, stellte danach keine Verwendung dar (BGHZ 41, 157ff., 160f.).

Nach (damaliger) Auffassung des BGH würde bei Zugrundlegung des weiten Verwendungsbegriffs sonst der Anwendungsbereich der §§ 994 ff. BGB in einer Weise extendiert, „die ersichtlich nicht mehr dem Zweck der gesetzlichen Regelung entspräche und für die auch kein vernünftiges wirtschaftliches Bedürfnis bestünde“. Der Sinn und Zweck des EBV kann durchaus für ein solches enges Verständnis angeführt werden, soweit man diesen darin erblickt, dass der Eigentümer grundsätzlich für die Erhaltung (vgl. § 994 BGB) und die Aufwertung (vgl. § 996 BGB) seiner Sache Ersatz zahlen soll, nicht aber für Aufwendungen und Veränderungen, die die Substanz und Charakter der Sache völlig verändern. So sah der BGH dies zumindest.

bb) Der „weite“ Verwendungsbegriff der Literatur

Nach der Gegenauffassung, die überwiegend im Schrifttum vertreten wurde (vgl. Medicus/Petersen BürgerlR, 29. Aufl. 2023, Rn. 877), liegt auch im Falle einer (sach)verändernden Maßnahme eine Verwendung i.S.d. §§ 994 ff. BGB vor. Entscheidend ist danach allein, dass die Maßnahme der Sache irgendwie zugutekommt. Diese Definition der „Verwendung“ entspricht dem traditionellem Begriffsverständnis, so wie es auch der Gesetzgeber hatte. Teleologisch ist zudem kennzeichnend, dass sich der enge Verwendungsbegriff der Rechtsprechung über das System der §§ 994 ff. BGB hinwegsetzt und zu unsachgerechten Lösungen führt. Weder das Bereicherungsrecht noch das i.d.R. wertlose Wegnahmerecht gem. § 997 BGB bilden adäquate Alternativen (Neuner, SachenR, 6. Aufl. 2020, Rn. 167). So besteht das Risiko, dass der gutgläubige Besitzer, den das EBV grundsätzlich schützen will, hier unangemessen benachteiligt wird und auf enormen Kosten ersatzlos sitzen bleibt.

b) Schließt das Vorliegen einer Vindikationslage bereicherungsrechtliche Ansprüche aus Verwendungskondiktion (§§ 951 I 1, 812 I 1 Var. 2 BGB) aus oder besteht ein solcher Anspruch neben oder statt eines Verwendungsersatzanspruchs aus dem EBV?

Nachdem in der Klausur Ansprüche aus Eigentümer-Besitzer-Verhältnis geprüft worden sind, kommen bereicherungsrechtliche Ansprüche, namentlich aus der Verwendungskondiktion als besonderer Ausprägung der Eingriffskondiktion gem. § 812 I 1 Var. 2 BGB bzw. gem. §§ 951 I 1, 812 I 1 Var. 2 BGB in Betracht. Hier stellt sich dann die für das EBV typische Frage der Anspruchskonkurrenzen. Somit ist zu prüfen, ob Ansprüche aus Bereicherungsrecht in der vorliegenden Konstellation neben dem EBV anwendbar sind.

aa) Die bisher herrschende Meinung und die bisherige Rechtsprechung des BGH

Nach (bisher) h.M. sollen die §§ 994 ff. BGB dabei ähnlich wie die §§ 987 ff. BGB (vgl. insoweit § 993 I a.E. BGB) als vorrangige abschließende Regelung zu interpretieren sein, in deren Anwendungsbereich alle anderen Anspruchsgrundlagen auf Verwendungsersatz, insb. auch die Verwendungskondiktion nach §§ (951 I 1), 812 I 1 Var. 2 BGB ausgeschlossen sind. Dabei ist jedoch zwischen zwei unterschiedlichen Interpretationen der h.M. zu unterscheiden:

  • Nach Ansicht der Rechtsprechung gilt die absolute Ausschlusswirkung der §§ 994 ff. BGB auch unter Zugrundlegung des sog. engen Verwendungsbegriffs. Von diesem umfassenden Ausschluss sollen sogar auch sachändernde Aufwendungen betroffen sein, die nach der bisherigen Ansicht des BGH von vornherein nicht unter §§ 994 ff. BGB zu klassifizieren sind und damit völlig ersatzlos bleiben (BGHZ 41, 157 – Hochhausfall; s.oben).
  • Teile der Literatur gehen gleichfalls vom abschließenden Charakter der §§ 994 ff. BGB aus, legen dabei jedoch den sog. weiten Verwendungsbegriff zugrunde, wonach §§ 994 ff. BGB auf alle Verwendungen einschließlich sachändernder Aufwendungen Anwendung finden (Neuner Sachenrecht, 6. Aufl. 2020, Rn. 123). Ansprüche aus Bereicherungsrecht scheiden demnach zwar aus, der Besitzer erhält aber dennoch eine Kompensation, soweit die Voraussetzungen der §§ 994 ff. BGB vorliegen.
bb) Die andere Ansicht der Literatur

Nach einer anderen, im Vordringen befindlichen Lehre sind die §§ 994 ff. BGB und § 812 I 1 Var. 2 BGB bzw. §§ 951 I 1, 812 I 1 Var. 2 BGB hingegen nebeneinander anzuwenden Dafür wird insb. im Erst-Recht-Schluss zu §§ 687 II, 684 S. 1 BGB ausgeführt, dass selbst dem vorsätzlich handelnden Geschäftsführer im Falle der angemaßten Eigengeschäftsführung ein Ausgleich für Aufwendungen nach Bereicherungsgrundsätzen zustehe. Für den „nur/lediglich“ grob fahrlässigen, d.h. im Sinne der §§ 994 ff. BGB bösgläubigen, und erst Recht für den gutgläubigen Besitzer könne in diesem Falle nichts anderes gelten. Zudem spreche für eine Anwendbarkeit des Bereicherungsrechts, dass der Eigentümer bei unerwünschten Verwendungen hinreichenden Schutz durch die Regeln der aufgedrängten Bereicherung genieße, während er bei ausgleichloser Belassung der nach §§ 994 ff. BGB nicht ersatzfähigen Verwendungen zu Lasten des Besitzers in unangemessener Weise begünstigt würde (Medicus/Petersen BürgerlR, 29. Aufl. 2023, Rn. 896f.).

3. Die Entscheidung des BGH vom 14. März 2025

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 14. März 2025 (Az.: V ZR 153 /23) seine Rechtsprechung zum Verwendungsersatz beim Hausbau auf fremden Grund verworfen und sich dem weiten Verwendungsbegriff der Literatur angeschlossen.

In dem zugrundliegenden Fall hatten die Beklagten vermeintlich durch Zuschlag im Rahmen einer Zwangsversteigerung das Eigentum an einem Grundstück im brandenburgischen Rangsdorf erworben. Später stellte sich heraus, dass es seitens der Behörden zu Fehlern gekommen war und sich das Eigentum an dem Grundstück nie geändert hatte. Der bisherige Eigentümer verklagte die Beklagten, zwei Eheleute, zur Räumung des Grundstücks, auf Zustimmung zur Grundbuchberichtigung und zum Abriss des Gebäudes auf eigene Kosten.

Der BGH stellte fest, dass ein Anspruch auf Räumung aus § 985 BGB sowie ein Anspruch auf Grundbuchberichtigung aus § 894 BGB bestehen, verneinte aber den Anspruch auf Abriss des Hauses aus § 1004 I 1 BGB. Gleichzeitig meinte das Gericht aber, anders noch als das vorinstanzliche Oberlandesgericht, dass den Beklagten ein Kostenersatzanspruch für den Hausbau aus § 996 BGB zustehen könnte und verwies die Sache zur Prüfung der den Kostenanspruch begründenden Tatsachen zurück an die Vorinstanz.

Die Rechtsprechungsänderung begründete der erneut entscheidende V. Zivilsenat des BGH damit, dass nur so ein gerechter Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen von Eigentümer und gutgläubigem Besitzer geschaffen werden könne. Außerdem würde die bisherige Rechtsprechung und die damit verbundenen Abgrenzungsprobleme zwischen einer nur erhaltenden oder verbessernden Aufwendung, die ersatzfähig sein soll, und einer sachverändernden Maßnahme, die nicht ersatzfähig sein soll, zu einem Zustand der Rechtsunsicherheit führen und den gutgläubigen Besitzer übermäßig beeinträchtigen. Für die für § 996 BGB erforderliche Nützlichkeit kommt es somit nur noch darauf an, dass der objektive Verkehrswert des Grundstücks sich durch die Verwendung erhöht hat.

Der XII. Zivilsenat des BGH, der die die Rechtsprechung des V. Zivilsenates zum Verwendungsbegriff mitgetragen hatte, meldete gegen die Aufgabe der gemeinsamen Rechtsauffassung offensichtlich keine Einwände an. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte nach § 132 II Var. 1 GVG der Große Senat entscheiden müssen.

III. Die Bedeutung für das Examen

Die vorliegende Entscheidung des BGH dürfte für das Examen große Wichtigkeit haben. Das dürfte viel weniger daran liegen, dass das Gericht hier einen „examensheißen“ besonderen Fall entschieden hat, der als ausgefallene Klausur abgewandelt von einem der Justizprüfungsämter abgefragt wird, sondern seine Rechtsprechung bei einem „Klassiker“ im Examen geändert hat. Klausuren, die Probleme im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis zum Inhalt haben und nach Verwendungsersatzansprüchen einer Partei fragen, gehören zum Standardrepertoire der Justizprüfungsämter, da sie es ermöglichen, gleichzeitig verschiedene Rechtsgebiete, Systemverständnis und den Gesamtüberblick über das Vermögensrecht des BGB abzufragen. Es lohnt sich daher, auch diese Konstellation in der Vorbereitung auf die Klausuren des Ersten wie auch des Zweiten Staatsexamens gründlich und vertieft zu bearbeiten und die dahinterstehenden Fragen und Wertungen zu durchdringen. Darüber hinaus hat der Fall bereits eine große Medienpräsenz entfaltet und eignet sich dadurch hervorragend, in den nächsten Wochen im Rahmen der mündlichen Prüfung thematisiert zu werden.

18.03.2025/0 Kommentare/von Gastautor
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2025-03-18 09:00:002025-03-19 11:19:39„Hausbau auf fremden Grund“ – Verwendungsersatzanspruch aus EBV unter Berücksichtigung der Rechtsprechungsänderung des BGH
Micha Mackenbrock

Keine Eigenbedarfskündigung zugunsten eines Cousins

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Es ist wohl der Albtraum eines jeden Mieters: Der Vermieter kündigt die Wohnung wegen Eigenbedarf. Ob Eigenbedarf aber auch dann vorliegt, wenn die Kündigung erfolgt, damit der Cousin des Vermieters die Wohnung nutzen kann, hatte nun der BGH zu entschieden (BGH, Urteil vom 10.07.2024 – VIII ZR 276/23).

Das BGH-Urteil stellt unser Gastautor Micha Mackenbrock nachfolgend vor. Er hat an der Universität Bonn Rechtswissenschaften studiert und das erste Staatsexamen abgeschlossen. Nun ist er Mitarbeiter in einer mittelständigen Anwaltskanzlei und widmet sich seinem Promotionsvorhaben im Arbeitsrecht.

I. Der Sachverhalt

1. Die Ausgangslage

Der Beklagte ist seit 2009 Mieter einer Wohnung in Berlin. Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Deren Gesellschafter sind zwei Cousins. 2014 erwarb die GbR das Eigentum an dem Gebäude, in welchem sich die vom Mieter bewohnte Wohnung befindet. 2021 sprach die GbR dann eine Kündigung wegen Eigenbedarf aus. Einer ihrer Gesellschafter wolle die Wohnung selbst nutzen.

2. Die Kündigung

Der Mieter hält die Kündigung für unwirksam und weigert sich, die Wohnung zu räumen. Er beruft sich auf die Kündigungsbeschränkung nach § 577a Abs. 1a Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 2 der Kündigungsschutzklausel-Verordnung des Landes Berlin. Gemäß diesen Bestimmungen darf eine Personengesellschaft, die erst nach der Vermietung Eigentümer einer Wohnung wurde, eine Kündigung aus berechtigtem Interesse nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 BGB, wie etwa wegen Eigenbedarfs, frühestens zehn Jahre nach dem Erwerb aussprechen. Eine Ausnahme besteht nach § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB jedoch, wenn die Gesellschafter beim Erwerb des Eigentums Familienmitglieder waren. In dem Fall ist eine Eigenbedarfskündigung schon früher zulässig.

Auf diese Ausnahme beruft sich die klagende GbR und verlangt die Räumung und Herausgabe der Wohnung nach §§ 546 Abs. 1, 985 BGB. Die Kündigung des Wohnraummietverhältnisses wegen Eigenbedarfs sei wirksam, denn Cousins seien Familienmitglieder im Sinne der Ausnahmevorschrift. Das würde erst recht gelten, wenn sich Cousins besonders nahe stehen, was hier der Fall sei.

II. Die Entscheidung des BGH

Der BGH meint, dass Cousins nicht als Familienangehörige im Sinne des § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB anzusehen sein. Das gelte auch für § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Der Begriff „Familie“ sei sowohl im Sprachgebrauch unter Juristen, als auch unter Laien, unbestimmt und nicht einheitlich definiert. Auch der Gesetzgeber habe sich bei der Einfügung des § 577a BGB durch das Mietrechtsänderungsgesetz aus 2013 nicht zu dem Familienbegriff geäußert. Eine nähere Konkretisierung bleibe damit vollständig der Rechtsprechung überlassen.

1. Unbeachtlichkeit eines besonders engen Verhältnisses

Laut dem BGH könnten als Konkretisierung des Begriffs der Familienangehörigen die Regelungen über ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen (§ 383 ZPO, § 52 StPO) herangezogen werden. Das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen würde immer gelten – unabhängig davon, ob tatsächliche eine enge Beziehung und persönliche Bindung besteht. Demzufolge sei das enge Verhältnis der beiden Cousins auch im Rahmen der §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB nicht zu berücksichtigen.

2. Ohne Zeugnisverweigerungsrecht auch keine Familienangehörigkeit

Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 383 ZPO und § 52 StPO gilt für Ehepartner, Verlobte und für Verwandte und Schwager in gerade Linie, nicht aber für Cousins. Demnach könnten Cousins auch nicht als Familienmitglieder im Sinne von §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB gelten.

„Als Familienangehörige oder als Familie im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB sind ausschließlich diejenigen Personen anzusehen, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gemäß § 383 ZPO, § 52 StPO zusteht“ (BGH, Urteil vom 10.07.2024 – VIII ZR 276/23, Rn. 34).

Die Privilegierung von Familienangehörigen in den §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB soll dem Umstand Rechnung tragen, dass innerhalb einer Familie aufgrund enger Verwandtschaft üblicherweise ein persönliches Verhältnis von Verbundenheit und gegenseitiger Solidarität besteht, welches eine Kündigung zugunsten von Familienmitgliedern rechtfertigt. Die gesetzliche Privilegierung von Familienangehörigen beruht auf der Annahme einer typischerweise vorliegenden besonderen persönlichen Nähe, die aus der familiären Beziehung resultiert. Daher sei kein zusätzliches, tatsächliches Näheverhältnis erforderlich. Damit scheide aber auch eine Ausweitung des geschützten Personenkreises aufgrund einer individuellen besonderen persönlichen Bindung aus, da das Gesetz bewusst auf einer typisierenden Betrachtungsweise abstellt.

Beispielsweise besteht das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 ZPO, § 52 StPO auch dann, wenn Bruder und Schwester eine tiefe Abneigung füreinander hegen. Denn das Gesetz stellt darauf ab, dass typischerweise eine besonders enge Bindung zwischen Geschwistern vorliegt. Cousins hingegen haben typischerweise keine besonders enge Bindung, welche etwa mit der Bindung zwischen Ehepartnern, Geschwistern oder Eltern zu ihren Kindern verglichen werden könnte. Wenn das im Einzelfall einmal anders ist, ist das im Rahmen des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 383 ZPO, § 52 StPO nicht zu berücksichtigen. Das gleiche gilt für den Familienbegriff aus den §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB.

„Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber im Rahmen des von ihm verfolgten Regelungsziels das subjektive Kriterium einer im Einzelfall vorliegenden besonderen Nähebeziehung als Merkmal für die Bestimmung des von dem Begriff Familie umfassten Personenkreises für bedeutsam gehalten haben könnte, bestehen (…) nicht. Von daher gesehen ist auch nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber (…) bei Verwandten für die Gewährung der Privilegierung eine Differenzierung zwischen engen Verwandten, die unabhängig von dem tatsächlichen Vorliegen einer persönlichen Nähebeziehung privilegiert werden sollten, und entfernteren Verwandten, die nur bei bestehender besonderer persönlicher Verbundenheit von der Privilegierung umfasst sein sollten, vor Augen hatte“ (BGH, Urteil vom 10.07.2024 – VIII ZR 276/23, Rn. 40).

3. Anwendbarkeit der Regelungen im Mietrecht

Der BGH führt aus, dass eine Definition des Familienbegriffs im BGB fehle. Der Gesetzgeber hat den Begriff im BGB auch nicht näher umrissen. Jedoch habe er eine solche Bewertung im Rahmen des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen getroffen. Das Zeugnisverweigerungsrecht beruhe, ebenso wie die Privilegierung in den §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB, auf einer typischerweise vorliegenden persönlichen Nähebeziehung. Somit seien die Wertungen aus § 383 ZPO und § 52 StPO im Rahmen der Eigenbedarfskündigung heranzuziehen.

4. Ergebnis

Da die beiden Cousins nicht als Familienmitglieder im Sinne von § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB anzusehen seien, gilt weiterhin § 577a Abs. 1, 1a Satz 1, Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 2 der Kündigungsschutzklausel-Verordnung des Landes Berlin. Eine Eigenbedarfskündigung durch die GbR kann somit erst nach Ablauf von zehn Jahren nach Eigentumserwerb erfolgen. Ein Räumungs- beziehungsweise Herausgabeanspruch nach §§ 546 Abs. 1 BGB, 985 BGB gegenüber dem Mieter besteht somit nicht.

II. Fazit

Das Urteil des BGH ist nachvollziehbar. Die generalisierende Betrachtung für die Eigenbedarfskündigung verschafft Mietern Rechtssicherheit und Planbarkeit. Auch werden dadurch die Gerichte entlastet, denn sie müssen sich nicht damit beschäftigen, ob in Einzelfällen eine persönliche Nähebeziehung vorliegt.

26.11.2024/1 Kommentar/von Micha Mackenbrock
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2024-11-26 17:36:442024-11-26 17:36:45Keine Eigenbedarfskündigung zugunsten eines Cousins
Micha Mackenbrock

Eigenrechte der Natur im Zivilprozess

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Seit dem Jahr 2015 ist es allgemein bekannt: Deutsche Automobilhersteller bedienten sich illegaler Abgasvorrichtungen an ihren Fahrzeugen, um gesetzlich vorgegebene Grenzwerte für Autoabgase einhalten zu können. Der dadurch entfachte Dieselskandal hat bis heute für eine Vielzahl wegweisender und interessanter nationaler als auch europäischer Urteile gesorgt. Nunmehr ist ein weiteres hinzugekommen: Das LG Erfurt hat „Eigenrechte der Natur“ in der Höhe des Schadensersatzes von Amts wegen berücksichtigt (LG Erfurt Urteil v. 02.08.2024, BeckRS 2024, 19541).

Wie das Gericht diese Berücksichtigung begründet, erläutert unser Gastautor Micha Mackenbrock im nachfolgenden Beitrag. Er hat das Erste Staatsexamen an der Universität Bonn absolviert und widmet sich nun seinem Promotionsvorhaben im Arbeitsrecht.

A. Hintergrund der Entscheidung

Der BGH hat entschieden, dass Kunden von manipulierten Autos vom jeweiligen Hersteller Schadensersatz verlangen können. Die Höhe des Schadensersatzes beträgt in der Regel 5-15% des Fahrzeugpreises (BGH Urteil v. 26.6.2023, NJW 2023, 2259 (2269)).

In dem vom LG Erfurt zu entscheidenden Fall stand eine ebensolche Konstellation in Rede: Ein Autokäufer wurde Opfer des Dieselskandals und verlangte Schadensersatz. Er bekam ihn – wie es auch zu erwarten war – zugesprochen, doch ein Aspekt an der Entscheidung ist neu. Denn erstmals hat ein deutsches Gericht bei der Bemessung der Schadenshöhe Eigenrechte der Natur von Amts wegen berücksichtigt.

B. Begründung des LG Erfurt

Gemäß § 287 I 1 ZPO entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung über die Schadenshöhe. Im hiesigen Fall hat das LG Erfurt entschieden, dass ein Schadensersatz in Höhe von 10% des Kaufpreises angemessen sei. Dies entspräche dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz und dem Sanktionsgedanken. Der Rechtsverstoß des Beklagten habe schließlich beträchtliches Gewicht.

I. Die Natur als ökologische Person

Unumstritten ist, dass die Natur durch die (zu) hohen Abgaswerte von Autos besonders belastet wird. Ein Aspekt, der nach Ansicht des LG Erfurt auch bei der Bemessung der Schadenshöhe nicht unberücksichtigt bleiben kann, da auch die Natur Eigenrechte habe. Die Eigenrechte der Natur ergäben sich aus der Grundrechtecharta der Union (GRC) und seien auch ohne entsprechenden Klägervortrag schon von Amts wegen zu berücksichtigen.

In den Dieselfällen findet das Unionsrecht in Anbetracht der Einschlägigkeit mehrere sekundärrechtlichen Unionsrechtsakte Anwendung, sodass nach Art. 51 I GRC in der Folge auch der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta eröffnet ist. Laut dem LG Erfurt ließen sich aus Art. 2, 3 I und 37 GRC Eigenrechte der Natur begründen. Nach diesen Grundrechten wird das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gewährleistet, was die Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus erforderlich macht. Diese Grundrechte gilt dabei (zumindest nach den Ausführungen des LG Erfurt) nicht nur für natürliche Personen, sondern auch für „ökologische Personen“, das heißt einzelne Ökosysteme, sowie für die Natur als solche. Ökologische Personen seien laut der GRC in ihrer Existenz, ihrem Erhalt und der Regenerierung ihrer Lebenszyklen, Struktur, Funktion und Entwicklungsprozesse zu schützen.

II. Grundrechtecharta schützt auch ökologische Personen

Das LG Erfurt erkennt zwar an, dass die GRC bei ihrer Proklamation im Jahr 2000 die Anerkennung derartiger Rechte noch nicht im Blick hatte. Sie sei aber offen für neue Entwicklungen und die Anerkennung von spezifischen Rechten ökologischer Personen sei heute aufgrund der aktuellen Entwicklungen rund um Klimawandel, Artensterben und Vermüllung geboten. Der Begriff „Person“ könne nicht nur auf Menschen beschränkt werden, sondern müsse auch die Natur, Flüsse und Wälder mit einbeziehen.

Dafür spreche schon die Präambel der GRC, in der die Verantwortung und die Pflichten gegenüber Mitmenschen und künftiger Generationen betont werden. Auch die Menschenwürdegarantie aus Art. 1 GRC verlange eine solche Auslegung, denn die Anerkennung von Eigenrechten der Natur trage dazu bei, dass der Mensch auch in Zukunft ein Leben in Würde und Selbstbestimmung führen könne.

Zudem sei nicht ersichtlich, warum juristische Personen in den Genuss des Schutzes aus der Grundrechtecharta einbezogen sein sollten, nicht aber die Natur. Mit der Anerkennung von Rechten von ökologischen Personen werde lediglich Waffengleichheit hergestellt.

C. Rechte der Natur in anderen Staaten

In anderen Staaten sind Rechte der Natur schon länger anerkannt. 2017 hat ein Gericht in Indien den Fluss Ganges zu einem Lebewesen erklärt und ihm die gleichen Rechte wie einem Mensch zugesprochen. Ebenso haben Gerichte in Kolumbien und Peru Rechte der Natur aus einer Gesamtschau der jeweiligen Rechtsordnung abgeleitet. Und sogar im EU-Mitgliedstaat Spanien wurde die Salzwasserlagune Mar Menor durch den Gesetzgeber Rechtssubjektivität verliehen.

Dass nun auch ein deutsches Gericht ausdrücklich der Natur Rechte zuspricht, ist eine Premiere. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung des LG Erfurt auf weitere Dieselskandalfälle und auf die Rechtsprechung generell auswirken wird. Mit Spannung abzuwarten bleibt derweil auch, ob der BGH sich dieser Rechtsprechung anschließen wird.

02.09.2024/1 Kommentar/von Micha Mackenbrock
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2024-09-02 10:07:142024-10-14 15:40:16Eigenrechte der Natur im Zivilprozess
Micha Mackenbrock

Koppelungsklauseln in Anstellungsverträgen von GmbH-Geschäftsführern und AG-Vorständen

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Sogenannte Koppelungsklauseln sind in vielen Anstellungsverträgen von GmbH-Geschäftsführern und AG-Vorständen enthalten, um den Bestand des jeweiligen Anstellungsverhältnisses an das Bestehen der Organstellung zu knüpfen. Ob sie einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB standhalten können, wird aber unterschiedlich bewertet, wie unser Gastautor Micha Mackenbrock im nachfolgenden Beitrag erläutert. Er hat das Erste Staatsexamen an der Universität Bonn absolviert und widmet sich nun seinem Promotionsvorhaben im Arbeitsrecht.

Dieser Beitrag wird zunächst eine kurz Einführung in das hier relevante Organwalterrecht geben (I.). Sodann wird erläutert, was genau Koppelungsklauseln eigentlich sind (II.) und es wird dargestellt, was für und was gegen eine Unwirksamkeit nach § 307 BGB spricht (III.). Und schließlich wird ein Fazit gezogen (IV.).

I. Einführung in das Organwalterrecht

Bei einer GmbH und einer AG handelt es sich um juristische Personen des Privatrechts. Sowohl die GmbH als auch die AG können daher als solche nicht selbst handeln. Das übernehmen stattdessen ihre Organe. In der GmbH ist bzw. sind sind der/die Geschäftsführer für die Geschäftsführung zuständig, in der AG ist es der Vorstand.

1. Ein Blick auf die GmbH

Die Bestellung des Geschäftsführers in einer GmbH erfolgt entweder durch Satzung oder durch Beschluss der Gesellschafterversammlung, §§ 6 III, 46 Nr. 5 GmbHG. Auch die Abberufung, das heißt das Entbinden von den gesetzlichen und satzungsmäßigen Kompetenzen und Rechten, des Geschäftsführers erfolgt durch Beschluss der Gesellschafterversammlung nach §§ 38 I, 46 Nr. 5 GmbHG. Sie kann jederzeit, auch ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes, erfolgen.

2. Ein Blick auf die AG

In einer AG wird der Vorstand durch den Aufsichtsrat für eine Dauer von höchstens 5 Jahren bestellt, § 84 I 1 AktG. Die Abberufung des Vorstandes erfolgt ebenfalls durch den Aufsichtsrat, ist aber nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich, § 84 IV AktG.

3. Trennungsprinzip

Zu beachten ist das Trennungsprinzip: Sowohl bei GmbH-Geschäftsführern als auch bei AG-Vorständen ist strikt zwischen der Stellung als Organwalter und dem Anstellungsverhältnis zu unterscheiden. Das heißt: Grundsätzlich bleibt der Anstellungsvertrag, der rechtlich regelmäßig als Dienstvertrag nach § 611 BGB und nicht als Arbeitsvertrag nach § 611a BGB ausgestaltet ist, auch dann bestehen, wenn eine Abberufung erfolgt! Der Organwalter hat also weiterhin einen Anspruch auf die sich aus dem Anstellungsvertrag ergebende Vergütung – und das, obwohl er durch die Abberufung von seiner Tätigkeit als Geschäftsführer beziehungsweise Vorstand entbunden ist. Das zeigen auch § 38 I GmbHG und § 84 III 5 AktG.

Beispiel: Frau Müller ist Vorstandsmitglied der A-AG und hat zugleich einen Anstellungsvertrag mit der A-AG abgeschlossen. Der Anstellungsvertrag sieht eine monatliche Vergütung für Frau Müller vor. Wegen einer groben Pflichtverletzung wird Frau Müller vom Aufsichtsrat nach § 84 IV AktG abberufen. Sie ist somit nicht mehr länger als Vorstandsmitglied tätig. Völlig unabhängig davon ist aber ihr Anstellungsverhältnis. Obwohl Frau Müller nicht länger Vorstandsmitglied ist, kann sie aus ihrem Anstellungsvertrag von der A-AG die monatliche Vergütung verlangen.

II. Koppelung des jeweiligen Anstellungsverhältnisses an das Bestehen der Organstellung

Dieses Ergebnis mag überraschen, da doch die Vergütung gerade für Frau Müllers Tätigkeit als Vorstandsmitglied von der A-AG gezahlt wird. Um genau solche Konstellationen zu vermeiden, entspricht es gängiger Vertragspraxis, dass der Bestand des Anstellungsvertrags an den Bestand der Organstellung geknüpft wird. Der Grundsatz des Trennungsprinzips erfährt durch Koppelungsklauseln also eine Durchbrechung.

Beispiel: Im Anstellungsvertrag von Frau Müller und der A-AG wird vereinbart: „Der Anstellungsvertrag endet mit dem Zeitpunkt der Abberufung von Frau Müller als Vorstandsmitglied.„

III. (Un-)Wirksamkeit nach § 307 BGB?

Umstritten ist, ob solche Koppelungsklauseln wirksam sind. Da der Anstellungsvertrag ganz regelmäßig eine AGB darstellt, müsste das in ihm enthaltene Koppelungsklausel auch einer AGB-Kontrolle am Maßstab der §§ 305 ff. BGB standhalten können.

1. Keine Klärung durch den BGH

Der BGH hat sich bislang noch nicht mit der Frage befasst, ob Koppelungsklauseln einer AGB-Kontrolle nach den §§ 305-310 BGB standhalten. Ältere Urteile des BGH beruhen auf einer anderen Gesetzeslage (BGH NJW 1989, 2683). Mittlerweile entschieden ist aber, dass GmbH-Geschäftsführer und AG-Vorstandsmitglieder als Verbraucher im Sinne von § 13 BGB zu qualifizieren sind (BGH NJW 1996, 2156; OLG Hamm MDR 2007, 1438). Somit findet die Inhaltskontrolle nach §§ 307-310 BGB gemäß § 310 III Nr. 2 BGB auch schon dann Anwendung, wenn die vereinbarte Koppelungsklausel nur zur einmaligen Verwendung bestimmt ist.

2. Für die Unwirksamkeit plädierende Literaturansichten

Einer Ansicht des Schrifttums nach sind Koppelungsklauseln jedenfalls in Anstellungsverträgen mit einem AG-Vorstandsmitglied unwirksam nach § 307 I 1, II Nr. 1 BGB (Tödtmann/von Erdmann, NZG 2022, 3 (6)).
Als gesetzliches Leitbild gebe § 84 IV 5 AktG das Trennungsprinzip vor. Demnach solle die Beendigung des einen Rechtsverhältnisses keine Auswirkungen auf das andere Rechtsverhältnis haben. Andernfalls würde das abberufene Vorstandsmitglied seiner Vergütungsansprüche beraubt werden und stünde schutzlos da. Eine Abweichung vom gesetzlich vorgesehenen Trennungsprinzip sei nur bei Vorliegen eines Sachgrundes gerechtfertigt. Ein Sachgrund läge aber gerade nicht vor. Dass die AG dem abberufenen Vorstandsmitglied weiterhin eine Vergütung zahlen muss läge gerade in ihrem Risikobereich.

Zudem bestehe auch ein Verstoß gegen § 307 I 1, II Nr. 2 BGB. Das Gesetz sieht vor, dass der Aufsichtsrat nicht für die Geschäftsführung zuständig ist und dass der Vorstand dem Aufsichtsrat gegenüber weisungsunabhängig ist, §§ 76 I, 111 IV 1 AktG. Der Vertragszweck eines Anstellungsvertrags sei somit auch darin zu erblicken, dass das Vorstandsmitglied unabhängig vom Aufsichtsrat über die Geschäftsführung der AG entscheiden kann. Dieser Vertragszweck werde aber durch Koppelungsklauseln gefährdet: Der Aufsichtsrat könne den Vorstand abberufen, was insbesondere bei kleineren AGs mit wenigen oder nur einem Aktionär relativ einfach möglich sei. Aufgrund der Koppelungsklausel würde der abberufene Vorstand dann auch seine Anstellung und Vergütungsansprüche verlieren. Der Vorstand könne so durch den Aufsichtsrat gelenkt und gesteuert werden (Tödtmann/von Erdmann, NZG 2022, 3 (8)).

Beispiel: Der Aufsichtsrat der A-AG möchte, dass Frau Müller ein bestimmtes Geschäft abschließt. Frau Müller hält dieses Geschäft für zu risikoreich und weigert sich. Der Aufsichtsrat droht ihr nun mit der Abberufung und verweist auf die Koppelungsklausel im Anstellungsvertrag. Aus Angst um den Verlust ihrer Vergütungsansprüche nimmt Frau Müller das Geschäft doch noch vor.

Die gleiche Gefahr besteht bei der GmbH, denn nach § 46 GmbHG gehört die Geschäftsführung nicht in den Aufgabenkreis der Gesellschafter.

Des weiteren verstießen Koppelungsklauseln auch gegen die Fristenparität aus § 622 VI BGB, so dass sie nach § 134 BGB nichtig seien. Denn durch die Abberufung hätte eine Koppelungsklausel auch zur Folge, dass die AG den Anstellungsvertrag einseitig mit sofortiger Wirkung beenden könne, ohne dass dem Geschäftsführer bzw. Vorstandsmitglied diese Möglichkeit offen stünde (Tödtmann/von Erdmann, NZG 2022, 3 (8 f.)).

3. Für die Wirksamkeit plädierende Literaturansichten

Die in der Literatur vertretene Gegenauffassung hält diesen Argumentationsgang nicht für überzeugend. Vielmehr sollen Koppelungsklauseln in Anstellungsverträgen von GmbH-Geschäftsführern und AG-Vorständen wirksam sein.

Aus den Gesetzgebungsmaterialien zu § 84 IV 5 AktG gehe nicht hervor, dass das Trennungsprinzip dem Zweck diene, dass ein abberufenes Vorstandsmitglied seine sich aus dem Anstellungsvertrag ergebenden Vergütungsansprüche behalten soll und insoweit schutzwürdig sei (Seyfarth, NZG 2022, 389 (391)). Zudem könne eine Koppelungsklausel auch vorteilhaft für den Geschäftsführer bzw. den Vorstand sein – denn durch die Koppelungsklausel wird er auch frei von seinen sich aus dem Anstellungsvertrag ergebenden Pflichten.

Außerdem sei es empirisch nicht belegt, dass durch Koppelungsklauseln der Vorstand durch den Aufsichtsrat gesteuert sei. Vielmehr fänden sich in den meisten Anstellungsverträgen Koppelungsklauseln. Dennoch gebe es keine Berichte darüber, dass Aufsichtsräte mittels Koppelungsklauseln die AG steuern würden. Auch würde die Auffassung, die Koppelungsklauseln für unzulässig erachten, übersehen, dass es für die Abberufung nach § 84 IV 1 AktG eines wichtigen Grundes bedarf. Eine Abberufung sei also nicht ohne weiteres möglich (Seyfarth, NZG 2022, 389 (392)).

Beispiel: Vorstandsmitglied Frau Müller weigert sich das Geschäft abzuschließen, weil sie es als zu risikoreich erachtet. Diese Weigerung stellt keinen wichtigen Grund im Sinne von § 84 IV 1, 2 AktG dar, sodass Frau Müller nicht befürchten muss, vom Aufsichtsrat abberufen werden zu können.

Darüber hinaus müsse berücksichtigt werden, dass die Vergütung gerade für die Tätigkeit als Vorstand beziehungsweise Geschäftsführer bezahlt wird. Wenn diese Tätigkeit wegen der Abberufung wegfällt, sei es auch angezeigt, dass dann auch der Vergütungsanspruch entfällt (Seyfarth, NZG 2022, 389 (392)). Selbst wenn man eine Ungerechtigkeit im Wegfall der Vergütung erblicken möchte: In den allermeisten Anstellungsverträgen finden sich modifizierte Koppelungsklauseln, also Koppelungsklauseln welche die Zahlung einer Abfindung vorsehen (Seyfarth, NZG 2022, 389 (393)).

IV. Fazit

Wer meint, dass Koppelungsklauseln unzulässig seien, der hat dafür vor allem dogmatische Argumente auf seiner Seite. Für die Zulässigkeit sprechen jedoch praktische Erwägungen. Da sich aber beide Ansichten gut vertreten lassen und eine Entscheidung durch den BGH noch nicht stattgefunden hat, kommt es nicht darauf an, welcher Ansicht sich Studierende oder Referendarinnen und Referendare anschließen. Entscheidend ist vielmehr, wie so oft, dass ein Abwägen des Für und Wider gelingt.

25.08.2024/1 Kommentar/von Micha Mackenbrock
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2024-08-25 11:36:112024-10-14 15:40:25Koppelungsklauseln in Anstellungsverträgen von GmbH-Geschäftsführern und AG-Vorständen
Moritz Augel

Grundlagenwissen: Das Verhältnis der Tötungsdelikte zueinander

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Das Verhältnis von Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) und Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) zueinander ist nicht ganz so banal, wie es juristische Laien vermuten würden. Unser Gastautor Moritz Augel widmet sich im nachfolgenden Beitrag daher der examensrelevanten Abgrenzung. Er hat Rechtswissenschaften an der Universität Bonn studiert und ist neben seinem Promotionsvorhaben am Institut für Arbeitsrecht und der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn tätig.

War es Mord oder war es Totschlag? Zuschauer des Tatorts haben hierauf regelmäßig überraschend schnell eine Antwort. Schließlich liege Mord immer dann vor, wenn die Tat aus Vorsatz begangen wurde und lange geplant war, während Totschlag „nur“ im Affekt passiere. Dass dem nicht so ist, weiß jeder Jurastudierende spätestens ab dem zweiten Semester. Doch bereitet die Abgrenzung der Tatbestände auch Jurastudierenden oftmals Schwierigkeiten.

I. Die Abgrenzung

Das systematische Verhältnis der Tötungsdelikte zueinander ist zwischen Rechtsprechung und Literatur umstritten. Während die Rechtsprechung die §§ 211, 212, 216 StGB für eigenständige Delikte hält, wird in der Literatur vertreten, dass § 212 StGB, das Grunddelikt bildet – demnach also der Mord (§ 211 StGB) eine Qualifikation und die Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) eine Privilegierung darstellt.

Für die Auffassung der Rechtsprechung spricht zunächst der Wortlaut der Vorschriften. Die Formulierungen „als Mörder“, „als Totschläger“, „ohne Mörder zu sein“ sprechen zunächst dafür, dass den jeweiligen Vorschriften ein eigenständiger Charakter zukommt. Dieses Argument ist jedoch historisch belastet. Die Fassung des Mordtatbestandes stammt aus dem Jahr 1941, einer Zeit, in der die Auslegung der Strafgesetze nach „dem gesunden Volksempfinden“ erfolgte und die sogenannte Tätertypenlehre vorherrschte: Die Strafe einer Tat bemesse sich nicht nach der Tat, sondern vielmehr danach, zu welcher „Menschenklasse“ der Täter gehört. Die Tätertypenlehre hat klar nationalsozialistischen Ursprung und ist mithin heute dogmatisch bedeutungslos.

Des Weiteren führt die Rechtsprechung die Stellung des § 211 StGB im Gesetz an. Handelte es sich bei dem Mord um eine Qualifikation, so die Rechtsprechung, müsste dieser hinter dem Grundtatbestand verankert sein. Dass der Mord im Gesetz vor dem Totschlag steht spreche daher gegen eine Einordnung als Qualifikationstatbestand. Die Rechtsprechung widerspricht sich damit jedoch selbst, denn auf der anderen Seite entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass (der im Gesetz nachfolgende) § 252 StGB der Grundtatbestand zu § 249 StGB ist. Vielmehr kann man insoweit anführen, dass die Stellung des § 211 StGB am Anfang der Tötungsdelikte dadurch bedingt ist, dass der Strafrahmen („lebenslänglich”) am höchsten ist, der Mord also das gravierendste Delikt innerhalb des Abschnitts bildet.

Ferner überzeugt die Auffassung der Rechtsprechung auch deshalb nicht, weil sie im Bereich der Mittäterschaft und der gekreuzten persönlichen Mordmerkmale zu unbefriedigenden Ergebnissen führt, die sie zu Korrekturen zwingt. Ein derartiges Korrekturbedürfnis gibt es unter Zugrundelegung der herrschenden Literaturansicht hingegen nicht (hierzu sogleich).

Ein wichtiges Argument für die Auffassung der Literatur ist, dass der Tatbestand des Mordes, wie für eine Qualifikation üblich, den Tatbestand des Totschlags mit umfasst. Der Unrechtsgehalt des § 212 StGB ist mithin im § 211 StGB enthalten und wird um die Mordmerkmale ergänzt. Wenn auch dies nicht zwingend ist, wie etwa das Verhältnis von Raub (§ 249 StGB) und Diebstahls (§ 242 StGB) zueinander offenbaren, so sprechen die besseren Gründe doch insgesamt für die Einordnung des Mordes als Qualifikation des Totschlags.

Die Stellung des § 216 StGB innerhalb des Systems der Tötungsdelikte, lässt sich nach dieser Ansicht ebenfalls überzeugend begründen. § 216 StGB umfasst den Tatbestand des § 212 StGB erfordert jedoch darüber hinaus, dass der Sterbewillige den Täter ausdrücklich und ernsthaft zur Tötung bestimmt hat. Es handelt sich mithin bei § 216 StGB um eine Privilegierung zu § 212 StGB.

Übrigens: § 213 StGB (Minder schwerer Fall des Totschlags) ist kein selbstständiger Tatbestand, sondern vielmehr eine Strafzumessungsregel zu § 212 StGB und wird in der Klausur nach der Schuld geprüft.

II. Zusammentreffen von Mordmerkmalen und einem ernsthaften Tötungsverlangen des Opfers

Einig sind sich Rechtsprechung und Literatur darin, dass § 216 StGB die Anwendung des § 211 StGB sperrt. Demnach schadet das Vorliegen eines Mordmerkmals dem Täter nicht, wenn die Voraussetzungen des § 216 StGB vorliegen. Der Tatentschluss muss aber auch in den Fällen, in denen Mordmerkmale hinzutreten, in einer handlungsleitenden Weise durch das Tötungsverlangen des Opfers verursacht worden sein: Motivieren den Täter neben altruistischen Motiven auch egoistische ökonomische Beweggründe (etwa weil er Erbe ist), beurteilt sich die Einschlägigkeit von § 216 StGB oder § 211 StGB nach der Dominanz der jeweiligen Motive. Steht das Finanzielle im Vordergrund des Motivbündels, ist bereits der normative Zusammenhang zwischen Tötungsverlangen und Tat zu verneinen, sodass ein aus Habgier begangener Mord vorliegt. Kommt dem Motiv der Habgier allein eine untergeordnete Rolle zu, so scheidet eine Strafbarkeit wegen Mordes aus und § 216 StGB kommt zur Anwendung.

III. Die Teilnahme am Mord und die Rolle des § 28 StGB bei täterbezogenen Mordmerkmalen

Besondere Relevanz erfährt der das Verhältnis von Mord und Totschlag betreffende Meinungsstreit, wenn es um die Anwendbarkeit des § 28 StGB im Rahmen der Teilnahme geht. Bei den täterbezogenen Mordmerkmalen (solche der 1. und 3. Gruppe) handelt es sich um besondere persönliche Merkmale im Sinne des § 28 StGB. Grundsätzlich richtet sich die Strafe für Anstifter und Gehilfen nach der für den Täter geltenden Strafandrohung; es gilt insoweit Akzessorietät. Möglicherweisung könnte dieser Grundsatz durch § 28 Abs. 2 StGB durchbrochen werden, sog. Akzessorietätslockerung. Es kommt hierbei entscheidend auf die Frage an, ob die täterbezogenen Mordmerkmale die Strafe begründen (§ 28 Abs. 1 StGB) oder schärfen (§ 28 Abs. 2 StGB).

Prüfungsort: Die Tatbestandsverschiebung ist zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit zu prüfen!

1. Aus Sicht der Rechtsprechung

Vertritt man mit der Rechtsprechung die Auffassung, dass es sich bei den persönlichen Mordmerkmalen um solche handelt, die die Strafe begründen, so ist die Strafe des Teilnehmers nach §§ 28 Abs. 1, 49 StGB zu mildern.

Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung in Fällen, in denen Täter und Teilnehmer beide unterschiedliche täterbezogene Mordmerkmale verwirklichen und der Teilnehmer Kenntnis von den Mordmerkmalen des Täters hat. Eigentlich wäre die Strafe des Teilnehmers zu mildern, da § 28 Abs. 1 StGB keine Verschärfung der Strafbarkeit des Teilnehmers in Fällen eigener Mordmotive vorsieht. Im Falle der gekreuzten Mordmerkmale verneint die Rechtsprechung die Strafmilderung und verurteilt auch den Teilnehmer wegen Anstiftung oder Beihilfe zum Mord. Sie kann dieses Ergebnis, wenngleich es richtig ist, nicht dogmatisch sauber herleiten, was erneut ein starkes Argument für die Auffassung der Literatur ist.

2. Aus Sicht der Literatur

Mit der überzeugenderen Ansicht der Literatur hingegen schärft das Vorliegen der persönlichen Merkmale die Strafe, sodass die Strafschärfung gemäß § 28 Abs. 2 StGB nur für den Täter oder Teilnehmer gilt, bei dem die persönlichen Mordmerkmale vorliegen. Demnach kann sich der Anstifter wegen Anstiftung zum Mord strafbar machen, auch wenn der Haupttäter selbst nur einen Totschlag verwirklicht hat.

Gleiches gilt für die Privilegierung nach § 216 StGB; diese kommt nur demjenigen zugute, an das Tötungsverlangen gerichtet wurde und für den es bei der Begehung der Tat bestimmend war. Das Merkmal des Bestimmtseins im Sinne des § 216 StGB stellt ebenfalls ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 StGB dar. Mit der Auffassung der Literatur begründet das Bestimmtsein eine Strafmilderung im Sinne des § 28 Abs. 2 StGB.

IV. kurze Übungsfälle

Nachfolgend sind die verschiedenen Fallkonstellationen der Teilnahme an einem Mord dargestellt, an denen die unterschiedlichen Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur deutlich werden. Sie ermöglichen eine Selbstkontrolle, inwieweit der oben dargestellte Streit verinnerlicht wurde.

Fall 1: Täter T handelt mit einem Mordmerkmal (MM) 1./3. Gruppe (täterbezogenes Mordmerkmal), Gehilfe G weiß das nicht, unterstützt T und weist selbst kein MM auf.

Lösung:

Rspr.: G kennt MM des Täters nicht, sodass Strafbarkeit gem. §§ 212, 27 StGB an § 16 StGB scheitert und für ihn nur eine Strafbarkeit gemäß §§ 212 Abs. 1, 27 StGB in Betracht kommt.

Rspr. ist insoweit dogmatisch inkonsequent, da aufgrund der selbständigen Delikte mangels § 211 Abs. 1 StGB eigentlich kein § 212 Abs. 1 StGB vorliegen könnte, daher „Korrektur“, da Beihilfe sonst mangels Haupttat straflos.

Lit.: Anwendung von § 28 Abs. 2 StGB bei G, Tatbestandsverschiebung von der Qualifikation zum Grundtatbestand, da G kein eigenes MM hat, daher §§ 212, 27 StGB.

Fall 2: Täter T handelt mit MM 1./3. Gruppe, Gehilfe G weiß das, unterstützt T und weist selbst kein MM auf.

Lösung:

Rspr.: G kennt MM des Täters, hat aber kein eigenes. Damit Strafbarkeit gem. §§ 211, 27 StGB. Anwendung von § 28 Abs. 1 StGB, sodass Strafe im Wege der Strafrahmenverschiebung gem. § 28 Abs. 1 StGB zu mildern ist.

Lit.: Anwendung von § 28 Abs. 2 StGB bei G. Tatbestandsverschiebung von der Qualifikation zum Grundtatbestand, da G kein eigenes MM hat. Im Ergebnis daher eine Strafbarkeit gem. §§ 212, 27 StGB.

Fall 3: Täter T handelt mit MM 1./3. Gruppe, Gehilfe G weiß das nicht, unterstützt T und weist selbst MM 1./3. Gruppe auf.

Lösung:

Rspr.: G kennt MM des Täters nicht, damit scheidet eine Strafbarkeit nach §§ 211, 27 StGB wieder an § 16 StGB. Sein eigenes MM bleibt außer Betracht, sodass sich G gem. §§ 212 Abs. 1, 27 StGB strafbar gemacht hat.

Lit.: Anwendung von § 28 Abs. 2 StGB bei G. Tatbestandsverschiebung von der Qualifikation zum Grundtatbestand nur dann, falls G kein eigenes MM hat. Hier hat G jedoch ein eigenes MM, daher §§ 211, 27 StGB.

Fall 4: Täter T hat kein MM der 1./3. Gruppe, Gehilfe G weiß das, unterstützt T und hat selbst ein MM der 1./3. Gruppe.

Lösung:

Rspr.: T hat kein Mordmerkmal, damit § 212 Abs. 1 StGB für ihn. G hat eigenes Mordmerkmal, wird aber trotzdem nur nach § 212 StGB bestraft. § 28 Abs. 1 StGB ist nicht anwendbar.

Lit.: Anwendung von § 28 Abs. 2 StGB, es erfolgt eine Tatbestandsverschiebung vom Grundtatbestand zur Qualifikation, da G ein eigenes MM hat und im Ergebnis daher §§ 211, 27 StGB.

Fall 5: (gekreuzte Mordmerkmale): Täter T hat ein MM der 1./3. Gruppe, Gehilfe G weiß das, unterstützt T und hat ein anderes MM der 1./3. Gruppe.

Hinweis: Der entscheidende Unterschied zu Fall 3 liegt darin, dass der Gehilfe das Mordmerkmal des Täters kennt und somit Beihilfe zu einem Mord leisten will.

Lösung:

Rspr.: Strafbarkeit nach §§ 211, 27 StGB. Darüber hinaus versagt die Rspr. dem Gehilfen die obligatorische Milderung nach § 28 Abs. 1 StGB, da er das MM des T kennt und ebenfalls ein MM der 1./3. Gruppe aufweist, sodass kein Raum für Milderung sei.

Das Problem der gekreuzten Mordmerkmale kann sie nicht dogmatisch schlüssig auflösen. Problem: Nichtanwendung der Rspr. von §§ 28 Abs. 1, 49 Abs. 1 StGB grenzt an Analogie zulasten des Täters!

Lit.: Anwendung von § 28 Abs. 2 StGB und Tatbestandsverschiebung von der Qualifikation zum Grundtatbestand nur dann, falls G kein eigenes MM hat. Hier hat G jedoch ein eigenes MM, daher §§ 211, 27 StGB.

05.08.2024/1 Kommentar/von Moritz Augel
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Moritz Augel https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Moritz Augel2024-08-05 06:20:172024-10-11 06:56:00Grundlagenwissen: Das Verhältnis der Tötungsdelikte zueinander
Monika Krizic

Die Halterhaftung nach § 7 Abs. 1 StVG

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Verkehrsunfälle spielen seit jeher eine bedeutende Rolle im juristischen Alltag, sodass auch die Spezialnormen im StVG für die universitäre Ausbildung und das Examen von enormer Relevanz sind. Insbesondere die Halterhaftung nach § 7 Asb. 1 StVG gehört zum Standarwissen. Der nachfolgende Beitrag soll daher die einzelnen Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG näher durchleuchten und berücksichtigt dabei auch Fälle der jüngsten Rechtsprechung.

Autorin des Gastbeitrags ist Monika Krizic. Sie studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn.

I. Kfz

Zunächst bedarf es eines Kraftfahrzeuges. Dies sind gem. § 1 Abs. 2 StVG Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein.

II. Anspruchsgegner: Halter

Weiterhin muss der Anspruchsgegner Halter dieses Kfz sein. Halter ist, wer das Fahrzeug nicht nur ganz vorübergehend auf eigene Rechnung hält und die Verfügungsgewalt darüber besitzt (Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl. 2007, § 3 Rn. 2; Wandt/Schwarz, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 10. Aufl. 2020, § 22 Rn. 8). Für die Begründung und den Bestand der Haltereigenschaft kommt es somit nicht auf ein Rechtsgeschäft, sondern vielmehr auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise an, welche maßgeblich die Intensität der tatsächlichen Sachherrschaft berücksichtigt (Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Strassenverkehrs, 5. Aufl. 2013, § 3 Rn. 258).

1. Minderjährigkeit

Entsprechend der Rechtsnatur der Haltereigenschaft, könnten auch beschränkt Geschäftsfähige als Halter qualifiziert werden. Eine solche undifferenzierte Perspektive würde aber den tragenden Pfeilern des zivilrechtlichen Minderjährigenschutzes entgegenstehen.

Daher werden Analogien in Betracht gezogen. Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke bei Vergleichbarkeit der Interessenlage voraus. Angesichts der Bedeutung eines umfassenden Minderjährigenschutzes, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber diese Frage planwidrig nicht geregelt hat.

Vor dem Hintergrund des deliktischen Charakters der Gefährdungshaftung aus § 7 Abs. 1 StVG, könnte eine vergleichbare Interessenlage zu § 828 Abs. 3 BGB bejaht werden (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, § 833 Rn. 42). Das höhere Schutzniveau für den Minderjährigen bietet aber eine analoge Anwendung der §§ 104 ff. BGB, da nicht auf dessen Einsichtsfähigkeit abgestellt wird, sondern vielmehr stets ein Tätigwerden und Mitwirken der gesetzlichen Vertreter erforderlich ist (Schamberg, JURA 2021, 758, 761).

2. Leasing

Fragen zur Haltereigenschaft ergeben sich aber auch bei den immer beliebter werdenden Leasingverträgen. In diesen verpflichtet sich der Leasinggeber gegenüber dem Leasingnehmer zur Beschaffung und Übergabe eines bestimmten Gegenstandes. Im Gegenzug zahlt der Leasingnehmer die Leasingrate, wodurch sich die Kosten und Ausgaben für den Leasinggeber amortisieren. Das Eigentum verbleibt beim Leasinggeber.

Der BGH hatte die Haltereigenschaft des Leasingnehmers unter bestimmten Voraussetzungen bereits bejaht (BGH, Urt. v. 22.03.1983 – VI ZR 108/81). Begründet wurde dies mit dem Telos des § 7 Abs. 1 StVG und dem Wesen des Leasingvertrags. Haftungsgrund der Norm ist u.a. die von dem Einsatz des Kfz im Verkehr ausgehende Gefahr. Wird nun dem Leasingnehmer die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über das Fahrzeug überlassen, sodass er dieses nach Belieben zeitlich und örtlich einsetzen kann, ist er in tatsächlicher Hinsicht verantwortlich für die vom Kfz ausgehenden Gefahren, was seine Haltereigenschaft rechtfertigt. Hinzu kommt, dass der Leasingnehmer die Betriebskosten bestreitet und damit das Kfz „für eigene Rechnung“ hält (Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Strassenverkehrs, 5. Aufl. 2013, § 3 Rn. 261).

3. Mietvertrag

Anders gestaltet sich die Situation bei Mietverträgen. Hier hängt die Beurteilung vielmehr von den Umständen des Einzelfalles ab. Zieht der Vermieter wirtschaftliche Vorteile und überlasst das Fahrzeug nur für wenige Stunden, einen Tag oder eine bestimmte Fahrt, so hat zwar bei tatsächlicher Betrachtung der Mieter die tatsächliche Sachherrschaft inne, jedoch wird das Fahrzeug immer noch auf Rechnung des Vermieters verwendet (Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl. 2007, § 3 Rn. 283). Zumal ein Kfz auch dann „gebraucht“ wird, wenn man es nicht selber fährt, sondern etwa gegen einen Mietzins einer anderen Person überlässt (Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Strassenverkehrs, 5. Aufl. 2013, § 3 Rn. 259).

4. Sicherungsübereignung

Durch die Sicherungsübereignung wird der Sicherungsnehmer Eigentümer des Kfz. Gleichwohl fährt der Sicherungsgeber weiterhin in eigener Verfügungsgewalt und trägt die Betriebskosten. Grundsätzlich bleibt der Sicherungsgeber also Halter. Die Haltereigenschaft des Sicherungsnehmers ergibt sich nur dann, wenn er das Kfz zu eigenen Zwecken nutzt und für die Betriebskosten einsteht (Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl. 2007, § 3 Rn. 282).

III. Betriebsspezifische Gefahr

Der Schaden muss bei Betrieb des Kfz entstanden sein. Die Realisierung dieser typischen Betriebsgefahr entspricht insoweit dem Schutzzweck der Norm. Während nach der früheren maschinentechnischen Auffassung erforderlich war, dass der Motor läuft und sich das Kfz bewegt, genügt es nach der heute herrschenden verkehrstechnischen Auffassung, wenn sich das Kfz im öffentlichen Verkehrsraum bewegt oder in verkehrsbeeinflussender Weise darin ruht (Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl. 2007, § 3 Rn. 51). Die Subsumtion kann an dieser Stelle durchaus schwerfallen. Im Laufe der Zeit haben sich im Rahmen dieses Tatbestandsmerkmales unterschiedliche Fallgruppen herauskristallisiert, die aber stets den Umständen des Einzelfalls hinreichend Rechnung tragen müssen. Einige sollen hier zur Veranschaulichung und besserem Verständnis dargestellt werden.

1. Fahrzeuge mit Arbeitsfunktion

Erfüllt ein Kfz neben der Fortbewegung noch weitere Funktionen, so kann sich die Realisierung der betriebsspezifischen Gefahr als problematisch erweisen.

a) Aktuelle Beispiele aus der Rechtsprechung

Beispiel 1 (BGH, Urt. v. 18.07.2023 – VI ZR 16/23)

Unternehmer B ist Halter eines Traubenvollernters und wurde als solcher von K zur Weinlese beauftragt. Allerdings wies der Traubenvollernter ein Leck in der Dieselleitung auf, wodurch die gesamte Ernte verunreinigt wurde.

Beispiel 2 (OLG Celle, Urt. v. 15.11.2023 – 14 U 56/23)

A hatte bei B Heizöl bestellt. Indes zeigten die Füllstandsanzeigen an den Tanks von A nicht den tatsächlichen Füllstand auf, sodass infolge der Befüllung Öl austrat und Gebäude sowie Grundstück von A beschädigte.

Beispiel 3 (BGH, Urt. v. 08.12.2015 – VI ZR 139/15)

A hatte bei B Heizöl bestellt und wollte sich dieses anliefern lassen. Am Liefertermin stellte B den Tanklastwagen vor dem Haus von A auf der öffentlichen Straße ab und verband die Öltanks des Fahrzeugs mithilfe eines Schlauchs mit Öleinfüllstutzen am Haus des A. Jedoch konnte es zu keiner Beladung des Öltanks kommen, da ein Verbindungsschlauch undicht war. Dies hatte wiederum zur Folge, dass das Öl nach allen Seiten herausspritze und letztendlich auch Hausfassade und Küche von A sowie die öffentliche Straße verschmutzte.

In allen drei Fällen hatten die Gerichte stets auf Sinn und Zweck des § 7 Abs. 1 StVG verwiesen. So ist die Gefährdungshaftung der „Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Fahrzeuges erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen“ (BGH, Urt. v. 18.07.2023 – VI ZR 16/23, Rn. 10).

Hinsichtlich Beispiel 1 könnte auf den ersten Blick die Realisierung der Betriebsgefahr bejaht werden, schließlich fuhr der Traubenvollernter durch die Weinberge und verunreinigte die Trauben noch während genau dieser Fahrt. Darauf hatte sich auch das Berufungsgericht (OLG Koblenz, Urt. v. 12.12.2022 – 12 U 636/22) bezogen und betont, dass nicht nur die Maschinen zur Ernteleistung, sondern der Wagen als solcher in Bewegung war. Dem wurde aber entgegengehalten, dass das Fahren durch die Weinberge gerade der bestimmungsgemäßen Arbeitsfunktion der Maschine diente und sich folglich allein diesem Zweck unterordnete. Die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Traubenvollernters hatte damit keine eigenständige Rolle inne. Hinzu kommt auch noch, dass sich der Traubenvollernter während des schädigenden Ereignisses auf einer privaten Verkehrsfläche, fernab des öffentlichen Straßenverkehrs befand und sich folglich nicht die Gefahren realisiert haben, die von dem Traubenvollernter in seiner Eigenschaft als Verkehrsmittel hervorgehen.

Letzteres trifft vorliegend auch auf Beispiel 2 zu, das dem OLG Celle zuletzt zur Entscheidung vorlag. Gefahren für den Verkehr, für die § 7 Abs. 1 StVG schadlos halten will, verwirklichen sich auch dann nicht, wenn ein völlig anderer Gefahrenbereich betroffen ist. So resultierten die Schäden in Beispiel 2 aus den falschen Füllanzeigen des Tanks, nicht aber aus dem Tanklastwagen selber oder seinem Entladevorgang.

Anders sieht die Situation in Fallbeispiel 3 aus. Der BGH führte dabei aus, dass nicht der Einsatz des Motors für den Betrieb der Ölpumpe ausschlaggebend war, sondern vielmehr die Tatsache, dass der Tankwagen seinen Entladevorgang im öffentlichen Verkehrsraum verrichtete. Mithin war durch den auf der öffentlichen Straße stehenden Tankwagen auch der öffentliche Verkehr gefährdet und damit der Schutzzweck von § 7 Abs. 1 StVG tangiert (BGH, Urt. v. 08.12.2015 – VI ZR 139/15, Rn. 15).

b) Zwischenfazit

Die vorliegenden Beispiele zeigen, dass eine Beurteilung nach starren Kriterien wie z.B. Stehen oder Fahren ins Leere gehen. Vielmehr muss untersucht werden, ob sich Gefahren des Fahrzeugs als Verkehrsmittel oder reine Arbeitsmaschine verwirklichen (Beispiel 1), das Kfz nur rein zufällig in einen anderen Gefahrenkreis involviert ist (Beispiel 2) oder diejenigen Schutzgüter betroffen sind, nach denen die Haftungsvorschrift einen Ausgleichsanspruch gewähren soll (Beispiel 3) (Wandt/Schwarz, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 10. Aufl. 2020, § 22 Rn. 14).

2. Stehendes Kfz

Beispiel 4 (BGH, Urt. v. 12.12.2023 – VI ZR 76/23)

K stellte sein Fahrzeug innerorts an einer Straße mit leichtem Gefälle ab. Oberhalb dessen war das Fahrzeug des B geparkt, von dem nachts brennendes Benzin auslief und die Straße herunterfloss. Infolgedessen gerieten beide Fahrzeuge in einen Brand, wodurch das Fahrzeug von K zerstört wurde.

Das OLG hatte vor dem Hintergrund der weiten Auslegung des Tatbestandsmerkmals einen Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG bejaht. So reiche es aus, dass der Unfall in einem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang zu einem Betriebsvorgang, hier dem Einparken, stehe. Allerdings wurde im Rahmen dessen die Beweislast von K durch das OLG verkannt. Durch das Auslaufen des Benzins bestand nur ein räumlicher Zusammenhang, die Ursache des Brandes selber blieb aber ungeklärt. Umstände, aus denen sich schließen lässt, dass der Brand auf einen Betriebsvorgang des Autos zurückzuführen ist, ergeben sich nicht.

3. Fahrzeugteile

Beispiel 5 (BGH, Urt. v. 24.01.2023 – VI ZR 1234/20)

B brachte seinen Elektroroller zur Inspektion in die Werkstatt von W. Der dort angestellte M entnahm die Batterie aus dem Elektroroller, um diese aufzuladen. Als M bemerkte, dass sich die Batterie stark erhitzte, trennte er sie vom Stromnetz und wollte sie abkühlen lassen. Gleichwohl explodierte die Batterie und setzte das Gebäude von W in Brand.

Auch einzelne Fahrzeugteile können beim Betrieb des Kfz einen Schaden verursachen, wenn sie mit einem Verkehrsvorgang zusammenhängen. So etwa das Abfallen des Auspuffs während der Fahrt (Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Strassenverkehrs, 5. Aufl. 2013, § 3 Rn. 134). In Beispiel 4 führte der BGH aus, dass die Explosion nicht mehr in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung des Rollers stand. Gerade weil die Batterie bereits aus dem Roller ausgebaut war, fehle es am örtlichen und zeitlichen Zusammenhang der Explosion mit einem Betriebsvorgang (BGH, Urt. v. 24.01.2023 – VI ZR 1234/20, Rn. 10).

III. Haftungsausschluss

Ausschlusstatbestände für die Halterhaftung ergeben sich aus §§ 7 Abs. 2 und 3, 8 StVG.

1. Höhere Gewalt

Zunächst ist die Halterhaftung gem. § 7 Abs. 2 StVG bei höherer Gewalt ausgeschlossen. Dabei ist höhere Gewalt zu definieren als ein „außergewöhnliches, betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder Handlungen dritter Personen herbeigeführtes und nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbares Ereignis, das mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch nach den Umständen durch äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet werden kann und das auch nicht im Hinblick auf reine Häufigkeit in Kauf genommen werden muss“ (BGH, Urt. v. 17.10.1985 – III ZR 99/84, Rn. 17).

§ 7 Abs. 2 StVG ist folglich nur bei Vorgängen einschlägig, die außerhalb des Kfz und dessen Betrieb beruhen. Dazu gehören neben Naturereignissen auch technische Versagen wie etwa Explosionen (Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl. 2007, § 3 Rn. 356). Lag ein unabwendbares Ereignis vor, muss zusätzlich auch noch das Einhalten der gebotenen Sorgfalt dargelegt werden (Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl. 2007, § 3 Rn. 358).

2. Unbefugte Benutzung

Daneben kann ein Haftungsausschluss auch im Falle der sog. Schwarzfahrt eintreten. Hierzu trifft § 7 Abs. 3 StVG differenzierte Regelungen.

Wird das Kfz von einem völlig unbekannten Dritten in Gebrauch genommen, so wird nur dieser Anspruchsgegner. Eine Haftung des Halters scheidet in diesem Fall gem. § 7 Abs. 3 S. 1 Halbs. 1 StVG aus.

Hat der Halter hingegen die Benutzung des Kfz durch den Dritten schuldhaft ermöglicht, so können Halter und Dritter als Gesamtschuldner haften, § 7 Abs. 3 S. 1 Halbs. 2 StVG. Für das Verschulden genügt bloße Fahrlässigkeit. Gem. § 14 Abs. 2 S. 2 StVO sind Fahrzeuge gegen unbefugte Benutzung zu sichern.

Schließlich ist noch der Fall des Exzesses des befugten Benutzers in § 7 Abs. 3 S. 2 StVG normiert. Ist der Benutzer vom Halter für den Betrieb des Kfz angestellt oder ist ihm dieser überlassen worden, so haftet der Halter weiterhin aus § 7 Abs. 1 StVG. Erfasst ist vor allen Dingen die Konstellation, dass der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer oder Angestellten die Befugnis einräumt, das Kfz zu verwenden (Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl. 2007, § 3 Rn. 322).

3. Ausnahmen

Ausdrücklich normierte Haftungsausschlüsse finden sich ebenfalls in § 8 StVG wieder. Nach § 8 Nr. 2 StVG ist ein Ersatzanspruch ausgeschlossen, wenn der Verletzte bei dem Betrieb des Kfz tätig war.

Beispiel 6 (BGH, Urt. v. 12.01.2021 – VI ZR 662/20)

A ist Halter eines Fahrzeugs, das für ihn behindertengerecht umgebaut wurde. Als A nach einem Arztbesuch zu seinem geparkten Kfz gelangen möchte, muss er feststellen, dass dieses von einem anderen zugeparkt wurde, sodass A mit seinem Rollstuhl nicht mehr an die Fahrertür gelangen kann.

B möchte A helfen und bietet ihm an, sein Fahrzeug aus der Parklücke zu fahren. A willigt ein, macht B aber deutlich, dass es sich um ein umgebautes Fahrzeug handelt, dessen Gas und Bremse mit der Hand bedient werden. B schenkt den Worten des A nicht hinreichend Beachtung und verliert kurze Zeit später die Kontrolle über das Fahrzeug. Infolgedessen wird das dahinterstehende Kfz des B beschädigt.

In teleologischer Hinsicht will die Ausnahmevorschrift dem Umstand Rechnung tragen, dass derjenige, der sich bewusst den Gefahren eines Kfz aussetzt, nicht den besonderen Schutz der Gefährdungshaftung verdient (Schulz-Merkel/Meier, JuS 2015, 201, 203). Dazu gehören u.a. Personen, die sich beim Be- und Entladen, Tanken oder einer Reparatur beteiligen (Wandt/Schwart, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 10. Aufl. 2020, § 22 Rn. 26). Im vorliegenden Fall war fraglich, ob § 8 Nr. 2 StVG auch dann eingreift, wenn der Kraftfahrzeugführer mit einem fremden Kfz sein eigenes Fahrzeug beschädigt.

Zum Teil wird dies mit der Begründung abgelehnt, dass das beschädigte Fahrzeug nicht freiwillig, sondern nur zufällig dem Gefahrenbereich des geführten Fahrzeugs ausgesetzt sei. Im Gegensatz zu Personenschäden könne bei einem solchen Sachschaden von einem freiwilligen Aussetzen in den Gefahrenbereich nicht die Rede sein (Hentschel/König/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 8 Rn. 4).

Dem hielt der BGH aber entgegen, dass § 8 Nr. 2 StVG sowohl seinem Wortlaut als auch seiner teleologischen Zweckrichtung nach auf Personen- sowie Sachschäden anwendbar sei, wobei im konkreten Fall stets Einzelfallumstände zu würdigen seien. In Fallbeispiel 5 hat sich B bewusst für das Ausparken entschieden, womit er auch wusste, dass er sein danebenstehendes Fahrzeug diesem Gefahrenbereich aussetzte.

4. Unabwendbares Ereignis

Blättert man weiter im StVG, so findet sich § 17 Abs. 3. Im Vergleich zu § 7 Abs. 2 StVG handelt es sich um eine einfacherer zu erreichende Enthaftung, welche aber nur im Verhältnis zu den Ansprüchen von anderen Kfz-Haltern, -Führern und -Eigentümern gilt und damit im haftungsausfüllenden Tatbestand zu thematisieren ist (Wandt/Schwarz, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 10. Aufl. 2020, § 22 Rn. 19).

Demnach scheidet die Ersatzpflicht bei einem unabwendbaren Ereignis aus. Nach § 17 Abs. 3 S. 1 und 2 StVG gilt ein Ereignis als unabwendbar, wenn es nicht auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Kfz oder einem Versagen seiner Einrichtungen beruht und der Halter sowie der Führer des Kfz jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet haben. Sinn und Zweck dieser Norm ist es, den Idealfahrer trotz der typischen Betriebsgefahr von der Haftung freizustellen (Schulz-Merkel/Meier, JuS 2015, 201, 205). Im Gegensatz zu § 276 Abs. 1 und 2 BGB muss ein Handeln an den Tag gelegt werden, dass der Umsichtigkeit und Aufmerksamkeit eines Idealfahrers entspricht, sich aber noch im Rahmen des Menschenmöglichen bewegt (Wandt/Schwarz, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 10. Aufl. 2020, § 22 Rn. 20). So ist etwa dem Fahrer eines Kfz bei einer plötzlichen Gefahrenlage ein „Schreckzeit“ zu gewähren (Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl. 2007, § 3 Rn. 377).

5. Konkludenter Haftungsausschluss

Schließlich kann sich eine Enthaftung auch aus einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung ergeben. Dabei besteht aber gem. § 8a S. 1 StVG bei entgeltlichen, geschäftsmäßigen Personenbeförderungen ein Verbot des Haftungsausschlusses. Umgekehrt kann bei unentgeltlicher Beförderung gem. § 276 Abs. 1 S. 1 BGB eine strengere oder mildere Haftung vereinbart werden. Insbesondere bei Gefälligkeitsfahrten kann sich eine konkludierte Haftungsbeschränkung ergeben (Schulz-Merkel/Meier, JuS 2015, 201, 204).

IV. Fazit

Es zeigt sich also, dass die Halterhaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG in vielerlei Hinsicht für eine Klausur geeignet ist. Sowohl das Können in der teleologischen Argumentation als auch systematisches Gesetzesverständnis lassen sich daran gut abprüfen. Mit einem strukturierten Aufbau, gerade im Prüfungspunkt „Betriebsspezifische Gefahr“, lassen sich die Fälle jedoch gut meistern und wer dazu  die aktuelle Rechtsprechung, gerade vor der mündlichen Prüfung, im Blick behält, sollte gut für die Prüfung gerüstet sein.

23.04.2024/1 Kommentar/von Monika Krizic
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Monika Krizic https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Monika Krizic2024-04-23 08:00:002024-11-27 18:21:45Die Halterhaftung nach § 7 Abs. 1 StVG
Gastautor

BGH zu der Verabredung zur Anstiftung zu einem Verbrechen gem. § 30 Abs. 2 Var. 3 Alt. 2 StGB

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Wir freuen uns einen Gastbeitrag von Christian Mildenberger LL.M. veröffentlichen zu können. Der Autor ist Rechtsreferendar am OLG Köln, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bonn sowie Lehrbeauftragter an der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf.

Der Versuch der Beteiligung gemäß § 30 StGB kann in Prüfungssituationen schnell übersehen werden. Examenskandidaten sollten die Norm nicht nur deshalb im Blick behalten. Denn der BGH hat sich in einer aktuellen Entscheidung (v. 29.11.2023 – 6 StR 179/23) mit der Verabredung zur Verbrechensanstiftung gemäß § 30 Abs. 2 Var. 3 Alt. 2 StGB bei noch unbestimmtem Täter auseinandergesetzt und damit Anlass zur Behandlung dieser Konstellation und der einschlägigen Norm in mündlichen und schriftlichen Prüfungen geliefert. Es kann sich daher lohnen, sowohl die konkrete Fallkonstellation mit den entsprechenden Entscheidungsgründen des BGH zu studieren als auch die anderen Formen strafbarer Vorbereitungshandlungen und deren Voraussetzungen zu wiederholen.

I. Die Formen strafbarer Vorbereitungshandlungen nach § 30 StGB

Zum besseren Verständnis sollen zunächst Systematik der Norm sowie die wesentlichen Voraussetzungen der Varianten kurz dargestellt werden, bevor auf die konkrete Entscheidung des BGH eingegangen wird. Dem Versuch der Beteiligung gemäß § 30 StGB sind vier Tatvarianten immanent, wobei eine dem Abs. 1 und drei dem Abs. 2 zu entnehmen sind:

§ 30 StGB Versuch der Beteiligung

(1) Wer einen anderen zu bestimmen versucht, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften, wird nach den Vorschriften über den Versuch des Verbrechens bestraft. Jedoch ist die Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern. § 23 Abs. 3 gilt entsprechend.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sich bereit erklärt, wer das Erbieten eines anderen annimmt oder wer mit einem anderen verabredet, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften.

Es handelt sich bei allen Tatmodalitäten um Vorstufen zu einer Beteiligung an einem Verbrechen. Damit stellt § 30 StGB eine Ausnahme zur grundsätzlichen Straflosigkeit von Vorbereitungshandlungen zu Straftaten dar (daneben findet man Ausnahmen aber auch in einer Reihe von Vorschriften des besonderen Teils, vgl. dazu Engländer in: NK-StGB, 6. Aufl. 2023, § 22 StGB Rn. 4 f.).

1. Versuchte Anstiftung nach Abs. 1

§ 30 Abs. 1 StGB erfasst Fälle, in denen der Täter versucht, eine andere Person zur Begehung einer Tat zu bestimmen, dieser Anstiftungsversuch aber scheitert und damit eine Strafbarkeit nach § 26 StGB nicht in Betracht kommt. Entsprechend der allgemeinen Grundsätze für den Versuch muss die Handlung des Täters nach seiner Vorstellung unmittelbar auf das Hervorrufen des Tatentschlusses der anderen Person gerichtet sein (Kindhäuser/Zimmermann, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2024, § 43 Rn. 6).

Bei der vorbereiteten Tat muss es sich – bezogen auf den präsumtiven Täter (st. Rspr. des BGH, vgl. NJW 1954, 1693; NStZ-RR 2017, 140, 141; a.A. Heine/Weißer in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. 2019, § 30 StGB Rn. 13) – um ein Verbrechen i.S.v. § 12 Abs. 1 StGB handeln. Aus welchen Gründen die Anstiftung erfolglos geblieben ist, hat für die Strafbarkeit nach § 30 Abs. 1 StGB grundsätzlich keine Relevanz. Eine mögliche und in Klausuren beliebte Fallgestaltung, bei der an die (anschließende) Prüfung der versuchten Anstiftung unbedingt gedacht werden sollte, ist der bereits fest zur Tat entschlossene Haupttäter (sog. omnimodo facturus).

Die versuchte Anstiftung darf nicht mit der Anstiftung zum Versuch verwechselt werden. In der zuletzt genannten Konstellation erreicht der Haupttäter das Versuchsstadium der Tat, sodass nicht davon gesprochen werden kann, dass die Anstiftung völlig gescheitert ist. Der Anstifter macht sich in diesem Fall wegen einer Anstiftung zum versuchten Delikt strafbar. Auf Konkurrenzebene ist zu bedenken, dass die Voraussetzungen der versuchten Anstiftung nach § 30 Abs. 1 StGB bei jeder Anstiftung zum vollendeten oder versuchten Verbrechen erfüllt sind. Kommt es also dazu, dass der Haupttäter das Versuchsstadium der Haupttat erreicht hat (bei Verbrechen ist der Versuch stets strafbar, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB), tritt die versuchte Anstiftung insoweit subsidiär hinter der Anstiftung zum versuchten Delikt zurück. Der § 30 Abs. 1 StGB bedarf dann regelmäßig keiner Erörterung im Gutachten (Kindhäuser/Zimmermann, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2024, § 43 Rn. 4).

2. Weitere Tatvarianten nach Abs. 2

Die strafbaren Vorbereitungshandlungen des § 30 Abs. 2 StGB sind das Sich-Bereiterklären (Abs. 2 Var. 1), das Annehmen eines Erbietens (Abs. 2 Var. 2) und die Verabredung (Abs. 2 Var. 3). Ebenso wie bei Abs. 1 ist Voraussetzung für alle Varianten, dass es sich bei der vorbereiteten Tat um ein Verbrechen handelt. Nach Ansicht des BGH ist § 30 Abs. 2 StGB jedenfalls für den Beteiligten anzuwenden, in dessen Person diese Voraussetzung erfüllt ist (BGH, NJW 1959, 777; Überblick zum dbzgl. Streitstand bei Joecks/Scheinfeld in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, § 30 StGB Rn. 21).

a) Sich-Bereiterklären

Die Tatvariante des Sich-Bereiterklärens erfasst zwei Konstellationen. Tatbestandlich ist zum einen die Annahme einer Tataufforderung erfasst, wobei die Initiative vom Anstifter ausgeht, zum anderen unterfällt der Variante auch das Sich-Erbieten (vgl. BGHSt 6, 346 f.). In letztgenannter Konstellation erklärt sich ein Tatgeneigter gegenüber einem anderen, bei dem er von dessen Interesse an der Tat ausgeht, zur Begehung auf eigene Initiative bereit (vgl. Waßmer in: Anwaltkommentar StGB, 3. Aufl. 2020, § 30 StGB Rn. 31).

b) Annehmen eines Erbietens

Die zweite Variante stellt die Annahme des Erbietens eines anderen, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften, unter Strafe. Es handelt sich damit um die spiegelbildliche Strafbarkeit des Sich-Bereiterklärens (Abs. 2 Var. 1) bei Initiative des Haupttäters. Voraussetzung ist sowohl ein Angebot als auch eine entsprechende Annahme. Durch letztere wird der zuvor „nur“ tatgeneigte Haupttäter zum Tatentschluss bewegt. Aus diesem Grund ist die Tatvariante zugleich ein Spezialfall der versuchten Anstiftung (Abs. 1) und daher lex specialis.

c) Verabredung

Die dritte Tatvariante ist im Grunde eine Vorbereitungshandlung zur Mittäterschaft i.S.v. § 25 Abs. 2 StGB oder zur gemeinsamen Anstiftung. Unter der Verabredung ist die ernstliche Übereinkunft von mindestens zwei Personen zu verstehen (BGH, NJW 2009, 1221; NStZ 2011, 570, 571) eine Tat mittäterschaftlich zu begehen (Var. 3 Alt. 1) oder einen anderen gemeinsam zu einer Tat anzustiften (Var. 3 Alt. 2). Dabei müssen die Personen zur Tat fest entschlossen sein; bloße Tatgeneigtheit genügt nicht (BGH, NStZ 2011, 570, 572: abzugrenzen ist die „Verbrechensfantasie von wirklichem verbrecherischen Willen“). Weitere Voraussetzung ist, dass die geplante Tat schon hinreichend konkretisiert ist. Dafür reicht es jedoch aus, wenn die Beteiligten sich über die wesentlichen Grundzüge einig sind; hingegen können Tatzeit, Tatort und Modalitäten der Ausführung im Einzelnen noch offen sein (BGH, NStZ 2007, 697; NStZ 2019, 655, 656).

II. Die Entscheidung des BGH

Mit der Variante der Verbrechensverabredung hatte sich der sechste Senat des BGH auseinanderzusetzen. Der Entscheidung (v. 29.11.2023 – 6 StR 179/23) lag folgender – hier verkürzt wiedergegebener – Sachverhalt zugrunde:

1. Sachverhalt

L suchte eine Person, die gegen Bezahlung bereit war, seinen ihm verhassten Nachbarn schwer zu verletzen, um ihn als Pflegefall aus dem Haus zu vertreiben. Er bevorzugte eine Brandstiftung, um eine Rückkehr des Nachbarn in dessen Haus sicher auszuschließen. L hielt es dabei auch für möglich, dass sein Nachbar unter Ausnutzung von dessen Arg- und Wehrlosigkeit getötet wird, was er billigend in Kauf nahm. L plante die Tat vor Weihnachten 2021, um einer drohenden Verhaftung aufgrund von Strafanzeigen des Nachbarn zuvorzukommen. Da er jedoch selbst keine Kontakte zu möglichen Tätern hatte, sprach er seinen Bekannten H an, um gemeinsam nach einem Täter zu suchen. H machte sich das Anliegen zu eigen und vermittelte drei potenzielle Täter. Nach einem Hinweis auf polizeiliche Kenntnisse der Tatplanung brach L die Bemühungen vorerst ab, behielt sich jedoch die Möglichkeit einer späteren Wiederaufnahme offen.

2.  Entscheidungsgründe

Vorweg ist anzumerken, dass der BGH in seinen Entscheidungsgründen nicht näher auf die Frage der Strafbarkeit von L und H wegen versuchter Anstiftung gemäß § 30 Abs. 1 StGB hinsichtlich der drei potenziellen Täter eingeht. Nach den Feststellungen der Vorinstanz hatten sie sich lediglich der allgemeinen Tatbereitschaft der angesprochenen Personen versichert. Daher haben sie nicht, was erforderlich wäre, unmittelbar auf die Bildung des Tatentschlusses bei den Anzustiftenden hingewirkt.

Der BGH bejaht für L und H jedoch das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer verabredeten Anstiftung i.S.v. § 30 Abs. 2 Var. 3 Alt. 2 StGB. Zur Begründung führt der Senat aus, dass in der Verabredung ausreichend Merkmale für ein konkret-individualisierbares Geschehen gesehen werden können. Dies sowohl für das Bestimmen eines präsumtiven Täters als auch für die von diesem zu begehende Haupttat. Dabei stellen die Entscheidungsgründe darauf ab, dass das Tatopfer, die Begehungsweise bei der Auswahl des späteren Täters, das Motiv der Haupttat und der Tatzeitraum – möglichst vor Weihnachten 2021 – im Wesentlichen feststanden. Dass zum Zeitpunkt der Verabredung der präsumtive Täter noch nicht feststand und es nicht einmal klar war, ob ein solcher überhaupt gefunden und bestimmt werden kann, ist nach Ansicht des Senats hingegen unerheblich. Zur Begründung führen die Richter den Zweck der zeitlichen Vorverlagerung der Strafbarkeit nach § 30 Abs. 2 StGB an. Weiter heißt es, dass L und H jedenfalls fest entschlossen waren, nach erfolgreicher Suche eine tatgeneigte Person anzustiften. Dem steht es auch nicht entgegen, dass die Art der Tatausführung dem präsumtiven Täter überlassen bleiben sollte, weil L und H aus Gleichgültigkeit mit jeder eintretenden Möglichkeit einverstanden waren, diese also billigend in Kauf genommen haben, so der BGH.

III. Einordnung der Entscheidung

Erstmals hatte sich der BGH damit auseinanderzusetzen, ob es der Verwirklichung des § 30 Abs. 2 Var. 3 Alt. 2 StGB entgegensteht, dass im Zeitpunkt der Übereinkunft die Person des präsumtiven Täters noch nicht feststeht. Die Bejahung dieser Frage mag einige Beobachter überrascht haben. Dennoch ist zu beachten, dass die anerkannten Kriterien des Tatbestandes nicht in Frage gestellt wurden. Es bleibt festzuhalten, dass die geplante Tat zumindest in ihren wesentlichen Grundzügen klar definiert sein muss. Anders ausgedrückt bedarf es einer hinreichenden Konkretisierung sowohl hinsichtlich des Bestimmens eines präsumtiven Täters als auch für die von diesem zu begehende Haupttat.

Das Urteil ist gleichwohl von Interesse, da es darauf hindeutet, dass der BGH vergleichsweise geringe Anforderungen an die Konkretisierung stellt und somit indirekt den Forderungen der Literatur nach einer restriktiveren Auslegung der Norm widerspricht (dazu ausführlich Becker, Der Strafgrund der Verbrechensverabredung gem. § 30 II Alt. 3 StGB, 2012; s. auch Eidam in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, Wirtschaftsstrafrecht, § 30 StGB Rn. 1 m.w.N.).

Ähnlich gelagerte Fälle könnten im Examen als Prüfungsgegenstand auftreten, sei es in schriftlichen Klausuren oder der mündlichen Prüfung. Die Qualität der Lösungen der Prüflinge wird sich daran messen lassen müssen, inwieweit sie die relevanten Informationen des Sachverhalts umfassend erkennen und angemessen bewerten können. Dennoch sollten Examenskandidaten berücksichtigen, dass Praxisentscheidungen häufig in modifizierter Form geprüft werden und daher eine gründliche Analyse der Sachverhalte erforderlich ist, anstatt sich vorschnell auf vermeintlich bekannte Lösungsansätze zu verlassen. Angesichts des Urteils des BGH dürfte es durchaus vorzugswürdig sein, eine Strafbarkeit nach § 30 Abs. 2 StGB nicht allein daran scheitern zu lassen, dass zum Zeitpunkt der Vereinbarung die Person des präsumtiven Täters noch nicht feststeht – im Zweifel wird sich auch das jeweilige Justizprüfungsamt an dieser Ansicht orientieren. Dennoch sollte der Sachverhalt präzise darauf untersucht werden, ob die wesentlichen Grundzüge der geplanten Tat, wenn auch nicht zwangsläufig in allen Einzelheiten, bereits zu diesem Zeitpunkt festgelegt waren.

18.03.2024/3 Kommentare/von Gastautor
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2024-03-18 07:20:092024-04-17 10:19:48BGH zu der Verabredung zur Anstiftung zu einem Verbrechen gem. § 30 Abs. 2 Var. 3 Alt. 2 StGB
Maximilian Drews

BGH zur (versuchten) Anstiftung eines strafunmündigen Kindes

Aktuelles, Klassiker des BGHSt und RGSt, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Strafrecht, Strafrecht, Strafrecht AT

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Maximilian Drews veröffentlichen zu können. Der Autor studiert Rechtswissenschaften im sechsten Semester an der Universität Bonn

Der BGH hat in einer jüngeren Entscheidung eine seit jeher diskutierte und umstrittene Frage entschieden und damit neuen Stoff für zukünftige Examensklausuren geschaffen: Ist derjenige, der ein strafunmündiges Kind zur Begehung einer vorsätzlichen, rechtswidrigen Tat veranlasst, mittelbarer Täter oder Anstifter? Jene Abgrenzung gehört schon lange zu den absoluten Examensklassikern. Im Beschluss vom 13.9.2023 (Az. 5 StR 200/23) entschied der 5. Strafsenat nunmehr, dass entgegen vieler Stimmen in derartigen Konstellationen eine Anstiftung anzunehmen ist.

I. Der Sachverhalt (leicht gekürzt)

Der dem Senat vorliegende Sachverhalt ist schnell erzählt: Die Schwägerin (S) des Angeklagten (A) floh aus Angst vor sexuellen Übergriffen durch selbigen gemeinsam mit ihren Kindern in ein Frauenhaus. Wenig später verließ der 11-jährige Sohn der S (M) das Frauenhaus mit dem Ziel, seinen Vater, der zugleich der Bruder des Angeklagten ist, für mehrere Wochen zu besuchen. Dort traf er auf A, der ihn (M) im Rahmen eines Vier-Augen-Gesprächs aufforderte seine Mutter (S) zu töten, weil sie „schlechte Sachen“ gemacht habe. Dabei solle er warten, bis sie schlafe und sie sodann unter Zuhilfenahme eines scharfen Küchenmessers erstechen. Zudem zeigt der A dem M ein Video, in dem ein Mann eine andere Person ersticht. Weitere Instruktionen zur Tat gab der A dem M nicht; letzterer sollte die Tat vielmehr „eigenmächtig zu einer von ihm selbst bestimmten Zeit begehen.“ Hierbei äußerte er (A), dass M aufgrund seines Alters ohnehin nicht bestraft werden könnte, während er selbst bei eigenhändiger Begehung der Tat in das Gefängnis müsste. Als Gegenleistung versprach der A dem M Süßigkeiten, die Rückgabe weggenommener Sachen und ein Motorrad. Daraufhin ging der M zum Schein auf den „Vorschlag“ des M ein, weil er fürchtete, seine Mutter ansonsten nicht mehr wiederzusehen. M kehrte erst ca. zwei Monate später zu seiner Mutter zurück und erzählte ihr sogleich das Vorhaben des A. S erstattete daraufhin sofort Strafanzeige gegen den A.

II. Die Entscheidung (leicht gekürzt)

Der BGH hatte sich mit der dogmatischen Frage auseinanderzusetzen, ob das Verhaltene des A ein versuchter Mord in mittelbare Täterschaft (§§ 212 I, 211, 22, 23 I, 25 I 2.Alt. StGB) sei oder ob „lediglich“ eine versuchte Anstiftung (§ 30 I 1 Alt. 1 i.V.m. §§ 212 I, 211) vorläge. Zwar hat das Reichsgericht die Anstiftung eines strafunmündigen grundsätzlich für möglich gehalten (RGSt 61, 265, 267), eine tragende Entscheidung zu dieser Konstellation hat der BGH nach eigener Aussage aber noch nicht entschieden – bis jetzt!

1) Ein Blick auf die Ansichten in der Literatur

Neben der bisher fehlenden höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der konkreten Frage mangelt es – wie so oft – auch an einer einheitlichen Literaturansicht.

Nach der wohl herrschenden Literaturansicht wäre A in einem solchen Fall immer als mittelbarer Täter zu bestrafen. Dabei wird die Tatherrschaft normativ (rechtlich) und nicht – so die Gegenansicht – faktisch (tatsächlich) bestimmt (MüKoStGB/Joecks/Scheinfeld, 4. Aufl. 2020, StGB § 25 Rn. 106 ff.).

Andere wiederum sehen bei Strafunmündigen gem. § 19 StGB keinen Fall einer Generalisierung, sondern folgen mitunter der schon vom Reichsgericht verfolgten Auslegung, dass auf das „hinreichende Verständnis“ des Kindes und damit die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Kindes abgestellt werden muss (BGH, Beschl. v. 13.09.2023 – Az. 5 StR 200/23, Rn. 12; Matt/Renzikowski/Haas StGB § 25 Rn. 34). Dies muss anhand einer genauen Prüfung des Einzelfalls festgestellt werden.

Für die wohl herrschende Meinung in der Literatur existieren unterschiedliche Begründungsansätze. Zum Teil wird an eine rein normative Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme angeknüpft. Dem Hintermann wird gegenüber dem Strafunmündigen eine sog. „Verantwortungsherrschaft“ oder rechtlicher Überlegenheit attestiert, sodass es nicht darauf ankommt, ob der Schuldunfähige das Unrecht tatsächlich erkennen und sich normgemäß verhalten könne. (BGH, Beschl. v. 13.09.2023 – Az. 5 StR 200/23, Rn. 10; MüKoStGB/Joecks/Scheinfeld, 4. Aufl. 2020, StGB § 25 Rn. 106). Andere stützen sich auf eine dem § 19 StGB entnommene Wertung durch den Gesetzgeber, der durch diese Norm klarstellt, dass die Verantwortung für das Tun von Kindern bei dem tatveranlassenden Hintermann liegen muss. Begründet wird dies damit, dass eine generelle Grenzziehung unabhängig von den individuellen Fähigkeiten eines Kindes nötig wäre, um Ergebnissicherheit und damit auch Rechtssicherheit gewährleisten zu können. In den Worten von Joecks/Scheinfeld beinhaltet der § 19 StGB „eine gesetzgeberische Grundentscheidung, die es der Strafjustiz untersagt, danach zu fragen, ob der kindliche Täter im konkreten Fall in der Lage war, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln“. Konsequenterweise sollen dann alle schuldunfähigen Vordermänner als Tatmittler angesehen werden (MüKoStGB/Joecks/Scheinfeld, 4. Aufl. 2020, StGB § 25 Rn. 109).

2) Die Argumentation des BGH in concreto

Der wohl herrschenden Ansicht tritt der BGH nunmehr explizit entgegen. Vielmehr folgt er der eingangs geschilderten Gegenansicht, die eine Anstiftung bei schuldunfähigen Kindern für möglich hält. Demnach könne man nur von einer mittelbaren Täterschaft ausgehen, wenn der Täter die vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft inne hat, er das Geschehen mithin auch in tatsächlicher Hinsicht steuernd in den Händen hält. Dies sei einzelfallabhängig. Dafür müsse beim Strafunmündigen insbesondere die Reife, das Unrecht zu erkennen, anhand seiner sittlichen und geistigen Entwicklung berücksichtigt werden. Fehle es daran, könne man regelmäßig von der Steuerungsmacht – Tatherrschaft – des Hintermannes sprechen. Eine rein normative Abgrenzung der Täterschaft von der Teilnahme würde stets zur Täterschaft führen und keinen Raum für eine Anwendung der Teilnahme geben.

Für ein Verständnis in diesem Sinne sprechen vor allem auch der Wortlaut und die Systematik des § 26 StGB. Die Teilnahme im Strafrecht ist gekennzeichnet durch die „limitierte Akzessorietät“. Es bedarf demnach lediglich einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat, wohl aber keiner schuldhaft begangenen Tat. Zudem wird gem. § 29 StGB jeder Beteiligte zwingend nach seiner Schuld bestraft. Würde man demgegenüber der wohl herrschenden Ansicht in der Literatur folgen, so würde der Schuld des die Tat tatsächlich Umsetzenden eine maßgebliche Bedeutung zugemessen werden. Denn schließlich ist die Strafunmündigkeit gem. § 19 StGB ein (nur) die Schuld ausschließender Aspekt, aber eben keiner, der zum Wegfall einer vorsätzlichen, rechtswidrigen Haupttat führt.

Auch historische Argumente führt der BGH ins Feld. Zur Zeit des Reichsstrafgesetzbuchswurde die Teilnahme noch durch eine strenge Akzessorietät ausgezeichnet (§ 48 RStGB). Aufgrund der Sorge vor erhöhter Straflosigkeit bei der Unterstützung von Schuldunfähigen (die Gesetzesbegründung verwies insbesondere auf „Geisteskranke“), wurde 1943 aber die „limitierte Akzessorietät“ eingeführt. Diesen Schritt hätte es allerdings nicht benötigt, wenn man generell von einer mittelbaren Täterschaft bei einem schuldlosen Vordermann ausgegangen wäre. Das Nebeneinander von mittelbarer Täterschaft – die früher noch nicht fest normiert, aber bereits fest etabliert war – und Anstiftung wurde auch später vom Gesetzgeber bei der gesetzlichen Einführung der Tatbegehung „durch einen anderen“ fortgeführt und verwies zur Abgrenzung auf das Kriterium der „Tatherrschaft“. Ebenso wenig kann man aus § 19 StGB eine gesetzgeberische Wertung ziehen. Der § 19 StGB betrifft die Ebene der Schuld. Schuldhaftes Handeln des die Tat tatsächlich Ausübenden ist – wie bereits mehrfach angesprochen – aufgrund der nur „limitierten Akzessorietät“ nicht konstitutiv für eine Bestrafung als Anstifter. Zudem handelt es sich beim § 19 StGB um eine gesetzliche unwiderlegliche Vermutung, die keine Aussage über tatsächliche Verhältnisse trifft, sondern die Schuldunfähigkeit aufgrund des Alters bestimmt. Da es sich bei der Tatherrschaft aber um ein Kriterium handelt, das aufgrund tatsächlicher Verhältnisse festgestellt wird, kann § 19 StGB hierbei keine Bedeutung zukommen.

Schließlich kann noch eine Parallele zu der Unterscheidung von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung in anderen Fallkonstellationen gezogen werden, bei der die Tatherrschaft nicht abstrakt auf die Verantwortlichkeit des Handelnden bezogen wird. Beispielhaft zu nennen sind die Fälle des „Täters hinter dem Täter“, bei denen ein strafrechtlich voll Verantwortlicher auch das Werkzeug eines Hintermannes sein kann.

3) Ergebnis des BGH

Auf Grundlage dieser Argumentation kam der BGH zu folgendem Schluss: Der A bestimmte weder die Wahl des Tatzeitpunktes noch weitere Einzelheiten der Tat, sondern überließ diese Entscheidungen dem M, der die Tat an einem für den A unbekannten Ort, dem Frauenhaus, durchführen sollte. Zudem legte er dem M das Unrecht der Tat offen, indem er ihm erklärte, dass er bei eigener Ausführung ins Gefängnis käme, und machte sich auch kein Reifedefizit des M zum Vorteil. Vielmehr überließ er die Tat dem M. Dem A kam somit kein steuernder Einfluss auf die Tatbegehung zu, sodass er ohne Tatherrschaft handelte und lediglich ihm so nur eine versuchte Anstiftung zur Last gelegt werden.

III. Einordnung der Entscheidung

Die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme bzw. zwischen mittelbarer Täterschaft und Anstiftung war schon vor dieser Entscheidung ein ständiger Begleiter eines jeden Studierenden und wird es auch in Zukunft – trotz oder gerade wegen dieser Entscheidung – bleiben. Die Entscheidung des BGH zeigt allerdings auch, dass auch strafrechtliche Probleme mit grundlegendem „juristischen Handwerkszeug“ und insbesondere durch eine saubere Anwendung der Auslegungskanones gelöst werden können.

Es besteht zwar ein Großteil der Begründung aus der „Historie“, die in Klausuren eine wohl eher untergeordnete Rolle spielen dürfte. Gleichwohl ist offenkundig, dass auch historische Argumente zu tragfähigen Ergebnissen führen können. Man ist vor diesem Hintergrund gut beraten, sich mit grundlegenden historischen Wertungen auseinanderzusetzen.

Des Weiteren folgt der Senat bei der Abgrenzung zwischen mittelbarer Täterschaft und Teilnahme auch in diesem Fall der „gemäßigten subjektiven Theorie“ und stellt auf den Täterwillen (animus auctoris) ab, wobei dieser durch verschiedene Kriterien und vor allem einer objektiven Tatherrschaft bestimmt wird. Auffällig ist zugleich, dass die Formulierung „mit steuerndem Willen in den Händen hält“ dann doch stark an die von der h.M. in der Literatur vertretene Tatherrschaftslehre erinnert. Ein weiteres Indiz dafür, dass die Grenzen dieser beiden Theorien bei der Anwendung durch die Rechtsprechung verschwimmen und eine Annäherung zur Tatherrschaftslehre stattfindet – besser: stattgefunden hat. Es offenbart sich aber wie so oft: Es kommt auf eine strukturierte und in sich stimmige, logische Argumentation an. Dennoch bedarf es wohl (sehr) guter Argumente, um sich gegen diese lesenswerte und dogmatisch nachvollziehbare Entscheidung des BGH zu stemmen.

05.01.2024/3 Kommentare/von Maximilian Drews
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maximilian Drews https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maximilian Drews2024-01-05 08:20:342025-10-14 10:47:49BGH zur (versuchten) Anstiftung eines strafunmündigen Kindes
Alexandra Alumyan

BGH: Irrtum über die Person des nächstberufenen Erben

Aktuelles, BGB AT, Erbrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Eine gut gemeinte Geste, die aber in einem juristischen Fiasko enden kann: Nach dem Ableben des Erblassers geht das Vermögen des Verstorbenen auf seine Erben über, welche – statt das Erbe anzunehmen – sich auch überlegen könnten, das Erbe zugunsten der nächstberufenen Erben auszuschlagen. Selbst wenn der Erbe dabei eine klare Vorstellung von der Funktionsweise der §§ 1922 ff. BGB zu haben meint, so herrscht und realisiert sich oft das Risiko, dass die Erbschaft letztlich einer ganz anderen Person anfällt, die sodann hoch erfreut ihren Erbschein abholen darf, während sich der Ausschlagende vor Ärger die Hände vors Gesicht schlägt. Dieses Szenario wirft eine entscheidende Frage auf, die seit geraumer Zeit sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur intensiv diskutiert wird: Kann in solchen Fällen die Ausschlagungserklärung des Erben aufgrund eines Irrtums über die Person des nächstberufenen Erben angefochten werden?

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat erstmals in seinem Beschluss vom 22. März 2023 – IV ZB 12/22 zu dieser Frage Stellung bezogen und eine klare Absage erteilt.

A. Sachverhalt (gekürzt)

Im zugrundeliegenden Sachverhalt geht es darum, dass die Kinder des verstorbenen Erblassers ihr Erbe ausschlugen, mit dem Ziel, dass deren Mutter – die Ehefrau des Erblassers und Miterbin der Kinder – Alleinerbin wird. Zur Erbmasse gehörte ein Haus, dessen Alleineigentümerin die Mutter werden sollte. Im Zuge des Erbscheinverfahrens stellte sich aber überraschenderweise heraus, dass der Erblasser noch Halbgeschwister hatte und damit nicht die Mutter, sondern eben jene Familienmitglieder von der väterlichen Seite die nächstberufenen Erben seien. Daraufhin fochten die Kinder des Erblassers ihre Ausschlagungserklärungen wegen Rechtsfolgenirrtums gem. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB an. Sie haben zum Zeitpunkt der Ausschlagungserklärung gedacht, dass die gesamte Erbschaft an die übrigbleibende Miterbin, die Mutter, gehen würde. Ein Erbanfall bei den der Kernfamilie unbekannten Halbgeschwistern war nicht gewollt und sollte durch eine Anfechtung rückgängig gemacht werden.

B. Rechtliche Aufarbeitung

Die Streitfrage bildet einen Schnittpunkt der prüfungsrelevanten Gebiete des BGB AT und des Erbrechts. Dieser Beitrag soll ein Grundverständnis für die Ausgangspunkte des Streits und seine Lösungsansätze schaffen.

I. Erbrechtliche Grundlagen

Nach dem deutschen Erbrecht fällt der Nachlass zunächst gem. §§ 1922 Abs. 1, 1942 Abs. 1 BGB dem Erben an (Anfall) und kann sodann von diesem angenommen oder ausgeschlagen werden, gem. § 1943 Hs. 1 BGB. Zum Erbnachlass gehören alle übertragbaren Rechtspositionen des Erblassers, also etwa positive Vermögenswerte, z.B. das Eigentum an einem Grundstück, wie auch negative Vermögenswerte, z.B. Schulden. Eine Annahme bewirkt, dass der Nachlass auf den Erben übergeht und dieser infolge der Gesamtrechtsnachfolge Eigentümer der Nachlassgegenstände wird. Der Annahme steht es gleich, wenn der Erbe innnerhalb von sechs Wochen nicht ausschlägt – die Erbschaft geht dann automatisch auf ihn über. Dahingegen führt eine Ausschlagung dazu, dass der Erbe seine Erbenposition verliert und bei der Neuverteilung der Erbschaft nicht berücksichtigt wird. Er wird dann so behandelt, als hätte er nie gelebt. Die Erbfolge kann der Erblasser primär selbst, z.B. indem er ein Testament schreibt, bestimmen (gewillkürte Erbfolge). Liegt eine solche Willensbekundung des Erblassers nicht vor, dann bestimmt sich die Erbfolge nach dem Gesetz, §§ 1924 ff. BGB (gesetzliche Erbfolge). Die Annahme- sowie die Ausschlagungserklärung sind Willenserklärungen, die nach den §§ 119 ff. BGB angefochten werden können.

II. Anfechtung und Rechtsfolgenirrtum

Mithilfe der Anfechtung können Willenserklärungen „rückgängig“ gemacht werden. Ist die Anfechtung erfolgreich, so werden alle rechtlichen Wirkungen, die die Willenserklärung ausgelöst hat, ex tunc beseitigt – die Willenserklärung wird rückwirkend nichtig (ausführlich zu den Voraussetzungen der Anfechtung). Der Anfechtende hat jedoch nur dann ein Anfechtungsrecht, wenn auch ein Anfechtungsgrund vorliegt. Die für die Ausschlagung tauglichen Anfechtungsgründe werden in den §§ 119-123 BGB normiert. Im Erbrecht finden sich daneben auch spezielle Anfechtungsgründe (§§ 2078 ff., 2281 ff., 2308 BGB), die aber keine Anwendung auf die Ausschlagungserklärung finden (vgl. MüKoBGB/Leipold, 9. Aufl. 2022, BGB § 1954 Rn. 3).

Im heutigen Fall steht der Rechtsfolgenirrtum im Mittelpunkt:

„Ein Rechtsfolgenirrtum im engeren Sinne, der einen Unterfall des Inhaltsirrtums nach § 119 Abs. 1 Alt.1 BGB darstellt, liegt dann vor, wenn die Willenserklärung nicht die vom Erklärenden gewollten, sondern andere, davon wesentlich abweichende Rechtsfolgen nach sich zieht, an die der Erklärende überhaupt nicht gedacht und nicht beabsichtigt hat“ (BGH, Beschl. v. 5.7.2006 – IV ZB 39/05, BeckRS 2006, 10938 Rn. 19 mwN).

Allerdings berechtigt nicht jeder Irrtum über eine Rechtsfolge zur Anfechtung. So ist nach ständiger Rechtsprechung der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum (BGH, Urt. v. 29.6.2016 – IV ZR 387/15, NJW 2016, 2954 Rn. 11 mwN).

Diese (im Übrigen streitige!) Abgrenzung soll insbesondere dafür sorgen, dass der mit der Willenserklärung angestrebte Erfolg nicht mit etwaigen weiteren, vom Erklärenden beabsichtigten Zielen unzulässigerweise vermischt wird. Im Allgemeinen Teil des BGB sieht der Gesetzgeber einzig für den Fall des Eigenschaftsirrtums gem. § 119 Abs. 2 BGB die Anfechtung wegen Motivirrtums vor (MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 108).

III. Irrtum über die Person des Nächstberufenen

Zurück zum Fall: Die Kinder haben ihre Ausschlagungserklärungen angefochten und erklärten, sie hätten sich über die Rechtsfolgen ihrer Erklärungen geirrt, da sie davon ausgingen, dass die übrig gebliebene Miterbin, also ihre Mutter, erben würde, nicht hingegen die unbekannten Halbgeschwister des Erblassers. Diese Vorgehensweise wird auch „lenkende Ausschlagung“ genannt, weil die Ausschlagenden durch ihre Erklärung versuchen, den Anfall der Erbschaft gezielt bei einer anderen Person zu bewirken, den Anfall des Erbrechts auf eine bestimmte Person mithin „lenken“.

Nach obiger Definition kann ein beachtlicher Rechtsfolgenirrtum nur angenommen werden, wenn ein Irrtum über eine unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagungserklärung besteht.

Die streitrelevanten Normen sind § 1953 Abs. 1 und 2 BGB:

(1) Wird die Erbschaft ausgeschlagen, so gilt der Anfall an den Ausschlagenden als nicht erfolgt.

(2) Die Erbschaft fällt demjenigen an, welcher berufen sein würde, wenn der Ausschlagende zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte; der Anfall gilt als mit dem Erbfall erfolgt.

Unstreitig ist, dass es sich beim Verlust des Erbrechts (Abs. 1) um eine unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung handelt. Ob auch der Anfall der Erbschaft an die nächstberufene Person eine unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung darstellt und damit die Anfechtbarkeit wegen Rechtsfolgenirrtums eröffnet ist, ist dagegen zweifelhaft. Der Meinungsstreit hat – nicht zuletzt aufgrund der Komplexität und Einzigartigkeit erbrechtlicher Fallkonstellationen – etliche Rechtsauffassungen zugelassen, die sich im Folgenden hauptsächlich in zwei Strömungen bündeln lassen:

1. Erste Auffassung: Beachtlicher Rechtsfolgenirrtum

Nach einer Auffassung kann ein Irrtum über den Nächstberufenen einen beachtlichen Rechtsfolgenirrtum darstellen: Nicht nur der Wegfall der Erbschaft beim Ausschlagenden, sondern auch der Anfall der Erbschaft beim konkreten Nächstberufenen sei eine unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagungserklärung, wenn es dem Ausschlagenden darauf ankommt, dass die Erbschaft infolge seiner Ausschlagung einer bestimmten Person unmittelbar anfällt. Ein ungewolltes Ergebnis in der Erbrechtsnachfolge könne entsprechend durch eine Anfechtung der Ausschlagungserklärung korrigiert werden.

2. Zweite Auffassung: Unbeachtlicher Motivirrtum 

Eine andere Auffassung hingegen nimmt einen unbeachtlichen Motivirrtum an. Die unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung sei lediglich der Verlust der eigenen Erbenposition, während der Anfall der Erbschaft beim konkreten Nächstberufenen eine mittelbare, zusätzliche Rechtsfolge der Ausschlagungserklärung darstelle. Damit sei ein Irrtum über die Person des Nächstberufenen unbeachtlich, soweit der Ausschlagende weiterhin den wesentlichen Inhalt seiner Erklärung („mit der Ausschlagung verliere ich meine Position als Erbe“) nicht verkennt. Eine fehlgeschlagene Lenkung sei daher nicht anfechtungsfähig.


3. Streitentscheid

Vertreter der ersten Auffassung führen (ohne sie abschließend aufzuzählen) folgende Argumente an:

Arg. 1: Kein erbenloser Nachlass

Der Wegfall der Erbschaft beim Ausschlagenden und der Anfall der Erbschaft beim Nächstberufenen stehen in einem engen sachlichen Wirkungszusammenhang: Wenn eine Person die Erbschaft ausschlägt, gibt es immer einen Nachfolger, der in die Rechtsposition des Ausschlagenden rückt. Es gibt keinen „erbenlosen Nachlass“ – Wegfall und Anfall seien daher „zwei Seiten derselben Medaille“ und können nicht in eine unmittelbare und mittelbare Rechtsfolge künstlich aufgespalten werden (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.3.2019 – I 2 Wx 166/17, BeckRS 2019, 11301 Rn. 20).

Arg. 2: Zeitgleicher Wegfall und Anfall

Das Prinzip des Vonselbsterwerbs führe außerdem dazu, dass alle Wirkungen der Ausschlagung gleichzeitig und unmittelbar eintreten, damit also auch der Wegfall und Anfall der Erbschaft (OLG Frankfurt, Beschl. v. 6.2.2021 – 21 W 167/20, NJW-RR 2021, 800 Rn. 24). Wer konkret die Person des Nächstberufenen ist, stehe schon zum Zeitpunkt der Ausschlagung fest. Es sei unschädlich, dass diese Person zunächst ermittelt werden muss und dafür eine komplexe Subsumtion anderer Vorschriften oder eine anspruchsvolle Auslegung des hinterlassenen Testaments bewältigt werden müssen (Keim, ZEV 2020, 393, 400). Das Ergebnis dieser Erbenermittlung sei lediglich die nachträgliche Feststellung der Erbfolge, die aber schon zeitgleich zur Ausschlagung vorlag. Daher sei neben dem Wegfall auch der Anfall der Erbschaft eine unmittelbare Folge der Ausschlagung.

Arg. 3: Unzulässige Privilegierung des „error in negotio“-Irrenden

In der Vergangenheit hat die Rechtsprechung über Fälle entschieden, in denen der Ausschlagende über das Mittel der Ausschlagung an sich schon irrte, weil er dachte, dass die Ausschlagungserklärung ein Instrument der unmittelbaren Eigentumsübertragung sei. Die Rechtsprechung sah darin einen beachtlichen Inhaltsirrtum, error in negotio (so OLG Hamm, Beschl. v. 21.4.2022 – 15 W 51/19, BeckRS 2022, 14901, und OLG Schleswig, Beschl. v. 11.5.2005 – 3 Wx 70/04, BeckRS 2005, 30356208). Nimmt die Rechtsprechung in der besprochenen Konstellation aber keinen beachtlichen Irrtum an, so komme es zu einem ungerechten Ergebnis: Der Ausschlagende, der einem error in negotio unterliegt, habe das Institut der Ausschlagung „am gründlichsten“ verkannt, denn er irrt bereits über den Geschäftstyp der Ausschlagungserklärung an sich (vgl. Anm. Muscheler, ZEV 2020, 152, 156; Keim, ZEV 2020, 393, 400) und würde unzulässigerweise demjenigen gegenüber privilegiert, der die Ausschlagung von seinem Wesen her grundsätzlich erkannt hat, aber über eine ihrer Rechtsfolgen irrt. Die Anfechtungsmöglichkeit müsste konsequenterweise auch dem über den Nächstberufenen Irrenden eröffnet sein, der das Erbrecht jedenfalls „besser“ verstanden hat.


Der BGH positioniert sich auf Seiten der zweiten Auffassung, die eine Anfechtung wegen Irrtums über die nächstberufene Person verneint. Gegen die Anfechtbarkeit sprechen unter anderem folgende Argumente:

Arg. 1: Wortlaut und Systematik

Der BGH betrachtet zunächst den Wortlaut und die Systematik der Norm im Erbrecht. Dabei tenoriert er, dass Abs. 2 in seinem Wortlaut nicht unmittelbar regelt, wer die nächstberufene Person sein soll. Eine konkrete Bestimmung des Nächstberufenen erfolgt erst über die allgemeinen Regeln zur gesetzlichen Erbfolge (§§ 1924 ff. BGB) oder, wenn der Fall einer gewillkürten Erbfolge vorliegt, über die Testamentsauslegung (§§ 2069, 2094 BGB) (BGH, Beschl. v. 22.3.2023 – IV ZB 12/22, BeckRS 2023, 7397 Rn. 21). Die Regelungen zur Ermittlung der konkreten Person sind also systematisch von § 1953 BGB getrennt. Dem BGH zufolge sei § 1953 Abs. 2 BGB daher lediglich eine Vorgabe für die weitere Rechtsanwendung und stelle noch keine Grundlage für die Anfechtung dar (so auch KG Berlin, Beschl. v. 11.7.2019 – 19 W 50/19, BeckRS 2019, 36694, Rn. 27).

Arg. 2: Sinngehalt des Wortes „ausschlagen“

Aus der Perspektive eines juristischen Laien ließe sich das Wort „Ausschlagung“ als Mittel des Verlusts des Erbrechts verstehen, nicht aber als Mittel des Erwerbs einer anderen Person (BGH, Beschl. v. 22.3.2023 – IV ZB 12/22, BeckRS 2023, 7397 Rn. 22). Sofern sich der Ausschlagende im Klaren über die Rechtsfolge des Verlusts ist, so entspricht auch der innere Wille dem äußeren Tatbestand der Erklärung – ein Rechtsfolgenirrtum sei dann ausgeschlossen (OLG Schleswig, Beschl. v. 11.5.2005 – 3 Wx 70/04, BeckRS 2005, 30356208).

Arg. 3: Historie

Ein Blick in die Entstehungsgeschichte des BGB zeige ferner, dass die Anfechtungsmöglichkeiten tendenziell strenger bewertet werden sollen, so der BGH. Der Erbe habe die Verantwortung, im Rahmen seiner Entscheidungsfindung im Hinblick auf die Erbschaft vorher selbst die Umstände des Erbfalls rechtlich einzuschätzen und letztlich die vollständige Kenntnis über die Rechtswirkungen der Erklärung zu erlangen (vgl. §§ 2040, 2041 BGB-E Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band V S. 272). Aufgrund dieser Verantwortung soll er nicht wegen seiner eigenen Unzuverlässigkeit nachträglich doch „die Rechte derjenigen, an welche in Folge seiner Ausschlagung ein Anfall erfolgt sei“ in Frage stellen können (BGH, Beschl. v. 22.3.2023 – IV ZB 12/22, BeckRS 2023, 7397 Rn. 26).

Der historische Gesetzgeber habe außerdem absichtlich nur begrenzt Möglichkeiten für die Anfechtung aufgrund Motivirrtums zugelassen: Die Konzeption der Anfechtungsgründe war durchaus streitig und die Gesetzgeber kamen letztendlich zu dem Kompromiss, den Kreis der relevanten Irrtümer nur auf solche zu begrenzen, die den Erklärungsvorgang selbst und nicht die Willensbildung, d.h. das Motiv, betreffen (vgl. Staudinger/Singer, Neubearb. 2021, BGB § 119 Rn. 2; Lange, ZEV 2023, 270, 273).

Arg. 4: Rechtssicherheit

Auch aus Rechtssicherheitsgründen sei, laut BGH, eine engere Auslegung angebracht: Nach dem Anfall der Erbschaft beginnt der Schwebezustand, der spätestens durch die Annahmefiktion gem. § 1943 Hs. 2, 1944 Abs. 1 BGB bereits nach sechs Wochen beendet wird. Eine Anfechtung führt dazu, dass die sechswöchige Frist von neu an zu laufen beginnt und der Schwebezeitraum sich damit erheblich verlängert. Eine solche Verlängerung widerspricht aber dem Interesse an einer zeitlichen Begrenzung der unklaren Erbrechtslage. Der Rechtssicherheit missfällt daher eine Erweiterung der Anfechtungsgründe (BGH, Beschl. v. 22.3.2023 – IV ZB 12/22, BeckRS 2023, 7397 Rn. 25).

C. Einordnung der Entscheidung

Der Streit um die Einordnung des Irrtums über die Person des Nächstberufenen hat die Entstehung weiterer interessanter Ansätze provoziert, auf deren Abhandlung im vorliegenden Rahmen verzichtet wird, obgleich sie nicht weniger spannend sind, z.B. ob der Ausschlagungserklärung möglicherweise eine stillschweigend beigefügte Gegenwartsbedingung (§ 1947 BGB) anhaftet, die bei Nichteintritt des vorgestellten Erfolges die Unwirksamkeit der Ausschlagungserklärung herbeiführt, oder ob in der Konstellation nicht schon ein Irrtum über den Geschäftstyp (error in negotio), ein Unterfall des Inhaltsirrtums, vorliegt, der anerkanntermaßen zur Anfechtung berechtigt, sofern der Ausschlagende davon ausgeht, dass er durch seine Erklärung eine unmittelbare Vermögensübertragung bewirkt.

Eine ausführliche Untersuchung des Streitstandes verdeutlicht, dass der bisherigen Rechtsprechung ausreichend differenzierte Kriterien zur eindeutigen Einordnung des Irrtums als beachtlichen Rechtsfolgenirrtum fehlten und zumeist auf eine wertungsmäßige Einzelfallbetrachtung zurückgegriffen werden musste. Und während das Problem ein sehr erbrechtsspezifisches zu sein scheint, führt es uns Studierenden eine immer wiederkehrende Herausforderung der Rechtswissenschaft vor Augen: Abstrakt gesehen stehen sich in diesen Entscheidungen stets der Rechtsverkehr und die Privatautonomie gegenüber. Im Sinne eines Interessenausgleichs ist zwischen beiden Seiten die goldene Mitte zu finden – dies kann jedoch sehr schwierig sein, wenn der Mensch, der im Rechtsverkehr Erklärungen abgibt, stets unausgesprochene Hintergedanken hegt und für ihn entscheidende Motive an seine Erklärung knüpft, die für die Außenwelt unzugänglich sind und ihr daher unerkennbar bleiben. Wenn aber die Willenserklärung in den Rechtsverkehr gelangt ist und dieser auf ihre Wirksamkeit und Endgültigkeit vertraut, so stellt sich die Rechtswissenschaft zu Recht die Frage, ob es für die Willenserklärung wirklich „einen Weg zurück“ geben sollte.

03.11.2023/2 Kommentare/von Alexandra Alumyan
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Alumyan https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Alumyan2023-11-03 09:16:362023-11-03 23:00:17BGH: Irrtum über die Person des nächstberufenen Erben
Simon Mantsch

BGH zur Haftung des Halters eines KFZ mit Arbeitsfunktion

Aktuelles, Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

Der BGH hatte sich in einem jüngst bekannt gewordenen Urteil mal wieder mit der Frage zu beschäftigen, wann ein nach § 7 Abs. 1 StVG ersatzfähiger Schaden „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entstanden ist (BGH, Urt. v. 18.7.2023 – VI ZR 16/23). Die Halterhaftung nach dem StVG gilt als absoluter Examensklassiker, sodass Prüflingen auch etliche Problemkonstellationen im Zusammenhang mit der Frage, wann ein Schaden „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entstanden ist, bekannt sein müssen.

I. Der Sachverhalt (leicht abgewandelt)

Kläger K betreibt ein Weingut. Da er selbst nicht über die für die Ernte der Trauben notwenigen Maschine verfügt, beauftragte er den Lohnunternehmer und Beklagten B. Dieser soll mit einem sog. Traubenvollautomaten die notwendigen Weinlesearbeiten durchführen, wobei B selbst der Halter der einzusetzenden Maschine ist. Derartige Maschinen fahren zwecks Weinlese in Schrittgeschwindigkeit über die Rebstöcke hinweg und lösen die Trauben durch maschinenverursachte Rüttelbewegungen von den Rebstöcken. Die geernteten Trauben gelangen sodann in ein Auffangbehältnis im Geräteinneren. Um zum jeweiligen Einsatzort zu gelangen, nehmen die Maschinen am Straßenverkehr teil und erreichen dort Geschwindigkeiten von bis zu 40 km/h. Die Ernte erfolgte am 30.9.2018. Geführt wurde die Maschine von M, einem Mitarbeiter des B, obgleich auch K anwesend war und die Ernte verfolgte. Es kam zur Ernte von insgesamt 2,5 Tonnen Trauben, als K und M plötzlich Dieselgeruch bemerkten. M untersuchte daraufhin die Maschine und entdeckte ein Leck in der Dieselleitung. Die Ernte wurde daraufhin eingestellt. Die bereits geernteten Trauben wurden dennoch gepresst und im Anschluss chemisch-analytisch untersucht. Festgestellt werden konnte eine Kontaminierung mit Dieselkraftstoff, die einer Weiterverarbeitung der Trauben entgegensteht. Auch wenn K nicht an ein Verschulden von B oder M glaubt, da die Maschine fast neu war und das Leck in der Dieselleitung nicht auf Anhieb erkennbar war, verlangt er von B Schadensersatz in Höhe von 17.000 EUR nebst Zinsen und Rechtsanwaltskosten. Zu Recht?

II. Die Entscheidung (leicht abgewandelt)

Das erstinstanzlich zuständige Landgericht lehnte Ansprüche des K gegen B aus § 7 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB und § 280 Abs. 1 BGB ab. Auf die Berufung des K hin, wurde das erstinstanzliche Urteil jedoch aufgehoben und B dem Grunde nach verurteilt, 100 % des Schadens sowie die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu ersetzen. Der Grund: Die Erntemaschine ist ein KFZ iSd § 7 Abs. 1 StVG und war darüber hinaus in Bewegung, als die Erntearbeiten durchgeführt und die Früchte dabei kontaminiert wurden, sodass der Schaden gerade „bei dem Betrieb“ verursacht worden ist. Die Fortbewegungs- und Transportfunktion habe eine maßgebliche Rolle gespielt, da es sich insoweit um eine „fahrbare Arbeitsmaschine“ handele, der zweckbestimmte Einsatz der Maschine also denklogisch voraussetze, dass sie auch in Bewegung ist. Ohne Fortbewegung kann die Maschine ihren Zweck nicht erfüllen. Da sie überdies, wenn auch nicht bei der Ernte selbst, eine Geschwindigkeit von über 20 km/h erreichen kann, greift der Ausschlussgrund des § 8 Nr. 1 StVG nicht. Der Ausschlusstatbestand des § 8 Nr. 3 StVG komme ebenso wenig in Betracht, da die Trauben nicht zum Zwecke eines Ortswechsels transportiert wurden, sondern sich nur innerhalb des KFZ befanden, weil dies eine automatische Folge des Erntevorgangs sei. Angesichts dessen kann nicht von der gesetzlich verlangten „Beförderung“ gesprochen werden.

Diesen Ausführungen tritt der BGH jedoch nunmehr zuwider. Es fehle an der Schadensherbeiführung „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ nach § 7 Abs. 1 StVG. Dies sei Ausfluss des Schutzzwecks der Norm.

„Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. […]. Erforderlich ist […] stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist“ (BGH, Urt. v. 18.7.2023 – VI ZR 16/23, Rn. 10).

Entscheidend ist mithin die Verwirklichung der Betriebsgefahr. Handelt es sich um ein KFZ mit Arbeitsfunktion muss differenziert werden. Wird es im Verkehr bewegt und verursacht dabei einen Schaden, so liegt ein die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG auslösendes Ereignis vor. Anders muss die Situation hingegen bewertet werden, wenn das KFZ nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird, die Fortbewegungs- und Transportfunktion also überhaupt keine Rolle mehr spielt. Ereignet sich in letzterer Konstellation ein Schaden, so kann nicht mehr von einer Betriebsgefahr gesprochen werden. Vielmehr hat sich ein eigenständiger Gefahrenkreis verwirklicht, vor dem § 7 Abs. 1 StVG nicht schützen soll.

Schwieriger ist es hingegen in Fällen wie dem Vorliegenden. Zwar stellt auch der Traubenvollautomat ein KFZ mit Arbeitsfunktion im vorstehend genannten Sinn dar, doch kommt in diesem Fall die Besonderheit hinzu, dass es sich in Bewegung befindet, wenn es die Ernte vornimmt. Fortbewegungs- und Arbeitsvorgang lassen sich folglich nicht sauber trennen. Wann und inwieweit auch in derartigen Fallkonstellationen noch von der Verwirklichung einer im Rahmen des § 7 Abs. 1 StVG obligatorischen Betriebsgefahr gesprochen werden kann, ist Ausfluss einer Gesamtbetrachtung aller Umstände. Im Rahmen dieser ist zu ermitteln, ob die Bestimmung des KFZ als Fortbewegungsmittel den Schadensablauf entscheidend mitgeprägt hat oder nicht. Nur in ersterem Fall würde sich eine Betriebsgefahr realisieren und eine Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG käme in Betracht.

Für die demnach vorzunehmende Gesamtabwägung ist es auch von Bedeutung, ob sich der durch die Arbeitsmaschine verursachte Schaden ereignet hat, als selbige auf einem Privatgelände, im öffentlichen Straßenverkehr oder in der Nähe zu diesem genutzt wurde. Dabei ist es unschädlich, dass der BGH bereits mehrfach entschieden hat, dass die Schadensverursachung auf Privatgelände einer Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG nicht entgegensteht. Vorliegend wurde der Traubenvollautomat im Weinberg des K und somit weit weg vom öffentlichen Straßenverkehr genutzt. Die Arbeitsfunktion hat klar im Vordergrund gestanden, während die Fortbewegung der Maschine nur erfolgte, damit die Ernte der Trauben vorgenommen werden konnte. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn feststünde, dass die Kontaminierung erst während des Transports vom Weinberg zum Weingut stattgefunden hat. In diesem Zeitraum stünde schließlich der Transport und nicht die Arbeitsfunktion im Vordergrund. Für einen derartigen Sachverhalt fehlen jedoch vorliegend Anhaltspunkte.

Es muss also dabei bleiben, dass der Schaden nicht „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ verursacht wurde. Ein Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG scheidet folglich aus. Ein anderer zivilrechtlicher Anspruch, etwa aus § 823 Abs. 1 BGB oder gar aus § 280 Abs. 1 BGB scheidet in Ermangelung eines Verschuldens aus.

III. Einordnung der Entscheidung

Es ist nicht die erste Entscheidung des BGH zur Halterhaftung bei Schäden, die im Zusammenhang mit Arbeitsmaschinen entstehen. Dabei scheint sich zunehmend herauszustellen, dass es in derartigen Fällen vor allem darauf ankommt, wo das Schadensereignis stattfindet. Fehlt beim Einsatz der Arbeitsmaschine eine Nähe zum öffentlichen Verkehrsraum, so scheidet eine Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG regelmäßig aus. Ähnlich entschied der BGH bereits 2021 bei der Schadensverursachung durch einen Traktor beim Mähen einer als Weideland genutzten Wiesenfläche mittels Kreiselmähers (Urt. v. 21.9.2021 – VI ZR 726/20). Verursacht hingegen eine Straßenkehrmaschine oder ein Streufahrzeug beim Einsatz im öffentlichen Straßenverkehr einen Schaden (etwa durch hochgeschleuderte Steine), so wird man annehmen müssen, dass diese Schäden „bei dem Betrieb“ eines KFZ verursacht worden sind (so entschieden für das Streufahrzeug BGH, Urt. v. 5.7.1988 – VI ZR 726/20; ähnlich für ein am Seitenrand der Autobahn eingesetztes Mähfahrzeug BGH, Urt. v. 18.1.2005 – VI ZR 346/87). Etwas zu weit gehen dürften hingegen die Ausführungen des BGH, wonach der Schadensablauf nicht durch den Betrieb des Kraftfahrzeugs geprägt ist, wenn vielmehr die Funktion des Kraftfahrzeugs als Arbeitsmaschine im Vordergrund steht. Mit dieser Argumentation dürfte die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG wohl in (zu) vielen Fällen abgelehnt werden. Schließlich wird auch die Straßenkehrmaschine oder die Mähmaschine am Straßenrand nicht zu Fortbewegungs- und Transportzwecken, sondern primär als Arbeitsmaschine genutzt. Gleichwohl muss eine Halterhaftung in derartigen Fällen – wie auch vom BGH festgestellt – noch in Betracht kommen.

Steht nicht der Einsatz von derartigen Arbeitsmaschinen in Rede, so sollte man mit einer Argumentation, die zwischen Schadensversuchung im und außerhalb des öffentlichen Straßenverkehrs unterscheidet, äußerst vorsichtig sein. § 7 Abs. 1 StVG setzt nach ständiger Rechtsprechung insoweit nicht die Schadensverursachung im öffentlichen Straßenverkehr voraus.

Die Entscheidung sollte zum Anlass genommen werden, sich nochmals mit der Haftung nach dem StVG zu befassen. Soweit die in Prüfungsarbeiten oftmals zu diskutierende Frage in Rede steht, ob ein KFZ überhaupt im Betrieb war, sollte einem die Argumentation mit der „verkehrstechnische Auffassung“ und der „maschinentechnische Auffassung“ keine größere Schwierigkeiten bereiten. Sollte eine Haftung des Kraftfahrzeugführers in Rede stehen, so ist auf § 18 Abs. 1 StVG abzustellen. Dabei handelt es sich jedoch – anders als bei § 7 Abs. 1 StVG – nicht um eine Gefährdungshaftung, sondern um eine verschuldensabhängige Haftung, auch wenn das Verschulden vermutet wird. In Fallkonstellationen mit Verkehrsunfällen ist derweil auch immer an § 823 Abs. 1 BGB zu denken, obgleich es dann einer positiven Feststellung des Verschuldens bedarf.

12.10.2023/1 Kommentar/von Simon Mantsch
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Simon Mantsch https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Simon Mantsch2023-10-12 09:32:412023-10-12 09:32:43BGH zur Haftung des Halters eines KFZ mit Arbeitsfunktion
Miriam Hörnchen

BGH zum Wahlrecht des geschädigten Käufers im Rahmen des kleinen Schadensersatzanspruchs

Aktuelles, Kaufrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schuldrecht, Zivilrecht

Der BGH hatte sich am 25.05.2023 (V ZR 134/22) mit der examensrelevanten Frage der Grenzen des Wahlrechts des geschädigten Käufers zu beschäftigen. Da diese Entscheidung sich mit grundlegenden Aspekten des Schadensrechts beschäftigt und diese in die Argumentation einbindet, ist ein Blick in diese Entscheidung für die Examensprüfung empfehlenswert.

I. Der Sachverhalt

K erwarb von V einen Miteigentumsanteil an einem Grundstück verbunden mit dem Sondereigentum an der Wohnung im Dachgeschoss nebst Spitzboden. Der V übernahm die Verpflichtung, dass der Kaufgegenstand neu ausgebaut zu übergebene war. Wie der Ausbau konkret gestaltet werden sollte, sah ein Exposé vor, der als Anlage zum notariellen Kaufvertrag mitbeurkundet wurde. Dieses enthielt unteranderem die Angabe, dass der Raum im Spitzboden als Wohnfläche genutzt werden soll. Eine entsprechende Baugenehmigung für den Ausbau des Spitzbodens als Wohnraum wurde jedoch wegen Fehlens eines zweiten Rettungsweges von der Behörde verweigert.

Nach erfolgloser Aufforderung zur Nacherfüllung verlangte K von V die Zahlung des Schadenersatzes zum Ausgleich des sich aus der fehlenden Genehmigung des Spitzbodens zu Wohnzwecken ergebenden Minderwerts. Nachdem die erste Instanz der Klage auf den Minderwert stattgab, änderte das Oberlandesgericht das Urteil in der Berufung so ab, dass der K nicht den Minderwert fordern kann, sondern lediglich auf die fiktive Mängelbeseitigungskosten verwiesen werden könne. Dies wurde damit begründet, dass der Umfang des Schadenersatzanspruches eines geschädigten Käufers sich auf die Mängelbeseitigungskosten beschränke, wenn diese weniger als die Hälfte des Minderwertes ausmachen.

II. Die Entscheidung

Der BGH hat nun in der Revisionsinstanz der Annahme des Oberlandesgerichtes, dass ein Schadenersatz statt der Leistung auf die erforderlichen Mängelbeseitigungskosten beschränkt sei, wenn diese Kosten weniger als die Hälfte des Minderwertes der Kaufsache ausmachen, eine Absage erteilt.

Dass dem K dem Grunde nach einem kaufrechtlichen Schadenersatzanspruch gem. §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB zusteht, wird nicht bestritten. Vielmehr geht es um das Wahlrecht des Käufers auf der Rechtsfolgenseite.

Im Rahmen des kleinen Schadenersatzes steht dem Käufer ein Wahlrecht zwischen dem Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts der Kaufsache oder Ersatz der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten zu. Entscheidet er sich für den Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts, ist dieser auf den Ausgleich des Wertunterschieds zwischen dem hypothetischen Wert der Kaufsache im mangelfreien Zustand und dem tatsächlichen Wert der Sache mit Mangel gerichtet. Im Fall betrug der mangelbedingte Minderwert 54.000 Euro, während die Mängelbeseitigungskosten lediglich 11.000 Euro betrugen.

Obwohl die Mängelbeseitigungskosten weniger als die Hälfte des Minderwerts der Kaufsache ausmachten, entschied der BGH, dass dem Käufer dennoch ein unbeschränktes Wahlrecht zusteht.

Dies begründet er mit den folgenden Argumenten:

1. Keine gesetzliche Regelung über den Ausschluss des mangelbedingten Minderwerts wegen Unverhältnismäßigkeit

Der Nacherfüllungsanspruch nach § 439 BGB unterliegt Grenzen, indem er dem Verkäufer gestattet, die Nacherfüllung wegen unverhältnismäßiger Kosten gem. § 439 Abs. 4 BGB zu verweigern. Dies wirkt sich ebenfalls auf die Höhe des nachfolgenden Schadenersatzanspruches aus. Kann nämlich der Verkäufer die Nacherfüllung wegen unverhältnismäßiger Kosten verweigern, beschränkt sich der Schadenersatzanspruch des Käufers auf den Ersatz des mangelbedingten Minderwerts.

Dies kann jedoch auf die vorliegende Konstellation nicht übertragen werden. Denn vorliegend geht es nicht um die Unverhältnismäßigkeit der Mängelbeseitigungskosten, sondern um die Unverhältnismäßigkeit des mangelbedingten Minderwerts. § 439 Abs. 4 BGB sieht jedoch nur eine Verweigerung der Nacherfüllung wegen Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllungskosten vor und nicht wegen der Unverhältnismäßigkeit des mangelbedingten Minderwertes. Folglich kann der Gedanke aus § 439 Abs. 4 BGB, der sich auch auf die Höhe des Schadenersatzes auswirkt nicht auf die Konstellation übertragen werden, dass der Minderwert unverhältnismäßig ist.

2. Nicht gerechtfertigte Einschränkung des Wahlrechts des Käufers

Eine Verneinung des Anspruchs auf den mangelbedingten Minderwert und der dadurch resultierenden Verweisung auf die Mängelbeseitigungskosten, stellt eine nicht gerechtfertigte Einschränkung des Wahlrechts des Käufers dar.

3. Vergleich zur Minderung nach § 437 Nr. 2 BGB

Zudem spricht gegen eine Verweisung des Käufers auf die geringeren Mängelbeseitigungskosten ein Vergleich mit dem wahlweise zur Verfügung stehenden Recht auf Minderung gem. § 437 Nr. 2 BGB, das ebenso auf den vollumfänglichen mangelminderwert gerichtet ist.

4. Gefahr der Überkompensation besteht nicht

Für eine Einschränkung des Wahlrechts auf die Mängelbeseitigungskosten könnte ein allgemeiner Grundsatz des Schadensrechts gelten: „das Verbots der Überkompensation“. Denn im Kaufrecht ist richtiger Bezugspunkt für die Schadensermittlung die primär zu erfüllende Nacherfüllung, deren Ausbleiben durch den Schadenersatzanspruch kompensiert werden soll. Wenn nun der mangelbedingte Minderwert der Kaufsache weitaus höher ist als der Nacherfüllungsaufwand (Mängelbeseitigungskosten), könnte dies eine nicht gerechtfertigte Bereicherung darstellen.

Dieses Argument wird jedoch dahingehend entkräftet, dass die Gefahr einer Überkompensation dann nicht in Betracht kommt, wenn der Mangel mit den Mängelbeseitigungskosten nicht ohne Zweifel behoben werden kann.

Vorliegend bestand der Mangel in der fehlenden Zweckbestimmung des Spitzbodens zu Wohnzwecken in der Teilungserklärung und in der fehlenden entsprechenden Baugenehmigung wegen des Fehlens eines zweiten Rettungsweges. Ob die Mängelbeseitigungskosten zur vollen Kompensation des Schadens führen würden, bestehen jedoch Zweifel, da für die Erlangung der Genehmigung ein erhebliches (Prozess-)Risiko des K besteht. Das erhebliche (Prozess-)Risiko ergibt sich dabei aus den nachstehenden Umständen:

Zum einem ist es nicht rechtssicher, ob der K, die für die Nutzung des Spitzbodens zu Wohnzwecken erforderlichen Änderung der Teilungserklärung erhält, denn auch ein Sondereigentümer kann grundsätzlich sein Teileigentum nicht ohne Mitwirkung der übrigen Eigentümer in Wohnungseigentum umwandeln.

Zum anderen wäre zur Erfüllung der Voraussetzungen für die Baugenehmigung die Anlegung eines zweiten Rettungsweges erforderlich, welche jedoch als bauliche Veränderung iSv § 20 Abs. 1 WEG dem Beschlusszwang unterliegt und somit wiederum eine Einigung mit den Miteigentümern erreicht werden muss.

Somit kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass der Käufer vom Verkäufer bei Verlangen des Ausgleiches des mangelbedingten Minderwerts der Kaufsache, jedenfalls dann nicht auf wesentlich geringere Mängelbeseitigungskosten verwiesen werden kann, wenn der Mangel damit nicht ohne Zweifel behoben werden kann.

III. Exkurs (insbesondere) für Referendare und Referendarinnen

Zudem beschäftigte sich der BGH mit der Vorschrift § 130d ZPO, die seit dem 01.01.2022 in Kraft getreten ist.

Danach handelt es sich um eine Vorschrift, die unteranderem für Rechtsanwälte Vorgaben zur Einreichung von vorbereitenden Schriftsätzen, deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen gibt. Dabei gilt nach § 130d S. 1 ZPO der Grundsatz der elektronischen Übermittlung.

Es gilt jedoch nach § 130d S. 2 ZPO die Möglichkeit der Ersatzeinreichung nach den allgemeinen Vorschriften, wenn die elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist und dies nach § 130d S. 3 Hs. 1 ZPO bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft gemacht wird (zum Zeitpunkt der Glaubhaftmachung: siehe BGH, Beschl. v. 17.11.2022 – IX ZB 17/22).

Der BGH entschied, dass eine vorübergehende technische Unmöglichkeit iSv § 130d S. 2 ZPO dann angenommen werden kann, wenn das System des besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) ausgefallen ist.

Hinsichtlich der Glaubhaftmachung stellt der BGH klar, dass dies sich nur auf die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des elektronisch einzureichenden Dokuments bezieht, sodass eine Glaubhaftmachung, dass die Funktionsfähigkeit des beA bis zum Büroschluss weiterhin überprüft wurde, nicht erforderlich ist.

In Bezug auf den Aufbau der Prüfung ist zu beachten, dass die Vorgaben der Einreichung von Erklärungen in elektronischer Form nach § 130d S. 1 ZPO die Frage der Zulässigkeit betrifft und mithin in der Zulässigkeit zu prüfen ist.

IV. Einordnung der Entscheidung

Die Entscheidung des BGH verdeutlicht die besondere Bedeutung des Wahlrechts des geschädigten Käufers im Rahmen des Schadenersatzanspruchs, in dem der BGH seine Ansicht mit Argumenten des allgemeinen Schadensrechts untermauert. Diese Argumentationslinie gibt eine hilfreiche Stütze für Prüflinge, die diese Argumente auf den konkreten Einzelfall übertragen können.

Ebenfalls ist die Beschäftigung mit der Vorschrift des § 130d ZPO von herausragender praktischer Bedeutung und ist somit für Referendare und Referendarinnen interessant, denn bisher lag keine Entscheidung vor, wie lange der Rechtsanwalt bei einer technischen Störung eine elektronische Übermittlung versuchen muss. Die entwickelten Grundsätze der Fax-Übermittlung, wonach eine Übermittlung „nicht vorzeitig“ aufgegeben werden durfte, ist nicht auf den elektronischen Rechtsverkehr zu übertragen. Denn diese Übermittlungswege unterscheiden sich grundlegend darin, dass es für die Übermittlung per Fax keine fristwahrende Alternative gibt, während für den elektronischen Rechtsverkehr ausdrücklich in § 130d S. 2 ZPO eine Ersatzeinreichung nach den allgemeinen Vorschriften vorgesehen wird. Durch diese Möglichkeit der Ersatzeinreichung ist – anders als beim Fax – zur Fristwahrung keine erneute Einreichung auf elektronischem Wege erforderlich (nur bei gerichtlicher Aufforderung § 130d S. 3 Hs. 2 ZPO). (Vgl. zum vorstehendem: Anmerkung von Guido Toussaint zum besprochenem Urteil, FD-ZVR 2023, 458540).

23.08.2023/1 Kommentar/von Miriam Hörnchen
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Miriam Hörnchen https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Miriam Hörnchen2023-08-23 14:12:462023-10-02 12:20:01BGH zum Wahlrecht des geschädigten Käufers im Rahmen des kleinen Schadensersatzanspruchs
Gastautor

Examensrelevante Änderungen im Recht der GbR durch das MoPeG – Die entsprechende Anwendung von § 15 HGB und die liquidationslose Vollbeendigung zweigliedriger GbR

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01.08.2023/1 Kommentar/von Gastautor
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-08-01 12:20:552024-12-30 11:17:26Examensrelevante Änderungen im Recht der GbR durch das MoPeG – Die entsprechende Anwendung von § 15 HGB und die liquidationslose Vollbeendigung zweigliedriger GbR
Maximilian Drews

Vergütung einer Hochzeitsfotografin trotz coronabedingter Verlegung der Feier

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Zivilrecht

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Maximilian Drews veröffentlichen zu können. Der Autor studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonnim fünften Semester.

In einem aktuellen Urteil vom 27.4.2023 (Az.: VII ZR 144/22) hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass einem Hochzeitspaar keinen Anspruch auf Rückgewähr der von ihnen getätigten „Anzahlung“ zusteht – weder nach §§ 326 IV, 346 ff. BGB noch im Wege ergänzender Vertragsauslegung oder über § 313 BGB. Der Fall eignet sich hervorragend, grundlegenden und somit auch examensrelevanten Fragestellungen des Schuldrechts zu wiederholen.

I. Sachverhalt (gekürzt)

Das Hochzeitspaar (H) hatte für die anstehende Hochzeit im Juli 2020 eine Fotografin (F) engagiert und dieser eine Anzahlung von 1.231,70 € gezahlt. Als sie die Hochzeit aufgrund der Corona-Pandemie verschoben, beauftragte das Paar einen anderen Fotografen für den neuen Termin. Die F verlangte sodann die Zahlung des noch ausstehenden Honorars in Höhe von 551,45€. H erklärten demgegenüber wegen Störung der Geschäftsgrundlage den „Rücktritt von dem vorstehend bezeichneten Vertrag bzw. dessen Kündigung“ und klagten auf Rücküberweisung der bereits geleisteten Anzahlung iHv. 1.231,70 €.

II. Entscheidung des BGH – gutachterliche Falllösung

Wie schon die Instanzgerichte wies der BGH die Begehren des klagenden H ab und stellte fest, dass die beklagte F die bereits überwiesene Anzahlung nicht zurückzahlen muss. F stehe zudem ein Anspruch auf Zahlung des restlichen Honorars in Höhe von 551, 45€ zu. Im Folgenden soll das Urteil in der gebotenen Kürze gutachterlich aufgearbeitet werden:

1. Anspruch auf Rückzahlung gem. §§ 326 IV, § 346 ff. BGB

H könnten einen Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung gem. §§ 326 IV, 346 I BGB innehaben. Damit ein Anspruch aus § 326 IV, 346 I auf Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung besteht, müsste jedoch die synallagmatische Gegenleistung unmöglich sein.

a) Synallagmatischer Vertrag

H und F schlossen im Sommer 2020 einen Werkvertrag gem. § 631 BGB über Fotografien bei und von ihrer Hochzeit und vereinbarten eine vorläufige Teilleistung.

b) Zahlung des Werkvertrags

Diese Teilleistung – Anzahlung – wurde durch H geleistet.

c) Unmöglichkeit der synallagmatischen Leistungspflicht nach § 275 I BGB

Die Anfertigung der Fotos und das Entgelt stehen im Synallagma. Die synallagmatische Gegenleistung müsste nach § 275 BGB unmöglich sein. Kern der richterlichen Prüfung war damit, ob es der Fotografin unmöglich war, die fotografischen Leistungen für die Hochzeitsfeier zu erbringen. Dafür müsste Unmöglichkeit iSv. § 275 I eingetreten sein. Unmöglichkeit bezeichnet die dauerhafte Nichterbringbarkeit des Leistungserfolgs durch eine Leistungshandlung des Schuldners (HK-BGB/Schulze, BGB, § 275, Rn. 2). Dabei kann es sich um tatsächliche oder aber auch um rechtliche Unmöglichkeit handeln, die für den Schuldner oder jedermann unmöglich ist.

(1) Unmöglichkeit aufgrund rechtlicher Unmöglichkeit?

Vorliegend kommt zunächst rechtliche Unmöglichkeit in Betracht. Diese ist gegeben, wenn Rechtsgründe gegen eine Herbeiführung des geschuldeten Erfolgs sprechen (MüKoBGB/Ernst, BGB, § 275, Rn. 48).

In Frage kommen hier entsprechende zu dem Zeitpunkt geltende pandemiebedingte landesrechtliche Vorgaben – auf die aufgrund des schuldrechtlichen Schwerpunktes nicht näher eingegangen werden soll –, die das Erbringen von Dienstleistungen und Handwerkstätigkeiten wegen der Pandemie eingrenzen und/oder verbieten. Diese regelten allerdings nur, dass Dienstleistungen, einschließlich Handwerkstätigkeiten „möglichst ohne unmittelbaren persönlichen körperlichen Kontakt“ durchgeführt und die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts zu Hygiene eingehalten werden sollten. Fotografien einer Hochzeit waren somit nicht untersagt, insbesondere weil körperlicher Kontakt bei der Anfertigung der Fotografien regelmäßig nicht erforderlich ist.

Zudem war die Zusammenkunft einer Glaubensgemeinschaft nicht verboten, sondern unter der Auflage, dass die Personen einen Abstand von 1,5m einhalten, weiterhin möglich. Der kirchlichen Trauung und der Anfertigung von Fotografien stand somit nichts im Wege.

Unmöglichkeit tritt auch nicht aufgrund des Umstandes ein, dass die Hochzeitsfeier nicht mit der geplanten Anzahl an Gästen durchgeführt werden konnte. Die Anzahl der Gäste beeinträchtigt nicht den geschuldeten Leistungserfolg – nämlich die Fotografie der anwesenden Gäste.

Diese Auffassung ist beizupflichten, zumal sie sich auch in die bisherige Rechtsprechung des BGH einordnet, der in einer anderen Entscheidung (BGH, NZM 2023, 243), ebenfalls keine rechtliche Unmöglichkeit – so hatte es das LG noch angenommen (LG Lüneburg, NJOZ 2021, 1142) – bei der Vermietung einer Räumlichkeit für 120 Personen annahm, wenn diese aufgrund von Verordnungen nur noch mit einer deutlich geringeren Anzahl an Personen genutzt werden darf. Grund für diese Annahme ist, dass der Vermieter zwar sämtliche Maßnahmen vornehmen muss, die den vertragsgemäßen Gebrauch des Vertragsobjekts ermöglichen, die Einschränkungen bedingt durch die Corona-Pandemie allerdings nicht in seinen Verantwortungsbereich fallen, sondern das Verwendungsrisiko des Mieters betreffen – zumal die Corona-Schutzverordnungen an den Mieter adressiert sind.

Es ist somit äußerst wichtig durch eine aufmerksame Differenzierung zwischen den geschuldeten Leistungen und den damit verbundenen Risiken Fehler zu vermeiden.

Der Beklagten war es somit rechtlich nicht unmöglich die geschuldete Leistung am Tag der Hochzeit zu erbringen.

Für eine tatsächliche Unmöglichkeit liegen keine Anhaltspunkte vor.

(2) Unmöglichkeit aufgrund eines absoluten Fixgeschäfts?

Die Leistung ist auch nicht deshalb unmöglich, weil es sich bei der Anfertigung der Hochzeitsfotos zum ersten Hochzeitstermin um ein absolutes Fixgeschäft handelt. Auf das Fixgeschäft geht der BGH – weil keine (vorübergehende) rechtliche Unmöglichkeit angenommen wird – zwar in seiner Entscheidung richtigerweise nicht ein, in der Klausur sollten hier im Falle (vorübergehender) Unmöglichkeit wertvolle Punkte aber nicht verschenkt werden.

Ein Fixgeschäft liegt vor, wenn das Geschäft mit der Einhaltung des vereinbarten Leistungstermins stehen und fallen soll. Während bei einem relativen Fixgeschäft eine Nachholbarkeit nicht ausgeschlossen ist und lediglich die Fristsetzung bei der Geltendmachung von Schadensersatz und der Ausübung des Rücktritts entbehrlich ist, liegt ein absolutes Fixgeschäft vor, wenn die Einhaltung des Leistungszeitpunktes derart wichtig ist, dass eine spätere Leistungserbringung keine Erfüllung mehr darstellt, , weil sie dann eine ganz andere wäre und mit dem Leistungszweck nicht mehr verwirklicht werden kann (MüKoBGB/Ernst, BGB, § 275, Rn. 58).

Ob ein (absolutes) Fixgeschäft vorliegt ist vorbehaltlich einer expliziten vertraglichen Regelung durch Auslegung gem. §§ 133, 157 zu ermitteln. Merken Sie sich für die Klausur: Im Regelfall wird ein relatives Fixgeschäft vereinbart sein, nur in absoluten und eindeutigen Ausnahmefällen wird der Klausurersteller auf ein absolutes Fixgeschäft „hinauswollen“. Es zählt aber die Qualität der Argumentation.

Parallelen können zur Entscheidung des BGH betreffend die Unmöglichkeit bei pandemiebedingter Schließung eines Fitnessstudios gezogen werden. Dort wurde im Unterschied zu hiesigem Fall eine (vorübergehende) rechtliche Unmöglichkeit angenommen. Der BGH löst den Fall der vorübergehenden Unmöglichkeit, indem auf den Vertragszweck abgestellt wird. Er verwendet mithin eine Argumentationslinie, die mit der der Feststellung, ob ein absolutes Fixgeschäft vorliegt, nahezu identisch ist, denn hier steht die Frage im Raum, ob der Leistungszweck noch zu erreichen wäre. Es ist somit davon auszugehen, dass der BGH – hätte er in hiesigem Fall rechtliche Unmöglichkeit bejaht – durch Auslegung des Zwecks der Leistung und somit des Vertrags das Vorliegen eines absoluten Fixgeschäftes geprüft hätte.

Hier ist zu beachten, dass die Fotografieleistung an die Hochzeitsveranstaltung gebunden ist. Kann und wird die Hochzeit nachgeholt, spricht nichts dagegen, auch die Fotografie nachzuholen – der Leistungszweck fällt gerade nicht mit der Verschiebung der Hochzeit fort. Die Sachlage ist gerade anders, wenn nicht die Hochzeit, sondern die Fotografieleistung ausfällt. Denn bei Durchführung der Hochzeit ohne Fotografen kann die Hochzeitsfotografie zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr nachgeholt werden, gerade weil die Hochzeitsfeier schon stattfand.

Es besteht kein Anspruch auf Rückzahlung gem. §§ 326 IV, § 346 ff. BGB.

2. Anspruch auf Rückzahlung im Wege ergänzender Vertragsauslegung

H könnten einen Anspruch auf Rückzahlung der 1231,70 € haben. Dies könnte sich durch die vorrangig vor dem § 313 BGB zu prüfende ergänzende Vertragsauslegung ergeben (s.u. 3.).

Notwendige Voraussetzung für die ergänzende Vertragsauslegung ist eine Regelungslücke.

Dies ist gegeben, wenn ein Vertrag eine planwidrige Unvollständigkeit aufweist.

Im vorliegenden Fall beinhaltet der Vertrag zwar Regelungen zur Verzögerung des Ereignisses und/ oder dem Ausfall der Beklagten unter anderem aufgrund höherer Gewalt in den AGBs, aber keinerlei Bestimmungen, wie mit Beschränkungen der Hochzeit bzw. Hochzeitsfeier aufgrund einer Pandemie und einer damit verbundenen Verschiebung umzugehen ist. Eine Regelungslücke liegt also vor.

Entscheidend für die ergänzende Vertragsauslegung ist, was die Parteien als redliche Vertragspartner bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen unter der Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 242 BGB) vereinbart hätten. Aus einer objektiv-generalisierenden Sicht muss dem hypothetischen Willen der Parteien Rechnung getragen werden.

Das Ziel der Beklagten als Unternehmerin ist es durch die Anfertigung von Fotografien eine Vergütung zu erzielen. Ihrem unternehmerischen Interesse entspricht es ebenfalls, ihre vereinbarte Leistung zu erbringen, wenn das Ereignis nachgeholt werden muss und ein neuer Termin entsteht.

Zudem entspricht es dem objektiv-generalisierenden Interesse der Kläger, dass auch beim neuen Hochzeitstermin eine geeignete Fotografin heranzuziehen ist, um eine fotografische Dokumentation anfertigen zu lassen. Dass diese nach Absage des vereinbarten Termins einen neuen Fotografen heranziehen und der Beklagten absagen, ist nach Treu und Glauben bei der ergänzenden Vertragsauslegung nicht zu berücksichtigen (BGH, Urt. v. 27.04.2023 – VII ZR 144/22, BeckRS 2023, 8403, Rn. 21ff.)

Somit ergibt sich kein Rücktrittsrecht der Kläger aus der ergänzenden Vertragsauslegung.

3. Anspruch auf Rückzahlung gemäß §§ 346 I, 313 III 1 BGB

Die Kläger könnten aber einen Anspruch auf Rückzahlung der 1231,70€ infolge der Störung der Geschäftsgrundlage zustehen.

Liegen die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 BGB vor, kann der Kläger vom Vertrag zurücktreten und das Geleistete zurückfordern.

Der Anwendungsbereich des § 313 BGB ist aber immer erst dann eröffnet, wenn speziellere Regelungen nicht greifen. § 313 ist subsidiär zu vertraglichen Vereinbarungen, ergänzender Vertragsauslegung (§§ 133,157 BGB) und gesetzlichen Sonderregelungen (§ 490 BGB oder §§ 530,531 BGB) und demnach erst anwendbar, wenn sich ein Ereignis infolge einer grundlegenden Veränderung der Verhältnisse der Beurteilung nach dem Vertragswillen entzieht (BGH, Urt. v. 26. April 2017 – IV ZR 126/16 Rn. 17, NJW 2017, 2191), wenn also spezieller Regelungen zur Beurteilung des Vertragswillen fehlen. E contrario darf keine Korrektur mehr über § 313 erfolgen, wenn – wie bereits oben dargestellt – die ergänzende Vertragsauslegung als speziellere Regelung Anwendung findet.

Das Hochzeitspaar hat keinen Anspruch auf Rückzahlung aus §§ 346 I, 313 III 1 BGB.

4. Freie Kündigung gem. § 648 I BGB

Aufgrund des Fehlens einer Kündigungserklärung des Hochzeitspaares, hat das Gericht das Vorliegen einer freien Kündigung gem. § 648 1 BGB angenommen, weshalb der Fotografin ein Anspruch auf Zahlung der restlichen Vergütung aus § 648 2 BGB zusteht. Dieser bemisst sich abzüglich ersparter Aufwendungen auf zusätzliche 551, 45€.

III. Eine kurze Summa

Dogmatisch ist das Ergebnis des BGH zu begrüßen. Die Vertragserfüllung stellt das primäre Ziel eines Vertrages und des Vertragsrechts dar, weshalb die Vorschrift § 275 BGB zurecht einem engen Anwendungsbereich unterliegt und Unmöglichkeit nur in bestimmten Grenzen anzunehmen ist. Dabei ist es – wie i.d.R. immer – wichtig alle Aspekte des Einzelfalls zu berücksichtigen. Eine genaue Subsumtion ist dabei vorteilhaft und führt in diesem Fall dazu, dass Unmöglichkeit nach § 275 I BGB nicht anzunehmen ist, sondern die Leistung weiterhin erbracht werden kann und eine Rückforderung nach §§ 326 V, 346 I BGB ausgeschlossen ist. Des Weiteren ist eine aufmerksame Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen des § 313 BGB unabdingbar, sodass die Abgrenzung zur ergänzenden Vertragsauslegung und die Subsidiarität des § 313 BGB nicht übersehen bzw. vorschnell übergangen wird.

05.07.2023/1 Kommentar/von Maximilian Drews
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maximilian Drews https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maximilian Drews2023-07-05 08:42:072025-10-14 10:46:38Vergütung einer Hochzeitsfotografin trotz coronabedingter Verlegung der Feier
Gastautor

Halterhaftung bei Unfällen mit PKW-Anhängern nach § 19 I 1 StVG

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Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Johannes Zhou veröffentlichen zu können. Der Autor ist Rechtsreferendar am Landgericht Frankfurt am Main.

Der BGH beschäftigt sich in seiner Entscheidung vom 7.2.2023 (VI ZR 87/22) mit dem im Jahr 2020 neu hinzugefügten § 19 I 1 StVG. Diese Vorschrift regelt die Halterhaftung bei Unfällen mit PKW-Anhängern, welche vor 2020 noch in § 7 I StVG geregelt war. Kernproblem des Falles ist die Frage, ob von einem ordnungsgemäß abgestellten PKW-Anhänger eine Betriebsgefahr ausgeht, für die der Halter des Anhängers einzustehen hat.

I. Der Sachverhalt

Der Kläger ist Gebäudeversicherer und verlangt von dem Beklagten – einem Haftpflichtversicherer – Schadensersatz aufgrund eines Unfallereignisses im Zusammenhang mit einem PKW-Anhänger.

Bei der Beklagten ist ein PKW-Anhänger versichert, den der Versicherungsnehmer am Unfalltag ordnungsgemäß am Straßenrand abstellte. Ein Dritter, der nicht Partei des Verfahrens ist, befuhr mit seinem Fahrzeug diese Straße und stieß mit dem ordnungsgemäß geparkten PKW-Anhänger zusammen. Der Anhänger rollte aufgrund des Zusammenstoßes nach vorne und beschädigte das Eingangstor eines Grundstücks sowie die Fassade des auf dem Grundstück stehenden Gebäudes. Der Kläger übernahm als Gebäudeversicherer die dem Gebäudeeigentümer angefallenen Kosten für die Reparatur des Eingangstores und der Fassade.

Daraufhin machte der Kläger Schadensersatz gegen den Haftpflichtversicherer, bei dem der PKW-Anhänger versichert ist, geltend. Während das AG Friedberg der Klage stattgab, lehnte das LG Gießen den Schadensersatzanspruch ab. Das LG Gießen begründete dies damit, dass der Schaden nicht beim Betrieb des PKW-Anhängers eingetreten sei. Der Anhänger sei nämlich durch einen anderen Verkehrsteilnehmer, der mit dem Anhänger zusammenstieß, in Bewegung gesetzt worden.

II. Die Entscheidung

Der BGH bejaht den geltend gemachten Schadensersatz nach § 7 I StVG a.F. bzw. § 19 I 1 StVG i.V.m. § 115 I 1 Nr. 1, § 86 VVG. § 19 I 1 regelt nach der amtlichen Normüberschrift die Haftung des Halters bei Unfällen mit Anhängern und Gespannen.

§ 19 I 1 StVG: „Wird bei dem Betrieb eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug (Zugfahrzeug) gezogen zu werden, ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, ist der Halter des Anhängers verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.“

Nach Auffassung des BGH gehe auch von einem ordnungsgemäß abgestellten PKW-Anhänger eine Betriebsgefahr aus. Demnach sei der Schaden am Gebäude beim Betrieb des Anhängers eingetreten. Hierbei geht der BGH zunächst auf die für § 7 I StVG entwickelten Grundsätze bezüglich der Betriebsgefahr von Kraftfahrzeugen ein:

„[8] a) Wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zu Recht angenommen hat, ist das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb“ in Bezug auf Kraftfahrzeuge entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist (vgl. Senatsurteil vom 11. Februar 2020 – VI ZR 286/19, VersR 2020, 782 Rn. 10 mwN).[9] Erforderlich ist dabei stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll; die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit grundsätzlich maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (vgl. Senatsurteile vom 3. Juli 1962 – VI ZR 184/61, BGHZ 37, 311, juris Rn. 12 ff.; vom 11. Februar 2020 – VI ZR 286/19, VersR 2020, 782 Rn. 10; vom 20. Oktober 2020 – VI ZR 319/18, VersR 2021, 597 Rn. 7, jeweils mwN). Der Betrieb dauert dabei fort, solange der Fahrer das Fahrzeug im Verkehr belässt und die dadurch geschaffene Gefahrenlage fortbesteht (vgl. Senatsurteil vom 11. Februar 2020 – VI ZR 286/19, VersR 2020, 782 Rn. 10 mwN).“ (Hervorhebungen durch den Verfasser)

Diese Grundsätze überträgt der BGH auf die Halterhaftung für PKW-Anhänger nach § 19 I 1 StVG. In dem Geschehen habe sich die aus der Konstruktion des Anhängers resultierende Gefahr einer unkontrollierten Bewegung durch Fremdkraft verwirklicht. Das Abstellen des Anhängers im öffentlichen Verkehrsraum beseitige diese Gefahr nicht. Vielmehr wirke die Betriebsgefahr fort.

Schließlich dringt die Beklagte auch nicht mit dem Einwand durch, dass ein Dritter durch seinen Zusammenstoß mit dem Anhänger für das Unfallgeschehen maßgeblich verantwortlich sei. Dieser Umstand sei lediglich für die Abwägung der Verursachungsbeiträge im Rahmen eines etwaigen Gesamtschuldnerinnenausgleichs der Schädiger gem. §§ 426 I, 254 I BGB von Bedeutung. Der Umstand habe aber keine Auswirkung auf den zuvor bejahten Zurechnungszusammenhang zwischen dem Gebäudeschaden und Betrieb des Anhängers.

III. Einordnung

Der Gesetzgeber hat die Haftung des Halters bei Unfällen mit Anhängern im Jahr 2020 neu geregelt, indem er diese aus den §§ 7, 8, 12, 17 und 18 StVG a.F. ausgliederte und die neuen §§ 19, 19a StVG einfügt hat (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, § 19 StVG Rn. 3). Anlass für die Gesetzesänderung war die alte Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 27.10.2010 – IV ZR 279/08), wonach bei Unfällen mit PKW-Anhängern die beteiligten Halter von Zugfahrzeug und Anhänger im Innenverhältnis zu gleichen Teilen hafteten. Diese Haftungsverteilung entsprach laut Gesetzesbegründung in der Regel jedoch nicht der jeweils gesetzten Betriebsgefahr (BT-Drs. 19/17964, S. 1). Im Zuge der Neuregelung des § 19 StVG schaffte der Gesetzgeber daher § 19 IV 2 und 3 StVG. Danach haftet grundsätzlich der Halter des Zugfahrzeuges im Innenverhältnis.

IV. Bedeutung für das Examen

Die Entscheidung des BGH eignet sich gut für Examensklausuren, da mit § 19 I 1 StVG eine vergleichsweise neue Anspruchsgrundlage abgeprüft werden kann. Entscheidend ist aber, dass hier eine auf den ersten Blick unbekannte Norm mit bereits gelerntem Wissen zu § 7 I StVG bewältigt werden kann. Der Wortlaut des § 19 I 1 StVG entspricht dem des § 7 I StVG.

Die Entscheidung des BGH gibt zudem Anlass, sich mit zahlreichen examensrelevanten Problemen zu beschäftigen und diese zu wiederholen. Über die für § 7 I StVG entwickelten Grundsätze zum Tatbestandsmerkmal „beim Betrieb“ hinaus, sollte im Hinblick auf Systematik auch ein Blick auf andere Gefährdungstatbestände wie § 833 S. 1 BGB oder § 1 ProdHaftG geworfen werden (zum Grundwissen Lorenz, JuS 2021, 307).

Auch eine Wiederholung der Vorschrift zum Gesamtschuldnerausgleich nach § 426 BGB sowie der examensrelevanten Vorschriften des VVG kann nicht schaden. Nach § 115 I 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG kann ein Geschädigter auch unmittelbar gegen den Versicherer Schadensersatz geltend machen. Bei § 86 I 1 VVG handelt es sich um eine sog. Legalzession (cessio legis). Danach geht der Anspruch des Versicherungsnehmers auf den Versicherer über, soweit der Versicherer den Schaden ersetzt. Welche weiteren Vorschriften ordnen einen gesetzlichen Forderungsübergang an? Zum Beispiel: §§ 268 III 1, 774 I 1 BGB, § 116 SGB X.

28.06.2023/von Gastautor
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-06-28 09:30:182023-06-28 14:48:13Halterhaftung bei Unfällen mit PKW-Anhängern nach § 19 I 1 StVG
Miriam Hörnchen

BGH zu „sale and rent back“

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Sachenrecht, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Im November 2022 (Az. VIII ZR 436/21) hatte sich der BGH mit einem sog. „sale and rent back“ Geschäftsmodell zu beschäftigen. Diese Konstellation eignet sich perfekt, um kauf- und mietrechtliche Aspekte miteinander zu kombinieren und dies in eine sachenrechtliche Prüfung einzubetten. Für Prüflinge ist insbesondere interessant, dass im folgenden Fall beliebte Themen des BGB AT, der Sittenwidrigkeit und dem Trennungs- und Abstraktionsprinzip eine Rolle gespielt haben und dieser Fall zeigt wie diese in eine sachenrechtliche Prüfung eingebaut werden können

I. Der Sachverhalt

Die A betreibt ein Pfandleihhaus, wonach sie ein sog. „sale and rent back“ Geschäftsmodell nutzt. Dieses besteht darin, dass sie Kraftfahrzeuge kauft, aber deren Nutzung weiterhin den Verkäufern im Rahmen eines Mietverhältnisses überlässt. B sieht in diesem Modell die Möglichkeit an Geld zu gelangen und entscheidet sich somit sein Fahrzeug am 02.01.2018 zu einem Kaufpreis von 5.000 EUR (Händlereinkaufswert: 13.700 EUR) an A zu verkaufen.

A und B schlossen einen Kauf- und zusätzlich einen Mietvertrag.

Der Kaufvertrag enthielt in § 6 die folgende Regelung:

„a. Der Verkäufer beabsichtigt, das Fahrzeug von der Käuferin zur Nutzung zurückzumieten. […] Einzelheiten sind in einem gesonderten Mietvertrag geregelt.

  1. Der Verkäufer wurde zudem auf § 34 Absatz 4 Gewerbeordnung hingewiesen, der besagt, dass der gewerbsmäßige Ankauf beweglicher Sachen mit Gewährung eines Rückkaufsrechts verboten ist. Der Verkäufer bestätigt ausdrücklich, dass ihm während der Vertragsverhandlungen weder schriftlich noch mündlich zugesagt, noch der Eindruck vermittelt wurde, dass er das von ihm an die Käuferin verkaufte Fahrzeug durch einseitige Erklärung dieser gegenüber zurückkaufen könne.ʺ

In einem Mietvertrag regelten A und B, dass B das Fahrzeug vom 02.01.2018 bis zum 02.07.2018 (später eine Verlängerung auf den 01.04.2019) für einen monatlichen Mietzins in Höhe von 900,21 EUR weiternutzen durfte. Der Mietzins ermäßigte sich aufgrund der Übernahme der Kosten für Steuern, Versicherungen, Wartungen und Reparatur durch B auf einen monatlichen Betrag von 465,00 EUR. Zusätzlich wurde eine Bearbeitungsgebühr i.H.v. 99,00 EUR gefordert. Für den Fall der Beendigung des Mietverhältnisses wurde in § 13 des Mietvertrages eine Verwertung im Wege einer öffentlichen Versteigerung des Fahrzeuges vorgesehen. An dieser dürften sowohl der Verkäufer, B, und der Eigentümer A, teilnehmen. Für den Fall, dass ein Dritter den Zuschlag erhält, wird festgehalten, dass B einen Mehrerlös (Versteigerungserlös abzgl. der Kosten durch A) zusteht.

Die A zahlte an B die Bearbeitungsgebühr (99,00 EUR) sowie bis September 2018 Mieten (insg.: 4.455,00 EUR). Nachdem B die Miete für Oktober 2018 nicht zahlte, kündigte A mit Schreiben vom 12.10.2018 das Mietverhältnis und forderte den B zur Herausgabe des Fahrzeugs auf.

Daraufhin wurde das Fahrzeug am 25.11.2018 öffentlich von A selbst ersteigert und an ein Unternehmen C weiterveräußert.

Der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs lag bei 16.000 EUR.

Der B forderte Schadenersatz in Höhe von 16.900 EUR (seiner Ansicht nach die Höhe des Wertes des Fahrzeugs) und die Rückzahlung der Bearbeitungsgebühr (99 EUR) sowie den Gesamtbetrag der Mieten in Höhe von 4.554,00 EUR einschließlich der Rechtshängigkeitszinsen.

II. Die Entscheidung (angelehnt an eine gutachterliche Prüfung)

A. Schadenersatzanspruch aus § 990 Abs. 1 S. 1, 989, 249, 251 Abs. 1 BGB

B könnte gegen A einen Schadenersatzanspruch aus § 990 Abs. 1 S. 1, 989, 249, 251 Abs. 1 BGB haben.

I. Vorliegen einer Vindikationslage im Zeitpunkt der schädigenden Handlung

Zunächst müsste im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses eine Vindikationslage vorgelegen haben. Dafür müsste B Eigentümer des Kraftfahrzeuges und A Besitzerin ohne Recht zum Besitz sein. Als schädigendes Ereignis kommt die Übereignung des Fahrzeuges von A an das Unternehmen C in Betracht (dazu später).

1. Eigentümerstellung des B

B war ausweislich des Sachverhalts zunächst Eigentümer des Kraftfahrzeuges.

a) Eigentumsverlust infolge der Übereignung von B an A gem. § 929 S. 1, 930 BGB

Der B könnte sein Eigentum jedoch infolge der Übereignung an A gem. § 929 S. 1, 930 BGB verloren haben.

aa) Dingliche Einigung

Während am Vorliegen einer dinglichen Einigung keine Zweifel bestehen, ist fraglich, ob diese auch wirksam ist. Die Unwirksamkeit könnte unter Durchbrechung des Trennungs- und Abstraktionsprinzip aus der Unwirksamkeit des Kaufvertrages resultieren.

In den Fällen, in denen im Rahmen der Unwirksamkeit des dinglichen Verfügungsgeschäfts die Unwirksamkeit des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts eine Rolle spielt, müssen stets die Alarmglocken angehen und an das Trennungs- und Abstraktionsprinzip gedacht werden! Nach dem Trennungsprinzip sind das schuldrechtliche Verpflichtungs- und das dingliche Verfügungsgeschäft zwei verschiedene voneinander zu trennende Rechtsgeschäfte und das Abstraktionsprinzip besagt, dass die Unwirksamkeit eines Geschäfts sich grundsätzlich nicht auf die Wirksamkeit des anderen Geschäfts auswirkt. Diese Prinzipien können jedoch in Fällen der sog. „Fehleridentität“ durchbrochen werden, sodass die Unwirksamkeit des einen Geschäfts zugleich die Unwirksamkeit des anderen Geschäfts bewirkt.

Somit prüfte der BGH zunächst, ob das Verpflichtungsgeschäft unwirksam war und in einem zweiten Schritt, ob sich diese Unwirksamkeit auch auf das dingliche Verfügungsgeschäft auswirkte.

(1) Nichtigkeit des Kaufvertrages gem. § 138 Abs. 1 BGB

Der zwischen A und B geschlossene Kaufvertrag (schuldrechtliches Verpflichtungsgeschäft) könnte als wucherähnliches Geschäft sittenwidrig und damit gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein.

Ein Rechtsgeschäft ist nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Subjektiv genügt es, wenn der Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen die Sittenwidrigkeit folgt oder sich bewusst oder grob fahrlässig der Kenntnis erheblicher Tatsachen verschließt.

Eine Fallgruppe des § 138 Abs. 1 BGB ist das wucherähnliche Geschäft, welches vorliegt, wenn zwar nicht alle Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB erfüllt sind, aber dennoch zwischen Leistung und Gegenleistung objektiv ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt. Ein solcher weiterer Umstand ist insbesondere dann anzunehmen, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist, weil er etwa die wirtschaftlich schwächere Position des anderen Teils bewusst zu seinem Vorteil ausgenutzt oder sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, dass sich der andere nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den für ihn ungünstigen Vertrag eingelassen hat. Eine verwerfliche Gesinnung wird beim Vorliegen eines besonders groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung, nämlich, wenn der Wert der Leistung annähend doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung, vermutet. Zur Feststellung kommt es auf die objektiven Werte der Leistungen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und auf die vertraglichen Vereinbarungen an. Unerheblich ist, das was die Parteien sich nachfolgend einander gewährt haben.

Eine solches grobes Missverhältnis und somit ein wucherähnliches Geschäft nach § 138 Abs. 1 BGB liegt im vorliegenden Fall vor, da der Händlereinkaufswert des Fahrzeugs (13.700 EUR) den Kaufpreis des Fahrzeugs (5.000 EUR) um das 2,7-fache überstieg und somit die Grenze zur Vermutung der verwerflichen Gesinnung überschritten wurde.

Zugleich könnte jedoch diese Vermutung durch die Umstände der vertraglichen Vereinbarung zur Anmietung, etwaige Nachteile der A und die Regelungen zur Verwertung des Fahrzeugs nach Ablauf der Mietzeit widerlegt werden.

Der BGH führt aus, dass eine Widerlegung der Vermutung für die Fälle in Betracht kommen kann, wenn der außergewöhnliche niedrige Kaufpreis im Rahmen der Vertragsdurchführung durch weitere Zahlungen an den Verkäufer (hier: B) teilweise ausgeglichen wird. Ein solcher Fall liege vorliegend jedoch nicht vor, sondern im Mietverhältnis setze sich vielmehr das im Kaufvertrag begründete wirtschaftliche Ungleichgewicht zu Lasten des Klägers fort. Denn der B trug als Mieter – abweichend von der gesetzlichen Regelung § 535 Abs. 1 S. 2, 3 BGB – sämtliche mit der Nutzung des Kraftfahrzeugs verbundene Kosten, wie Versicherung, Steuern, Wartung und Reparatur.

Die Nachteile, die die Vermieterin (hier: A) dadurch erleiden könnte, dass der Mieter (B) das Fahrzeug beschädigen könnte, beschränken sich in dem Risiko der Durchsetzbarkeit der dann entstehenden Schadenersatzforderungen gegen den Mieter. Dieses Risiko ist jedoch nicht von dem Gewicht, welches die verwerfliche Gesinnung entkräften könnte.

Auch eine Verwertungsregelung, wonach der Mieter (B) den Mehrerlös bei einer Versteigerung erhält genügt zur Widerlegung der Vermutung nicht, denn diese Regelung greife nur bei einem Dritterwerb ein. Ein solchen Dritterwerb und somit der Auszahlung des Mehrerlöses kann jedoch die Vermieterin (A) durch den Selbsterwerb – wie vorliegend auch geschehen – verhindern.

Somit kann die Vermutung der verwerflichen Gesinnung nicht widerlegt werden und eine Annahme eines wucherähnlichen Geschäfts i.S.d § 138 Abs. 1 BGB bejaht werden.

(2) Durchbrechung des Trennungs- und Abstraktionsprinzips

Ob die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts in Durchbrechung des Trennungs- und Abstraktionsprinzip auch zur Nichtigkeit des Verfügungsgeschäfts führt, hängt davon ab, ob ein Fall der Fehleridentität gegeben ist. Dies ist bei einer Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 2 BGB dann der Fall, wenn die Unsittlichkeit gerade auch im Vollzug des sittenwidrigen Vertrags liegt, wenn also mit dem dinglichen Rechtsvorgang sittenwidrige Zwecke verfolgt werden oder in ihm die Sittenwidrigkeit begründet ist.

Ein solcher Fall wurde vorliegend bejaht, da die sittenwidrige Benachteiligung des B sich nicht darin erschöpfte, eine Verpflichtung für einen deutlich zu geringem Kaufpreis zu übernehmen, sondern erst durch die Übertragung des Eigentums an dem Kraftfahrzeug wurde A in die Lage versetzt sich durch die mietweise Überlassung an B und die spätere Verwertung unrechtmäßige Vorteile zu Lasten des B sich zu verschaffen.

Somit erstreckt sich die Nichtigkeit des Kaufvertrags auch auf die Nichtigkeit des Verfügungsgeschäfts, sodass die dingliche Einigung wegen Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 BGB unwirksam ist.

Aufgrund der Bejahung der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB, lässt der BGH die Frage offen, ob die Unwirksamkeit des Vertrages ebenfalls aus § 134 BGB i.V.m § 34 Abs. 4 GewO wegen eines Verstoßes gegen das Verbotsgesetz des Rückkaufhandels folgen könnte. Hierbei verweist der BGH lediglich auf eine am selben Tag ergangene BGH-Entscheidung (16.11.2022 VIII ZR 221/21). Dadurch, dass die GewO kein Prüfungsstoff in NRW ist, wird wohl vom Prüfling eine vertiefte Kenntnis nicht verlangt werden können.

bb) Zwischenergebnis

Folglich hat B hat sein Eigentum am Fahrzeug nicht an A gem. §§ 929 S. 1, 930 BGB verloren.

b) Eigentumsverlust infolge des gutgläubigen Erwerbs an A

B könnte sein Eigentum jedoch an A im Rahmen der Versteigerung nach §§929 1, 932 BGB verloren haben. Der BGH geht mangels Eigentümerstellung der A direkt auf den gutgläubigen Erwerb ein.

Für den Eigentumserwerb fehlte es jedoch am guten Glauben der A gem. § 932 Abs. 2 BGB. Gem. § 932 Abs. 2 BGB ist der Erwerber nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer ist. Grob fahrlässige Unkenntnis ist anzunehmen, wenn die Kenntnis deshalb fehlt, weil ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet wurde, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wie etwa dann, wenn sich die unbekannt gebliebenen Umstände förmlich aufgedrängt haben und leicht zugängliche Informationsquellen nicht genutzt wurden.

Die grob fahrlässige Unkenntnis der A, dass die Übereignung von B an sie unwirksam war und damit auch nicht infolge einer Zuschlagserteilung in der Versteigerung Eigentümerin werden konnte, wird aufgrund ihrer – zuvor geprüften – verwerflichen Gesinnung bejaht.

Folglich hat B sein Eigentum nicht an A verloren.

2. Besitzer ohne Recht zum Besitz

Zum Zeitpunkt des Verkaufs des Fahrzeuges übte A unmittelbaren Besitz. Ein mögliches Recht zum Besitz, welches aus dem Mietvertrag folgen könnte, bestand jedoch nicht, da der Mietvertrag mit dem Kaufvertrag ein einheitliches Rechtsgeschäft darstellte und mithin eine Gesamtnichtigkeit nach § 139 BGB gegeben war.

Somit lag eine Vindikationslage zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses vor.

II. Das schädigende Ereignis

Zudem müsste ein schädigendes Ereignis vorliegen. Dieses ist nach § 989 BGB gegeben, wenn die Sache verschlechtert wird, untergeht oder aus einem anderen Grund vom Verpflichteten nicht herausgegeben werden kann. Dieses schädigende Ereignis bestand in der Übereignung von A an das Unternehmen C im Rahmen eines gutgläubigen Erwerbs nach §§ 929 S. 1, 932 BGB infolge dessen dem A eine Herausgabe nicht mehr möglich war.

III. Bösgläubigkeit, § 990 BGB

Zudem müsste A in Bezug auf sein fehlendes Recht zum Besitz bösgläubig sein.

Im Rahmen der Prüfung des §§ 989, 990 Abs. 1 S. 1 BGB ist der Bezugspunkt der Bösgläubigkeit das fehlende eigene Recht zum Besitz und nicht wie bei § 932 das Eigentumsrecht. Es gilt jedoch derselbe Maßstab wie § 932 Abs. 2 BGB mithin die positive Kenntnis oder zumindest grob fahrlässige Unkenntnis. Wie bereits ausgeführt ist der A infolge grober Fahrlässigkeit die Unwirksamkeit der Übereignung an sie unbekannt geblieben, sodass sie ebenfalls hinsichtlich ihres Besitzrechts von Anfang an bösgläubig war.

IV. Verschulden

Der A ist bei der Veräußerung des Fahrzeugs an das Unternehmen C zumindest Fahrlässigkeit vorzuwerfen, sodass sie schuldhaft gem. §§ 280 Abs. 1 S. 2, 276 BGB nicht mehr zur Herausgabe in der Lage ist.

V. Rechtsfolge

Als Rechtsfolge gilt nach §§ 990 Abs. 1, 989, 249 Abs. 1, 251 Abs. 1 BGB der Ersatz der Vermögensschäden, die dem Eigentümer daraus entstehen, dass der Besitzer die Sache nicht herausgeben kann. Hinsichtlich der Höhe wird der Wiederbeschaffungswert herangezogen, also den Betrag, der aufgebracht werden muss, um ein vergleichbares Fahrzeug zu erwerben. Dieser wurde zum Zeitpunkt der Versteigerung auf 16.000 EUR geschätzt. Zu beachten ist jedoch, dass der von A bereits gezahlte Kaufpreis in Höhe von 5.000 EUR abzuziehen ist, sodass der Schadenersatzanspruch sich auf 11.000 EUR beläuft.

VI. Ergebnis

B hat gegen A einen Schadenersatzanspruch aus §§ 990, 989, 249 I, 251 I BGB in Höhe von 11.000 EUR.

B. Bereicherungsrechtlicher Rückzahlungsanspruch der gezahlten Miete gem. §§ 812 I 1 Alt.1, 818 Abs. 2 BGB

B könnte gegen A einen Rückzahlungsanspruch der gezahlten Mieten in Höhe von 4.445 EUR sowie der Bearbeitungsgebühr in Höhe von 99 EUR gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 818 Abs. 2 BGB haben.

I. Etwas erlangt durch Leistung

Der A hat Eigentum und Besitz an dem gezahlten Geld bzw. einen Anspruch auf Gutschrift gegen seinen Zahlungsdienstleister erlangt. Dies erfolgte auch durch Leistung, da der B das Vermögen der A in Erfüllung seiner Mieterpflicht und damit bewusst und zweckgerichtet mehrte.

II. Ohne Rechtsgrund

Aufgrund der Nichtigkeit des Kaufvertrages, welcher mit dem Mietvertrag ein einheitliches Rechtsgeschäft bildet und mithin die Folge der Gesamtnichtigkeit gem. § 139 BGB hat, wurde das Eigentum und Besitz an dem Geld zwar durch Leistung, aber ohne Rechtsgrund erlangt.

III. Rechtsfolge

Als Rechtsfolge hat der Bereicherungsschuldner bei Unmöglichkeit der Herausgabe des Erlangten in Natur den Wertersatz gem. § 812 Abs. 2 BGB zu leisten.

IV. Ergebnis

Der B hat gegen A einen Rückzahlungsanspruch der gezahlten Mieten in Höhe von 4.445 EUR sowie der Bearbeitungsgebühr in Höhe von 99 EUR aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 818 Abs. 2 BGB

C. Anspruch auf Zahlung von Rechtshängigkeitszinsen

Zudem wird noch geprüft, dass der B Anspruch auf Zahlung von Rechtshängigkeitszinsen aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB, 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO hat, welcher gem. § 187 Abs. 1 BGB ab dem Folgetag der Klagezustellung bemessen wird.

16.06.2023/1 Kommentar/von Miriam Hörnchen
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Miriam Hörnchen https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Miriam Hörnchen2023-06-16 08:50:022023-10-02 12:21:45BGH zu „sale and rent back“
Simon Mantsch

BGH zu Darlehensklauseln der Mercedes-Benz Bank AG

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Jüngst hatte sich der BGH mit den von der Mercedes-Benz Bank AG verwendeten Klauseln in Verbraucherdarlehensverträgen zwecks PKW-Finanzierung zu befassen (Urt. v. 24.3.2023 – VIa ZR 1517/22). Inhaltlich galt es dabei, sich mit den äußerst examensrelevanten Materien der verbundenen Verträge gem. § 358 BGB und der AGB-Kontrolle gem. §§ 305 ff. BGB auseinanderzusetzen. Studierenden sollte die Entscheidung vor diesem Hintergrund bekannt sein.

I. Der Sachverhalt (gekürzt)

Der Kläger K kaufte bei der Daimler AG (Beklagte und im Folgenden als Daimler bezeichnet; Hinweis: aus der Daimler AG wurde zum 1.2.2022 die Mercedes-Benz Group AG) am 7.3.2019 einen Neuwagen zum Preis von 55.335,89 EUR, der – wie sich herausstellen sollte – vom Dieselskandal betroffen war. K leistete eine Anzahlung in Höhe von 9.140,00 EUR. Im Übrigen wurde der Kaufpreis durch die Mercedes-Benz Bank AG (im Folgenden Darlehensgeberin) finanziert. Dazu schloss K mit der Darlehensgerberin einen Verbraucherdarlehensvertrag gem. §§ 488, 491 BGB. Dieser diente ausdrücklich der Finanzierung des in Rede stehenden PKW und bildete darüber hinaus eine wirtschaftliche Einheit mit dem zwischen K und Daimler abgeschlossenen Kaufvertrag gem. § 433 BGB. Die von der Darlehensgeberin verwendeten Vertragsklauseln enthielten dabei unter anderem die nachstehenden Regelungen:

„II. Sicherheiten

Der Darlehensnehmer räumt dem Darlehensgeber zur Sicherung aller gegenwärtigen und bis zur Rückzahlung des Darlehens noch entstehenden sowie bedingten und befristeten Ansprüche des Darlehensgebers aus der Geschäftsverbindung einschließlich einer etwaigen Rückabwicklung, gleich aus welchem Rechtsgrund, Sicherheiten gemäß nachstehenden Ziffern 1-3 ein. […]

[…]

3. Abtretung von sonstigen Ansprüchen

Der Darlehensnehmer tritt ferner hiermit folgende – gegenwärtige und zukünftige – Ansprüche an den Darlehensgeber ab, […] [der] diese Abtretung annimmt:

  • gegen den Schädiger und den Halter des schadenverursachenden Fahrzeuges sowie deren Haftpflichtversicherer auf Ausgleich für Beschädigung oder Zerstörung des Finanzierungsobjektes.
  • gegen den Kaskoversicherer auf Ausgleich für Beschädigung, Zerstörung oder Abhandenkommen des Finanzierungsobjektes.
  • gegen den Verkäufer für den Fall einer Rückgängigmachung des finanzierten Vertrages oder Herabsetzung der Vergütung.
  • gegen die Daimler AG [Beklagte], Mercedes-Benz Leasing GmbH, Mercedes-Benz Mitarbeiter-Fahrzeuge Leasing GmbH oder einen Vertreter der Daimler AG, gleich aus welchem Rechtsgrund. Ausgenommen von der Abtretung sind Gewährleistungsansprüche aus Kaufvertrag des Darlehensnehmers gegen die Daimler AG [Beklagte] oder einen Vertreter der Daimler AG. Der Darlehensnehmer hat dem Darlehensgeber auf Anforderung jederzeit die Namen und Anschriften der Drittschuldner mitzuteilen.

[…]

6. Rückgabe der Sicherheiten

Der Darlehensgeber verpflichtet sich, nach Wegfall des Sicherungszweckes (alle Zahlungen unanfechtbar erfolgt) sämtliche Sicherungsrechte (Abschnitt II. Ziff. […] 3) zurückzuübertragen […] Bestehen mehrere Sicherheiten, hat der Darlehensgeber auf Verlangen des Darlehensnehmers schon vorher nach […] [seiner] Wahl einzelne Sicherheiten oder Teile davon freizugeben, falls deren realisierbarer Wert 120% der gesicherten Ansprüche des Darlehensgebers überschreitet.

[…]“

K begehrte von Daimler Schadensersatz aus deliktischer Handlung aufgrund des Inverkehrbringens des Fahrzeugs mit einem als illegale Abschaltvorrichtung zu qualifizierendem Thermofenster.

II. Die Entscheidung (gekürzt)

Das erstinstanzliche zuständige LG hat das Begehren des K ebenso wie das in der Berufung mit der Sache betraute OLG abgelehnt. Als Grund wurde angeführt, dass K sämtliche Ansprüche gegen Daimler an die Darlehensgeberin abgetreten habe (vgl. AGB), womit ihm im Ergebnis die Aktivlegitimation für ein deliktisches Vorgehen gegen Daimler fehle. Etwas anderes könne sich auch nicht aus einer Einziehungsermächtigung (§§ 362 Abs. 2, 185 BGB) ergeben, da eine solche nur bei einer stillen Sicherungsabtretung, nicht jedoch bei der hier in Rede stehenden offengelegten Sicherungsabtretung angenommen werden kann. Eine Aktivlegitimation des K könne sich auch nicht aus einer unwirksamen Bestimmung in den verwendeten AGB und einer damit einhergehenden unwirksamen Sicherungsabtretung ergeben, da die AGB einer Überprüfung am Maßstab der §§ 305 ff. BGB insoweit standhalten.

Die Erwägungen des Berufungsgerichts konnten einer revisionsrechtlichen Überprüfung durch den BGH nicht standhalten. Tatsächlich würde K die Aktivlegitimation fehlen, wenn es zu einer wirksamen Sicherungsabtretung aller Ansprüche gegen Daimler (mit Ausnahme der Gewährleistungsansprüche) an die Darlehensgeberin gekommen wäre. Dazu müsste jedoch die Abtretung aller Ansprüche gegen Daimler an die Darlehensgeberin „gleich aus welchem Rechtsgrund“ wirksam gewesen sein. Bei den verwendeten Klauseln handelt es sich – insoweit übereinstimmend mit den Feststellungen des OLG – um allgemeine Geschäftsbedingungen gem. § 305 Abs. 1 BGB, die nach § 305 Abs. 2 BGB auch Bestandteil des Verbraucherdarlehensvertrages geworden sind. Sie müssten jedoch auch einer Inhaltskontrolle am Maßstab der §§ 307 ff. BGB standhalten, wenn nach § 307 Abs. 3 BGB von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen getroffen worden sind, es sich mithin nicht bloß um deklaratorische Regelungen handeln würde. Dazu muss der Inhalt der Klausel ermittelt werden.

Ein verständiger Leser kann die verwendeten AGB (insbesondere unter Beachtung der Regelung II. Ziffer 3 vierter Spiegelstrich) nur so verstehen, dass sämtliche Ansprüche gegen Daimler, gleich aus welchem Rechtsgrund, an die Darlehensgeberin abgetreten werden. Davon ausgenommen sind nur die Gewährleistungsansprüche aus dem Kaufvertrag. Beachtet werden muss jedoch, dass der zwischen K und Daimler und der zwischen K und der Darlehensgeberin geschlossene Verbraucherdarlehensvertrag verbundene Verträge nach § 358 Abs. 3 S. 1, 2 BGB a.F. darstellen, da der Darlehensvertrag – wie von § 358 Abs. 3 S. 1 BGB a.F. verlangt – ausdrücklich der Finanzierung des in Rede stehenden PKW diente und weiterhin eine wirtschaftliche Einheit mit dem ebenso geschlossenen Kaufvertrag darstellte. Liegt ein derartiger Vertrag vor, kommt es im Falle des Widerrufs von einem der Verträge nach § 358 Abs. 4 S. 5 BGB zu einer gesetzlichen Schuldübernahme der Darlehensgeberin. Wenn das Darlehen dem Vertragspartner des verbundenen Vertrages (hier: Daimler) bei Wirksamwerden des Widerrufs also schon zugeflossen ist, so tritt der Darlehensgeber im Verhältnis zum Verbraucher hinsichtlich der Rechtsfolgen des Widerrufs in die Rechte und Pflichten des Vertragspartners des verbundenen Vertrages (hier: Daimler) ein. Für die Rückabwicklung dürfte K also die gegen Daimler bestehenden Ansprüche aus § 355 Abs. 3 S. 1 BGB gegenüber der Darlehensgeberin geltend machen. Gerade das aber schließt die von der Darlehensgerberin verwendete Klausel aus. Vielmehr bedürfte es einer vorherigen Rückabtretung der Ansprüche gegen Daimler an K, damit zum gesetzlichen Regelmodell aus § 358 Abs. 4 S. 5 BGB zurückgekehrt wird. Dies ist in der Klausel für den Fall des Widerrufs nicht vorgesehen. Im Ergebnis weicht die Klausel somit vom gesetzlichen Regelfall ab und es hat nach § 307 Abs. 3 BGB eine umfassende Inhaltskontrolle zu erfolgen.

Die von der Darlehensgeberin verwendete Klausel wäre gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen würde. Dies ist nach der Zweifelsregelung des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB untern anderem dann anzunehmen, wenn die vorgenommene Abweichung vom gesetzlichen Leitbild mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren ist. In diesem Kontext ist jedoch zu beachten, dass § 361 Abs. 2 S. 1 BGB explizit regelt, dass von den Vorschriften der §§ 355 ff. BGB nicht zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden darf, soweit sich nicht aus einer gesetzlichen Regelung etwas anderes ergibt. Es handelt sich damit um einseitig zwingendes Recht. Gleichwohl wird durch die angesprochene Klausel eine Abweichung zu Ungunsten des Verbrauchers dadurch vorgenommen, dass er an der Geltendmachung seiner Anspruchs aus §§ 355 Abs. 3 S. 1, 358 Abs. 4 S. 5 BGB gehindert wird. Und mehr noch: Der zunächst gegen Daimler bestehende Anspruch des K auf Rückgewähr der Anzahlung dient nach der Abtretung infolge der AGB-Klausel nunmehr der Darlehensgeberin dergestalt, dass dieser ihren eigenen Anspruch gegen K auf Wertersatz gem. §§ 358 Abs. 4 S. 5, 357 Abs. 7 BGB a.F. absichert. Denn § 358 Abs. 4 S. 5 BGB wurde nicht in Gänze abbedungen, sondern nur dergestalt, dass K der Darlehensgeberin nicht die Ansprüche gegen Daimler bzw. nach der Schuldübernahme gegen die Darlehensgeberin entgegenhalten kann. Der Verbraucher sähe sich somit einem Wertersatzanspruch ausgesetzt, ohne sich von dieser Leistungspflicht durch Aufrechnung gem. §§ 387, 389 BGB mit einem Gegenanspruch – nämlich den auf Rückgewähr der Anzahlung – befreien zu können. Das könnte den Verbraucher im Ergebnis davon abhalten, von seinem Widerrufsrecht Gebrauch zu machen. Dies ist mit dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen nicht in Einklang zu bringen.

Die Klausel aus der AGB ist somit wegen einer unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Sie kann nicht einschränkend so interpretiert werden, dass sie gerade noch im Einklang mit §§ 305 ff. BGB steht. Dies liefe auf eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion hinaus. Auch lässt sich die Klausel nicht inhaltlich in einen wirksamen und einen unwirksamen Teil mit der Folge gliedern, dass nur letzterer Teil unwirksam wird. Der blue-pencil-test gelingt mithin ebenso wenig. Die formularmäßige Sicherungsabtretung ist im Ergebnis somit unwirksam. Der Vertrag bleibt im Übrigen nach § 306 Abs. 1 BGB wirksam.

In Ermangelung einer wirksamen Sicherungsabtretung ist K somit im Hinblick auf einen Anspruch gegen Daimler aus deliktischer Handlung anspruchsberechtigt und mithin aktivlegitimiert gewesen. Einer eingehenderen Prüfung des deliktischen Anspruchs des K gegen Daimler ist das Berufungsgericht aufgrund seiner fehlerhaften Annahme bisher schuldig geblieben und eine solche Prüfung kann nach § 563 Abs. 3 ZPO auch nicht durch das Revisionsgericht (den BGH) erfolgen. Die Sache ist somit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

III. Einordnung der Entscheidung

Das Urteil des BGH beschäftigt sich inhaltlich nahezu ausschließlich mit examensrelevanten Vorschriften und erweist sich daher geradezu prädestiniert, um einen Teil einer zukünftigen Examensklausur darzustellen. Und wie so oft zeigt sich, dass bei der AGB-Prüfung nicht auf Lücke gelernt werden sollte. Hier lässt sich zwar mit entsprechender Argumentation vieles vertreten, doch ist es wahrlich hilfreich, grundlegende Entscheidungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu kennen. Ob man in Examensklausuren mit entsprechenden Fallkonstellationen ohne weiteres auf § 361 Abs. 2 BGB und die Regelung des § 358 Abs. 4 S. 5 BGB gestoßen wäre, erscheint zumindest fraglich.

An dieser Stelle soll nochmals ausführlicher auf die nicht ganz einfache Regelung des § 358 Abs. 4 S. 5 BGB eingegangen werden. Der Regelungsgehalt wurde bereits an vorheriger Stelle diskutiert. Es fragt sich jedoch, worin der Sinn und Zweck der mit der Regelung verbundenen Schuldübernahme liegt. Die Antwort liegt auf der Hand: es geht – wie so oft – um Verbraucherschutz. Ohne die Regelung des § 358 Abs. 4 S. 5 BGB müsste der Verbraucher der Darlehensgeberin zunächst den Darlehensbetrag zurückerstatten, um dann vom Vertragspartner des verbundenen Vertrags Rückzahlung des Kaufpreises verlangen zu können. Damit würde aber auch das Insolvenzrisiko jenes Vertragspartners beim Verbraucher liegen. Das gilt es jedoch zu vermeiden, wenn sich die Verträge geradezu als Einheit darstellen. § 358 Abs. 4 S. 5 BGB verlagert daher gerade dieses Insolvenzrisiko auf die Darlehensgeberin und führt zu einer bilateralen Abwicklung. Die Darlehensgeberin muss sich nun an den Vertragspartner des verbundenen Vertrags wenden (im oben diskutierten Fall also an Daimler), um aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB Rückzahlung zu verlangen.

Ferner stellt sich die Frage, wie die bilaterale Abwicklung letztlich ausgestaltet ist. Dabei gilt es folgendes zu beachten:

  1. Die Darlehensgeberin kann gegen den Verbraucher keinen Anspruch auf Rückzahlung des Darlehensbetrages geltend machen, da sich dieser mit dem Anspruch des gegen die Darlehensgeberin (in seiner Rolle als Daimler) auf Rückzahlung des Kaufpreises saldiert.
  2. Daraus folgt zudem, dass auch der Verbraucher den gezahlten Kaufpreis nicht zurückverlangen kann.
  3. Der Verbraucher hat jedoch gegen die Darlehensgeberin einen Anspruch auf Rückerstattung der an seine Vertragspartner (Darlehensgeberin und Daimler) erbrachten Leistungen (etwa eine geleistete Anzahlung).
  4. Die Darlehensgeberin hat demgegenüber (in seiner Rolle als Daimler) einen Anspruch auf Rückerstattung der finanzierten Leistung (also des PKW) sowie Wertersatz für den Wertverlust nach § 357 a BGB (bzw. § 357 Abs. 7 BGB a.F.).
  5. Komplizierter wird es, wenn die Rückabwicklung zwischen Darlehensgeberin und Daimler in Rede steht. Infolge der bilateralen Abwicklung hat die Darlehensgeberin den finanzierten Gegenstand erlangt, während sich der Darlehensbetrag in Gestalt des gezahlten Kaufpreises nach wie vor im Vermögen von Daimler befindet. Für die Herstellung des „richtigen“ Zustands wird – wie bereits angesprochen – oft auf Bereicherungsansprüche aus Nichtleistungskondiktion gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB zurückgegriffen. Ganz widerspruchsfrei ist dies freilich nicht, da im Mehrpersonenverhältnis eigentlich vorrangige Leistungsverhältnisse zu beachten wären, die eine Nichtleistungskondiktion ausschließen. Gleichwohl verbietet sich im bereicherungsrechtlichen Mehrpersonenverhältnis nach Ansicht des BGH jede schematische Lösung (BGH, Urt. v. 19.9.2014 – V ZR 269/13, NJW 2015, 229, 231; st. Rspr.). Alternativ könnte jedoch auch angedacht werden, auch in diesem Rückabwicklungsverhältnis § 355 Abs. 4 S. 5 BGB entsprechend anzuwenden, sodass die Darlehensgeberin im Verhältnis zu Daimler in die Rolle des Verbrauchers einrücken würde.
12.06.2023/1 Kommentar/von Simon Mantsch
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Simon Mantsch https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Simon Mantsch2023-06-12 11:56:452024-09-14 09:23:39BGH zu Darlehensklauseln der Mercedes-Benz Bank AG
Marie-Lou Merhi

Nachbarstreit vor dem BGH: Zahlungsansprüche bei Schäden durch herübergewachsene Baumwurzeln?

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Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Marie-Lou Merhi veröffentlichen zu können. Die Autorin studiert Rechtswissenschaften im sechsten Semester an der Universität Bonn

Mit der examensrelevanten Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Grundstückseigentümer von seinem Nachbarn wegen Überwuchses Zahlungsansprüche geltend machen kann, musste sich jüngst der BGH (Az. V ZR 67/22, BeckRS 2023, 9519) beschäftigen. Besonders interessant ist dabei die Frage, inwieweit § 281 BGB auf den dinglichen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB Anwendung findet.

I. Sachverhalt

Der Kläger und der Beklagte sind Nachbarn. Unweit der gemeinsamen Grundstücksgrenze stand auf dem Grundstück des Beklagten eine Pappel, deren Wurzeln in das Grundstück des Klägers hineinwuchsen und dort Wurzelbrut bildeten. Dadurch wurden die Pflastersteine in der Garageneinfahrt des Klägers angehoben. Trotz einer Aufforderung und Fristsetzung durch den Kläger weigerte sich der Beklagte, die Pappel zu fällen oder die eingedrungenen Wurzeln zu beseitigen. Der Beklagte lehnte es zudem ab, eine Vorsorge gegen künftige Beeinträchtigungen zu treffen, beispielsweise durch Einbau einer Wurzelsperre. Erst während des Prozesses erklärte sich der Beklagte unter Vorbehalt einer behördlichen Genehmigung bereit, eine Wurzelsperre einzubauen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des BGH war weder eine Wurzelsperre eingebaut, noch hatte der Beklagte die eingedrungenen Wurzeln entfernt. Mit seiner Klage verlangt der Kläger unter anderem die Zahlung von 2.040 Euro netto nebst Zinsen für die Reparatur seines Pflasters und das Einbringen einer Wurzelsperre.

II. Die Entscheidung

Im Ausgangspunkt handelt es sich bei dem Nachbarstreit um einen Fall des Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs nach § 1004 Abs. 1 BGB. Das Berufungsgericht hatte zutreffend festgestellt, dass der beeinträchtigte Grundstückseigentümer von seinem Nachbarn nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB die Beseitigung der Beeinträchtigung durch die Wurzeln der Pappel verlangen kann (LG Cottbus, Urt. v. 6.4.2022 – 5 S 20/21). Nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB steht ihm zudem ein Anspruch auf Unterlassung künftiger Beeinträchtigung durch die Wurzeln zu. Die Revision war sodann auf die Frage beschränkt, ob dem Kläger Zahlungsansprüche wegen der Beeinträchtigungen durch die Wurzeln zustehen, sodass ein Anspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB nicht zu prüfen war. Auch eine Klausur könnte entsprechend beschränkt sein, ein Blick in die Aufgabenstellung ist daher dringend angeraten.

 1) Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag

Zunächst kommen als Anspruchsgrundlage die Vorschriften der Geschäftsführung ohne Auftrag in Betracht. Der beeinträchtige Eigentümer könnte gegen seinen Nachbarn einen Anspruch auf Kostenerstattung nach §§ 683 S. 1, 670 bzw. 684 S. 1, 818 BGB haben. Erforderlich ist, dass eine Geschäftsbesorgung durch den beeinträchtigen Eigentümer im Sinne des § 677 BGB vorliegt. Unter einer Geschäftsbesorgung ist jede Tätigkeit rechtsgeschäftlicher oder tatsächlicher Art zu verstehen (MüKoBGB/Schäfer, 9. Aufl. 2023, § 677 Rn. 39). Der Grundstückseigentümer hat die Beeinträchtigung durch die Wurzeln aber noch gar nicht selber beseitigt. Somit mangelt es an einer Geschäftsbesorgung. Dementsprechend hat der Eigentümer keinen Kostenersatzanspruch gegen seinen Nachbarn nach §§ 683 S. 1, 670 bzw. 684 S. 1, 818 BGB.

2) Anspruch aus dem Bereicherungsrecht

Dem beeinträchtigten Eigentümer könnte gegen seinen Nachbarn ein Anspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB zustehen. Dafür müsste der Nachbar allerdings etwas erlangt haben. Das erlangte Etwas kann jede Verbesserung der Vermögenslage des Bereicherungsschuldners sein (HK-BGB/Wiese, 11. Aufl. 2021, BGB § 812 Rn. 3). Der Grundstückseigentümer hat die Beseitigung der Beeinträchtigung durch die Wurzeln nicht selber vorgenommen und den Nachbarn somit nicht von seiner Beseitigungspflicht aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB befreit. Dem Eigentümer steht somit kein Anspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB gegen seinen Nachbarn zu.

3) Anspruch aus dem Deliktsrecht

Weiterhin könnte ein Schadensersatzanspruch des beeinträchtigen Eigentümers gegen seinen Nachbarn nach § 823 Abs. 1 BGB gegeben sein. Dafür müsste der Nachbar jedenfalls schuldhaft, das heißt vorsätzlich oder fahrlässig (§ 276 Abs. 1 S. 1 BGB) bezüglich der Eigentumsverletzung gehandelt haben. Es ist kein Vorsatz und keine Fahrlässigkeit des Nachbarn in Bezug auf den Wurzelüberwuchs ersichtlich. Ein Anspruch des Eigentümers auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.

4) Nachbarrechtlicher Ausgleichanspruch

Der beeinträchtigte Eigentümer könnte gegen seinen Nachbarn den nachbarrechtlichen Ausgleichanspruch gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog geltend machen. Das setzt nach ständiger Rechtsprechung des BGH voraus, dass der betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, die Einwirkungen nach § 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden (BGH, Urt. v. 11.6.1999 – V ZR 377/98, BGHZ 142, 66; BGH, Urt. v. 21.5.2010  V ZR 10/10, BGHZ 185, 371). Dem Kläger steht ein Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB gegen seinen Nachbarn zu, an dessen Durchsetzung er nicht gehindert ist. Somit kann der beeinträchtigte Eigentümer keinen Zahlungsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog gegenüber seinem Nachbarn geltend machen.

5) Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung

Es kommt somit entscheidend darauf an, ob der Kläger von seinem Nachbarn Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB verlangen kann. Dafür müsste § 281 BGB auf den dinglichen Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB anwendbar sein. Entgegen einer verbreiteten Meinung in Rechtsprechung und Literatur (OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.1.2012 – 12 U 143/11, NJW 2012, 1520; MüKo/Schwab, 8. Aufl. 2020, § 812 Rn. 376), kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass eine Anwendung des § 281 BGB auf den Beseitigungsanspruch des Eigentümers nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB nach der dinglichen Natur dieses Anspruchs und seiner sachenrechtlichen Zielrichtung nicht in Betracht kommt. Dies stützt das Gericht auf folgende Erwägungen:

a) Anwendung des § 281 BGB auf  § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB ist mit dem Zweck des Beseitigungsanspruchs unvereinbar

Das Ziel des dinglichen Beseitigungsanspruchs nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB ist die Wiederherstellung des dem Eigentumsrecht entsprechenden Zustandes (sog. Rechtsverwirklichungsfunktion). Das BGB hat sich mit diesem Beseitigungsanspruch bewusst gegen das Prinzip „dulde und liquidiere“ entschieden. Dementsprechend ist es mit dem Zweck des Beseitigungsanspruchs nicht vereinbar, dem beeinträchtigten Eigentümer unabhängig von der Beseitigung der Beeinträchtigung einen Schadensersatzanspruch zuzusprechen. Bei Anwendung des § 281 BGB könnte der Eigentümer die Beeinträchtigung hinnehmen und nach der grundsätzlich erforderlichen Fristsetzung Schadensersatz statt der Leistung verlangen. Gemäß § 281 Abs. 4 BGB würde der Schadensersatzanspruch an die Stelle des Beseitigungsanspruchs treten. Demnach wäre nicht gewährleistet, dass der dem Eigentumsrecht entsprechende Zustand widerhergestellt wird. Die divergierende Zielrichtung zeigt sich zudem dadurch, dass § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB einen bereits vorhandenen Vermögensgegenstand schützt (sog. Integritätsinteresse), während der schuldrechtliche Anspruch darauf abzielt, das Vermögen des Gläubigers zu Lasten des Vermögens des Schuldners zu mehren (sog. Leistungsinteresse).

b) Gegen eine Anwendbarkeit des § 281 BGB spricht der Schuldnerschutz.

Nach § 281 Abs. 4 BGB ist der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, sobald der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung verlangt. Dementsprechend würde der Anspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB trotz einer womöglich fortbestehenden Beeinträchtigung des Eigentümers erlöschen. Während man im Verhältnis vom beeinträchtigten Eigentümer zum Nachbarn von einer Duldungspflicht bezüglich der Beeinträchtigung ab dem Zeitpunkt des Schadensersatzverlangens ausgehen könnte, ist eine solche jedenfalls aufgrund ihrer schuldrechtlichen Natur im Fall einer Rechtsnachfolge auszuschließen. Bei einer Einzelrechtsnachfolge würde der Beseitigungsanspruch in der Person des Rechtsnachfolgers neu entstehen, sodass der Schuldner von diesem nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB auf Beseitigung in Anspruch genommen werden könnte, obwohl er bereits Schadensersatz an den Voreigentümer gezahlt hat. Vor dieser doppelten Inanspruchnahme, ist der Schuldner zu schützen.

c) Es besteht kein dringendes Bedürfnis für die Anwendung des § 281 BGB.

Das Kosteninteresse des Eigentümers ist bereits durch andere Rechtsvorschriften geschützt. Der Grundstückseigentümer kann seinen Nachbarn gerichtlich auf Beseitigung nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB verklagen und nach § 887 Abs. 2 ZPO beantragen, den Nachbarn auf Vorauszahlung der Kosten zu verurteilen. Verzögerungsschäden kann der beeinträchtigte Eigentümer nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB geltend machen (BGH, Urt. 26.3.2021 – V ZR 77/20, NJW-RR 2021, 671).

d) Die Anwendung des § 281 BGB beeinträchtigt das Recht des Schuldners, zwischen verschiedenen Beseitigungsmöglichkeiten zu wählen.

Der beeinträchtigte Eigentümer ist verpflichtet, die Auswahl zwischen verschiedenen, zur Herbeiführung des Erfolgs geeigneten Mitteln dem Schuldner zu überlassen (BGH, Urt. v. 22.1.2021 – V ZR 12/19, NJW-RR 2021, 401, 402 Rn.10). Diese Wahlmöglichkeit des Schuldners würde bei Anwendung des § 281 BGB bereits nach erfolglos abgelaufener Frist und Erklärung des Schadensersatzverlangens und nicht erst im Rahmen der Zwangsvollstreckung entfallen.

6) Ergebnis

Nach Ansicht des BGH sind die Erwägungen zur Unanwendbarkeit des § 281 BGB auf den Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB, auf den Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB zu übertragen. Der beeinträchtige Eigentümer hat somit im Ergebnis keinen Zahlungsanspruch gegen seinen Nachbarn.

III. Relevanz der Entscheidung

Die Entscheidung des BGH ist von Relevanz für die gerichtliche Vorgehensweise des beeinträchtigten Eigentümers. Bemerkenswert ist, dass der BGH die Anwendbarkeit des § 281 BGB über den konkreten Fall hinaus auch für die Fälle der sogenannten Selbstvornahme ausgeschlossen hat: § 281 BGB ist auch dann nicht auf den Anspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB anzuwenden, wenn der Grundstückseigentümer die Beeinträchtigung vorher selbst beseitigt hat. Der Kläger kann in den Fällen der Selbstvornahme eine Klage auf Erstattung der angefallenen Kosten erheben (Anspruch aus §§ 683 S. 1, 670 bzw. §§ 684 S. 1, 818 BGB oder § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB). Möchte der Kläger die Beeinträchtigung nicht auf eigene Kosten selbst beseitigen, kann er seinen Nachbarn auf Beseitigung verklagen (Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB) und das Urteil im Wege der Ersatzvornahme vollstrecken. Dabei kann er nach § 887 Abs. 2 BGB beantragen, den Schuldner zur Vorauszahlung der Kosten zu verurteilen.

IV. Ein abschließender Blick über den Tellerrand hinaus

Die Entscheidung des BGH verdeutlicht, dass die Anwendbarkeit einzelner Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts auf dingliche Ansprüche bei jedem dinglichen Anspruch gesondert zu prüfen ist. Hat der BGH noch in seiner Entscheidung vom 18.3.2016 entschieden, dass § 281 BGB auf den Herausgabeanspruch nach § 985 BGB anwendbar ist, solange der Besitzer verklagt oder bösgläubig ist (BGH, Urt. v. 18.3.2016 – V ZR 89/15, NJW 2016, 3235), verneint er im vorliegenden Fall generell die Anwendbarkeit des § 281 BGB auf den Anspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB. Der BGH betont dabei, dass trotz Wesensgleichheit der Ansprüche aus § 985 BGB und § 1004 Abs. 1 BGB kein Gleichlauf bei der Anwendbarkeit des § 281 BGB hergestellt werden könne. Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz der statuiere, dass der dingliche Gläubiger bei seiner Rechtsverfolgung nicht schlechter zu stellen sei als der schuldrechtliche, gebe es nicht. Es bleibt somit zu erwarten, wie der BGH in seinen zukünftigen Entscheidungen die Anwendbarkeit einzelner Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrecht auf die einzelnen dinglichen Ansprüche regeln wird.

29.05.2023/von Marie-Lou Merhi
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Marie-Lou Merhi https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Marie-Lou Merhi2023-05-29 10:00:002024-06-06 12:44:38Nachbarstreit vor dem BGH: Zahlungsansprüche bei Schäden durch herübergewachsene Baumwurzeln?
Alexandra Alumyan

Urteil des OLG München: Online-Glücksspiel im Bereicherungsrecht

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In seiner Entscheidung vom 20.09.2022 – 18 U 538/22 befasste sich das OLG München mit einem immer wiederkehrenden Klassiker des Bereicherungsrechts: Die teleologische Reduktion des § 817 S. 2 BGB. Die Vorschrift des § 817 S. 2 BGB – auch „Kondiktionssperre“ genannt – regelt den Ausschluss des Bereicherungsanspruchs des Leistenden, dem ein gesetzes- bzw. sittenwidriges Verhalten anzulasten ist. Das heißt, wenn der Leistende schon den Boden der Rechtschaffenheit verlässt und sich durch sein Geschäft in den Bereich der Illegalität begibt, soll er nicht dann noch Rechtsschutz beanspruchen und das Geleistete nach den Vorschriften der §§ 812 ff. BGB zurückfordern können.

I. Sachverhalt

Der Kläger nahm als Spieler an Online-Glücksspielen teil, deren Anbieterin und gleichzeitig Beklagte des Rechtsstreits in Malta saß. Ebendort besaß die Beklagte eine maltesische Lizenz für die Durchführung derartiger Glücksspiele – in Deutschland, am Wohnsitz des Klägers, hingegen nicht. In dem fast zweijährigen Zeitraum zwischen Oktober 2018 und September 2020 führte die Teilnahme an den deutschsprachigen Glücksspielen zu Verlusten aufseiten des Klägers in Höhe von 18.175,00 Euro. Der Kläger litt an einer Spielsucht und war sich im Übrigen wohl nicht darüber bewusst, dass Glücksspiele wie diese in Deutschland einem gesetzlichen Verbot unterliegen. Das OLG München befasste sich als zweite Instanz mit der Frage, ob der Kläger die verspielte Summe zurückverlangen kann.

II. Rechtlichen Erwägungen

1. Anwendbarkeit des deutschen Sachenrechts

Gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom-I-VO ist im entschiedenen Fall das deutsche Sachenrecht anwendbar: (1) Die Parteien schlossen einen Verbrauchervertrag, (2) der gewöhnliche Aufenthalt des Klägers war in Deutschland und (3) entsprechend lit. b hat der Kläger sein Glücksspielgewerbe auf Deutschland ausgerichtet, war sein Angebot doch auch in deutscher Sprache abrufbar.

2. Tatbestandsvoraussetzungen des § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB

Sodann prüfte das Gericht die Tatbestandsvoraussetzungen eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs des Klägers gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Der Anspruch steht dem Anspruchsteller dann zu, wenn der Anspruchsgegner etwas durch Leistung des Anspruchstellers und ohne Rechtsgrund erlangt hat.

a. Etwas erlangt durch Leistung

Im entschiedenen Fall erzielte die Klägerin durch den Einzug des Spielgeldes in Höhe von 18.175,00 Euro einen vermögenswerten Vorteil und hat mithin etwas erlangt. Diesen Vorteil erlangte die Beklagte durch eine zwecks Spielvertrags erbrachte Leistung des Klägers.

b. Ohne Rechtsgrund

Hinsichtlich des Rechtsgrundes stritten die Parteien:

aa. Nichtigkeit des Glücksspielvertrags gemäß § 4 Abs. 4 S. 2 GlüStV

Der Kläger berief sich auf die Nichtigkeit des Glücksspielvertrags gemäß § 4 Abs. 4 S. 2 GlüStV i.V.m. § 134 BGB. Der § 4 Abs. 4 S. 2 GlüStV verbietet das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet, die nicht von S. 1 erfasst sind. Das OLG München schloss sich der Ansicht des erstinstanzlichen Gerichts an, dass Sinn und Zweck der Norm die Suchtprävention und der Gesundheitsschutz seien. Daher sei die Vorschrift so zu verstehen, dass sie das Rechtsgeschäft des Onlineglücksspiels „als solches missbilligt“ (LG Traunstein, Urt. v. 20.12.2021 – 3 O 1549/21, BeckRS 2021, 58417 Rn. 23). § 4 Abs. 4 S. 2 GlüStV stelle folglich eine taugliche Verbotsnorm dar. Die Beklagte hatte für die durchgeführten Glücksspiele keine gültige Erlaubnis, sodass der Glücksspielvertrag zwischen der Beklagten und dem Kläger dem Verbot des § 4 Abs. 4 S. 2 GlüStV unterfällt und daher gem. § 134 BGB nichtig ist.

bb. Unionsrechtswidrigkeit der Verbotsnorm?

Die Beklagte hingegen stützte sich auf die Unionsrechtswidrigkeit der Verbotsnorm und ihre Unvereinbarkeit mit Art. 56 AEUV, welcher ein Verbot für Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs statuiert. Jene Rechtsfrage wurde jedoch nicht weiter relevant, da die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits in mehreren Urteilen einen etwaigen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit als gerechtfertigt ansah und einen Verstoß der deutschen Vorschrift gegen das Unionsrecht ablehnte (z.B. BGH, Urt. v. 22.7.2021 – I ZR 194/20; BVerwG, Urt. v. 26.10.2017 – 8 C 18/16).

c. Zwischenergebnis

Der Vertrag ist mithin gem. § 4 Abs. 4 S. 2 GlüStV i.V.m. § 134 BGB nichtig. Der Kläger erbrachte die zielgerichtete Leistung ohne Rechtsgrund. Der Tatbestand des § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist erfüllt.

3. Eingreifen der Kondiktionssperre, § 817 S. 1 BGB?

Allerdings könnte der Rückforderungsanspruch gemäß § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen sein. Das Gesetz verlangt hierfür, dass „dem Leistenden gleichfalls ein solcher Verstoß [gegen das Gesetz und die guten Sitten] zur Last fällt“. In der Rechtsprechung bildete sich neben dem objektiven Kriterium auch ein subjektives heraus: So muss der Leistende objektiv einen gesetzlichen Verstoß begangen haben, sich aber auch in subjektiver Hinsicht zumindest der Einsicht in den Gesetzes- oder Sittenverstoß leichtfertig verschlossen haben (so auch das OLG München, Beschl. v. 20.09.2022 – 18 U 538/22, BeckRS 2022, 30008 Rn. 20).

Im entschiedenen Fall wurde die Verbotsnorm des § 4 Abs. 4 S. 2 GlüStV herangezogen. Ihrem Wortlaut nach verbietet sie das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet. Der Adressat der Norm ist somit der Veranstalter des Glücksspiels, nicht aber der Konsument, sodass dem Spieler selbst ein Verstoß gegen die Norm nicht angelastet werden könne (so das LG Traunstein, Urt. v. 20.12.2021 ­­– 3 O 1549/21, BeckRS 2021, 58417 Rn. 31). Ein möglicher Verstoß hätte sich weiterhin objektiv aus § 285 StGB ergeben können. Doch auch da konnte jedenfalls der subjektive Aspekt nicht festgestellt werden, da die darlegungs- und beweispflichtige Beklagte keinen Beweis diesbezüglich führte. Die Kondiktionssperre greift daher mangels Vorliegens der subjektiven Voraussetzungen nicht ein.

4. Teleologische Reduktion des § 817 S. 2 BGB

Das OLG München hielt zusätzlich – ohne dass es für den Fall entscheidend war – fest, dass in einer solchen Sachverhaltskonstellation eine teleologische Reduktion des § 817 S. 2 BGB geboten wäre. Im Zusammenhang mit § 817 S. 2 BGB ist diese grundsätzlich dann vorzunehmen, wenn durch die Kondiktionssperre der gesetzes- bzw. sittenwidrige Zustand aufrechterhalten oder gar gefördert wird. So dürfte die Kondiktionssperre in den Fällen nicht eingreifen, „in denen ein Ausschluss der Rückforderung nicht mit dem Zweck des Bereicherungsrechts vereinbar wäre […] [und] die Rechtswidrigkeit des Geschäfts auf Vorschriften beruht, die gerade den leistenden Teil schützen sollen“ (OLG München, Beschl. v. 20.09.2022 – 18 U 538/22, BeckRS 2022, 30008 Rn. 21). Damit sind zwei Gesichtspunkte zu beachten: Die Schutzrichtung des Verbotsgesetzes und die Vereinbarkeit der Kondiktionssperre im konkreten Fall mit dem Telos des Bereicherungsrechts.

Das Gericht warf einen systematischen Blick in den Staatsvertrag und argumentierte folgendermaßen (OLG München, Beschl. v. 20.09.2022 – 18 U 538/22, BeckRS 2022, 30008 Rn. 21): Die Vorschrift des § 1 GlüStV statuiert die Ziele des Staatsvertrags, die gemäß S. 2 insbesondere den glücksspielspezifischen Sucht-, Betrugs-, Manipulations- und Kriminalitätsgefährdungspotentialen Rechnung tragen sollen. Gesetzgeberischer Wille sei daher auch, die Spieler generell vor unerlaubtem Glücksspiel zu schützen. Würde die Kondiktionssperre nach einer geleisteten Transaktion seitens des Spielers nicht greifen, so würde der Anbieter von der Kondiktionssperre gar profitieren, da der gesamte Spieleinsatz ihm dauerhaft zugesichert wäre. Gleichzeitig würde der rechtswidrige Zustand fortbestehen und ein Anreiz für das illegale Geschäft geschaffen werden, könnten Anbieter solches weiterhin veranstalten und die Geldeinsätze aufgrund ihrer Kondiktionsfestigkeit einbehalten. Ein solches Ergebnis stehe aber mit dem Zweck des Bereicherungsrechts nicht im Einklang. Daher sei eine teleologische Reduktion des § 817 S. 2 BGB geboten – auch wenn der Spieler Kenntnis von der Illegalität des Glücksspiels hat. Der bereicherungsrechtliche Anspruch des Spielers unterliegt somit nicht der Kondiktionssperre.

5. Rechtsfolge

Eine Herausgabe des Geldes „in natura“ ist in einem solchen Fall nicht möglich, sodass dem Spieler der Wert des Erlangten gemäß § 818 Abs. 2 BGB zu ersetzen ist.

III. Einordnung der Entscheidung

Konsumenten von Online-Glücksspielen können sich über eine weitere verbraucherfreundliche Entscheidung freuen. Der Ansatz des OLG München vermag aber noch keine Leitentscheidung darzustellen, reiht er sich vielmehr in eine (sich der Klärung noch nicht nähernde) Diskussion um den Eingriff der Kondiktionssperre ein. Als Gegenpol zur aufgezeigten Entscheidung lässt sich beispielsweise die Beurteilung des LG Bonn, Urt. v. 30.11.2021 – 5 S 70/21 heranziehen, dessen Ansätze nur als Exempel für die noch uneinheitliche Rechtsprechung skizziert werden:

So kommt das LG Bonn zum gegenteiligen Ergebnis, dass die Kondiktionssperre des § 818 Abs. 2 BGB einschlägig ist. Die Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel ist gemäß § 285 StGB strafbar, sodass jedenfalls jene strafrechtliche Vorschrift als Verbotsnorm herangezogen werden kann. Nun müsste der Spieler in Unkenntnis dieser Vorschrift gehandelt haben. Dabei ist – laut dem LG Bonn – insbesondere bei langjährigen Spielern durchaus zweifelhaft, ob sie tatsächlich von der Legalität des Online-Glücksspiels ausgehen und deswegen von den Konsequenzen des § 817 S. 2 BGB befreit sind. Das Gericht argumentiert, dass in den letzten 10 Jahren iGaming und Online-Glücksspiele stark an Relevanz zugenommen haben. Fragen um die Legalität des Glücksspiels waren in der überregionalen Presse und Berichterstattung nicht nur beiläufiger Gegenstand, sondern standen ständig im Mittelpunkt der Öffentlichkeit, sodass es „lebensfremd“ sei, einem erfahrenen Spieler Unkenntnis bzw. Verschlossenheit hinsichtlich der Illegalität zuzuschreiben (LG Bonn, Urt. v. 30.11.2021 – 5 S 70/21, BeckRS 2021, 44724 Rn. 24).

Auch nimmt das Bonner Gericht hinsichtlich der Intention des Gesetzgebers des GlüStV eine andere Interpretation vor. Es ordnet die Vorschrift des § 4 Abs. 4 S. 2 GlüStV nicht als eine dem Individualinteresse dienende Schutznorm ein, sondern versteht diese als eine ordnungsrechtliche Bestimmung, die sich lediglich an die Glücksspielaufsicht richtet, da sie in einem „Zusammenhang mit den Überwachungsbefugnissen der Glücksspielaufsicht in § 9 GlüStV“ (LG Bonn, Urt. v. 30.11.2021 – 5 S 70/21, BeckRS 2021, 44724 Rn. 32) steht (vgl. auch LG München II, Urt. v. 19.8.2021 – 9 O 5322/20). Die Vorschrift sei mithin keine taugliche Verbotsnorm i.S.d. § 817 S. 2 BGB.

Ferner handelt es sich nach Auffassung des LG Bonn um einen Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn der Spieler zunächst „sehenden Auges und aus eigenem Handlungsantrieb heraus“ (LG Bonn, Urt. v. 30.11.2021 – 5 S 70/21, BeckRS 2021, 44724 Rn. 28) an Online-Glücksspielen teilnehmen kann, um sich dann im Falle von Verlusten das verspielte Geld auf gerichtlichem Wege zurückzuholen – für den Spieler bedeutet dieses rechtliches Ergebnis ein risikoloses Geschäft. Während das LG Bonn also eine Korrektur über § 242 BGB befürwortet, spricht sich das vorinstanzliche Gericht der besprochenen Entscheidung, das LG Traunstein, dagegen aus: § 242 BGB habe lediglich den Charakter einer „Auffangnorm“ (LG Traunstein, Urt. v. 20.21.2021 – 3 O 1549/21, BeckRS 2021, 58417 Rn. 38) und sei nicht heranzuziehen und rechtlich auszureizen, wenn es bereits speziellere Normen gibt, deren Voraussetzungen aber nicht vorliegen. Dabei übersieht letzteres Gericht womöglich, dass Funktion des § 242 BGB nicht ausschließlich die „Lückenfüllung“, sondern auch die Begrenzung vorhandenen Rechts ist (vgl. MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl. 2022, § 242 Rn. 2). Stärker spielte aber in die Erwägungen des LG Traunstein noch hinein, dass der Kläger der besprochenen Entscheidung keine Kenntnis von der Illegalität des Glücksspiels hatte. Ihm könnte daher der Vorwurf der Treuwidrigkeit nicht angelastet werden – so „jedenfalls im Vergleich mit den Rechtsverstößen, die der Beklagten anzulasten sind“ (LG Traunstein, Urt. v. 20.21.2021 – 3 O 1549/21, BeckRS 2021, 58417 Rn. 38).

Wie man erkennen kann, ist eine plausible Argumentation in unterschiedliche Richtungen möglich. Ein höchstrichterliches Urteil hinsichtlich der behandelten Fragen steht weiterhin noch aus. Es bleibt somit gespannt abzuwarten, wie der BGH an diese Problematik herangeht.

17.04.2023/von Alexandra Alumyan
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Alumyan https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Alumyan2023-04-17 10:16:132023-04-17 10:31:39Urteil des OLG München: Online-Glücksspiel im Bereicherungsrecht
Seite 1 von 10123›»

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