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Schlagwortarchiv für: Bestimmtheitsgebot

Dr. Maike Flink

BVerfG: Neues zur echten Wahlfeststellung

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht

Von Prüflingen gefürchtet und bei Prüfern sehr beliebt ist das Institut der Wahlfeststellung. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der sog. unechten Wahlfeststellung und der sog. echten Wahlfeststellung (zur Abgrenzung beider Institute s. bereits unseren Beitrag BGH: Neues zur Wahlfeststellung). Zur sog. echten Wahlfeststellung – d.h. zur wahldeutigen Veruteilung des Täters – kommt es, wenn sicher ist, dass dieser einen von mehreren möglichen Straftatbeständen erfüllt hat, jedoch unklar bleibt, welches dieser Delikte er tatsächlich verwirklicht hat. Eine eindeutige Bestrafung ist in diesem Fall nicht möglich, sodass eine wahlweise Bestrafung erfolgt, wenn die Tatbestände rechtsethisch und physiologisch vergleichbar sind (Rspr.) oder eine Identität des Unrechtskerns besteht (h.L.). Eine rechtsethische Vergleichbarkeit besteht dabei, wenn die Tatvorwürfe nach Art und Schwere auf Grundlage des allgemeinen Rechtsempfindens vergleichbar sind. Die physiologische Gleichwertigkeit setzt hingegen eine einigermaßen gleichgeartete innere Beziehung des Täters zu den möglichen Verhaltensweisen voraus. Nach der Ansicht der Literatur, die überwiegend auf die Identität des Unrechtskerns abstellt, kommt es demgegenüber darauf an, dass dasselbe Rechtsgut durch beide Delikte betroffen ist und der Handlungsunwert in etwa gleichartig erscheint.
 
I. Worum es geht: Die Verfassungsmäßigkeit der Wahlfeststellung
Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der echten Wahlfeststellung, die eine Ausnahme vom Grundsatz „in dubio pro reo“ darstellt, beschäftigt sowohl die Praxis als auch die Literatur seit geraumer Zeit. In der Vergangenheit hegte insbesondere der 2. Strafsenat des BGH wiederholt Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der echten Wahlfeststellung, da sie nicht auf eine gesetzliche Grundlage gestützt werden könne und damit nicht mit dem Gesetzlichkeitsprinzip des Art. 103 Abs. 2 GG zu vereinbaren sei. Dies sei jedoch zwingend erforderlich, da die echte Wahlfeststellung strafbarkeitsbegründend wirke: Die Verurteilung beruhe letztlich auf keinem der alternativ in Betracht kommenden Straftatbestände, sondern auf einer ungeschriebenen dritten Norm, welche die übereinstimmenden Unrechtselemente beider Delikte in sich vereinige. Insofern seien weder Art noch Ausmaß der Strafe durch den parlamentarischen Gesetzgeber vorgegeben, was einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot darstelle. Zudem werde die Unschuldsvermutung durch die echte Wahlfeststellung verletzt, da dem Angeklagten eine konkrete Straftat gerade nicht nachgewiesen werden könne. Da alle übrigen Strafsenate diese Ansicht nicht teilten, hatte der 2. Strafsenat diese Frage mehrfach dem Großen Strafsenat vorgelegt (zuletzt Vorlagebeschluss v. 2.11.2016, 2 StR 495/12), der jedoch weiterhin an der Verfassungsmäßigkeit der echten Wahlfeststellung festhielt (Beschl v. 8.5.2017, GSSt 1/17).
 
II. Die Entscheidung des BVerfG
Nunmehr hat mit Beschluss v. 5.7.2019 (2 BvR 167/18) erstmal auch das BVerfG in diesem Zusammenhang Stellung bezogen und die sog. echte Wahlfeststellung als verfassungsgemäß eingeordnet. Die echte Wahlfeststellung verletze bereits nicht das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, denn sie wirke nicht strafbarkeitsbegründend. So führt das BVerfG aus:

„Die Regeln zur Wahlfeststellung dienen nicht dazu, materiell-rechtliche Strafbarkeitslücken zu schließen, was allein Aufgabe des Gesetzgebers ist; sie ermöglichen ausschließlich die Bewältigung verfahrensrechtlicher Erkenntnislücken […]. Die ungleichartige Wahlfeststellung ist damit eine besondere, dem Strafverfahren zuzuordnende Entscheidungsregel, die nicht den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG berührt.“

Damit komme es auch nicht zur Anwendung einer ungeschriebenen „dritten Norm“, denn der Angeklagte habe entweder den einen oder den anderen – jeweils gesetzlich bestimmten – Tatbestand erfüllt, sodass er ausschließlich wegen der Verletzung dieser Einzelstraftatbestände wahldeutig verurteilt werde. Dabei stelle das Erfordernis der rechtsethischen und physiologischen Vergleichbarkeit kein materiell-rechtliches Tatbestandsmerkmal dar, sondern diene lediglich dazu, zu gewährleisten, dass der Schuldspruch den Angeklagten nicht unverhältnismäßig belastet, indem sichergestellt wird, dass die Verurteilung an einen ausreichenden einheitlichen Unrechts- und Schuldvorwurf anknüpfe.
Auch sei der Grundsatz „nulla poena sine lege“ des Art. 103 Abs. 2 GG durch die echte Wahlfeststellung nicht verletzt. Dieser dehne zwar das Bestimmtheitsgebot auch auf die Strafandrohung aus, indes werde bei der Wahlfeststellung Art und Ausmaß der Bestrafung einem gesetzlich normierten Tatbestand – nämlich dem für den konkreten Fall mildesten – entnommen:

„In der Wahlfeststellungssituation hat das Tatgericht aufgrund des jeweils anwendbaren Straftatbestands zu prüfen, auf welche Strafe zu erkennen wäre, wenn eindeutig die eine oder die andere strafbare Handlung nachgewiesen wäre. Von den so ermittelten Strafen ist dann zu Gunsten des Angeklagten die mildeste zu verhängen. […] Da bei einer wahldeutigen Verurteilung in allen Punkten die dem Angeklagten günstigste der alternativen Tatgestaltungen zugrunde zu legen ist […], ist schließlich die Verhängung einer den Schuldgrundsatz verletzenden, weil die tatsächliche Schuld übersteigenden, Strafe […] ausgeschlossen.

Zudem sei auch die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Unschuldsvermutung nicht verletzt, denn es stehe jedenfalls fest, dass der Angeklagte sicher eines von mehreren alternativ in Betracht kommenden Delikten verwirklicht habe:

„Jedenfalls dann, wenn diese Straftatbestände einen vergleichbaren Unrechts- und Schuldgehalt besitzen […],  fordert die Unschuldsvermutung keinen Freispruch. Vielmehr stünde ein Freispruch trotz unzweifelhaft strafbaren Verhaltens aufgrund mehrfacher Anwendung des Zweifelssatzes seinerseits in Widerspruch zu dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit.“

Denn das Rechtsstaatsprinzip erfordere insbesondere auch die Herstellung materieller Gerechtigkeit, um das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Strafverfahrens zu erhalten. Der Täter werde wegen der alternativen Fassung des Schuldspruchs auch nicht unverhältnismäßig belastet, da eindeutig zum Ausdruck komme, dass die Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage beruht. Ein Verfassungsverstoß liege damit auch unter diesem Gesichtspunkt nicht vor.
 
III. Ausblick
Das BVerfG hat sich mit seiner Entscheidung der bereits bislang durch den Großen Strafsenat des BGH vertretenen Ansicht angeschlossen und ist ihm auch in der Begründung der Verfassungsmäßigkeit gefolgt. Damit ergeben sich für die Klausurbearbeitung nur wenige Neuerungen. Dennoch ist die echte Wahlfeststellung ein „Dauerbrenner“ in Examensklausuren und erfreut sich auch in der mündlichen Prüfung auf Seiten der Prüfer großer Beliebtheit. Die aktuelle Entscheidung des BVerfG sollte daher zum Anlass genommen werden, sich dieses Rechtsinstitut noch einmal zu vergegenwärtigen um für Prüfungen mit aktuellem Bezug weiterhin gewappnet zu sein.

08.08.2019/2 Kommentare/von Dr. Maike Flink
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maike Flink https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maike Flink2019-08-08 09:36:482019-08-08 09:36:48BVerfG: Neues zur echten Wahlfeststellung
Dr. Christoph Werkmeister

Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot: Bußgeld bei fehlenden Winterreifen in der StVO

Öffentliches Recht, Verfassungsrecht

Das Bestimmtheitsgebot
Über eine interessante Entscheidung im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot, das eine Ausprägung des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 1, Abs. 3 GG darstellt, berichtet die Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf .
Das Bestimmtheitsgebot ist für gewöhnlich nicht verletzt, da sich die meisten Normen wenigstens im Hinblick auf eine verfassungskonforme Auslegung mit Hilfe der Grundrechte bzw. des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auslegen lassen. Eine gewisse Unbestimmtheit ist Rechtsnormen zudem inhärent, da sie gerade abstrakt-generell für eine Vielzahl von Fällen gelten müssen und nicht jeden Einzelfall im Detail erfassen können.
„Winterreifen“ als zu unbestimmter Rechtsbegriff
Beim Urteil des OLG Oldenburg gestaltete es sich Ausnahmsweise anders: Die Normen der §§ 2 Abs. 3a S. 1 und 2 StVO waren nach dem OLG Oldenburg zu unbestimmt und sind demnach wegen Verstoß gegen Art. 20 Abs. 1, Abs. 3 GG verfassungswidrig und damit nichtig. Der Begriff „Winterreifen“ lasse sich mangels technischer Standards nicht anhand der gängigen Auslegungsmethoden konkretisieren.

Da die Eigenschaften von Winterreifen nicht gesetzlich oder technisch normiert sind, und bereits die Kriterien entsprechender Reifentests nicht verallgemeinert sind, sondern von den – privaten – Testern selbst festgelegt werden, ist es auch nicht möglich, die fehlende Eignung bei Eis und Schnee durch Abweichung von Mindestanforderungen an Winterreifen zu definieren. Es bestehen somit weder Material oder Formvorgaben, noch bestimmte Mindestqualitäten (bestimmte Bremswege bei definierten Standardsituationen), bei deren Nichterfüllung ein Verstoß gegen § 2 Abs. 3 a StVO vorläge.

Normverwerfungskompetenz einfacher Gerichte
Das OLG Oldenburg konnte die Verfassungswidrigkeit hier feststellen, da es sich bei der StVO um eine Rechtsverordnung i.S.d. Art. 80 GG handelt. Bei solchen nicht-formellen (also nicht vom Parlament beschlossenen) Gesetzen können die Gerichte zumindest inter partes, also mit Wirkung zwischen den streitenden Parteien und nicht allgemein verbindlich, über deren Wirksamkeit entscheiden.
Im Hinblick auf Gesetze im formellen Sinne liegt die Normverwerfungskompetenz entsprechend der Maßgabe des Art. 100 GG hingegen beim Bundesverfassungsgericht. In solch einem Fall kann das einfache Gericht nicht über die Wirksamkeit von Rechtsnormen entscheiden, sondern muss nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG einen Antrag auf konkrete Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht stellen.

15.07.2010/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2010-07-15 15:27:262010-07-15 15:27:26Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot: Bußgeld bei fehlenden Winterreifen in der StVO
Samuel Ju

Verfassungsbeschwerde gegen Bußgeld wegen Klavierspiels am Sonntag erfolgreich

Öffentliches Recht, Verfassungsrecht

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil vom 17. November 2009 einer Verfassungsbeschwerde gegen einen Bußgeldbescheid wegen Klavierspiels am Sonntag stattgegeben.
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer bewohnt mit seiner Ehefrau und sechs Kindern ein Reihenhaus in Berlin. Nach dem Beschwerdevorbringen sind alle Familienmitglieder „musikbegeistert, einige praktizierende Musiker“. Die Tochter des Beschwerdeführers übt jeden Tag am späten Nachmittag für etwa eine Stunde Klavier. Als sie an einem Sonntag im Februar 2008 wiederum Klavier – Präludien und Französische Suiten von Bach – übte, rief der Nachbar, der sich durch das Klavierspiel gestört fühlte, nach ca. 1/2 bis 3/4 Stunde die Polizei. Nachdem die Polizeibeamten gegangen waren, übte die Tochter noch ca. 15 Minuten weiter Klavier. Das zuständige Bezirksamt setzte wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen das Verbot, an Sonn- und Feiertagen Lärm zu verursachen, durch den jemand in seiner Ruhe erheblich gestört wird (§ 4 LImSchG Bln), eine Geldbuße in Höhe von 75,– € gegen den Beschwerdeführer fest. Auf seinen Einspruch hin reduzierte das Amtsgericht die Geldbuße auf 50,– €. Der vor dem Amtsgericht als Zeuge vernommene Polizeibeamte bekundete, dass er das von ihm wahrgenommene Klavierspiel wie der Nachbar als störend empfunden habe. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wurde vom Kammergericht verworfen.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde greift der Beschwerdeführer unmittelbar den Bußgeldbescheid und die gerichtlichen Entscheidungen sowie mittelbar §§ 4,15 Abs. 1 Nr. 4 LImSchG Bln an. Er rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 103 Abs. 2, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 2 Abs. 1 GG.
Art. 103 Abs. 2 GG sei verletzt, weil die Rechtsanwendung durch das Amtsgericht über den Inhalt der gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgehe. Klavierspiel und Musizieren generell stellten keinen Lärm im Sinne des Landes-Immissionsschutzgesetzes dar. Zudem verzichte die Berliner Rechtspraxis auf jeden nachprüfbaren Versuch, mit dessen Hilfe bestimmt werde, ob das Klavierspiel ruhestörend sei. Nach der Interpretation der Berliner Behörden liege ein Verstoß gegen das Gesetz vor, wenn ein beliebiger Bürger behaupte, das Klavierspiel störe ihn in seiner Ruhe erheblich und wenn ein herbeigerufener Polizist behaupte, das stimme.
Die angegriffenen Entscheidungen seien auch mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG unvereinbar. Der Beschwerdeführer wolle das in musikalischen Wettbewerben erwiesene pianistische Talent seiner Tochter fördern und sie zu einer auch musikalisch gebildeten Person erziehen. Dazu diene, dass er seine Tochter zum Üben am Klavier anhalte, sie zu häuslichen Konzerten ermuntere und sie musiktheoretisch unterrichte. Ziel und Mittel fielen in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.
Entscheidung
Das Bundesverfassungsgerichts hat, soweit der Beschwerdeführer das Urteil des Amtsgerichts vom 4. Juni 2008 angreift, der Verfassungsbeschwerde statt gegeben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot, Art. 103 Abs. 2 GG
Das Urteil des Amtsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 2 GG, weil es die §§ 4, 15 Abs. 1 Nr. 4 Landes-Immissionsschutzgesetz Berlin (LImSchG Bln) in nicht verfassungsgemäßer Weise anwendet. Bei der vom Amtsgericht vorgenommenen Rechtsanwendung im vorliegenden Fall ist für den Normadressaten nicht hinreichend erkennbar, wann das Musizieren in der eigenen Wohnung an Sonn- und Feiertagen eine „erhebliche Ruhestörung“ im Sinne von § 4 LImSchG Bln darstellt.
Art. 103 Abs. 2 GG enthält ein besonderes Bestimmtheitsgebot, das den Gesetzgeber verpflichtet, die Voraussetzungen der Strafbarkeit oder Bußgeldbewehrung so konkret zu umschreiben, dass der Normadressat erkennen kann, welches Verhalten der Gesetzgeber sanktioniert. Für die Rechtsprechung folgt daraus, dass jede Rechtsanwendung verboten ist, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht. Gemessen daran verletzt das Urteil des Amtsgerichts den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 2 GG. Das Amtsgericht geht offenbar – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Kammergerichts und entsprechend Ziffer 4 Abs. 2 der Ausführungsvorschriften zum LImSchG Bln – davon aus, dass bei verhaltensbedingten Geräuschimmissionen jeder verständige, nicht besonders geräuschempfindliche Mensch feststellen könne, ob eine erhebliche Ruhestörung vorliege und sieht im Ausgangsfall auf der Grundlage der Aussagen des Nachbarn und des hinzugerufenen Polizeibeamten eine erhebliche Ruhestörung durch das sonntägliche Klavierspiel als erwiesen an. Das Amtsgericht unternimmt keinen Versuch, den normativen Gehalt des auslegungsbedürftigen Begriffs „erhebliche Ruhestörung“ zu erfassen und dieses Tatbestandsmerkmal auch im Hinblick auf das Musizieren in der eigenen Wohnung begrifflich zu präzisieren. Die Entscheidung darüber, ob eine „erhebliche Ruhestörung“ vorliegt, wird vielmehr dem als Zeugen vernommenen Polizeibeamten überlassen. Diese Rechtsanwendung räumt der zuständigen Behörde erhebliche Spielräume schon bei der Beantwortung der Frage ein, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 4, 15 Abs. 1 Nr. 4 LImSchG Bln vorliegen. Sie erhöht damit die den Vorschriften anhafteten Ungewissheiten in einer den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG nicht genügenden Weise. Denn bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Amtsgerichts wird die Entscheidung über die Sanktionsbedürftigkeit eines Verhaltens nicht generell-abstrakt durch den Gesetzgeber, sondern durch die vollziehende Gewalt für den konkreten Einzelfall getroffen.
Da das Amtsgericht die Vorschriften jedenfalls in einer Weise angewendet hat, die mit Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar ist, kann dahinstehen, ob der aus § 4 und § 15 Abs. 1 Nr. 4 LImSchG Bln zusammengesetzte Ordnungswidrigkeitentatbestand als solcher den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügt.
BVerfG – Beschluss vom 17. November 2009 – 1 BvR 2717/08
Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung Nr. 138/2009 vom 10. Dezember 2009
Examensrelevanz
Die Voraussetzungen einer Verfassungsbeschwerde kann man – wie wir schon einige Male betont haben – nicht oft genug fürs Examen wiederholen. Dieses Urteil ist meiner Meinung nach aber insbesondere deshalb examensrelevant, weil es den Examenskandidaten vor die Herausforderung stellt, im Rahmen der Begründetheit eine saubere Prüfung der Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 103 Abs. 2 GG zu prüfen. Das Landes- oder Bundesimmissionsschutzgesetz kommt gerne einmal bei Ö-Rechts Klausuren vor, so dass man nicht unbedingt zum ersten Mal im Examen einen Blick in dieses Gesetz geworfen haben sollte.

10.12.2009/0 Kommentare/von Samuel Ju
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Samuel Ju https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Samuel Ju2009-12-10 22:22:522009-12-10 22:22:52Verfassungsbeschwerde gegen Bußgeld wegen Klavierspiels am Sonntag erfolgreich

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