• Suche
  • Lerntipps
    • Karteikarten
      • Strafrecht
      • Zivilrecht
      • Öffentliches Recht
    • Examensvorbereitung
    • Fallbearbeitung und Methodik
    • Für die ersten Semester
    • Mündliche Prüfung
  • Examensreport
    • 2. Staatsexamen
    • Baden-Württemberg
    • Bayern
    • Berlin
    • Brandenburg
    • Bremen
    • Hamburg
    • Hessen
    • Lösungsskizzen
    • Mecklenburg-Vorpommern
    • Niedersachsen
    • Nordrhein-Westfalen
    • Rheinland-Pfalz
    • Saarland
    • Sachsen
    • Sachsen-Anhalt
    • Schleswig-Holstein
    • Thüringen
    • Zusammenfassung Examensreport
  • Interviewreihe
    • Alle Interviews
  • Rechtsgebiete
    • Strafrecht
      • Klassiker des BGHSt und RGSt
      • StPO
      • Strafrecht AT
      • Strafrecht BT
    • Zivilrecht
      • AGB-Recht
      • Arbeitsrecht
      • Arztrecht
      • Bereicherungsrecht
      • BGB AT
      • BGH-Klassiker
      • Deliktsrecht
      • Erbrecht
      • Familienrecht
      • Gesellschaftsrecht
      • Handelsrecht
      • Insolvenzrecht
      • IPR
      • Kaufrecht
      • Kreditsicherung
      • Mietrecht
      • Reiserecht
      • Sachenrecht
      • Schuldrecht
      • Verbraucherschutzrecht
      • Werkvertragsrecht
      • ZPO
    • Öffentliches Recht
      • BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker
      • Baurecht
      • Europarecht
      • Europarecht Klassiker
      • Kommunalrecht
      • Polizei- und Ordnungsrecht
      • Staatshaftung
      • Verfassungsrecht
      • Versammlungsrecht
      • Verwaltungsrecht
      • Völkerrrecht
  • Rechtsprechungsübersicht
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Juri§kripten
  • Click to open the search input field Click to open the search input field Suche
  • Menü Menü
Du bist hier: Startseite1 > _featured

Schlagwortarchiv für: _featured

Maximilian Drews

Die gesetzliche Altersgrenze für Anwaltsnotare ist verfassungswidrig

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Uncategorized

Mit dem Urteil vom 23.9.2025 (Akz. 1 BvR 1796/23) hat der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts überraschend – hielten doch einige namenhafte Institutionen die Regelung für verfassungsgemäß (vgl. Rn. 54 ff.) – die gesetzliche Altersgrenze für Anwaltsnotare gemäß § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO als mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG unvereinbar und damit für verfassungswidrig erklärt.

Der Tatsache geschuldet, dass es sich zwar bei den Normen der Bundesnotarordnung (BNotO) um eine für Studierende unbekannte Materie handelt, die Prüfung des Art. 12 I GG aber zu den beliebtesten Verfassungsnormen in der rechtswissenschaftlichen Ausbildung zählt, wird diese Entscheidung sicherlich zukünftig Prüfungsstoff darstellen. Daher lohnt sich eine Auseinandersetzung mit dieser Entscheidung umso mehr.

Im Folgenden sollen die wesentlichen Erwägungen des Urteils gutachterlich und prüfungsnah aufgearbeitet und dargeboten werden.

I. Sachverhalt (verkürzt)

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen seit 1983 zur Anwaltschaft zugelassenen Rechtsanwalt, der im Jahr 1992 zum sog. Anwaltsnotar bestellt und ihm ein Bezirk des Oberlandesgerichts Düsseldorf zugewiesen wurde. Nachdem er am 30.11.2023 das siebzigste Lebensjahr vollendet hat, erlosch sein Notariat gemäß § 47 Nr. 2 Var. 1, § 48a BNotO mit diesem Tag (Rn. 37).

Eine daraufhin von ihm eingereichte berufsgerichtliche Klage wurde vom zuständigen Oberlandesgericht Köln jedoch abgelehnt. Auch die Berufung gegen die Entscheidung vor dem Bundesgerichtshof sowie eine darauffolgende Nichtigkeitsklage wegen einer vermeintlichen Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 267 III AEUV wurde vom BGH als unzulässig verworfen (Rn. 39 ff.).

Aufgrund dessen legte der Beschwerdeführer gegen die Urteile und Beschlüsse des BGH und das Urteil des Oberlandesgerichts Köln sowie mittelbar gegen die in Rede stehenden Normen Verfassungsbeschwerde ein, mit der er insbesondere eine Verletzung der Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG rügte.

II. Exkurs: Unterschied Anwaltsnotariat und „Nur“-Notariat

Für das richtige Verständnis ist allerdings unweigerlich eine genaue Differenzierung zwischen dem sog. Anwaltsnotariat und dem Nur-Notariat nötig. Denn das Bundesverfassungsgericht stellt ausdrücklich klar, dass sich die Entscheidung nur auf das Anwaltsnotariat, nicht aber auch das Nur-Notariat bezieht.

Zwar läuft die Amtsausübung parallel bzw. identisch ab, allerdings muss zwischen der äußeren Organisation des Notariats unterschieden werden, vgl. § 3 BNotO.

So üben Anwaltsnotare das Notariat nicht hauptberuflich aus (Nur-Notariat), sondern gleichzeitig mit ihrer Tätigkeit als Rechtsanwalt (Rn. 7). Die Unterschiede werden zudem dadurch deutlich, dass der hauptberufliche Notar keine weiteren Berufe neben seiner notariellen Tätigkeit ausüben darf, während der Anwaltsnotar, der das Notariat nur als Nebenberuf ausübt, daran nicht gehindert wird (Rn. 9). Aber auch die Voraussetzungen, die den Zugang des Berufs betreffen divergieren. Nach § 5a BNotO müssen hauptberufliche Notare in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis als Notarassessor drei Jahre lang tätig gewesen sein, wohingegen Anwaltsnotare fünf Jahre als Rechtsanwalt gearbeitet haben müssen, davon drei Jahre im vorgesehenen Amtsbereich, vgl. § 5b BNotO, die Fachprüfung nach § 7a BNotO bestanden haben und gemäß § 5b IV BNotO hinreichend mit der notariellen Berufspraxis vertraut sind (Rn. 10).

Zu weiteren Unterschieden führt das BVerfG zudem aus:

(3) Ein neu bestellter hauptberuflicher Notar ist regelmäßig der Amtsnachfolger eines aus dem Amt ausgeschiedenen Notars, dessen Personal und Sachmittel er übernimmt, so dass oft auch die Mandantenbeziehungen übergehen. Nach der Verwaltungspraxis im Anwaltsnotariat hat ein ausscheidender Notar hingegen keinen Amtsnachfolger. Sein Notariat wird abgewickelt (vgl. Seebach, in: Frenz/Miermeister, BNotO, 6. Aufl. 2024, § 51 Rn. 11 ff.; Frisch, in: Eschwey, BeckOK BNotO, § 51 Rn. 9 f. (Aug. 2025)).

(4) Während sich hauptberufliche Notare nur mit Notaren, die am selben Amtssitz bestellt sind, verbinden dürfen, ist Anwaltsnotaren darüber hinaus auch die gemeinsame Berufsausübung mit Angehörigen bestimmter anderer freier Berufe gestattet (§ 9 BNotO).

Dass das BVerfG in seiner Entscheidung ausschließlich auf das Anwaltsnotariat rekurriert und nicht auf das Nur-Notariat, liegt insbesondere daran, dass der in Rede stehende und für die Begründung maßgebliche Bewerbermangel bei diesem nicht vorliegt (vgl. Rn. 33 f.).

Diese „Teilung“ bzw. „Beschränkung“ der Entscheidung lediglich auf das Anwaltsnotariat ist auch nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG möglich, denn diese sog. qualitative Teilnichtigkeit bezieht sich nur auf die ohnehin divergierende äußere Organisation des Notariats und führt somit nicht dazu, dass die Regelung aus sich heraus nicht mehr verständlich sei, sodass keine Rechtsunsicherheit (-unklarheit) vorliegt (Rn. 77 f.).

III. Gutachterliche Aufarbeitung (verkürzt)

Fraglich ist somit, ob die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg hat.

Die Verfassungsbeschwerde müsste dafür zulässig und begründet sein.

1. Zulässigkeit

Die Beschwerde ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen gegeben sind.

a) Zuständigkeit

Das Bundesverfassungsgericht ist gemäß Art. 94 I Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a, §§ 90 ff. BVerfGG für Verfassungsbeschwerden zuständig.

b) Beschwerdegegenstand

Es müsste auch ein tauglicher Beschwerdegegenstand gegeben sein.

Zulässige Beschwerdegegenstände sind nach Art. 94 I Nr. 4a GG alle Akte der öffentlichen Gewalt. Dazu zählen vornehmlich Gerichtsentscheidungen, aber auch Rechtssätze aller Rangstufen (vgl. BeckOK/Morgenthaler, Art. 94 GG, Rn. 48).

Sowohl die unmittelbar angegriffenen Entscheidungen des BGH und des OLG Köln als auch die mittelbar angegriffenen Normen der BNotO sind Akte der Judikative bzw. der Legislative und somit Akte der öffentlichen Gewalt.

Problematisch könnte nur sein, dass die Altersgrenze als berufsbezogene Diskriminierung in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG fällt und damit in einen Rechtsakts der Europäischen Union.

Das Bundesverfassungsgericht überprüft unionsrechtliches Fachrecht grundsätzlich nicht am Maßstab des Grundgesetzes, es sei denn, der unabdingbare Grundrechtsschutz ist nicht mehr gewährleistet (vgl. BVerfGE 73, 339 (387); 102, 147 (162f.); 125, 260 (306); 152, 216 (236 Rn. 47 a.E.) – Recht auf Vergessen II)

Allerdings gilt dies nur für zwingendes Unionsrecht; bei § 47 Nr. 2 Var. 1, § 48a BNotO handelt es sich hingegen um keine zwingende Regelung, die nicht vollständig determiniert sind.

Somit prüft das BVerfG die angegriffene Norm am Maßstab des Grundgesetzes.

Die gerichtlichen Entscheidungen und § 47 Nr. 2 Var. 1, § 48a BNotO stellen taugliche Beschwerdegegenstände dar.

c) Beschwerdebefugnis

Die Beschwerdebefugnis ergibt sich aus Art. 94 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG. Danach bedarf es einer hinreichend substantiierten Behauptung, dass der angegriffene Akt der öffentlichen Gewalt einen möglicherweise in den Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt. Zudem muss die eigene, unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit vorliegen (Rn. 81).

Fraglich ist dabei, ob die Beschwerdebefugnis auch für alle angegriffene Beschwerdegegenstände anzunehmen ist.

Der Beschwerdeführer müsste zunächst eine Verletzung durch das BGH-Urteil rügen. Gleiches gilt auch für eine Verletzung mittelbar durch die Normen der Bundesnotarordnung:

„Ausgehend von diesen Maßstäben legt der Beschwerdeführer nachvollziehbar dar, durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. August 2023 sowie durch den mittelbar angegriffenen § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO in Art. 12 Abs. 1 GG verletzt zu sein. Insbesondere zeigt er auf, weshalb der Eingriff nicht gerechtfertigt sei. Dabei weist er auf die Möglichkeit hin, die Altersgrenze – abweichend von früherer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – mittlerweile als unverhältnismäßig einzustufen“ (Rn. 83).

Die Möglichkeit einer Verletzung der Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG unmittelbar durch das BGH-Urteil und mittelbar durch die § 47 Nr. 2 Var. 1, § 48a BNotO wurde somit substantiiert genug dargelegt.

Die Verletzung anderer Grundrechte wie Art. 3 I, Art. 33 II GG sowie Art. 15 I, Art. 16 und Art. 21 I GRCh hingegen nicht ausreichend substantiiert dargelegt worden. Gleiches gilt auch für die Rügen der Verletzung der Verfahrensgrundrechte aus Art. 101 I 2 GG und Art. 103 I GG (Rn.90 ff.).

Des Weiteren hat sich der Beschwerdeführer nicht näher argumentativ mit der Entscheidung des OLG Köln auseinandergesetzt. Es fehlt diesbezüglich an substantiierten Ausführungen zur Möglichkeit einer Verletzung aus Art. 12 I GG.

Problematisch könnte noch das Merkmal der Gegenwärtigkeit sein. Danach muss die mögliche Grundrechtsverletzung noch im Zeitpunkt der Verfassungsbeschwerde schon oder noch vorliegen (BeckOK/Morgenthaler, Art. 94 GG, Rn. 54).

Aufgrund der Tatsache, dass die Regelung nach § 47 Nr. 2 Var. 1, § 48a BNotO nicht nur das Amt löscht, sondern auch die Wiederbestellung des jeweiligen Notars sperrt, wirkt der Grundrechtseingriff fort, sodass die mögliche Verletzung noch vorliegt.

Mitunter liegt hinsichtlich der Ausführungen zu Art. 12 I GG eine Beschwerdebefugnis vor.

d) Rechtswegerschöpfung

Die Erschöpfung des Rechtswegs gemäß § 90 II 1 BVerfGG ist gegeben (Rn. 97).

e) Subsidiarität

Zudem müsste aber auch der aus § 90 II BVerfGG abgeleitet allgemeine Grundsatz der Subsidiarität eingehalten worden sein. Danach müssen – zusätzlich zur bloßen formellen Erschöpfung (s.o.) – vorher auch alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen worden sein, um einen Verfassungsverstoß gar nicht erst zuzulassen oder bereits eingetretene Grundrechtsverletzungen wieder zu beseitigen (Rn. 99; BeckOK/Morgenthaler, Art. 94 GG, Rn. 59). Grundsätzlich obliegt es danach auch dem Beschwerdeführer in den vorherigen Verfahren, den Sachverhalt so dazulegen, dass die Gerichte des Ausgangsverfahrens eine verfassungsrechtliche Prüfung durchführen können (Rn. 99). Dies ist hier gewahrt worden, denn:

„Weder die Beschwerdeschrift noch der Tatbestand des angegriffenen Urteils des Bundesgerichtshofs lassen erkennen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beschwerdeführer im Ausgangsverfahren verfassungsrechtliche Erwägungen vorgetragen hat. Dies ist hier allerdings unschädlich. Denn das Urteil beruhte nicht auf einem etwaigen Unterlassen des Beschwerdeführers. Der Bundesgerichtshof hat sich ausweislich der Entscheidungsgründe mit der Vereinbarkeit der Regelungen nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO mit dem Grundgesetz auseinandergesetzt. Er ist auf Grundlage seiner ständigen Rechtsprechung zu dem Schluss gekommen, die Altersgrenze sei mit dem Grundgesetz vereinbar“ (Rn. 100).

Dem Grundsatz der Subsidiarität ist somit genüge getan.

f) Zwischenergebnis

Die Verfassungsbeschwerde ist (teilweise) zulässig (Rn. 73).

2. Begründetheit

Die Verfassungsbeschwerde müsste auch begründet sein. Dies ist der Fall, wenn das Urteil des Bundesgerichtshofs und/oder § 47 Nr. 2 Var. 1, § 48a BNotO den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten verletzen. Eine solche Verletzung liegt vor, wenn sie in den Schutzbereich eines Grundrechts aa) eingreifen bb) und dies unverhältnismäßig ohne Rechtfertigung geschieht cc) (v. Münch/Kunig/Paulus, Art. 94 GG, Rn. 75). Vorliegend kommt insbesondere eine Verletzung der Berufsfreiheit von Art. 12 I GG in Betracht.

a) Normen der Bundesnotarordnung

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, soweit die Regelung der Altersgrenze nach § 47 Nr. 2 Var. 1, § 48a BNotO den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten verletzt.

aa) Schutzbereich

Primär müsste der Schutzbereich der Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG eröffnet sein.

Es handelt sich hierbei um ein einheitliches Grundrecht, das sowohl die Berufsausübung als auch die Berufswahl schützt (Rn. 103). Ein Beruf ist dabei jede Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dient (Dürig/Herzog/Scholz/Remmert, Art. 12 Abs. 1 GG, Rn. 76).

„Die Berufsfreiheit umfasst eine wirtschaftliche und eine auf die Entfaltung der Persönlichkeit bezogene Dimension (vgl. BVerfGE 7, 377 <397>; vgl. auch BVerfGE 50, 290 <362>; 110, 226 <251>). Sie konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung sowie der Existenzgestaltung und -erhaltung. Die Gewährleistung zielt auf eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung ab“ (Rn. 103).

Der Beruf des Anwaltsnotars ist danach vom Schutzbereich der Berufsfreiheit umfasst. Der Schutzbereich ist eröffnet.

bb) Eingriff

Es müsste auch in die Berufsfreiheit eingegriffen worden sein.

Die Altersgrenze nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO greift in den Schutzbereich ein. Sie beschränkt die Berufswahlfreiheit unmittelbar, indem die betroffenen Berufsträger von der weiteren Tätigkeit als Anwaltsnotar ausgeschlossen sind. Ihr Beruf ist kraft Gesetzes mit Erreichen der Altersgrenze beendet. Über eine Fortsetzung ihrer Notartätigkeit können sie nicht selbst entscheiden (Rn. 104).

cc) Rechtfertigung

Der Eingriff ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn er den Anforderungen entspricht, die das Grundgesetz an Eingriffe dieser Art stellt. Das ist dann der Fall, wenn er von den verfassungsrechtlichen Schranken unter Berücksichtigung der Schranken-Schranken gedeckt ist.

(1) Schranke

Aufgrund der Einheitlichkeit des Grundrechts umfasst der Regelungsvorbehalt das gesamte Grundrecht und nicht nur die Berufsausübungsfreiheit (BeckOK/Ruffert, Art. 12 GG, Rn. 74).  Art 12 I GG steht damit unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt (Rn. 105).  § 47 Nr. 2 Var. 1, § 48a BNotO erfüllt die Voraussetzungen, die an die Schranke gerichtet sind.

Eine Schranke liegt somit vor.

(2) Schranken-Schranke

Weiterhin müssten diese aber auch formell und materiell verfassungsgemäß sein.

(a) Formelle Verfassungsmäßigkeit

„(D)ie angegriffene Regelung (ist) formell verfassungsgemäß, insbesondere nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG kompetenzgemäß erlassen. (Rn. 106).

(b) Materielle Verfassungsmäßigkeit

Weiterhin müsste die Regelung aber auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Dieser verlangt, dass die angegriffene Regelung einen legitimen Zweck verfolgt, der Eingriff geeignet und erforderlich ist sowie die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gewahrt ist.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch eine zunächst verfassungskonforme Regelung verfassungswidrig werden kann, wenn sich die Verhältnisse dergestalt ändern, dass die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit nicht mehr erfüllt werden (Rn. 107).

(aa) Legitimer Zweck

Zunächst müsste die Regelung einen legitimen Zweck verfolgen.

Ein Zweck ist jedenfalls dann legitim, wenn er seinerseits nicht verfassungsrechtlich unzulässig ist (BeckOK/Rux, Art. 20 GG, Rn. 193).

Welche Zwecke erfolgt werden, ergibt sich regelmäßig aus dem objektiven Willen des Gesetzgebers und ist mit Hilfe der anerkannten Auslegungsmethoden zu ermitteln.

Ausweislich diesem dient die Regelung unterschiedlichen legitimen Zwecken:

Die Regelung soll eine funktionstüchtige Rechtspflege gewährleisten (aa), denn ein überaltertes Notariat würde dazu führen, dass die nachrückenden Amtsträger wegen einer späteren Zulassung eine geringere Berufserfahrung haben und die Mandatierung einer bevorzugten Altersgruppe wäre schwieriger, sodass die Funktionsfähigkeit gefährdet wäre (Rn. 112).

Des Weiteren sollen durch die Regelungen einen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Zweck verfolgt werden, indem die Berufschancen zwischen den Generationen in einen gerechten Ausgleich gebracht werden (bb). Schließlich soll sichergestellt werden, dass die Leistungsfähigkeit der Notare, die durch ein erhöhtes Alter gefährdet sein könnte, gewahrt wird (cc) (Rn. 114 f.).

(bb) Geeignetheit

Die Regelung müsste ihrerseits aber auch geeignet sein, die unterschiedlichen legitimen Zwecke zu erreichen.

Der Geeignetheit ist dabei bereits genüge getan, wenn die Möglichkeit besteht, den Gesetzeszweck zu erreichen. Somit ist dies erst zu versagen, wenn dieser in keiner Weise gefördert wird oder sich sogar gegenläufig auswirkt (Rn. 121).

Indem die Altersgrenze dafür sorgt, dass durch das Ausscheiden lebensälterer Notare regelmäßig neue Stellen des gesetzlich kontingentierten Notarberufs frei werden (Rn. 123), eröffnet sie lebensjüngeren Anwärtern den Zugang zum Notarberuf.

Zwar sorgen die gewandelten tatsächlichen Gegebenheiten – die Zahl der geeigneten Kandidaten ist rückläufig, sodass ein dauerhaftes Defizit an Bewerben gegeben ist – dafür, dass die Altersgrenze nicht mehr die ursprüngliche Wirkung hat. Dennoch ist eine pauschale Bewertung hier verfehlt, vielmehr bedarf es einer genauen regionalen Differenzierung, denn dieser Rücklauf kann insbesondere für großstädtisch geprägte Bezirke nicht angenommen werden. Hier zeigt sich weiterhin ein Überangebot an Bewerbern, sodass die Regelung zur Förderung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und der Berufschancen jüngerer Bewerber führt (Rn. 127). Demnach liegt eine Eignung weiterhin vor.

Weiterhin nehmen im Alter insbesondere kognitive Fähigkeiten weiter ab. Auch das Risiko einer Demenz steigt. Zwar sind diese negativen Entwicklungen stark individuell geprägt, sodass sich auch hier eine Pauschalisierung verbietet. Jedoch sorgt die Altersgrenze somit zumindest dafür, dass Berufsausübende erfasst werden, die die Eignung für das Amt nicht mehr erfüllen (Rn. 130 f.), sodass auch hierfür die Geeignetheit der Altersgrenze anzunehmen ist.

(cc) Erforderlichkeit

Die Regelung muss weiterhin auch erforderlich sein. Die Erforderlichkeit ist zu verneinen, wenn ein gleich wirksames Mittel zur Verfügung steht und dieses den Grundrechtsträger weniger und Dritte sowie die Allgemeinheit nicht stärker belastet.

Als milderes Mittel könnte eine allgemein auf das fünfundsiebzigste oder achtzigste Lebensjahr angehobene Altersgrenze in Frage kommen. Aufgrund der später eintreten Altersgrenze, wäre der Eingriff in die subjektive Berufswahlfreiheit geringer. Jedoch würde

„sich die Zahl der für den Berufsnachwuchs freiwerdenden Stellen jedenfalls in den Gebieten mit noch bestehendem Bewerberüberhang merklich verringerte. Ebenso verringerte sich die Zahl der altersbedingt nicht mehr ausreichend leistungsfähigen Notare, die von der Regelung erfasst werden“ (Rn. 134).

Auch eine Anknüpfung an die individuelle Leistungsfähigkeit könnte ein milderes Mittel darstellen (Rn. 135), denn das Erlöschen des Amtes anhand einer Leistungsüberprüfung wäre weniger eingriffsintensiv als ein genereller Ausschluss aufgrund einer starren Altersgrenze.

Allerdings:

„Eine Leistungsfähigkeitsprüfung im Einzelfall wäre jedoch in ihrer Wirksamkeit nicht gleichwertig, was die Zwecke der geordneten Altersstruktur im Interesse funktionstüchtiger Rechtspflege und der gerechten Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen betrifft. Denn legt man die Stellungnahmen des Deutschen Zentrums für Altersfragen und der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie zugrunde, wäre der Anteil der altersbedingt nicht mehr ausreichend leistungsfähigen Notare in der Altersgruppe ab dem vollendeten siebzigsten Lebensjahr eher gering. Dementsprechend führte die Regelung – ähnlich wie Maßnahmen nach § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO – voraussichtlich nur zum Ausscheiden einer relativ kleinen Zahl von Notaren. Dies verringerte die Zahl der freiwerdenden Stellen im Vergleich zur jetzigen starren Altersgrenze“ (Rn. 136).

Auch eine örtliche Beschränkung auf Amtsbezirke, die einen Bewerberüberhang verzeichnen, jedoch würde dies nicht zu einer dauerhaften und verlässlichen Festlegung der Altersgrenze führen und mit erheblichen Unsicherheiten sowohl für die älteren Notare als auch für Rechtssuchende verbunden und zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand führen (Rn. 139).

Gleiches gilt für eine Herabsetzung der Zugangsvoraussetzungen, die ebenfalls die verminderte Leistungsfähigkeit im Alter unberücksichtigt ließen und möglicherweise zu Qualitätseinbußen für Rechtssuchenden führen würden (Rn. 142).

Somit ist die Erforderlichkeit der Regelung gegeben.

(dd) Verhältnismäßigkeit i.e.S.

Maßgeblich für die Verhältnismäßigkeit ist eine Abwägung der sich widerstreitenden Interessen. Es bedarf hierbei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere der Belastung und dem verfolgten Zweck. Dabei darf der Zweck nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehen.

Fraglich ist aber zunächst, welche Anforderungen an den Zweck zustellen sind. Zwingend zu beachten ist hierfür die vom BVerfG entwickelte Drei-Stufen-Lehre, die vorgibt, welche Anforderungen an den Zweck zu stellen sind (BeckOK/Ruffert, Art. 12 GG, Rn. 93). Die Anforderungen, die an die Rechtfertigung gestellt werden, hängt somit von der Eingriffsintensität ab.

Es bedarf somit einer Einordnung, ob die gesetzliche Altersgrenze eine Berufsausübungsreglung oder eine subjektive oder objektive Berufswahlregelung darstellt.

Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG, Beschl. v. 16.6.1959 – 1 BvR 71/57, BVerfGE 9, 338 (345); BVerfG, Beschl. v. 21.6.1989 – 1 BvR 32/87, BVerfGE 80, 257 (264)) handelt es sich bei der Festlegung einer Altersgrenze um eine subjektive Berufswahlbeschränkung (Dürig/Herzog/Scholz/Remmert, Art. 12 Abs. 1 GG, Rn. 204). Begründet wird dies damit, dass die Leistungsfähigkeit und damit individuelle Fähigkeiten mit dem Alter verbunden ist und somit in der Verantwortungssphäre des Berufstätigen liegt (Dürig/Herzog/Scholz/Remmert, Art. 12 Abs. 1 GG, Rn. 204).

Es bedarf somit im Rahmen der Rechtfertigung des Schutzes eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes (BeckOK/Ruffert, Art. 12 GG, Rn. 97).

Berücksichtigung verdienen hierbei aber insbesondere die Schutzdimensionen des Art. 12 I GG, die sich einerseits auf die Entfaltung der Persönlichkeit bezieht, andererseits aber auch – natürlich – einen wirtschaftlichen Bezug aufweist (Rn. 103, 146).

Voraussetzung ist somit zunächst, dass die vom Gesetzgeber durch die Regelung verfolgten Ziele, Gemeinwohlbelange von erheblichem Gewicht schützen.

Die Funktionsfähigkeit der vorsorgenden Rechtspflege ist im Hinblick auf bestimmte Rechtsgeschäfte, die dem materiellen Recht folgend eine bestimmte Form erfordern, durchgeführt werden können. Dadurch wird sichergestellt, dass Rechtssuchende ihre durch das Grundgesetz – namentlich Art. 6 I, Art. 9 I, Art. 12 I und Art. 14 I GG – geschütztes Rechtsposition auch sicher wahrnehmen können (Rn. 161). Ein wichtiges Gemeinwohl liegt damit vor. Gleiches gilt für die ebenfalls bezweckte Generationengerechtigkeit, denn Art. 12 I GG schützt auch die Möglichkeit potenzieller Berufsträger einen Beruf – den Notarberuf – zu ergreifen (Rn. 162).

Einerseits dient die Regelung der Verwirklichung und Aufrechterhaltung schützenswerter Gemeinwohlbelange. Andererseits bedarf es einer genauen Bestimmung der Eingriffsqualität, um eine interessensgerechte Abwägung durchführen zu können.

Fest steht, das es sich um eine subjektive Berufswahlregelung handelt. Die Regelung führt zu einem zwingenden Erlöschen des Amtes, das aufgrund der Unverfügbarkeit des Alters auch alternativlos ist. Es bestehen zudem keine Ausnahmereglungen, die eine Möglichkeit der Anpassung vorsehen. Mitunter sind beide Schutzdimensionen des Art. 12 I GG, sowohl die Sicherung der wirtschaftlichen Lebensgrundlage als auch die Persönlichkeitsentfaltung erfasst. Es handelt sich dementsprechend um einen erheblichen Eingriff.

Fraglich ist, welche Rechtsposition nun überwiegt. Dafür ist auch von erheblicher Bedeutung, inwiefern die Altersgrenze – momentan – die Altersgrenze zu einer Verwirklichung der Gemeinschaftsgüter führt.

Für die Altersgrenze kann zunächst aufgeführt werden, dass sie weiterhin die Gefahren der sinkenden altersbedingten Leistungsfähigkeit berücksichtigt (Rn. 180, 184). Dagegen spricht aber, dass die abnehmende Leistungsfähigkeit nicht die Regel ist und ein Großteil der Amtsträger auch empirisch nachweisbar noch mit siebzig in der Lage ist, die Aufgaben des Amtes den Ansprüchen gemäß durchzuführen. Der Grad der Verwirklichung dieses Ziels ist somit gering.

Des Weiteren besteht in der Mehrzahl der Oberlandesgerichtsbezirke ein Mangel an Bewerbungen für das Anwaltsnotariat. Das basiert einerseits an der gesellschaftlichen Veränderung aufgrund des demographischen Wandels, aufgrund dessen ein Rückgang von niedergelassenen Rechtsanwälten festzustellen ist, die maßgeblich für das Amt in Betracht kommen (Rn. 170). Andererseits sind auch veränderte berufliche Präferenzen der jüngeren Generation – 2023/24 strebten nur 18% perspektivisch die Tätigkeit des Anwaltsnotars an – ausschlaggebend für den erhöhten Bewerbermangel (Rn. 172). Damit verbunden besteht nur eine geringe Zweckerreichung, die sich aus der Regelung der Altersgrenze ergibt.

„Konnte die Altersgrenze zum Zeitpunkt ihrer Einführung infolge einer zunehmenden Zahl von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die ins Anwaltsnotariat strebten, jedenfalls die mit ihr verfolgten Zwecke, im Interesse funktionstüchtiger Rechtspflege eine geordnete Altersstruktur innerhalb des Notarberufs und eine gerechte Verteilung der Berufschancen zu erreichen, erheblich fördern, so ist dies heute nicht mehr der Fall. Die tatsächlichen Umstände haben sich gewandelt. Zwar gilt weiterhin, dass mit der Altersgrenze schützenswerte Gemeinwohlbelange von erheblichem Gewicht verfolgt werden, die zu erreichen sie auch im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet ist. Ein im Verhältnis zur Altersgrenze milderes Mittel ist nicht ersichtlich. Jedoch ist ihre Bedeutung für die Erreichung der Zwecke der funktionstüchtigen Rechtspflege und der gerechten Verteilung der Berufschancen aufgrund des fast flächendeckenden Bewerbermangels im Anwaltsnotariat evident geschwunden. Der Bewerbermangel ist zeitlich nachhaltig; er hat sich – wie oben dargestellt – über Jahre verstetigt und ist auch dem Gesetzgeber schon länger bekannt“ (Rn. 183).

Zwar bestehen grds. wichtige Gemeinwohlbelange, die durch die Altersgrenze erreicht werden sollen, allerdings steht das Maß der Belastung nicht mehr in einem tragfähigen Verhältnis zu der geringen Zweckerreichung, die zum hiesigen Zeitpunkt aus der Regelung erwachsen.

Die Reglung erweist sich somit nicht als Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.

(ee) Zwischenergebnis

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist nicht gewahrt worden.

(c) Zwischenergebnis

Die Regelung ist materiell verfassungswidrig.

(3) Zwischenergebnis

Der Eingriff ist nicht gerechtfertigt.

dd) Ergebnis

Die Verfassungsbeschwerde ist bezüglich der § 47 Nr. 2 Var. 1, § 48a BNotO begründet.

b) BGH-Urteil

„Das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Urteil des Bundesgerichtshofs hat trotz der hier festgestellten Unvereinbarkeit der Regelung der Altersgrenze mit Art. 12 Abs. 1 GG Bestand, weil die Regelung mit den genannten Maßgaben weiter anzuwenden ist (vgl. BVerfGE 158, 282 <388 Rn. 261>; 166, 196 <289 Rn. 247> – Gefangenenvergütung II). Die Verfassungsbeschwerde bleibt deshalb ohne Erfolg, soweit sie sich gegen diese Entscheidung richtet (vgl. BVerfGE 115, 276 <319>.“ (Rn. 191).

3. Endergebnis

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und (teilweise) begründet und hat somit (teilweise) Aussicht auf Erfolg.

IV. Einordnung der Entscheidung

Die Entscheidung zur Altersgrenze bei Anwaltsnotaren ist seit längerer Zeit mal wieder eine, die zum Berufsrecht ergangen ist. Zwar wird die Altersgrenze für das Anwaltsnotariat als verfassungswidrig erklärt, dennoch bleibt die Regelung bis zum 30. Juni 2026 in Kraft. Danach muss der Gesetzgeber tätig werden, möchte er weiterhin auch eine Regelung für Anwaltsnotare normiert haben. Wie er darauf reagieren wird, ist noch unklar. Jedenfalls ist das Urteil eine Absage an eine harte Altersgrenze. Darin kann aber keine Versagung grundsätzlicher Art gesehen werden. Vielmehr besteht wohl die Möglichkeit eine Altersgrenze zu schaffen, die Ausnahmeregelungen vorsieht. Zudem besteht auch die Möglichkeit, dass sich die Bundesländer, in denen es noch das Anwaltsnotariat gibt, von diesem abwenden und auch das Nur-Notariat einführen.

Gleichzeitig könnte die Entscheidung – das bleibt jedoch abzuwarten – ein Startschuss für die gerichtliche Überprüfung weiterer gesetzlicher Altersgrenzen, z.B. von Piloten sein. Allerdings sind Notare anders als z.B. Piloten primär nicht auf eine schnelle kognitive Informationsverarbeitung angewiesen, sodass hier keine automatische Gleichsetzung gegeben ist (Rn. 179). Außerdem gilt dies wohl nicht für Berufe, bei denen ein rein öffentliches Amt ausgeübt wird, denn die Entscheidung bezieht sich doch eindeutig auf die Altersgrenzen bei freien Berufen.

14.10.2025/0 Kommentare/von Maximilian Drews
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maximilian Drews https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maximilian Drews2025-10-14 12:35:482025-10-14 12:35:52Die gesetzliche Altersgrenze für Anwaltsnotare ist verfassungswidrig
Redaktion

Lösungsvorschlag für die Zivilrecht I Klausur aus dem Mai 2024

Aktuelles, Examensreport, Nordrhein-Westfalen, Uncategorized, Zivilrecht

Im Mai 2024 hat uns Laura ein Gedächtnisprotokoll zur ersten Zivilrechtsklausur des Mai-Durchgangs 2024 in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung gestellt. Nun hat Lorenz Fander, der jene Klausur selbst abgelegt hat, dankenswerterweise den dazu passenden Lösungsvorschlag formuliert. Hier wie dort gilt jedoch, dass juraexamen.info keine Gewähr dafür geben kann, dass die in den Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht und der Lösungsvorschlag vollständig ist.

Sachverhalt

Die 17-jährige J macht (mit Einverständnis der Eltern) ein Praktikum bei der X-GmbH, welche im Bereich der Umwelttechnik tätig ist. Die J und ihre Eltern besuchen gerne Sternerestaurants und sie interessiert sich für Fine-Dining. Als die Geschäftsführerin G der X-GmbH davon erfährt, bittet Sie die J am Wochenende für die G und ihren Partner ein 2 Sterne Restaurant auszusuchen und verbindlich und kostenpflichtig für G und ihren Partner für den 24.11 zu buchen. Für ihre Mühen würde die J 50 Euro Vergütung erhalten.

Am Freitag nimmt die J direkt telefonisch mit dem Koch K Kontakt auf und informiert sich über sein Angebot.

Am Samstagmittag des 28.10 schreibt die J dann eine E-Mail (von ihrem privaten E-Mailkonto) an den K, dass sie zwei Plätze in seinem Restaurant für ein Feinschmeckermenü mit Weinbegleitung in Höhe von 400 Euro im Namen von G buchen möchte. Die E-Mail unterzeichnet sie mit „i.V. J“.

Am Montag, den 30.10 bestätigt der K die Buchung per E-Mail.

Am 31.10 erfährt die J, dass die G am Samstagmorgen, noch bevor sie die E-Mail versendet hat, bei einem Unfall gestorben ist. Die J ist davon so erschüttert, dass sie vergisst dem K Bescheid zu geben.

Die G hat die X-GmbH (Geschäftsführer wird F) mittels wirksamen Testaments als Alleinerbin eingesetzt.

Am 24.11 bleiben die gebuchten Plätze im Restaurant frei. Der K sparte dadurch 100 Euro, die er ansonsten für Lebensmittel und Getränke ausgegeben hatte. Er wendet sich an die X-GmbH und möchte die 800 Euro haben, die er eigentlich von G bekommen hätte. Die X-GmbH meint sie hätte von nichts gewusst und wenn dann müsste er sich an die J wenden.

J meint sie hätte nur das getan was die G ihr aufgetragen hat. Die Eltern der J wenden ein, dass sie der J sowas nicht erlaubt haben und schon gar nicht am Wochenende.

Frage 1: Hat K einen Anspruch gegen die X-GmbH?

Frage 2: Hat K einen Anspruch gegen J?

Fallfortsetzung:

Ein Jahr später reicht die mittlerweile volljährige J Klage beim örtlich zuständigen Amtsgericht ein, da sie der Meinung ist, ihr stehen noch die 50 Euro zu. Zum mündlichen Verhandlungstermin erscheint die J ohne anwaltliche Vertretung, die X-GmbH erscheint trotz ordnungsgemäßen Termin nicht. Die J beantragt daher ein Versäumnisurteil gegen die X-GmbH.

Frage 3: Hat die Klage der J Erfolg?

Lösungsvorschlag

Frage 1: Ansprüche des K gegen die X-GmbH

A. K könnte einen Zahlungsanspruch gegen die X-GmbH aus §§ 631 I, 1922 I, 1967 I BGB haben.

I. Dafür müsste zwischen K und G ein wirksamer Werkvertrag geschlossen worden sein und die nach § 13 I GmbHG rechtsfähige X-GmbH müsste nach §§ 1922, 1967 1 BGB in die Rechte und Pflichten des G eingetreten sein.

1) K und G müssten einen Werkvertrag geschlossen haben. Dazu sind zwei übereinstimmende Willenserklärungen, namentlich Angebot und Annahme (§§ 145 f. BGB) notwendig.

a) Zunächst kommt eine Einigung im Rahmen eines Telefonats am 27.10.2023 in Betracht. G trat allerdings nicht selbst gegenüber K auf. J könnte sich jedoch nach § 164 I 1, III BGB mit Wirkung für und gegen G mit K auf einen Vertragsabschluss geeinigt haben.

Dafür müsste sie zunächst eine eigene Willenserklärung abgegeben haben. Erforderlich ist insoweit ein Handeln mit äußerem Rechtsbindungswillen. Es ist von bloßen Vertragsverhandlungen ohne Rechtsbindungswillen abzugrenzen. Ob eine Partei mit Rechtsbindungswillen handelt, ist aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Die Anfrage der J, ob noch Tische frei seien, war erkennbar noch nicht auf das Herstellen einer Bindung ausgerichtet. Sie wollte vielmehr allgemein die Kapazitäten erfragen. Demnach liegt darin noch kein Angebot, sondern (falls J bewusst war, dass K nur verbindliche Buchungen vornimmt) die Aufforderung an K, er solle selbst ein Angebot abgeben (invitatio ad offerendum).

b) J und K könnten sich jedoch, wiederum mit Wirkung für und gegen G nach § 164 I 1, III BGB, am Mittag des 28.10.2023 geeinigt haben. Am Mittag des 28.10.2021 war G jedoch bereits in Folge eines Kletterunfalls verstorben. Somit konnte er jedenfalls nicht verpflichtet werden. Ob demnach eine Einigung vorliegt kann hier dahinstehen.

2) G und K schlossen keinen Werkvertrag.

3) Demnach gab es auch keinen Vertrag in den die Erben durch den Erbfall hätten eintreten können.

II. K hat keinen Zahlungsanspruch gegen die X-GmbH aus §§ 631 I, 1967 I BGB.

B. K könnte gegen die X-GmbH jedoch einen Zahlungsanspruch aus § 631 I BGB haben.

I. Dazu müsste ein Vertrag zwischen K und der X-GmbH zustande gekommen sein.

1) Die X-GmbH ist als juristische Person nicht selbst handlungsfähig. J gab mit ihrer Mail jedoch ein Angebot ab, dass K mit der Buchungsbestätigung annahm. Diese Einigung könnte nach § 164 I 1, III BGB für und gegen die X-GmbH wirken.

a) J gab eine eigene Willenserklärung ab.

b) Sie müsste in fremdem Namen gehandelt haben. Sie handelte zwar im Namen der G. Vorliegend geht es jedoch um die Verpflichtung der X-GmbH, sodass fraglich ist, ob sie tatsächlich für und gegen die X-GmbH handelte.

J gab jedoch nicht nur an für G zu handeln, sondern unterzeichnete zudem mit dem Zusatz i. V. J. Sei brachte somit zum Ausdruck jedenfalls nicht selbst verpflichtet werden zu wollen. Gleichzeitig war die X-GmbH nach § 1922 BGB Alleinerbin der G. Mithin trat sie mit dem Todesfall unmittelbar (Vonselbsterwerb, § 1942 I BGB) in die Rechte und Pflichten der G ein, §§ 1922 I, 1967 BGB. Handelt eine Person erkennbar mit dem Willen jedenfalls nicht selbst verpflichtet werden zu wollen ist anzunehmen, dass sie für den unmittelbar benannten hilfsweise aber zumindest im Namen seiner Erben handeln will. Dies ist für den Rechtsverkehr auch sachgerecht, da die Haftungsmasse, auf die sich der Vertragspartner tatsächlich einlässt, mit der übereinstimmt, die auf die Erben übergeht. Zudem kann der Erbfall auch jederzeit nach Vertragsschluss eintreten. Auch in diesem Fall würden nur die Erben haften. Demnach ist das Offenkundigkeitsprinzip gewahrt.

c) J müsste mit Vertretungsmacht gehandelt haben.

aa) Zunächst könnte eine rechtsgeschäftliche Vollmacht am 25.20.2023 erteilt worden sein, § 167 I Var. 1 BGB. G gab der J auf das Geburtstagsgeschenk zu organisieren und eine verbindliche und kostenpflichtige Buchung für sich und ihren Partner durchzuführen. Somit erteilte sie der J Vertretungsmacht.

Fraglich ist, ob diese einseitige Willenserklärung der J als 17-jähriger Praktikantin überhaupt zugehen konnte, § 131 I 1, 2 BGB. J ist nämlich nach §§ 2, 106 BGB in der Geschäftsfähigkeit beschränkt.

Dies wäre abzulehnen, wenn die Erteilung der Vertretungsmacht einen rechtlichen Nachteil brächte, sprich dem Minderjährigen ein Recht entzieht, ihn in einem Recht beschränkt, oder verpflichtende Wirkung hätte. Die Stellung als Stellvertreter ist für den Minderjährigen jedoch rechtlich neutral, schließlich wird er nicht selbst verpflichtet. Sie ist demnach nicht rechtlich nachteilig. Dies ergibt sich auch schlüssig aus § 165 BGB. Demnach konnte die Bevollmächtigungserklärung wirksam nach § 131 I 2 BGB zugehen. J wurde wirksam bevollmächtigt.

bb) Fraglich ist, ob die Vollmacht durch den Tod der G am Morgen des 28.10.2023 erloschen ist. In diesem Fall hätte J als Vertreterin ohne Vertretungsmacht gehandelt und der Vertrag wäre im Grundsatz nach § 177 I BGB schwebend unwirksam.

(1) Grundsätzlich treten die Erben vollständig in die Rechte und Pflichten des Erblassers ein. Dies gilt auch für erteilte Bevollmächtigungen.

(2) Die Vollmacht könnte jedoch nach § 168 S. 1 BGB erloschen sein. Dazu müsste das ihrer Erteilung zugrundeliegende Rechtsverhältnis erloschen sein. Als solches kommt ein Geschäftsbesorgungsvertrag mit werkvertraglichem Charakter nach §§ 675 I, 631 BGB in Betracht.

Dieser müsste jedoch überhaupt wirksam zustande gekommen sein. Unabhängig vom tatsächlichen Inhalt und Rechtscharakter eines etwaigen Vertrages müsste eine wirksame Einigung vorliegen.

(a) G gab ein entsprechendes Angebot ab. Der Erhalt eines Angebots erweitert die Rechtsstellung des Minderjährigen sodass dieses auch nach § 131 I 2 BGB zugehen kann.

(b) Dieses Angebot nahm J auch an, als sie zusagte.

(c) Der Vertrag könnte jedoch schwebend unwirksam sein, § 108 BGB.

J ist beschränkt geschäftsfähig und die Annahme eines Angebots auf Abschluss eines Vertrages, der zur Vornahme eines Geschäfts verpflichtet, begründet eine rechtliche Verpflichtung. Die Annahme ist demnach rechtlich nachteilig.

Somit war eine Einwilligung (§§ 107, 182 BGB) respektive Genehmigung (§ 184 BGB) der gesetzlichen Vertreter, also der Eltern §§ 1626 I, 1629 I 1BGB, notwendig.

Eine Einwilligung könnte in dem Einverständnis mit dem Tätigwerden im Rahmen des Praktikums erteilt worden sein. Die Tätigkeit als Praktikant bei einem Unternehmen in der Umwelttechnik geht jedoch regelmäßig nicht mit Aufträgen einher, Restaurantbesuche für den Geschäftsführer zu buchen. Die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter im Vorhinein des Praktikums erfasst die die Zustimmung zum Abschluss eines Vertrages, in welchem sich J verpflichtet entgeltlich auf Geheiß der G tätig zu werden, somit nicht.

Möglicherweise folgte die Fähigkeit den Vertrag abzuschließen jedoch aus § 113 1 1 BGB. Demnach ist ein Minderjähriger, der mit Zustimmung im Rahmen des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses tätig wird befugt, Verpflichtungen einzugehen, die sich aus der Erfüllung des Verhältnisses ergeben. Zwar kann ein Praktikum, sei es auch unentgeltlich, grundsätzlich dem Sinn und Zweck nach den von § 113 I 1 BGB erfassten Dienst- und Arbeitsverhältnissen gleichgestellt werden. Die Buchung eines Restaurants ist jedoch keine sich aus dem Praktikumsverhältnis ergebende Verpflichtung. Sie hat mit den dort bezweckten Zielen (Einblick in die Arbeit, erste Erfahrungen im Berufsleben) nichts zu tun. Demnach erfasst auch § 113 I 1 BGB nicht das vorliegende Geschäft.

Auch ist die Tätigkeit im Rahmen der Geschäftsbesorgung wegen fehlender Instruktion, Überwachung und Hilfestellung nicht mit der Tätigkeit als Praktikant vergleichbar. Demnach ist das Geschäft auch nicht als Verhältnis derselben Art im Sinne des § 113 IV BGB aufzufassen.

J hatte unter keinem Gesichtspunkt die Befugnis sich zum Abschluss des Vertrages zu verpflichten. Demnach war der Vertag zunächst schwebend unwirksam (§ 108 I BGB). Durch die Erklärung der Eltern gegenüber J mit dem Geschäft nicht einverstanden zu sein, ist der Vertrag endgültig unwirksam geworden.

(d) Demnach gibt es kein zugrundeliegendes Rechtsgeschäft. Auf die Zweifelsregelung des §§ 675 I, 672 S. 1 BGB die sich ausdrücklich mit dem Tod des Geschäftsherrn befasst, kann demnach nicht unmittelbar abgestellt werden.

(3) Möglicherweise könnte der Rechtsgedanke der §§ 675 I, 672 S. 1 BGB, auch wegen der Anordnung des § 168 S. 1 BGB, entsprechend heranzuziehen sein. Insbesondere könnte eine Regelungslücke vorliegen, weil der Gesetzgeber den Fall der isolierten Vollmacht nicht speziell geregelt hat. Der § 672 S. 1 BGB enthält jedoch ohnehin nur eine Vermutung, die vorliegend widerlegt sein könnte. Entscheidend ist, ob die Auslegung der Vollmacht ergibt, ob sie über den Tod hinaus gelten soll.

Die X-GmbH führt aus, sie könne mit einer Restaurantbuchung nichts anfangen. Sie bringt damit zum Ausdruck, dass der Vertragsschluss für sie subjektiv unbrauchbar ist. Für die Auslegung der Vollmacht kommt es allerdings auf den Willen des Erteilenden im Zeitpunkt der Erteilung, nicht auf den Willen seiner Erben an. Dieser Wille ist aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts zu ermitteln. Die Interessen der Erben sind auch beim Fortbestehen der Vollmacht durch die Möglichkeit des Widerrufs nach dem Tod (§ 168 S. 2 BGB) gewahrt.

Besonders bei Leistungen mit hohem persönlichen Einschlag kann der Wille des Bevollmächtigenden nicht ohne weiteres dahingehend ausgelegt werden, die Bevollmächtigung solle fortgelten. Zwar kann ein Abendessen im Grundsatz auch ebenso gut durch andere Personen als den Erblasser wahrgenommen werden. Die Buchung eines Feinschmeckermenüs mit Weinbegleitung hat allerdings einen sehr persönlichen Einschlag. Nur wenige Menschen geben 400 € für ein Abendessen zu zweit aus. Zudem sollte das Abendessen als Geburtstagsgeschenk für den Lebenspartner der G erfolgen. Somit gab der Erblasser zu erkennen, dass diese Leistung ganz persönlich ist. Es ist nicht davon auszugehen, dass er wollte, dass andere Personen diese Leistung wahrnehmen. Das Essen im Restaurant zwischen zwei Lebenspartnern aus Anlass eines Geburtstages ist ein besonders intimer Moment. Auch im Hinblick darauf wurde eine Vollmacht erteilt, die besonders hochpreisige Lokale erfasst.

Die Auslegung der Vollmacht ergibt daher, dass ihre Geltung auf die Lebzeit der G beschränkt sein sollte. Auch wenn die Zweifelsregelung des § 672 S. 1 BGB entsprechend heranzuziehen sein sollte, wäre sie vorliegend widerlegt.

(4) Die Vollmacht ist durch den Tod erloschen.

cc) J handelte ohne Vollmacht.

d) Die X-GmbH wurde nicht wirksam Vertreten. Die Einigung zwischen J und K wirkt nicht gegen die X-GmbH.

2) Zwischen K und der X-GmbH ist kein wirksamer Vertrag zustande gekommen.

K hat gegen die X-GmbH keinen Zahlungsanspruch aus § 631 I BGB.

C. K könnte jedoch einen Anspruch aus §§ 280, 311 I Nr. 3, 241 II BGB gegen die X-GmbH haben.

I. Es müsste ein vorvertragliches Schuldverhältnis bestehen.

1) Die X-GmbH begründete mit K kein eigenes vorvertragliches Schuldverhältnis.

2) G könnte jedoch mit K ein vorvertragliches Schuldverhältnis gem. § 311 I Nr. 3 BGB begründet haben, in welches die X-GmbH nach §§ 1922 I, 1967 I BGB eingetreten ist. Es könnte durch das Telefonat am 27.10.2023 zustande gekommen sein.

J informierte sich im Rahmen des Telefonats auf Veranlassung der G über einen möglichen Vertragsschluss mit K. Die Parteien befanden sich somit in geschäftlichem Kontakt. Insbesondere waren auch beide Parteien im Grundsatz an einer rechtsgeschäftlichen Einigung interessiert. Zum Zeitpunkt des Telefonats war J auch noch wirksam vom G Bevollmächtigt. J machte ihre Vertretung im Namen der G zwar noch nicht öffentlich, stellte den geschäftlichen Kontakt aber gerade für sie und in ihrem Interesse her.

Demnach lag ein vorvertragliches. Schuldverhältnis zwischen G und K vor. In dieses ist die X-GmbH nach §§ 1922 1, 1967 I BGB eingetreten.

II. Die X-GmbH müsste eine Rücksichtnahmepflicht verletzt haben, § 241 II BGB. Die Parteien sind insbesondere verpflichtet auf die Gegenseitigen Vermögensinteressen zu achten. Vorliegend veranlasste die X-GmbH keinen Hinweis an K, dass die Reservierung des Tisches nicht wahrgenommen werden würde. K ging jedoch davon aus, dass ein wirksamer Vertrag besteht und G das Restaurant mit ihrer Begleitung aufsuchen würde. Somit bestand bei ihm ein Irrtum (über den Tod der G), den die X-GmbH durch eine Hilfsperson hätte aufklären müssen. Nur so hätte der K seine unternehmerischen Planungen noch rechtzeitig anpassen können.

Eine Pflichtverletzung liegt vor.

III. Die X-GmbH müsste diese zu vertreten haben. Sie ist jedoch selbst nicht handlungsfähig, sodass nur eine Verschuldenszurechnung in Betracht kommt.

1) Ihr könnte analog § 31 BGB ein Verschulden ihres Geschäftsführers F zuzurechnen sein. Dazu müsste F jedoch nach § 276 I 1 BGB vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben. F wusste nichts von der Reservierung sodass vorsätzliches Handeln ausscheidet. Er müsste demnach die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außeracht gelassen haben, § 276 I BGB. Möglicherweise hätte er sich über die zum Zeitpunkt des Todes bestehenden Bevollmächtigungsverhältnisse informieren müssen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass ihm dazu Informationsquellen offenstanden. Insbesondere kann von den Erben nicht gefordert werden sich über jedes im Einzelnen bestehende rechtliche Verhältnis des Erblassers innerhalb eines Monats Klarheit zu verschaffen. Eine Nachforschungspflicht besteht vielmehr erst bei konkreten Anhaltspunkten, die vorliegend nicht bestanden.

F trifft demnach kein Verschulden. Demnach kann der GmbH auch kein Verschulden analog § 31 BGB zugerechnet werden.

2) Möglicherweise ist ihr aber ein Verschulden der J nach § 278 BGB zuzurechnen.

a) Ein Schuldverhältnis zwischen der X-GmbH und K bestand in Form des übergegangenen vorvertraglichen Schuldverhältnisses.

b) J müsste Erfüllungsgehilfin sein. Dies ist jede Person, die mit Wissen und Wollen des Anspruchsgegners in dessen Pflichtenkreis tätig wird.

Der von § 278 BGB erfasste Pflichtenkreis ist dabei weit zu verstehen. Erfasst sind auch Nebenpflichten aus § 241 II BGB, die in Folge des vorvertraglichen Schuldverhältnisses bestanden. J war diejenige, die den geschäftlichen Kontakt zu K aufbaute. Demnach nahm sie auch folgend die Nebenpflichten aus § 241 II BGB gegenüber K für die X-GmbH wahr.

Fraglich ist aber, ob dies mit Wissen und Wollen geschah. Die X-GmbH hatte nämlich grundsätzlich keine Kenntnis von den Handlungen der J. Sie trat jedoch umfassend in die Rechtsstellung des G ein. Dass die vorvertragliche Sorgfaltspflicht durch den Tod nicht unterbrochen wurde, wurde bereits festgestellt. Demnach kann auch die Stellung als Erfüllungsgehilfin diesbezüglich nicht mit dem Tod enden. Die X-GmbH muss sich das Wissen und Wollen von G zurechnen lassen, wenn sie, wie geschehen, umfassend in dessen Rechtsstellung eintritt. Somit nahm J mit Wissen und Wollen der X- GmbH Pflichten aus § 241 II BGB wahr.

c) J müsste ein Verschulden vorzuwerfen sein. Spätestens einige Wochen nach dem Tod, hätte es trotz etwaiger Trauergefühle der üblichen Sorgfalt entsprochen, dem K Bescheid zu geben. Sie ließ demnach die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht, als sie vergaß die Tischbuchung abzusagen.

d) Der X-GmbH ist das Verschulden der J zuzurechnen, § 278 BGB.

3) Die X-GmbH hat die Pflichtverletzung zu vertreten.

IV. Es müsste ein kausaler Schaden entstanden sein.

1) Ein Schaden ist eine unfreiwillige Vermögenseinbuße. Ob eine solche vorliegt wird anhand eines Vergleiches zwischen der gegebenen und der hypothetisch ohne die Pflichtverletzung bestehenden Vermögenslage ermittelt (Differenzhypothese). Hätte die X- GmbH einen Hinweis an K veranlasst, hätte dieser den Tisch anderweitig vergeben und 800 € verdient. Demnach liegt grundsätzlich eine unfreiwillige Vermögenseinbuße in dieser Höhe vor.

Gemäß den Grundsätzen des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots, müssen jedoch kausal auf der Schädigung beruhende Vorteile angerechnet werden (Vorteilsanrechnung). Demnach sind die ersparten Aufwendungen in Höhe von 100 € für Essen und Getränke abzuziehen.

Der Schaden in Höhe von 700 € ist als entgangener Gewinn nach § 252 S. 1 BGB ersatzfähig.

2) Der Schaden müsste auch kausal angefallen sein. Die Äquivalenz ist bereits durch die Differenzhypothese belegt. Der Schaden ist auch nicht außergewöhnlich, sondern typischerweise auf das Ausbleiben eines Hinweises zurückzuführen, sodass er auch adäquat kausal war. Auch der Schutzzweckzusammenhang besteht.

V.K hat gegen die X-GmbH einen Anspruch aus §§ 280 1, 311 I Nr. 3, 241 II BGB auf Zahlung von 700 €.

D. Ergebnis: K hat gegen die X-GmbH einen Anspruch auf Zahlung von 700 € aus §§ 280 I, 311 I Nr. 3, 241 II BGB.

Frage 2: Ansprüche des K gegen J

A) K könnte gegen J einen Anspruch auf Zahlung aus § 179 I Var. 2 BGB haben.

I. Dafür müsste J einen Vertrag als Vertreterin ohne Vertretungsmacht geschlossen haben.

K verlor die Vertretungsmacht infolge des Todes. Demnach handelte sie als Vertreterin Ohne Vertretungsmacht, als sie sich mit K im Namen des G einigte.

II. Der Anspruch könnte jedoch nach § 179 III 2 BGB ausgeschlossen sein.

Der Vertreter haftet nicht, wenn er in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt war, es sei denn, dass er mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters gehandelt hat.

J ist nach §§ 2, 106 BGB in ihrer Geschäftsfähigkeit beschränkt. Wie bereits bezüglich des Geschäftsbesorgungsvertrags mit G festgestellt, waren die Eltern mit dem Tätigwerden für G nicht einverstanden. Anderes ergibt sich ebenfalls nicht aus §§ 113 I 1, IV BGB.

Demnach ist der Anspruch nach § 179 III 2 BGB ausgeschlossen.

III. K hat keinen Zahlungsanspruch gegen J aus § 179 I Var. 2 BGB.

B. K könnte gegen J einen Zahlungsanspruch aus §§ 280 1, 311 II, 241 Il BGB haben.

Anm.: Vertretbar kann § 179 BGB vorliegend als lex specialis eingeordnet werden.

I. Unabhängig von der Frage, ob neben dem vorvertraglichen Schuldverhältnis mit G auch ein solches mit J zustande kommen konnte, müssten die Vorschriften der c.i.c. überhaupt auf beschränkt Geschäftsfähige Anwendung finden.

Gegen eine Anwendung spricht, dass die Haftung aus §§ 280 1, 311 II, 241 II BGB aus quasi-vertraglichen Grundsätzen hergeleitet wird. Vertraglich konnte sich J aber nicht verpflichten (§ 108 BGB). Auch systematisch spricht der § 179 III 2 BGB gegen eine Anwendung, da § 179 I BGB ebenfalls ein Fall der quasi-vertraglichen Haftung ist. Der Rechtsgedanke, dass eine solche nur bei Zustimmung des gesetzlichen Vertreters in Frage kommt, kann aus § 179 III 2 BGB übertragen werden.

Anderes könnte sich nur ergeben, wenn man statt der §§ 106 ff. BGB wegen des schadensrechtlichen Charakters des Anspruchs primär auf § 828 III BGB zurückgreift. Dagegen spricht jedoch, dass quasivertragliche Schuldverhältnisse eher dem Vertragsrecht als dem Deliktsrecht nahestehen. Der Schutz des Minderjährigen ist eines der höchsten Prinzipien des BGB. Er muss deshalb auch im Rahmen der Haftung aus §§ 280 1, 311 II, 241 II BGB den Ausschlag geben.

Demnach kommt eine Haftung aus vorvertraglicher Pflichtverletzung nicht in Betracht.

II. K hat keinen Zahlungsanspruch gegen J aus §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB.

C. Ein Anspruch aus § 823 I BGB scheidet mangels Rechtsgutsverletzung aus.

Anm.: Eine Verletzung des Rechts auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb scheitert jedenfalls an der fehlenden Betriebsbezogenheit des Eingriffs

D. Ergebnis: K hat keinen Zahlungsanspruch gegen J.

Frage 3: Erfolgsaussichten des Antrags

A. Der Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils wird Erfolg haben, wenn die formellen Voraussetzungen der Säumnis vorliegen, die Klage zulässig und das Vorbringen schlüssig ist.

I. Säumnis des Beklagten §§ 495 I, 331 ff. ZPO

1) Der Kläger müsste zunächst einen Antrag gestellt haben, §§ 495 I, 331 I 1 ZPO.

J beantragte den Erlass eines Versäumnisurteils. Es müssten jedoch auch die Prozesshandlungsvoraussetzungen vorliegen. K ist als nunmehr 18-jährige nach § 51 I ZPO prozessfähig. Vor den Amtsgerichten herrscht auch kein Postulationszwang, sodass eine anwaltliche Vertretung für das Stellen des Antrags nicht erforderlich war, vgl. § 78 ZPO.

2) Der Antrag wurde auch gem. §§ 495 I, 331 I 1 ZPO im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellt.

3) Die X-GmbH ließ sich von niemandem in der Verhandlung vertreten, sodass sie nicht erschien, §§ 495 I, 331 I 1 BGB.

4) Die Säumnisentscheidung dürfte nicht nach §§ 495 I, 335 I BGB unzulässig sein. Die X-GmbH wurde formgerecht geladen, sodass keine Anhaltspunkte für ein Ausschluss der Säumnis gegeben sind.

5) Anhaltspunkte für eine Vertagung von Amts wegen nach §§ 495 I, 337 ZPO sind nicht ersichtlich.

6) Demnach liegen die formellen Voraussetzungen für den Erlass eines Säumnisurteils vor.

II. Die Klage müsste zulässig sein.

1) Das Amtsgericht müsste zuständig sein.

a) Aufgrund des Streitwerts von 50 € ist das Amtsgericht nach § 1 ZPO in Verbindung mit § 23 Nr. 1 GVG sachlich zuständig.

b) Laut Sachverhalt war das konkrete Amtsgericht auf örtlich zuständig.

2) Die Parteien müssten Partei- und Prozessfähig sein.

a) Die G ist nunmehr partei- und prozessfähig, §§ 50, 51 I ZPO.

b) Die X-GmbH ist nach § 50 ZPO in Verbindung mit § 13 I GmbH parteifähig. Sie ist durch ihren Geschäftsführer nach § 51 I ZPO in Verbindung mit § 35 I 1 GmbHG im Prozess zu vertreten und damit prozessfähig.

3) Von einer ordnungsgemäßen Klageerhebung nach § 253 ZPO ist auszugehen.

4) Die Klage ist zulässig.

III. Die Klage müsste schlüssig sein. Dies ist der Fall, wenn der Anspruch des Klägers begründet ist, wenn sein tatsächliches Vorbringen zugrunde gelegt wird.

1) J könnte einen Zahlungsanspruch aus §§ 675 1, 631 I , 1967 BGB gegen die X-GmbH haben.

a) Der Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen J und G war jedoch nach § 108 BGB unwirksam. Zwar kann ein Minderjähriger ein schwebend unwirksames Geschäft nach § 108 III BGB selbst genehmigen, wenn er volljährig wird. Dies kommt jedoch nur solange in Betracht, wie das Geschäft nicht durch Versagung der Genehmigung durch die gesetzlichen Vertreter endgültig unwirksam ist. Die Eltern der J führten ihr gegenüber aus, sie seien mit der Tätigkeit nicht einverstanden, sodass sie die Genehmigung versagten und der Vertrag endgültig unwirksam wurde.

Demnach konnte J den Vertrag auch nicht selbst genehmigen. Es liegt kein wirksamer Geschäftsbesorgungsvertrag vor.

b) J hat keinen Zahlungsanspruch gegen die X-GmbH aus §§ 675 1, 631 I Var. 2, 1967 I BGB.

2) J könnte einen Zahlungsanspruch gegen die X-GmbH aus §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB haben.

a) Dazu müsste zunächst ein Geschäft geführt worden sein. Ein Geschäft ist jedes rechtsgeschäftliche oder tatsächliche Tätigwerden. Der Buchen des Feinschmeckermenüs ist ein rechtsgeschäftliches Tätigwerden. Somit führte J ein Geschäft.

b) Dieses Geschäft müsste fremd sein. Es müsste also ein den Rechtskreis eines Dritten fallen. Als J das Menü im Namen des J buchte, handelte sie im Rechtskreis seiner Erbin, mithin der X-GmbH. J verfolgte mit dem Tätigwerden jedoch auch eigene Interessen, nämlich die Erfüllung einer Verbindlichkeit bzw. die Erlangung der 50 €, sodass insoweit von einem auch- fremden Geschäft auszugehen ist.

c) J müsste mit Fremdgeschäftsführungswillen gehandelt haben. Das Vorliegen eines Fremdgeschäftsführungswillen wird bei auch-fremden Geschäften grundsätzlich vermutet. Fraglich ist, ob er jedoch vorliegend widerlegt ist. Die J handelte um ihre vermeintlichen Verpflichtungen aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag zu erlangen. Sie wollte nicht altruistisch zugunsten von G (oder der X-GmbH) tätig werden. Somit könnte man annehmen, dass sie bloß im eigenen Interesse handelte und keinen Fremdgeschäftsführungswillen zugunsten von G (oder der X-GmbH) hatte. Der Fremdgeschäftsführungswille droht zur bloßen Fiktion zu werden, wenn man ihn auch in solchen Fällen uneingeschränkt vermutet. Vor allem ist aber fraglich, ob die Anwendung der Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegend der Systematik des BGB entspricht. Für die Rückabwicklung von gescheiterten Verträgen ist nämlich grundsätzlich das Bereicherungsrecht zuständig. Es enthält Rückforderungssperren, insbesondere die §§ 814, 817 S. 2. BGB, deren Wertungen nicht umgangen werden dürfen. Weiterhin können in der Rückabwicklung nach § 818 I, I BGB die Interessen der verschiedenen Parteien besser berücksichtigt werden, da das Bereicherungsrecht stark wertungsabhängig ist.

Demnach handelte J vorliegend nicht mit Fremdgeschäftsführungswillen.

d) J hat keinen Anspruch gegen die X-GmbH aus §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB.

3) J könnte einen Anspruch aus § 812 I 1 Var. 1 BGB haben.

a) Die X-GmbH müsste etwas, also irgendeinen vermögenswerten Vorteil, erlangt haben. Man könnte bereits hier die Frage aufwerfen, ob der X-GmbH durch das Tätigwerden der J Aufwendungen erspart wurden. Dies ist jedoch eine Frage der Rechtsfolge (§ 818 I BGB) und für den Tatbestand irrelevant.

Die X-GmbH erlangte das Tätigwerden der J. Das Tätigwerden bezog sich nämlich entsprechend der obigen Ausführungen ab O dem Tod der G auf die X-GmbH.

b) Dies müsste durch Leistung geschehen sein. Leistung ist die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Dabei muss die Leistung bei § 812 I 1 Var. BGB zur Erfüllung einer vermeintlich bestehenden Verbindlichkeit oder donandi causa erfolgen.

J handelte zur Erfüllung einer vermeintlich bestehenden Verbindlichkeit gegenüber G, die mit ihrem Tod auf die X-GmbH übergegangen wäre. Es ist davon auszugehen, dass sie an denjenigen leisten wollte, der Inhaber der vermeintlichen Verbindlichkeit war, also die X-GmbH. Demnach leistete sie zur Erfüllung einer vermeintlichen Verbindlichkeit

c) Die Leistung rechtsgrundlos.

d) Somit ist das Erlangte von der X-GmbH herauszugeben. Eine Geschäftsbesorgung kann nicht in natura herausgegeben werden, sodass insoweit Wertersatz nach § 818 II BGB zu leisten ist.

Vorliegend könnte die X-GmbH aber nach § 818 I BGB entreichert sein. Sie selbst ersparte sich durch das Tätigwerden keine eigene Aufwendung. Dies tat nur G, die aber bereits verstorben war. Somit ist die X-GmbH nach § 818 I BGB entreichert.

e) J hat keinen Anspruch gegen die X-GmbH auf Zahlung von 50 €

4) Das Vorbringen ist nicht schlüssig.

B. Ergebnis: Der Antrag wird keinen Erfolg haben.

01.09.2025/1 Kommentar/von Redaktion
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-09-01 12:40:592025-09-02 10:54:28Lösungsvorschlag für die Zivilrecht I Klausur aus dem Mai 2024
Sören Hemmer

Das Entsperren und Auslesen von Smartphones zu Zwecken der Strafverfolgung

Rechtsprechung, StPO, Strafrecht, Strafrecht, Uncategorized

Dürfen sich Ermittlungspersonen Zugang zu dem Smartphone von Beschuldigten per Fingerscan oder Gesichtserkennung verschaffen? Diese Frage ist nicht nur praktisch bedeutsam und umstritten. Sie dürfte sich zudem als Gegenstand einer Examensprüfung eignen. Das benannte Problemfeld soll daher in dem folgenden Beitrag unter besonderer Würdigung der kürzlich ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. v. 13.03.2025 – 2 StR 232/24) beleuchtet werden.

A.  Einleitung

Der Auswertung von Smartphones kommt eine enorme Bedeutung in der Strafverfolgung zu. Die Aufklärbarkeit von Straftaten kann mit einem Einblick in das Telefon von Tatverdächtigen erheblich erleichtert werden, gegebenenfalls sogar stehen und fallen, denn häufig wird sich ein Großteil des Lebens von Beschuldigten in der einen oder anderen Form auf dem Gerät widerspiegeln (Horn, Kriminalistik 2019, 641; El-Ghazi, Verhandlungen des 74. Deutschen Juristentages, Band I, C 21 f.). Doch so praktisch wichtig dieser Zugang zu Daten sein mag, so kontrovers wird die Zulässigkeit seiner Einrichtung diskutiert.

Dies fängt bereits bei der Frage an, inwieweit durch BesitzerInnen eingerichtete Sicherungen gegen den ungewollten Zugriff überwunden werden dürfen. Ist das Telefon durch ein Passwort, eine PIN oder ein Entsperrungsmuster gesichert, würde es gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz und § 136a Abs. 1 StPO verstoßen, Beschuldigte zur entsprechenden Preisgabe zu zwingen (Bäumerich, NJW 2017, 2718 (2720); Momsen, DRiZ 2018, 140 f.; Nadeborn/Irscheid, StraFo 2019, 274 f.). Wenn also keine Bereitschaft besteht, die Entsperrung freiwillig herbeizuführen und auch nicht etwa eine Notiz der Zugangsdaten aufgefunden werden konnte – denn für so erlangte Zugangsdaten kommt eine Verwendung als Annexmaßnahme nach § 94 StPO in Betracht – (Bäumerich, NJW 2017, 2718 (2720)), kann es um die Chancen der Strafverfolgungsbehörden, die Daten auf dem Smartphone auszulesen, schlecht stehen. Je nach Gerät kann eine Entschlüsselung zeitaufwendig, teuer und dennoch wenig erfolgsversprechend sein (dazu Horn, Kriminalistik 2019, 641).

Ferner problematisch erscheint der Zugriff auf die Daten an sich. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2005 entschieden, dass grundsätzlich auch Datenträger und die darauf gespeicherten Daten nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 94 ff. StPO sichergestellt und beschlagnahmt werden können. Dem vorgelagert könne auch eine Durchsicht der Daten gemäß § 110 StPO erfolgen. Zwar habe die historische Gesetzgebung „Gegenstände“ als taugliche Objekte i.S.v. § 94 Abs. 1 StPO ursprünglich körperlich verstanden. Die Bedeutung von elektronischen Daten als Beweismittel sei jedoch noch nicht absehbar und eine entsprechende Begrenzung auch von der jüngeren Gesetzgebung nicht gewollt gewesen (vgl. BT-Drs. 7/2539, S. 11). Die in Anwendung der Vorschrift gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung lasse hinreichend Raum, um beeinträchtigte Grundrechte, insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, zu berücksichtigen. Zudem gewährleiste die Ausgestaltung des Verfahrens (vgl. §§ 110, 489, 491 StPO; Beweisverwertungsverbote zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen) einen effektiven Grundrechtsschutz (BVerfG, Beschl. v. 12.04.2005 – 2 BvR 1027/02, BVerfGE 112, 29 (44 ff.)).

Während einerseits zu fragen ist, ob mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung – gegenüber dem Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme – der richtige verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkt auch dann gewählt ist, wenn es nicht etwa um einfache Datenträger, sondern das Smartphone oder ähnliche Geräte geht (vgl. Neuhaus, StV 2020, 489; s. u. B. II. 1. c)), muss ferner erörtert werden, inwieweit der Verweis auf Verfassungsrechtsprechung aus dem vorletzten Jahrzehnt vor dem Hintergrund zwischenzeitlicher technischer Entwicklungen und ihrer alltäglichen Auswirkungen auch heute noch tragen kann (vgl. El-Ghazi, Verhandlungen des 74. Deutschen Juristentages, Band I, C 66 f.; s.u. B. II. 1. c)).

B.   Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Lichte des Streitstands

In diesem rechtlichen Kontext hat nun der Bundesgerichtshof entschieden:

„Der Versuch der Ermittlungsbehörden, Zugang zu den auf einem Mobiltelefon eines Beschuldigten gespeicherten Daten durch zwangsweises Auflegen von dessen Finger auf den Fingerabdrucksensor zu erlangen, ist von § 81b Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 94 ff. StPO als Ermächtigungsgrundlage jedenfalls dann gedeckt, wenn eine zuvor nach §§ 102, 105 Abs. 1 StPO richterlich angeordnete Durchsuchung gerade auch dem Auffinden von Mobiltelefonen dient und der beabsichtigte Datenzugriff trotz seiner Eingriffsintensität verhältnismäßig ist.“ (BGH, Beschl. v. 13.03.2025 – 2 StR 232/24, Ls.)

Eine kontroverse Diskussion dessen erscheint nicht nur mit einem beschränkten Blick auf die StPO (I.), sondern auch aus verfassungs- und unionsrechtlicher Perspektive (II.) geboten.

I.        Denkbare Ermächtigungsgrundlagen

Während sich die Ausführungen des Zweiten Strafsenats auf § 81b Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 94 ff. StPO konzentrieren, erstreckt sich der weitere juristische Diskurs auch auf andere Ermächtigungsgrundlagen.

1.      § 100j StPO

Allenfalls auf den ersten Blick einschlägig erscheint § 110j StPO. Zwar beinhaltet die Vorschrift in Abs. 1 S. 2 eine explizite Regelung zu Zugangsdaten zu Endgeräten. Sie betrifft allerdings nur ein Auskunftsverlangen gegenüber Telekommunikationsdienstleistenden. Dass damit das Erlangen solcher Informationen abschließend geregelt werden sollte, ist nicht ersichtlich (Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 196 (198 f.)).

2.      §§ 100a, 100b StPO

Auch eine Anwendung von §§ 100a f. StPO scheidet aus. Die Vorschriften zur Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung betreffen den heimlichen Zugriff mit technischen Mitteln. Das Auflegen eines Fingers von Beschuldigten auf den Sensor des Geräts erfolgt in aller Regel als offene Maßnahme. Jedenfalls wird kein technisches Mittel verwendet (Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 196 (197 f); vgl. Momsen, DRiZ 2018, 140 (142 f.), der eine analoge Anwendung zumindest erwägt).

3.      § 81a StPO

Ferner ist das Entsperren von Smartphones auch nicht unter § 81a StPO zu fassen, denn es handelt sich dabei nicht um eine „körperliche Untersuchung“ i.S.v. Abs. 1 S. 1 (LG Ravensburg, Beschl. v. 14.02.2023 – 2 Qs 9/23 jug, NStZ 2023, 446 (447); Bäumerich, NJW 2017, 2718 (2720); Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 196 f.; Horter, NStZ 2023, 447). Die Vorschrift ermöglicht, Beschaffenheiten eines Körpers selbst festzustellen und zum Beweismittel zu machen. Bei dem Auflegen des Fingers auf einen Smartphonesensor geht es vielmehr um die Verwendung biometrischer Merkmale als „Schlüssel“ (Bäumerich, NJW 2017, 2718 (2720); Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 196 f.).

4.      §§ 81b Abs. 1, 94 ff. StPO

Die wohl hM – und nun auch der Bundesgerichtshof – erkennen in § 81b Abs. 1 Fall 1 StPO i.V.m. §§ 94 ff. StPO eine taugliche Grundlage. § 81b Abs. 1 StPO lautet:

„Soweit es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist, dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden.“

Der Anwendung dieser Norm wird entgegengehalten, es werde verkannt, dass die Vorschrift lediglich Maßnahmen zu erkennungsdienstlichen Zwecken erlaube. Da der eigentliche Zweck hier jedoch in der Verwendungsmöglichkeit der gespeicherten Daten liege, biete § 81b Abs. 1 StPO keine Grundlage (Momsen, DRiZ 2018, 140 (141); Nadeborn/Irscheid, StraFo 2019, 274 (275); Horter, NStZ 2023, 447 (448)).

Verfassungs- und unionsrechtliche Fragestellungen zurückgestellt, ist der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs diesen Bedenken überzeugend entgegengetreten:

a)       Zwei-Schritt-Struktur

Zum einen sei gar nicht die gesamte Maßnahme an § 81b Abs. 1 StPO zu messen, sondern nur der „erste Schritt“ des Entsperrens.

„Das Auslesen des Mobiltelefons als Ziel der Entsperrung ist eine dem Entsperren nachfolgende Maßnahme, die selbstständig an den für sie geltenden Regeln gemessen werden kann (vgl. Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193, 195 f.; Neuhaus, StV 2020, 489, 491). Mit Blick auf diesen Vorgang bestehen bei einer Entsperrung des Mobiltelefons gegen den Willen des Beschuldigten durch zwangsweises Auflegen seines Fingers keine Besonderheiten. Es handelt sich – sobald das Mobiltelefon entsperrt ist – um den klassischen Zugriff auf ein Mobiltelefon und die dort gespeicherten Daten“ (BGH, Beschl. v. 12.03.2025 – 2 StR 232/24, Rn. 43).

Ermächtigungsgrundlage ist daher nicht § 81b Abs. 1 Fall 1 StPO allein, sondern i.V.m. §§ 94 Abs. 1, 110 Abs. 1, 3 StPO (BGH, Beschl. v. 12.03.2025 – 2 StR 232/24, Rn. 35 ff.; ebenso OLG Bremen, Beschl. v. 08.01.2025 – 1 ORs 26/24, NJW 2025, 847 ff.; LG Ravensburg, Beschl. v. 14.02.2023 – 2 Qs 9/23 jug., NStZ 446 f.; Neuhaus, StV 2020, 489 (491); Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 194 ff.; MüKoStPO/Trück, 2. Aufl. 2023, § 81b Rn. 8, 24; Schmitt/Köhler/Schmitt, StPO, 68. Aufl. 2025, § 81b Rn. 8a).

b)       Keine Begrenzung auf erkennungsdienstliche Maßnahmen

Zum anderen stehe § 81b StPO grds. dem Auflegen eines Fingers auf einen Fingerabdrucksensor zu nichterkennungsdienstlichen Zwecken offen.

Hier führt der Bundesgerichtshof aus, es könne dahinstehen, ob das Führen des Fingers auf den Sensor des Mobiltelefons eine Aufnahme des Fingerabdrucks darstelle, denn jedenfalls handele es sich um eine „ähnliche Maßnahme“ i.S.d. § 81b Abs. 1 StPO. Der Vorgang unterscheide sich äußerlich nicht von dem klassischen Fall des Pressens von Fingern auf eine Vorrichtung, um die Papillarlinien festzustellen und abzugleichen. Dass die Vorschrift jedoch nicht auf daktyloskopische Vergleichsuntersuchungen begrenzt sei, zeige sich, indem Maßnahmen nicht nur für Zwecke des Erkennungsdienstes (Fall 2), sondern auch für Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens (Fall 1) gestattet seien. Erfasst seien damit auch solche Maßnahmen, die allgemein dem Beweis der Schuld oder der Unschuld von Beschuldigten dienen. § 81b Abs. 1 Fall 1 StPO sei insofern im Lichte des jeweiligen Stands der Technik zu lesen, sodass es auch nicht entgegenstehe, dass für die historische Gesetzgebung erkennungsdienstliche Zwecke im Vordergrund gestanden haben (BGH, Beschl. v. 12.03.2025 – 2 StR 232/24, Rn. 35 ff.). Die Vorschrift sei auch nicht 2015 durch die Einführung der Überschrift „Erkennungsdienstliche Maßnahmen bei dem Beschuldigten“ eingeschränkt worden, denn die gesetzgeberische Intention sei einzig gewesen, selbsterstellten Überschriften in der Gesetzeskommentierung entgegenzuwirken (BGH, Beschl. v. 12.03.2025 – 2 StR 232/24, Rn. 41 mit Verweis auf BR-Drs. 491/14, S. 81; a.A. Horter, NStZ 2023, 447 (448)).

5.      §§ 94 ff. StPO; §§ 160, 161 StPO

Mit § 81b Abs. 1 StPO ist demnach eine jedenfalls insoweit taugliche Ermächtigungsgrundlage gefunden. Damit verbleibt kein Raum, schon das Entsperren selbst unter die §§ 94 ff. StPO als Annexmaßnahme zu fassen (so Horn, Kriminalistik 2019, 641 (642 f.)) oder die Generalermächtigungsgrundlage der §§ 160, 161 StPO zu bemühen (vgl. Momsen, DRiZ 2018, 140 (143)), denn § 81b Abs. 1 StPO ist die speziellere Vorschrift (Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193 (196)). Auf diesem Weg ließen sich auch keine der bislang ausgeklammerten verfassungs- und unionsrechtlichen Probleme umgehen.

II.     Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz und Unionsrecht

Damit ist zu dem zweiten Problemkomplex übergeleitet, der – wie das Folgende zeigt – weniger den Aspekt des zwangsweisen Entsperrens und vielmehr das Auslesen des Smartphones an sich betrifft: Die Vereinbarkeit der hier besprochenen Maßnahmen mit dem höherrangigen Recht.

1.      Gemessen am Grundgesetz

a)       Anwendbarkeit

Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Verhältnis der Grundrechtekataloge des Grundgesetzes und der Charta der Europäischen Union folgend, ist die Ermittlungsmaßnahme am Grundgesetz zu messen.

Mit der Richtlinie (EU) 2016/680 hat die Europäische Union auch für den aus dem Anwendungsbereich der DSGVO ausgenommenen Bereich der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten (Art. 2 Abs. 2 lit. d) DSGVO) Vorgaben für die Verarbeitung von Daten geschaffen. Verlangt ist insbesondere, dass personenbezogene Daten auf rechtmäßige Weise und nach Treu und Glauben verarbeitet werden, für festgelegte, eindeutige und rechtmäßige Zwecke erhoben und nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise verarbeitet werden. Personenbezogene Daten müssen dem Verarbeitungszweck entsprechen, maßgeblich und in Bezug auf die Zwecke, für die sie verarbeitet werden, nicht übermäßig sein (Art. 4 Abs. 1 lit. a) – c) RL (EU) 2016/680). Ein weites Verständnis von Datenverarbeitung zu Grunde gelegt, nach dem bereits der fehlschlagende Versuch des Datenzugriffs erfasst ist, und Erwägungsgrund 26 RL (EU) 2016/680 gewürdigt, der die Zulässigkeit bestimmter Ermittlungsmaßnahmen explizit thematisiert, sind entsprechende Ermittlungsmaßnahmen der StPO „Durchführung von Unionsrecht“ i.S.v. Art. 51 Abs. 1 Fall 2 GRC, sodass die Unions-Grundrechte (insb. Art. 7, 8, 52 GRC) Anwendung finden, soweit sie den Datenschutz betreffen (Rataj, NStZ 2025, 398 (400 f.)).

Das Bundesverfassungsgericht prüft innerstaatliches Recht und dessen Anwendung jedoch grds. auch dann ausschließlich am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, wenn es zwar im Anwendungsbereich des Unionsrecht liegt, dabei aber durch dieses nicht vollständig determiniert ist. Es erkennt damit ein Nebeneinander verschiedener Grundrechte-Ordnungen an, wobei die Mitgewährleistung des unionsrechtlichen Schutzniveaus durch die Anwendung von Grundrechten des Grundgesetzes – wiederum in Auslegung im Lichte der GRC – vermutet wird. Eine Prüfung innerstaatlichen Rechts unmittelbar am Maßstab der Grundrechte der Charta soll daneben nur erfolgen, wenn konkrete und hinreichende Anhaltspunkte bestehen, dass ihr Schutzniveau durch die Anwendung von Grundrechten des Grundgesetzes ausnahmsweise nicht gewährleistet ist (BVerfG, Beschl. v. 06.11.2019 – 1 BvR 16/13, BVerfGE 152, 152 – Recht auf Vergessen I). In vollständig von Unionsrecht determinierten Bereichen zieht das Bundesverfassungsgericht hingegen grds. nur die Grundrechte der GRC als Prüfungsmaßstab heran (BVerfG, Beschl. v. 06.11.2019 – 1 BvR 276/17, BVerfGE 152, 216 – Recht auf Vergessen II).

Nach diesen Maßstaben ist das Auflegen eines Fingers von Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor eines Smartphones zwar eine „Verarbeitung personenbezogener Daten“ i.S.v. Art.  2 Abs. 1 RL (EU) 2016/680 (BGH, Beschl. v. 13.03.2025 – 2 StR 232/24, Rn. 29; El-Ghazi, NJW 2025, 850; a.A. OLG Bremen, Beschl. v. 08.01.2025 –1 ORs 26/24, NJW 2025, 847 (849); vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2024 – C-548/21, NVwZ 2025, 321 (332 f.)). Die Ausgestaltung zulässiger Strafermittlungsmaßnahmen liegt jedoch weiterhin im Wesentlichen bei den Mitgliedsstaaten, sodass keine Determination durch Unionsrecht besteht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.11.2019 – 1 BvR 16/13, BVerfGE 152, 152 (171 ff.); Rataj, NStZ 2025, 398 (403)).

Hinweis: Die Entscheidung des BGH hat sich an dieser Stelle darauf beschränkt, die Anwendbarkeit der Richtlinie festzustellen. Eine einschlägige Klausurbearbeitung (hier dürfte dann der Abdruck entsprechender Passagen der Richtlinie zu erwarten sein) sollte den Zusammenhang von Unions- und dem nationalen Grundrechtsschutz jedoch darstellen.

b)       Nemo tenetur se ipsum accusare

In keinem Konflikt steht das zwangsweise Auflegen des Fingers von Beschuldigten auf den Sensor eines Smartphones mit dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit. Aus dem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG folgt, dass niemand gezwungen werden darf, aktiv an der Strafverfolgung der eigenen Person mitzuwirken (BVerfG, Beschl. v. 06.09.2016 – 2 BvR 890/16, Rn. 34 f.). Da hier jedoch die bloße Duldung abverlangt wird, ist diese Schwelle nicht überschritten (BGH, Beschl. v. 13.03.2025 – 2 StR 232/24 Rn. 32; OLG Bremen, Beschl. v. 08.01.2025 – 1 ORs 26/24, NJW 2025, 847 (848 f,); Bäumerich, NJW 2017, 2718 (2721); Momsen, DRiZ 2018, 140 (141); Neuhaus, StV 2020, 489 (491)).

Hinweis: Zu einem anderen Ergebnis kann insbesondere zu kommen sein, wenn ein Gerät durch Gesichtserkennung entsperrt wird. Während das Aufhalten der Augenlieder durch Ermittlungspersonen noch in den Bereich des passiven Duldens einer Zwangsmaßnahme fällt, würde es gegen den nemo-tenetur-Grundsatz verstoßen, wenn Beschuldigte aufgrund von Täuschung oder Zwang selbstständig in die Kamera des Gerätes blicken (Neuhaus, StV 2020, 489 (491)).

c)       Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG

Bei der weiteren Bestimmung der betroffenen Grundrechte, ist sich der zweistufigen Struktur der Maßnahme zu vergegenwärtigen. Auf der ersten Stufe steht das zwangsweise Auflegen des Fingers auf den Scanner des Smartphones. Indem hierdurch zwar biometrische Daten verwendet, aber nicht gespeichert werden, wird mit lediglich geringer Intensität in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG eingegriffen (OLG Bremen, Beschl. v. 08.01.2025 – 1 ORs 26/24, NJW 2025, 847 (849); Neuhaus, StV 2020, 489 (491)). Soweit die körperliche Einwirkung auf Beschuldigte nicht über das Auflegen des Fingers hinausgeht, ist der Schutzbereich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) mangels Erheblichkeit nicht betroffen (Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193 (199)).

Auf der zweiten Stufe steht der mit dem Auflegen eines Fingers auf den Scanner verschaffte Zugriff auf die Inhalte des entsperrten Geräts. Dabei gilt es zu beachten, dass die Stufen nicht unabhängig voneinander stehen, sondern die erste Stufe im Zweck auf die zweite ausgerichtet ist. Auch wenn nur nach der Rechtmäßigkeit des Entsperrens des Smartphones nach § 81b Abs. 1 StPO gefragt sein sollte, muss im Rahmen der hier gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung die zweite Stufe (§§ 94 ff. StPO) inzident in den Blick genommen werden. Wo der Zugriff auf die Daten schlussendlich ausscheiden muss, verbietet sich bereits die Entsperrung (OLG Bremen, Beschl. v. 08.01.2025 – 1 ORs 26/24, NJW 2025, 847 (849); Neuhaus, StV 2020, 489 (491); nur bei einem offensichtlichen Fehlen der Voraussetzungen nach Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193 (196, 200)).

(1)    Die Auffassung des Bundesgerichtshofs

Jener Zugriff auf die auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten stellt eine intensive Beeinträchtigung des Allgemeinen Persönlichkeitsrecht dar. Insofern hat der Bundesgerichtshof dargelegt, dass auf dem Smartphone einer Person regelmäßig diverse vertrauliche und höchstpersönliche Daten verschiedener Art gespeichert seien, die detaillierte Informationen zu den persönlichen Verhältnissen und der Lebensführung eröffnen oder genaue Schlüsse auf politische, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen zulassen. Der staatliche Zugriff auf einen solchen umfassenden Datenbestand sei mit dem Risiko verbunden, dass die erhobenen Daten in einer Gesamtschau weitreichende Rückschlüsse auf die Persönlichkeit von Betroffenen bis hin zu einer Bildung von Verhaltens- und Kommunikationsprofilen ermöglichen. Auch bei einer offenen Maßnahme ergebe sich so ein schwerwiegender oder sogar besonders schwerwiegender Eingriff in das Recht von Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung (BGH, Beschl. v. 13.05.2025 – 2 StR 232/24, Rn. 33).

Den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den hierauf gespeicherten Daten sei jedoch mit den Vorschriften der §§ 94 ff. StPO und §§ 102 ff. StPO genüge getan, weil der Datenzugriff an den Ermittlungszweck und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden sei. Damit sei im einzelnen Anwendungsfall einerseits dem jeweiligen staatlichen Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung Rechnung zu tragen, wobei die Schwere der Tat, der Grad des Tatverdachts, die potenzielle Beweisbedeutung der auf dem Mobiltelefon vermuteten Daten und der innere Zusammenhang zwischen Tat und Mobiltelefon maßgeblich seien. Andererseits seien die geschützten Rechtsgüter der Betroffenen gegenüber zu stellen. Eine weitergehende Eingrenzung der Eingriffsbefugnisse sei wegen der Vielgestaltigkeit der Sachverhalte von Verfassungs wegen nicht geboten (BGH, Beschl. v. 13.05.2025 – 2 StR 232/24, Rn. 45 ff.).

(2)    Diskussion

Zumindest aus der Perspektive der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erscheinen diese Ausführungen in der Anknüpfung im Recht auf informationelle Selbstbestimmung fraglich. Dieses schützt grds. vor jeder Form der Erhebung personenbezogener Informationen, sodass das Bundesverfassungsgericht noch 2006 seine Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern nach §§ 94 ff., 102 ff. auch auf Personal Computer angewandt hat (BVerfG, Urt. v. 02.03.2006 – 2 BvR 2099/04, BVerfGE 115, 166).

Seit seiner Entscheidung zu sog. „Online-Durchsuchungen“ aus dem Jahr 2008 besteht jedoch mit dem Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine eigene, neben der informationellen Selbstbestimmung stehende Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts: Zu erkennen sei eine früher nicht absehbaren Bedeutung und zugleich Gefährdung der Nutzung moderner Informationstechnik, der unter den bis dahin anerkannten Gewährleistungen nicht hinreichend Rechnung zu tragen sei. Während Art. 10 Abs. 1 GG nur die laufende Kommunikation schütze, sei die Gewährleistungen von Art. 13 Abs. 1 GG auf Zugriffe in der räumlichen Sphäre der Wohnung begrenzt. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung trage der spezifischen Persönlichkeitsgefährdung, die sich aus der Nutzung informationstechnischer Systeme ergebe, nicht vollständig Rechnung, indem eine Person auf die Nutzung angewiesen sei und dabei dem System persönliche Daten anvertraue oder zwangsläufig durch die Nutzung liefere. Ohne noch auf weitere Datenerhebungs- und Datenverarbeitungsmaßnahmen angewiesen zu sein, könnten sich Dritte durch den Zugriff auf ein solches System einen potentiell äußerst großen und aussagekräftigen Datenbestand verschaffen. Dies gehe im Gewicht für die Persönlichkeit von Betroffenen über einzelne Datenerhebungen hinaus, vor denen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schütze. Die sich so eröffnende Lücke werde durch das Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme gefüllt (BVerfG, Urt. v. 27.02.2008 – 1 BvR 370/07, 595/07, BVerfGE 120, 274 (303 ff.)).

Inwieweit es dieser eigenständigen Dimension des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts tatsächlich bedurfte und der informationellen Selbstbestimmung nicht eine hinreichende Offenheit beizumessen ist, um diesen neuen Herausforderungen zu begegnen, wird durchaus in Frage gestellt (Britz, DÖV 2008, 411 (413 f.); Eifert, NVwZ 2008, 521 f.; Sachs/Rixen, GG, 10. Aufl., Art. 2 Rn. 73d). Soweit man das sog. „IT-Grundrecht“ jedoch anerkennt, ist es bei dem Zugriff auf das Smartphone von Beschuldigten auch einschlägig, denn eine Beschränkung des Schutzbereichs auf heimliche Maßnahmen zu präventiven Zwecken, mit denen sich das Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2008 befasst hat, lässt die Entscheidung nicht erkennen (OLG Bremen, Beschl. v. 08.01.2025 – 1 ORs 26/24, NJW 2025, 847 (849); Neuhaus, StV 2020, 489; El-Ghazi, Verhandlungen des 74. Deutschen Juristentages, Band I, C 48 ff.; vgl. mit einem jeweils abweichenden Verständnis der APR-Ausprägungen im Verhältnis zueinander LG Ravensburg, Beschl. v. 14.02.2023 – 2 Qs 9/23 jug, NStZ 2023, 446 (447); Momsen, DRiZ 2018, 140 (143); a.A. Horn, Kriminalistik 2019, 641 (642)). Nicht nur in einer Klausur dürfte sich die Entscheidung, unter welche Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Zugriff auf das Smartphone gefasst wird, allerdings nicht weiter auswirken. Insbesondere sind die besonderen Eingriffsrechtfertigungsanforderungen, die das Bundesverfassungsgericht für die heimliche „Online-Durchsuchung“ aufgestellt hat (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.02.2008 – 1 BvR 370/07, 595/07, BVerfGE 120, 274 (314, 322 ff.)), nicht ohne Weiteres auf offene Maßnahmen zur Strafverfolgung – wie hier – zu übertragen (OLG Bremen, Beschl. v. 08.01.2025 – ORs 26/24, NJW 2025, 847 (849); El-Ghazi, Verhandlungen des 74. Deutschen Juristentages, Band I, C 71 ff.; ders., NJW 2025, 850).

Doch auch in der Sache lässt sich durchaus zu einem anderen Ergebnis als der Bundesgerichtshof kommen. Aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip (vgl. Art. 20 GG) folgt, dass die Entscheidung wesentlicher Fragen der parlamentarischen Gesetzgebung vorbehalten ist (BVerfG, Urt. v. 19.09.2018 – 2 BvF 1/15, 2/15, BVerfGE 150, 1 (96 ff.)). Im Rahmen der Abwägung zur Verhältnismäßigkeit und zur Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage ist zwar im Blick zu behalten, dass mit einer wachsenden Durchdringung der Smartphonenutzung des Alltags in diversen Lebensbereichen nicht nur die grundrechtliche Eingriffsintensität, sondern auch das Interesse der Allgemeinheit steigt, hier zu Zwecken der Strafverfolgung überhaupt und flexibel Einblicke erhalten zu können (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2024 – C-548/21, NVwZ 2025, 321 (325); BGH, Beschl. v. 13.05.2025 – 2 StR 232/24, Rn. 46, 49; Neuhaus, StV 2020, 489 f.; El-Ghazi, Verhandlungen des 74. Deutschen Juristentages, Band I, C 75; MüKoStPO/Trück, 2. Aufl. 2023, § 81b Rn. 24).

Insbesondere berücksichtigt, dass der Zugriff auf das persönliche Smartphone Erkenntnisse in einem enormen Umfang zulässt, der sich auch von demjenigen signifikant absetzt, den das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Durchsuchung eines Personal Computers im Jahr 2006 oder zum IT-Grundrecht 2008 vor Augen haben konnte, darf jedoch bezweifelt werden, ob die Gesetzgebung die Konkretisierung des erforderlichen Strafverfolgungsinteresses an der Maßnahme (etwa durch qualifizierte Anforderungen an die Straftat, den Tatverdacht oder die Beweismittelrelevanz) sowie die Achtung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung (vgl. § 100d StPO) der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Einzelfall überlassen darf und auch keine gesteigerte Regelungsdichte des Verfahrens zur Gewährleistung des gebotenen Schutzes notwendig ist (Horn, Kriminalistik 2019, 641 (643 ff.); ausführlich El-Ghazi, Verhandlungen des 74. Deutschen Juristentages, Band I, C 64 ff.).

2.      Gemessen am Unionsrecht

In dieser Hinsicht steht auch die Konformität der Maßnahme mit Unionsrecht in Frage. Insofern hat der Europäische Gerichtshof auf entsprechende Fragen des Landesverwaltungsgerichts Tirol im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens entschieden,

„dass Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2016/680 im Licht der Art. 7 und 8 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung, die den zuständigen Behörden die Möglichkeit gibt, zum Zweck der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten im Allgemeinen auf die auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten zuzugreifen, nicht entgegensteht, wenn diese Regelung die Art oder die Kategorien der betreffenden Straftaten hinreichend präzise definiert, die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gewährleistet und die Ausübung dieser Möglichkeit, außer in hinreichend begründeten Eilfällen, einer vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle unterwirft.“ (EuGH, Urt. v. 04.10.2024 – C-548/21, NVwZ 2025, 321 (326))

Der Bundesgerichtshof sieht auch diese Voraussetzungen in Anwendung von §§ 81b Abs. 1, 94 ff. StPO gewahrt. Der ersten Anforderung werde nicht erst durch einen gesetzlichen Straftatenkatalog i.S.v. einer Begrenzung auf bestimmte, schwere Kriminalität Genüge getan, sondern könne im Rahmen der gesetzlich verankerten Zweckbindung und Verhältnismäßigkeitsprüfung Rechnung getragen werden. Damit seien den Strafverfolgungsbehörden hinreichend klare Vorgaben in der Einzelfallanwendung gemacht, die vor etwaig willkürlichen Eingriffen schützen. Zudem bestehe eine ausreichende Vorabkontrolle durch Gerichte, indem eine Durchsuchung gemäß § 105 Abs. 1 StPO grds. unter einem „Richtervorbehalt“ stehe. Hier werde u.a. die Verhältnismäßigkeit des Zugangs zu Inhalten des Mobiltelefons geprüft. Ist die Sicherstellung von Mobiltelefonen und der darauf gespeicherten Daten im Voraus nicht richterlich zu billigen, werde die den Datenzugriff ermöglichende Durchsuchungsanordnung verweigert (BGH, Beschl. v. 13.05.2025 – 2 StR 232/24, Rn. 49 ff.).

Ob sich der Europäische Gerichtshof damit richtig verstanden sehen wird, insbesondere wenn die Definition von Art und Kategorie der Straftaten (Anforderung I) auf diese Weise mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Anforderung II) verschliffen wird, erscheint fraglich (vgl. El-Ghazi, NJW 2025, 850).

C.   Ausblick

Das letzte Wort dürfte mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs noch nicht gesprochen worden sein. Im Mindestmaß könnte der Beschluss jedoch zu einer Schärfung des allgemeinen Blicks für die Bedeutung von Unionsrecht im Strafprozessrecht beigetragen haben (vgl. Rataj, NStZ 2025, 398 (403 f.)).

Rufen nach einer eindeutigen und spezifischen Regelung der hier besprochenen Maßnahme (Bäumerich, NJW 2017, 2718 (2722); Momsen, DRiZ 2018, 140 (143); Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193 (200); Neuhaus, StV 2020, 489 (492)) steht die Mahnung zur Erhaltung von Regelungen, die sich in ihrer Praktikabilität bewährt haben und nicht aufgrund ihrer Spezifizierung mit jeder Neuerung auf dem Markt elektronischer Endgeräte einer Reformierung bedürfen (MüKoStPO/Trück, 2. Aufl. 2023, § 81b Rn. 24), entgegen. Die enorme Präsenz von Smartphones und ähnlichen Geräten in der Lebensführung, spricht jedoch dafür, dass ein Zugriff auf die Daten, die sich so auf Geräten einer Person finden lassen, schlechthin einer spezifischeren gesetzlichen Ausgestaltung bedarf, als sie gegenwärtig in der StPO zu finden ist (vgl. Horn, Kriminalistik 2019, 641 (643 ff.); El-Ghazi, Verhandlungen des 74. Deutschen Juristentages, Band I, C 21 f., 64 ff.).

In der Ersten Prüfung scheint neben Fragen in der mündlichen Prüfung eine Behandlung des Vorstehenden in einer prozessualen Zusatzaufgabe in der Strafrechtsklausur oder in einer verfassungsrechtlichen Klausur möglich. Eine materiell-strafrechtliche Einbindung ist – in Anlehnung an die Entscheidung des OLG Bremen, Beschl. v. 08.01.2025 – 1 ORs 26/24, NJW 847 – über § 113 Abs. 3 StGB denkbar. Im Ergebnis ist dann, wie aufgezeigt, Vieles vertretbar.

18.08.2025/0 Kommentare/von Sören Hemmer
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Sören Hemmer https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Sören Hemmer2025-08-18 07:36:092025-08-19 08:27:29Das Entsperren und Auslesen von Smartphones zu Zwecken der Strafverfolgung
Redaktion

Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht II April 2025 NRW

Aktuelles, Examensreport, Nordrhein-Westfalen, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Uncategorized, Verfassungsrecht

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur zweiten Klausur im Öffentlichen Recht des April-Durchgangs 2025 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Tim Muñoz Andres erneut ganz herzlich für die Zusendung. Selbstverständlich kann juraexamen.info keine Gewähr dafür geben, dass die in Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht. Dennoch sollen Euch die Protokolle als Anhaltspunkt dienen, was euch im Examen erwartet.

Sachverhalt:

Im Jahr 2021 fanden Wahlen zum Deutschen Bundestag statt. Der gewählte Bundestag setzt sich aus 660 Abgeordneten zusammen. Davon entfielen auf jeweils 180 auf die A-Fraktion, 160 auf die B-Fraktion, 130 auf die C-Fraktion, 110 auf die D-Fraktion sowie 80 auf die E-Fraktion. Der so zusammengesetzte Bundestag wählt schließlich nach dem Abschluss von erfolgreichen Koalitionsverhandlungen auf Vorschlag des Bundespräsidenten mit den Stimmen der A- und der B-Fraktion eine Bundeskanzlerin.

Noch vor der Wahl wurden in verschiedenen Medien hochsensible Informationen verbreitet, welche die Tätigkeiten deutscher Geheimdienste betreffen. Die betreffenden Informationen entstammten dabei den von Seiten der Geheimdienste für die Unterrichtung des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags vorgesehenen Unterlagen. Wie die streng geheimen Materialien an die Öffentlichkeit gelangen konnten, kann nicht mehr rekonstruiert werden. Die Veröffentlichung hat aber die Frage nach dem Schutz geheimer Unterlagen aufgeworfen. Im Anschluss an die
Veröffentlichung der Materialien haben auch ausländische Geheimdienste verbündeter Länder in Aussicht gestellt, eine Beschränkung der Zusammenarbeit mit den deutschen Geheimdiensten zu prüfen. Mehrere ausländische Geheimdienste erwägen dabei auch, die ihnen zur Verfügung stehenden geheimdienstlichen Informationen, aus Sorge um deren Bekanntwerden, künftig nicht mehr mit den deutschen Geheimdiensten zu teilen. Auf die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern und den Zugriff auf deren geheimdienstliche Informationen sind die deutschen Geheimdienste aber ihrerseits zur Durchführung ihrer Aufgaben sowie zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung angewiesen.

In Reaktion auf den geheimdienstlichen Skandal planen die Fraktionen der Regierungskoalition Änderungen des Gesetzes über das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGrG).
Das Parlamentarische Kontrollgremium ist dabei ein aus Mitgliedern des Bundestags bestehendes Gremium, dessen Aufgabe nach § 1 Abs. 1 PKGrG die Kontrolle der deutschen Geheimdienste, namentlich des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Militärischen Geheimdienstes und des Bundesnachrichtendienstes ist. Die Mitglieder des Kontrollgremiums werden zu Beginn jeder Wahlperiode vom Bundestag aus seiner Mitte gewählt (§ 2 PKGrG). Das Kontrollgremium tritt nach § 3 Abs. 1 S. 1 PKGrG mindestens vierteljährlich zusammen. Es wählt nach § 3 Abs. 1 S. 2 PKGrG einen Vorsitzenden und gibt sich nach § 3 Abs. 1 S. 2 PKGrG eine Geschäftsordnung. Die Arbeit im Parlamentarischen Kontrollgremium wird in § 3 Abs. 2 und 3 PKGrG näher beschrieben. Die Bundesregierung ist nach § 4 PKGrG zur Unterrichtung des Parlamentarischen Kontrollgremiums verpflichtet. Der Umfang der Unterrichtungspflicht erstreckt sich nach § 6 PKGrG auf Informationen, die der Verfügungsberechtigung der in § 1 PKGrG genannten Geheimdienste unterliegen. Die dem Kontrollgremium zur Erfüllung seiner Aufgaben zustehenden Befugnisse sind in § 5 PKGrG geregelt. Danach ist das Kontrollgremium insbesondere berechtigt, Vorlage und Herausgabe von Akten zu verlangen. Die Beratungen des Kontrollgremiums erfolgen nach § 10 PKGrG geheim, die Mitglieder des Gremiums sind zur Geheimhaltung über die ihnen bei ihrer Tätigkeit im Parlamentarischen Kontrollgremium bekannt gewordenen Angelegenheiten verpflichtet.

Der Gesetzesentwurf der Regierungsfraktionen sieht dabei zunächst eine Verringerung der Anzahl der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums vor. Statt der bisherigen elf sollen dem Gremium künftig nur noch fünf Mitglieder angehören. Daneben soll das Parlamentarische Kontrollgremium in seiner Zusammensetzung künftig nicht mehr die Stärke der Fraktionen im Bundestag entsprechen. Die Mitglieder des Kontrollgremiums sollen vielmehr ohne Rücksicht auf ihre Fraktionszugehörigkeit durch einfache Mehrheitswahl vom Bundestag gewählt werden können.

Der so gefasste Gesetzesentwurf stößt bei sämtlichen Oppositionsfraktionen auf Kritik. Insbesondere die kleineren D- und E-Fraktionen befürchten, durch die Absenkung der Anzahl der Mitglieder künftig nicht mehr in dem Gremium mit einem eigenen fraktionsangehörigen Abgeordneten vertreten zu sein. Hierdurch würden sie als Fraktionen von den Informationen über die Tätigkeiten der deutschen Geheimdienste abgeschnitten. Dies sei aber umso wahrscheinlicher, je weniger Mitglieder das Parlamentarische Kontrollgremium umfasse.

Die Vertreter der Regierungsfraktionen halten dem entgegen, dass auch im Falle der Verringerung der Mitgliederzahl auf fünf sämtliche Fraktionen rechnerisch im Gremium vertreten sein könnten. Vielmehr seien gerade sie als Mehrheitsfraktionen und nicht die Oppositionsfraktionen in stärkerem Maße betroffen, da sie derzeit mit mehreren Abgeordneten in dem Gremium vertreten sind. Dass der Bundestag die Zahl der Mitglieder des Kontrollgremiums bestimmen könne, ergebe sich zudem bereits aus § 2 Abs. 2 PKGrG.

Die Verringerung der Mitgliederzahl sei jedenfalls unter dem Eindruck der jüngsten Vorkommnisse erforderlich. Eine niedrigere Mitgliederzahl führe naturgemäß dazu, dass insgesamt weniger Personen Kenntnis über die im Kontrollgremium behandelten Angelegenheiten erlangen. Eine Weitergabe der im Kontrollgremium behandelten Informationen an Dritte sei damit weniger wahrscheinlich. Auch bewirke eine Verringerung der Mitgliederzahl eine zügigere Sachverhaltsaufklärung. Die Vertreter der Regierungsfraktionen verweisen zudem auf die im Nachgang an den Geheimdienstskandal geäußerten Bedenken ausländischer Geheimdienste und die Notwendigkeit der Teilhabe an einem geheimdienstlichen Informationsaustausch. Bedenken bestehen auch gegen die im Gesetzesentwurf vorgesehene Wahl der Mitglieder des Kontrollgremiums durch einfache Mehrheitswahl. Die Vertreter der Oppositionsfraktionen machen zunächst geltend, dass das Parlamentarische Kontrollgremium als ständige Untergliederung des Bundestags die dortigen Mehrheitsverhältnisse entsprechend abbilden müsse. Insofern könne für das Parlamentarische Kontrollgremium nichts anderes gelten als für die Ausschüsse des Bundestags.

Die Regierungsfraktionen halten diese Bedenken für nicht durchgreifend. Zwischen dem Parlamentarischen Kontrollgremium und den ständigen Ausschüssen des Bundestages bestünden erhebliche Unterschiede. Die Mitglieder des Kontrollgremiums würden nach § 2 Abs. 1 PKGrG gerade durch den Bundestag durch die Mehrheit seiner Stimmen gewählt und nicht durch die Fraktionen bestimmt. Das Kontrollgremium übe seine Tätigkeit nach § 3 Abs. 4 PKGrG darüber hinaus auch über das Ende einer Wahlperiode aus, auch wenn sich ein neuer Bundestag bereits konstituiert habe. Für das Parlamentarische Kontrollgremium könnten insofern nicht die Anforderungen für Ausschüsse herangezogen werden.

Die Oppositionsfraktionen halten den Gesetzesentwurf hingegen auch für unvereinbar mit dem Schutz ihrer Minderheitenrechte. Aufgabe des Parlamentarischen Kontrollgremiums sei gerade die Kontrolle der Regierung und der ihm unterstellten Geheimdienste. Gerade im Zusammenhang mit der grundrechtssensiblen Tätigkeit der Geheimdienste müsse die Kontrolle der Regierung in besonderem Maße gewährleistet werden. Voraussetzung hierfür sei wiederum eine Beteiligung der Opposition.

Diesem Einwand begegnen die Vertreter der Regierungsfraktionen mit dem Hinweis, dass sich in der Wahl eines Mitglieds mit den Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags das Vertrauen in die Integrität des Gewählten niederschlage. Allein hierauf könne es aufgrund der geheimen, im Kontrollgremium diskutierten Angelegenheiten ankommen.

Die Regierungsfraktionen bringen den die oben genannten Änderungen des PKGrG enthaltenden Entwurf sodann in den Deutschen Bundestag ein.

Frage 1:

Fertigen Sie ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, dessen Zuständigkeit zu unterstellen ist, über die Begründetheit einer Rechtmäßigkeitskontrolle des Gesetzentwurfs vor dem Bundesverfassungsgericht an.

Bearbeitungsvermerk:
  1. Auf andere als die im Sachverhalt genannten Vorschriften aus dem PKGrG ist nicht einzugehen.
  2. Die Geschäftsordnung des Parlamentarischen Kontrollgremiums ist bei der Bearbeitung außer Acht zu lassen.
  3. Auf § 54 GO BT wird hingewiesen.
Abwandlung:

Anders als im Ausgangsfall sieht der Gesetzesentwurf der Regierungsfraktionen nur die Verringerung der Mitgliederzahl des Gremiums, nicht aber die Wahl der Mitglieder durch eine einfache Mehrheitswahl vor. Die Fraktionen sollen auch künftig nach ihrem Verhältnis im Bundestag im Kontrollgremium vertreten sein. Diesem Verhältnis entsprechend entfallen zwei Mitglieder auf die A-Fraktion sowie je ein Mitglied auf die B-, C- und D-Fraktion. Der E-Fraktion steht hingegen nach dem Verhältnis kein Mitglied im Kontrollgremium zu. Der so gefasste Gesetzentwurf wird sodann vom Bundestag mit den Stimmen der Regierungsfraktionen beschlossen.

Zur folgenden Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums schlagen die Fraktionen sodann eigene Kandidaten zur Wahl vor. Die D-Fraktion schlägt dabei den Abgeordneten A zur Wahl vor. Gegen dessen Wahl regt sich jedoch schnell Widerstand: Bereits in der vergangenen Wahlperiode hatte der A mehrfach Interviews gegeben und dort teils über sensible politische Sachverhalte berichtet. Die Mehrheit der Mitglieder des Bundestags teilt diese im Vorfeld gegen die Person des A erhobenen Bedenken. A wird im Gegensatz zu den von der A-, B- und C-Fraktion vorgeschlagenen Kandidaten nicht mit der Mehrheit der Stimmen des Bundestags gewählt.

Mehrere Abgeordnete hatten ihre Ablehnung damit begründet, dass sie bereit seien, einen Kandidaten der D-Fraktion nicht aber den A zu wählen.
Schon aufgrund der bisherigen Aussagen des A bestünden ernsthafte Zweifel an dessen Integrität, er biete keine hinreichende Gewähr für die als Mitglied des Kontrollgremiums erforderliche Vertraulichkeit. Anstelle des A wird jedoch auch kein anderes Mitglied gewählt, der für die D-Fraktion vorgesehene Platz bleibt damit zu nächst unbesetzt.

Sowohl A als auch die D-Fraktion reagieren empört auf das Ergebnis der Wahl. Die D-Fraktion sieht sich durch die Ablehnung ihres Kandidaten in ihren verfassungsmäßigen Rechten verletzt. Die Entscheidung, wer sie in dem Kontrollgremium vertrete, obliege allein ihr. Sodann reicht sie beim Bundesverfassungsgericht einen entsprechend begründeten Antrag ein. Da ihr an einer zügigen Klärung der Frage gelegen ist, schlägt sie im Folgenden auch keinen weiteren Kandidaten zur Wahl vor. Das Vorbringen der Mitglieder des Bundestags, einen anderen Kandidaten als den A
wählen zu wollen, hält sie im Übrigen für vorgeschoben. In Wahrheit solle bereits verhindert werden, dass die D-Fraktion mit einem Mitglied in dem Kontrollgremium vertreten sei.

Frage 2:

Prüfen Sie die Erfolgsaussichten des von Seiten der D-Fraktion vor dem
Bundesverfassungsgericht eingereichten Antrags.

Bearbeitungsvermerk:

Gehen Sie bei der Bearbeitung davon aus, dass der Antrag
der D-Fraktion formgerecht eingereicht worden ist.

04.06.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-06-04 08:43:322025-06-04 08:44:08Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht II April 2025 NRW
Redaktion

Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht I April 2025 NRW

Examensreport, Nordrhein-Westfalen, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Uncategorized, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur ersten Klausur im Öffentlichen Recht des April-Durchgangs 2025 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Tim Muñoz Andres erneut ganz herzlich für die Zusendung. Selbstverständlich kann juraexamen.info keine Gewähr dafür geben, dass die in Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht. Dennoch sollen Euch die Protokolle als Anhaltspunkt dienen, was euch im Examen erwartet.

Sachverhalt

In der nordrhein-westfälischen Stadt K befindet sich ein insbesondere bei jungen Menschen beliebtes Ausgehviertel mit mehreren Bars und Diskotheken. Seit mehreren Jahren kommt es in dem Viertel in den Abendstunden jedoch vermehrt zu Gewalttaten durch teils alkoholisierte Besucher des Viertels. Im Wege dieser zunehmend auch unter dem Einsatz von Messern, in einzelnen Fällen sogar Waffen, begangenen Straftaten, in deren Folge mehrere Personen teils erhebliche Verletzungen erlitten haben. Im Juni 2024 kommt es schließlich zu einer weiteren  unter dem Einsatz eines Messers begangenen Straftat bei der das Opfer aufgrund der erlittenen Verletzungen zu Tode kommt.

Die Stadt K möchte der als unerträglich empfundenen eskalierenden Gewalt in dem Viertel in Reaktion auf das jüngste Ereignis schließlich begegnen. Eine vonseiten der Stadt in Auftrag gegebene Untersuchung zeigt dabei, dass auch in Zukunft in dem Ausgehviertel mit Straftaten unter dem Einsatz von Waffen und Messern zu rechnen ist. Der Rat der Stadt K erlässt daraufhin gestützt auf § 42 V WaffG eine Verordnung, die eine Waffen- und Messerverbotszone (WM-VO) für das betreffende Viertel vorsieht. Zuvor hatte die Landesregierung ihre Ermächtigung aus § 42 V WaffG durch eine ordnungsgemäß erlassene und rechtswirksame Verordnung (Delegationsverordnung) auf den Landesinnenminister übertragen. Dieser hatte seinerseits die Gemeinden in einer ebenfalls ordnungsgemäß erlassene und rechtswirksame Verordnung (Subdelegationsverordnung) zum Erlass einer entsprechenden Verordnung ermächtigt. Die Verordnung wird dabei vom Rat in einer Sitzung in Juli 2024 ordnungsgemäß mehrheitlich beschlossen und tritt im August 2024 in Kraft.

Als die in den Geltungsbereich der WM-VO wohnhafte A von dem Erlass der WM-VO erfährt ist sie empört. Die A ist selbstständig als Köchin tätig. Im Wege ihrer Tätigkeit bietet sie Kochkurse an, bei denen sie ihren Kunden insbesondere Schneidetechniken für exotische Früchte und Fleisch vorführt. Da sie über keine eigenen Räumlichkeiten verfügt bietet sie die Kurse ausschließlich in den Wohnungen ihrer Kunden an. Zu den Kochkursen bringt die A neben den von ihr genutzten auch hochwertige Küchenmesser für ihre Kunden mit. Diese können die so genutzten Messer im Anschluss an die Kochkurse jeweils auch bei A erwerben. A sieht nach dem Inkrafttreten der WM-VO keine Möglichkeit mehr, mitsamt ihrer Küchenmesser aus ihrer in dem räumlichen Geltungsbereich der WM-VO belegenen Wohnung zu ihren Kunden zu gelangen, von denen viele ebenfalls in dem in der WM-VO benannten Stadtviertel wohnen. Daraufhin kontaktiert A die Kunden, die in dem Monat nach dem Inkrafttreten der WM-VO Kochkurse bei ihr gebucht haben und weist diese daraufhin, dass sie sich angesichts der WM-VO außer Stande sehe, ihre Messer zu den Kochkursen mitzubringen. Daraufhin stornieren sämtliche Kunden die bereits gebuchten Kochkurse. Der A entgeht hierdurch ein aus den Kochkursen erzielter Gewinn von 5000€. Die durch den Inhalt der WM-VO ohnehin schon verärgerte A sieht sich durch diese in ihrer beruflichen Freiheit verletzt. Sie will die aus ihrer Sicht rechtswidrige Verordnung nicht einfach hinnehmen und wendet sich zunächst an die Stadt. Nachdem diese ihr Vorbringen abgewiesen hat wendet sie sich an einen Rechtsanwalt, der in ihrem Namen im September 2024 einen formgerechten Antrag auf Rechtsschutz vor dem OVG Münster erhebt.

Das Verfahren vor dem OVG Münster findet Anfang 2025 statt. Der Rechtsanwalt der A führt darin aus, dass die Stadt K für den Erlass einer solchen Verordnung  schon nicht zuständig gewesen sei. Die Verordnung sei aber auch schon rechtswidrig, weil sie entgegen § 42 V 3 WaffG auch keine Ausnahmen von dem Verbot des Mitführens von Waffen- und Messern vorsehe. Die WM-VO verletze die A zudem in ihren Grundrechten.

Der von der Stadt K ebenfalls ordnungsgemäß bestellte Rechtsanwalt erwidert daraufhin, dass die Stadt K durch den Landesinnenminister zum Erlass einer entsprechenden Verordnung ermächtigt gewesen sei. Die Verordnung sei auch rechtmäßig gewesen. Der Antrag der A sei aber schon unzulässig, da der Rat der Stadt die WM-VO bereits vor der mündlichen Verhandlung im Januar 2025 wieder aufgehoben habe. Auch werde die Stadt K keine weitere Verordnung gleichen Inhalts erlassen. Der Kontrollaufwand habe sich für die Stadt als nicht darstellbar erwiesen. Der Antrag sei daher abzuweisen.

Auszug aus der WM-VO:

§ 1 [Geltungsbereich]

Das Mitführen von Waffen nach § 1 Abs. 2 WaffG und Messern ist auf den in den nachfolgend bestimmten Straßen, Wegen oder Plätzen des benannten Stadtteils von 18:00 bis 04:00 Uhr verboten.

§ 2 [Anwendungsbereich]
Der Anwendungsbereich wird hinreichend bestimmt beschrieben. Ausnahmen sind nicht vorgesehen.

§ 3 [Begriffe]
Die für die WM-VO relevanten Begriffe werden definiert. Ausnahmen sind nicht vorgesehen.

§ 4 []

§ 5 [Ordnungswidrigkeiten]

Das Mitführen von Waffen nach § 1 Abs. 2 WaffG und Messern in dem Geltungsbereich dieser Verordnung stellt eine Ordnungswidrigkeit nach § 52 Abs. Nr. 23 WaffG dar, die entsprechend nach § 52 Abs. 2 WaffG mit einer Geldbuße bis zu 10.000€  geahndet werden kann.

Frage 1:

Ist der Antrag der A vor dem OVG Münster zulässig?

Frage 2:

Unterstellt der Antrag ist zulässig, wäre er auch begründet?

Frage 3:

Verletzte die Verordnung die A während der Zeit ihrer Geltung in ihrem Grundrecht aus Art. 12 GG?

Bearbeitervermerk:
  1. § 42 WaffG ist verfassungsgemäß.
  2. Auf die § 42 V Nr. 2-4 WaffG ist bei der Bearbeitung nicht zu einzugehen.
  3. Auf die Durchführungsverordnung zum WaffG ist nicht einzugehen.
  4. Die Rechtmäßigkeit der Delegations- und Subdelegationsverordnung ist bei der Bearbeitung nicht zu prüfen.
09.05.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-05-09 08:30:382025-05-12 15:15:39Gedächtnisprotokoll Öffentliches Recht I April 2025 NRW
Redaktion

Gedächtnisprotokoll Zivilrecht I April 2025 NRW

Deliktsrecht, Examensreport, Familienrecht, Nordrhein-Westfalen, Uncategorized, Zivilrecht

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur ersten Klausur im Zivilrecht des April-Durchgangs 2025 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Tim Muñoz Andres erneut ganz herzlich für die Zusendung. Selbstverständlich kann juraexamen.info keine Gewähr dafür geben, dass die in Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht. Dennoch sollen Euch die Protokolle als Anhaltspunkt dienen, was euch im Examen erwartet.

Sachverhalt

M und F leben als Ehegatten seit dem wirksamen Schluss der Ehe im Jahr 2015 im gesetzlichen Güterstand. Einen Ehevertrag haben beide nicht abgeschlossen. M und F sind beide erwerbstätig und erledigen die im Haushalt anfallenden Aufgaben gemeinsam. Eines Tages beschließt M eine neue Küchenmaschine für den gemeinsamen Haushalt anzuschaffen. M hatte bereits zuvor mehrfach Gegenstände für den ehelichen Haushalt gekauft ohne dass F dem widersprochen hat. Er begibt sich zu dem Elektronik-Geschäft des V und wählt dort eine entsprechende Küchenmaschine aus. Diese bringt er sodann zur Kasse des V um den Kaufpreis in Höhe von 1000€ zu bezahlen. Eine Zahlung scheitert jedoch an einem Defekt des EC-Kartenlesegeräts des V. Da V den M jedoch als langjährigen Kunden kennt erklärt er sich jedoch bereit, dem V die Küchenmaschine bereits sofort zu überlassen und M auch unmittelbar Eigentum an der Maschine einzuräumen. Von der Ehe zwischen M und F hat V dabei keine Kenntnis. Den Kaufpreis solle M an einem anderen Tag entrichten. M verlässt daraufhin mit der Küchenmaschine das Geschäft des V.

M begibt sich sodann mit der Küchenmaschine auf den Heimweg. Nach einer Weile erreicht er einen Fußgängerüberweg nach § 26 StVO (Ordnungsnummer 35a Habersack) und will diesen passieren. Dabei hält er die in einem Karton verpackte Küchenmaschine weiterhin in seinen Armen, so dass sie seine Sicht auf die Straße nicht einschränkt. Als er sich gerade auf dem Fußgängerüberweg befindet um die Straße zu passieren steuert der A, der auch Halter des von ihm gesteuerten PKW ist  mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf den Fußgängerüberweg zu. Auch erkennt er den gerade den Fußgängerüberweg passierenden M. Er glaubt, dass dieser angesichts seines herannahenden Autos schon über den Fußgängerüberweg rennen werde. Er ist dabei der Meinung, dass er ja nicht für jeden Fußgänger anhalten könne. Dass es zu einem Zusammenstoß mit dem A kommen könnte nimmt er dabei billigend in Kauf. Auch erkennt A, dass M ein Paket mit für ihn unbekannten Inhalt in den Armen hält. Obwohl M versucht noch rechtzeitig über den Fußgänger zu gelangen schafft er es nicht rechtzeitig, den Fußgängerüberweg zu passieren. Es kommt zu einer Kollision mit dem PKW des A. Infolge der Kollision  erleidet der M einen Bruch seines rechten Beins. Die in dem Paket befindliche Küchenmaschine muss M infolge der Kollision ebenfalls fallenlassen. Diese wird durch den Aufprall auf der Straße auch vollständig zerstört. M begibt sich nach der Kollision in das nächstgelegene Krankenhaus. Dort schließt er einen auf Heilbehandlung gerichteten Behandlungsvertrag (3000€) ab, vereinbart jedoch auf eine Behandlung durch den zuständigen Chefarzt. Hierdurch entstehen gegenüber dem normalen Behandlungsvertrag Mehrkosten in Höhe von 1500€. Die Behandlung durch den Chefarzt gibt dem M dabei „ein sichereres Gefühl“. Eine solche Chefarztbehandlung hat M bei vorherigen Krankenhausaufenthalten nicht in Anspruch genommen. Auch hätte eine Behandlung durch einen normalen Arzt ebenfalls zur vollständigen Heilung des nicht komplizierten Bruchs geführt.

M und F verlangen nun von A Zahlung von 1000€ für die zerstörte Küchenmaschine. F erklärt, sie habe jedenfalls Miteigentum an der Küchenmaschine gehabt. E erwidert, dass die Küchenmaschine allein im Eigentum des M gestanden habe. F habe der Küchenmaschine nichts zu tun.

Weiterhin verlangt M von A Zahlung von insgesamt 4500€ wegen der angefallenen Heilbehandlungskosten aus dem Vertrag mit dem Krankenhaus. E hält dem entgegen, dass ein Anspruch allenfalls in Höhe der im Falle der Behandlung durch einen normalen Arzt angefallenen Behandlungskosten in Höhe von 3000€ bestehe. Dass M darüber hinaus auf eine Chefarztbehandlung bestanden habe liege doch nur darin begründet, dass er (M) für den Schaden aufkommen müsse.

Frage (1):

Hat M einen Anspruch gegen A auf Zahlung von 1000€ wegen der Küchenmaschine, auf Zahlung von 3000€ für die Behandlungskosten sowie auf Zahlung der Mehrkosten der Chefarztbehandlung von weiteren 1500€ gegen den A?

Frage (2):

Hat F einen Anspruch gegen A auf Zahlung von 1000€ wegen der Zerstörung der Küchenmaschine?

Bearbeitungsvermerk:

Ansprüche aus § 823 sind im Rahmen der Bearbeitung von Frage (2) nicht zu prüfen.

Fallfortsetzung:

M und F haben im Februar 2015 geheiratet. Zu diesem Zeitpunkt hatte M sich ein Vermögen von 200.000€ erspart. Verbindlichkeiten hatte er nicht. Die F hatte zum Zeitpunkt der Eheschließung ein Vermögen von 100.000€, offene Verbindlichkeiten hatte auch sie nicht. In der Anfangs glücklichen Ehe kam es in den vergangenen Jahren jedoch immer häufiger zu Streitigkeiten.

Zuletzt entbrannten auch noch heftige Streitigkeiten über die Zerstörung der Küchenmaschine auf dem Heimweg des M von dem Geschäft des F. M reichte daraufhin Anfang 2025 ordnungsgemäß den Antrag auf Scheidung bei dem zuständigen Gericht ein. Einen Zugewinnausgleich beantragte der M in dem Scheidungsantrag dabei nicht. Die Ehe wird nach der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags im Februar 2025 später durch das Entscheidung des zuständigen Gerichts wirksam geschieden.

Zur Zeit der Rechtshängigkeit hatte M sein Vermögen von 200.000€ im Jahr 2015 auf nunmehr 50.000€ mehren können. Die F hatte zu diesem Zeitpunkt die anfänglichen 100.000€ weiter in ihrem Vermögen. In ihrem Vermögen befand sich darüber hinaus eine wertvolle Oldtimer-Sammlung, die ihre Eltern ihr im Jahr 2017 anlässlich eines Geburtstages geschenkt hatten. Der Wert der Oldtimer-Sammlung betrug zum damaligen Zeitpunkt 300.000€. Zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags im April 2025 hatte die Oldtimer-Sammlung nunmehr einen Wert von 400.000€. In der Zwischenzeit hatte F ihr Vermögen von zunächst 100.000€ um weitere 50.000€ gemehrt. Diese hatte sie im Juni 2024 jedoch für eine kostspielige Luxus-Weltreise aufgewendet, von der F bereits ihr gesamtes Leben geträumt hatte.

M verlangt nun von F Zahlung des ihr zustehenden Zugewinnausgleichs. F beruft sich darauf, dass die für die Weltreise aufgewandten 50.000€ nicht mehr in ihrem Vermögen vorhanden seien. M will dies nicht gelten lassen, schließlich habe F das Geld für die teure Reise einfach so „verschwendet“. Dies dürfe jedenfalls nicht zu seinen Lasten gehen.

Frage 3:

(In welcher Höhe) Hat M einen Anspruch auf Zugewinnausgleich gegen die F?

Bearbeitungsvermerk für alle Aufgaben:
  1. Es ist davon auszugehen, dass andere als die im Sachverhallt erwähnten Wertminderungen bzw. Wertsteigerungen nicht eingetreten sind.
  2. Es ist davon auszugehen, dass das nicht in dem Scheidungsantrag aufgeführte Verlangen nach einem Zugewinnausgleich nicht ausgeschlossen ist.
  3. Die §§ 223-229 und § 303 StGB sind nicht zu prüfen
08.05.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-05-08 08:00:002025-05-12 15:15:52Gedächtnisprotokoll Zivilrecht I April 2025 NRW
Redaktion

Gedächtnisprotokoll Strafrecht April 2025 NRW

Examensreport, Nordrhein-Westfalen, Strafrecht, Uncategorized

Wir freuen uns sehr, ein Gedächtnisprotokoll zur Klausur im Strafrecht des April-Durchgangs 2025 in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen zu können und danken Tim Muñoz Andres ganz herzlich für die Zusendung. Selbstverständlich kann juraexamen.info keine Gewähr dafür geben, dass die in Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Aufgabenstellung auch der tatsächlichen entspricht. Dennoch sollen Euch die Protokolle als Anhaltspunkt dienen, was euch im Examen erwartet.

Sachverhalt:

V verbringt seinen Freitagabend wie üblich in seiner Stammkneipe. Als er gerade an seinem ersten Bier nippt hört er den polternden Gast G, der sich selbst ohne Grund in Rage redet. Der ihm unbekannte G erhebt seine Stimme bis er den V schließlich mit seinem Blick fixiert und sich auf diesen zubewegt. Dabei hebt er drohend seine zur Faust geballte Hand. Geistesgegenwärtig erblickt V den neben ihm stehenden Barhocker. Er erkennt, dass er den heranstürmenden und nur noch wenige Meter von ihm entfernten G durch einen Wurf mit dem Hocker abwehren kann. Hinter dem G steht allerdings der Wirt W der wie V zutreffend erkennt durch den Barhocker ebenfalls getroffen werden könnte. V erkennt zugleich, dass er den Angriff des G auch durch einen Schlag mit dem Barhocker ebenso sicher abwehren könnte. Auch würde ein solcher Einsatz den heranstürmenden G nicht stärker verletzen. Gleichwohl könnte hierdurch eine Verletzung des W vermieden werden. V entschließt sich indes, den Barhocker in Richtung der Schulter des G zu werfen. Dass W, dessen Statur jener des G entspricht ebenfalls auf Schulterhöhe getroffen werden nimmt er billigend in Kauf. Der so von V geworfene Barhocker trifft denn auch den G, wie von V erwartet, an dessen Schulter. G erleidet hierdurch eine schmerzhafte Prellung seiner Schulter und verlässt mit schmerzverzehrtem Gesicht die Kneipe. Der Barhocker wird durch den Wurf nicht beschädigt. W hingegen konnte sich durch einen beherzten Sprung hinter die Theke in Sicherheit bringen. Er verbleibt auch nach dem Wurf hinter dieser und ist für den V so unerreichbar.

Während V sich in der Kneipe befand verblieb seine Ehefrau M mit dem gemeinsamen sieben Monate alten Kleinkind K in der ehelichen Wohnung. Die M litt seit längerem an manischen Depressionen. Infolge ihrer Depression fehlte ihr auch die zu einer wirksamen Einwilligung erforderliche Einsichtsfähigkeit. Kurze Zeit nachdem V zur Kneipe aufgebrochen war mischte M eine jeweils tödliche Dosis Gift in ihr Abendessen sowie jenes des K. Beide verstarben unmittelbar nach dessen Einnahme noch vor der Rückkehr des V. M hatte ihre Absicht, aus dem Leben zu scheiden in den vorangegangenen Wochen mehrfach gegenüber V bekundet und auch geäußert K ebenfalls töten zu wollen — sie wolle ihn nach ihrem Tod keinesfalls zurücklassen. Auch hatte sie zum Ausdruck gebracht, ihr Sterbeverlangen vollziehen zu wollen, wenn der V außer Haus sei. Noch bevor er in die Kneipe aufbrach erkannte V, dass dieser Freitagabend M die Gelegenheit zur Tötung ihrer selbst sowie des K ermöglichen würde. Letzteres kam im aber gerade recht, da er sich so seiner ihm lästigen Unterhaltspflichten für das Kind entziehen könne. Mit dem „ersparten“ Geld könne er sich eine von ihm seit langem ersonnene Weltreise finanzieren. Den von ihm erwarteten Tod der M bedauerte er zwar, fand sich damit jedoch ab und brach schließlich in die Kneipe auf. M und K hätten gerettet werden können, wenn V seinerseits die zuständigen Stellen unterrichtet hätte.

M befand sich dabei seit mehreren Monaten wegen ihrer Depression in Behandlung durch ihre Ärztin A. Auch gegenüber A hatte M zuvor mehrfach ihren Wunsch, aus dem Leben zu scheiden bekundet. Dabei hatte sie zugleich erklärt, auch K mit in den Tod nehmen zu wollen. Am Morgen des Tags ihres Todes befand sich M ein weiteres Mal in der Behandlung der A. M erklärte A gegenüber ihren fortbestehenden Sterbewunsch und dass sie diesen in der Abwesenheit ihres Ehemannes V vollziehen wolle. Auch erzählte sie A von dem geplanten Kneipenbesuch des V am selben Tag. A erkannte zwar, dass sich der M an diesem Abend eine Gelegenheit zum Vollzug der Selbsttötung bieten würde. Sie schob das in ihr aufkommende schlechte Gefühl allerdings beiseite. Da M auch in den vorangegangenen Wochen entsprechende Ankündigungen nicht vollzogen hatte vertraute sie vielmehr ernsthaft darauf, dass es auch an diesem Freitagabend nicht hierzu kommen würde. M und K hätten erneut gerettet werden können, wenn A ihrerseits die zuständigen Stellen informiert hätte.

Aufgabe 1:

Wie haben sich V und A nach dem StGB strafbar gemacht? In Bezug auf A ist lediglich eine Strafbarkeit wegen Taten zulasten der M zu prüfen.

Aufgabe 2:

A soll nach dem Tod von M und K vor Gericht im Strafverfahren des V als Zeugin aussagen. In der Zwischenzeit ist auch gegen sie ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden. Ist die A in diesem Verfahren als Zeugin zur Aussage verpflichtet? Erläutern Sie ob und wenn ja in welchem Umfang sich die A auf Zeugnisverweigerungsrechte berufen kann.

Bearbeitungshinweise:
  1. Unterstellen Sie, dass die M trotz ihrer manischen Depression zu jedem Zeitpunkt schuldfähig war.
  2. Auf § 203 StGB wird hingewiesen.
  3. Die §§ 223-226 StGB sind zulasten von M und K ist nicht zu prüfen.
07.05.2025/0 Kommentare/von Redaktion
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2025-05-07 14:53:412025-05-07 14:53:41Gedächtnisprotokoll Strafrecht April 2025 NRW
Monika Krizic

Sittenwidrig günstige Miete?

Aktuelles, BGB AT, Mietrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schuldrecht, Startseite, Uncategorized, Zivilrecht, Zivilrecht

§§ 138, 166, 242 BGB – all dies sind Normen, welche Jurastudierende bereits in den ersten Semestern kennenlernen. Umso bedeutender sind sie, wenn sich der BGH (BGH, Urt. v. 26.03.2025 […]

Weiterlesen
29.04.2025/0 Kommentare/von Monika Krizic
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Monika Krizic https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Monika Krizic2025-04-29 13:42:562025-06-03 08:49:33Sittenwidrig günstige Miete?
Micha Mackenbrock

Bezahlkarte gewährleistet Existenzminimum für Asylbewerber

Aktuelles, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Verwaltungsrecht

Fragen in Zusammenhang mit Asyl und Migration werden nicht nur in zeitlicher Nähe zur Bundestagswahl diskutiert, sondern beschäftigen immer wieder auch die Gerichte. So entschied das Landessozialgericht Bayern, dass die Bezahlkarte für Asylbewerber verfassungskonform ist. Den Beschluss (LSG Bayern, Beschluss vom 19.02.2025 – L 8 AY 55/24 B ER, BeckRS 2025, 2322) stellt nachfolgend Micha Mackenbrock vor.

I. Was sind Bezahlkarten?

Im Mai 2024 wurde in Deutschland bundesweit die Bezahlkarte für Asylbewerber eingeführt. Asylbewerber erhielten bis dahin in Bargeld ausgezahlte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Nach kontroversen Debatten einigte sich die Politik darauf, dass diese Leistungen künftig von den zuständigen Behörden auch als Guthaben auf einer Karte bereitgestellt werden können. Damit soll zum Beispiel vermieden werden, dass Asylbewerber Geld zu ihren zurückgebliebenen Familien in die Heimat oder an Schlepper schicken.

Mit der guthabenbasierten Bezahlkarte kann stattdessen elektronisch in Geschäften bezahlt werden, ähnlich wie mit einer normalen Debitkarte, ohne, dass das Guthaben ins Ausland verschickt werden kann. Auch Online-Shopping ist mit der Bezahlkarte nicht möglich. Bargeld können sich Asylbewerber monatlich nur in geringer Höhe von der Bezahlkarte abbuchen. So soll sichergestellt werden, dass das AsylbLG seinen Zweck erfüllt, nämlich den Lebensunterhalt der in Deutschland lebenden Asylbewerber zu sichern.

II. Der Sachverhalt

Die Antragstellerin, eine 1998 in Afghanistan geborene Frau, ist selbst Asylbewerberin und reiste Ende 2023 nach Deutschland ein. Bis Juli 2024 erhielt sie Leistungen nach dem AsylbLG in bar, darunter etwa 200€ „Taschengeld“. Mittlerweile erhält sie infolge eines Verwaltungsakts eine Bezahlkarte anstelle von Bargeld. Monatlich kann sie sich nur 50€ Guthaben in bar von der Karte abbuchen lassen. Dagegen wehrt sich die Antragstellerin nun per Eilantrag vor dem LSG Bayern: Sie möchte weiterhin Leistungen durch Geldzahlungen statt durch die Bezahlkarte erhalten. Durch den Beschluss zur Einführung der Bezahlkarte sei sie in ihrem Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verletzt.

So könne sie nicht in allen Läden, insbesondere in kleineren Lebensmittelgeschäften für afghanische Lebensmittel oder in Second-Hand-Geschäften, mit der Bezahlkarte elektronisch bezahlen.

Per Eilantrag ging die Antragstellerin gegen die Einführung der Bezahlkarte vor dem Sozialgericht München vor und scheiterte. Nun wendet sie sich, auch per Eilantrag, an das LSG Bayern.

III. Die Entscheidung

1. Keine Ermessensreduzierung auf Null

Das LSG Bayern stellt fest, dass die Anspruchstellerin lediglich einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung gemäß Art. 40 BayVwVfG habe, denn ob eine Bezahlkarte anstelle von Bargeld an Asylbewerber ausgegeben werde oder nicht, liegt nach § 3 Abs. 2 S. 5 AsylbLG im Ermessen der zuständigen Behörde. Nur im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null, wenn die Behörde also nur eine einzige rechtmäßige Ermessensentscheidung treffen könnte, könne ein Anspruch auf Geldleistungen bestehen (LSG Bayern, Beschluss vom 19.02.2025 – L 8 AY 55/24 B ER, BeckRS 2025, 2322, Rn. 64 f.).

Eine solche Ermessensreduzierung auf Null läge hier aber nach Auffassung des LSG nicht vor. Es sei nicht einmal „im Ansatz nachvollziehbar, weshalb eine Leistungsgewährung nur in Form von Geldleistungen für die Antragstellerin die einzig richtige Ermessensentscheidung des Antragsgegners sein sollte.“ Insbesondere sei nicht erkennbar, dass der Antragstellerin durch die Bezahlkarte wesentliche Nachteile drohen würden (LSG Bayern, Beschluss vom 19.02.2025 – L 8 AY 55/24 B ER, BeckRS 2025, 2322, Rn. 66).

2. Gewährleistung des Existenzminimums durch Sach- oder Dienstleistungen zulässig

Das LSG verweist auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Gewährleistung des Existenzminimums durch Sach- oder Dienstleistungen verfassungsrechtlich zulässig sei (BVerfG, Urteil vom 18. 7. 2012 − 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, NVwZ 2012, 1024). Das Existenzminimum wird in Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantiert. Es umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Es steht allen in Deutschland lebenden Menschen zu, also auch Asylbewerbern. Wie das Sichern des Existenzminimums konkret ausgestaltet wird, sei aber Sache des Gesetzgebers, so das BVerfG. Ob er das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert, bleibe grundsätzlich ihm überlassen (BVerfG, Urteil vom 18. 7. 2012 − 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, NVwZ 2012, 1024, Rn. 93).

3. Bargeldzahlung bleibt teilweise möglich

Darüber hinaus verweist das LSG Bayern darauf, dass die Antragstellerin nicht völlig bargeldlos gestellt wird, sondern ihr die Möglichkeit verbleibt, sich 50€ monatlich von der Bezahlkarte in bar auszahlen zu lassen. Damit würden ihr ausreichend Wahlmöglichkeiten verbleiben, um ihren Bedarf decken zu können. Hier lägen auch keine Gründe vor die es nötig machen würden, dass ihr mehr als 50€ Bargeld im Monat zur Verfügung steht. Ihr Bedürfnis in ganz bestimmten Geschäften einkaufen zu wollen, reiche nicht aus. Dass der Bargeldeinsatz begrenzt sei, sei vom Gesetzgeber so gewollt: „Die aus der Obergrenze möglicher Bargeldabhebungen resultierende Begrenzung des Bargeldeinsatzes begründet noch keinen wesentlichen Nachteil, sondern ist der gesetzlich geregelten Zulässigkeit einer anderen Erbringung von Leistungen als durch Bargeld immanent.“ Zudem müsse berücksichtigt werden, dass das Asylbewerberleistungsrecht Existenzsicherungsrecht auf niedrigstem Leistungsniveau darstelle: Der existenzielle, geringe Bedarf eines Asylbewerbers könne auch mit einer Bezahlkarte gedeckt werden (LSG Bayern, Beschluss vom 19.02.2025 – L 8 AY 55/24 B ER, BeckRS 2025, 2322, Rn. 66).

4. Ergebnis

Die zuständigen Behörden übten ihr Ermessen fehlerfrei aus, indem sie der sich um Asyl bewerbenden Antragstellerin eine Bezahlkarte anstelle von Bargeld ausstellten. Mangels Ermessensfehler der Behörde wies das LSG Bayern den Eilantrag somit zurück.

12.03.2025/0 Kommentare/von Micha Mackenbrock
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2025-03-12 15:52:542025-06-03 08:52:13Bezahlkarte gewährleistet Existenzminimum für Asylbewerber
Micha Mackenbrock

Keine Gesichtsschleier am Steuer

Aktuelles, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Uncategorized, Verwaltungsrecht

Fragen im Zusammenhang mit dem Kopftuch oder einer Gesichtsverschleierung werden nicht nur in der Gesellschaft kontrovers diskutiert, sondern auch die Gerichte haben sich regelmäßig mit ihnen zu beschäftigen. So auch das OVG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 13.08.2024 – 7 A 10660/23.OVG, NJW 2024, 3532): Im hier vorliegenden Fall ging es darum, ob eine Muslima mit Gesichtsschleier Auto fahren darf.

I. Der Sachverhalt

Die Klägerin K ist gläubige und praktizierende Muslima. In der Öffentlichkeit trägt sie aufgrund ihres Glaubens einen Niqab. Ein Niqab ist ein Schleier, der das ganze Gesicht verdeckt und dabei nur einen schmalen Schlitz für die Augen freilässt. K ist der Auffassung, dass sie eine Sünde begehen würde, wenn sie ohne Niqab in der Öffentlichkeit auftrete. Sie möchte auch beim Autofahren den Niqab tragen, um ihr Gesicht vor anderen Verkehrsteilnehmern zu verdecken. Dem steht aber § 23 IV 1 StVO entgegen. Dort heißt es: Wer ein Kraftfahrzeug führt, darf sein Gesicht nicht so verhüllen oder verdecken, dass er nicht mehr erkennbar ist.

1. Auffassung der Klägerin

K beantragte eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 II StVO. Sie sei auf das Autofahren angewiesen, da sie unter Knieschmerzen leide und im ÖPNV schon Opfer von Angriffen und Beleidigungen aufgrund des Tragens des Gesichtsschleiers geworden sei. K argumentiert, dass das Verhüllungsverbot gemäß § 23 IV 1 StVO verfassungswidrig sei, da es schwerwiegende Grundrechtsverletzungen und einen Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt darstelle. Insbesondere werde die Glaubensfreiheit verletzt, da muslimische Frauen durch das Verbot besonders betroffen seien und keine Möglichkeit bestünde, auf andere Verkehrsmittel auszuweichen. Das gesetzgeberische Ziel der Verkehrsüberwachung könne auch durch andere Maßnahmen wie Fahrtenbücher oder einer individuellen Kennzeichnung des Gesichtsschleiers erreicht werden. Außerdem sei das Tragen eines Gesichtsschleiers nicht nachweislich gefährlicher als andere Formen der Gesichtsbedeckungen, wie zum Beispiel einer Corona-Schutzmaske. Die Ablehnung einer Ausnahmegenehmigung verstoße gegen Art. 3 GG, da muslimische Frauen benachteiligt würden und Angehörige anderer Religionen sowie männliche Muslime ihre religiöse Kleidung tragen dürften.

K beantragt bei Gericht, dass die beklagte Straßenverkehrsbehörde dazu verpflichtet wird, ihr die Ausnahmegenehmigung zu erteilen.

2. Auffassung der Straßenverkehrsbehörde

Die für die Erteilung zuständige Straßenverkehrsbehörde lehnt eine Erteilung jedoch ab: Es läge kein besonders dringender Einzel- beziehungsweise Ausnahmefall im Sinne des § 46 II StVO vor, welcher die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung rechtfertigen würde. Die K könne anstatt ihres Autos ein Motorrad fahren und mit dem Motorradhelm ihr Gesicht im Straßenverkehr verdecken. Außerdem sei der ÖPNV in ihrer Heimatstadt gut ausgebaut, so dass K mit ihrem Knie keine weiten Fußwege zur Haltstelle gehen müsse. Zudem unterscheide sich eine potentielle Diskriminierung im ÖPNV wegen ihres Gesichtsschleiers nicht von sonstigen Diskriminierungen, die K in der Öffentlichkeit erleide. Der Eingriff in die Glaubensfreiheit der Klägerin sei gering. Dagegen überwiege das Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs sowie an der Identifizierbarkeit der Verkehrsteilnehmer im Rahmen von automatisierten Verkehrskontrollen, wie zum Beispiel Radarkontrollen.

II. Die Entscheidung

Das erstinstanzlich zuständige Verwaltungsgericht gab der K kein Recht: B müsse keine Ausnahmegenehmigung erteilen (VG Neustadt a.d. Weinstraße, 26.07.2023 – 3 K 26/23.NW, BeckRS 2023, 18778). Der hiergegen gerichtete Antrag der K auf Zulassung der Berufung wurde vom OVG Rheinland-Pfalz abgelehnt. Es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, § 124 II Nr. 1 VwGO.

1. Verfassungsmäßigkeit des § 23 IV StVO

Es läge zwar ein Eingriff in die grundrechtlich geschützte Religionsfreiheit aus Art. 4 I, II GG vor. Dieser sei aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

a) Kein Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt

Der Parlaments- beziehungsweise Wesentlichkeitsvorbehalt bestimmt, dass das Demokratiegebot und das Rechtsstaatsprinzip den Gesetzgeber verpflichten, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen (BVerfG, 8.8.1978 – 2 BvL 8/77, NJW 1979, 359 (360)). Für Autofahrer sei das Verschleierungsverbot aber örtlich und zeitlich stark begrenzt. Dass Kopftücher und Gesichtsschleier in der Gesellschaft viel diskutiert werden, würde nicht dazu führen, dass eine entsprechende Regelung „wesentlich“ sei (OVG Koblenz 13.8.2024 – 7 A 10660/23.OVG, NJW 2024, 3532, Rn. 14). Die Rechtsverordnung § 23 StVO beruht auf der Verordnungsermächtigung des § 6 StVG. Art. 80 I 2 GG verlangt, dass Verordnungsermächtigung bestimmt genug sein müssen. Das im konkreten Fall erforderliche Maß an Bestimmtheit hängt dabei auch von der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ab. Bei vielgestaltigen, komplexen Lebenssachverhalten sind geringere Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen als bei einfach gelagerten Lebenssachverhalten.

Es bestünden keine Bedenken an der hinreichenden Bestimmtheit von § 6 StVG. Die Norm erlaubt dem Verordnungsgeber, Maßnahmen zur Erhaltung der Sicherheit und Ordnung im Straßenverkehr zu erlassen. Eine vollständige Aufzählung aller denkbaren Fälle durch den Gesetzgeber sei aufgrund der Vielseitigkeit der Regelungsbereiche und der Fachkompetenz des Bundesverkehrsministeriums nicht erforderlich. Auch Eingriffe in die Religionsfreiheit würden keinen höheren Grad an Bestimmtheit erfordern. Außerdem erfolge der Eingriffe in die Religionsfreiheit hier nur mittelbar. Damit stelle § 23 StVO stellen keine wesentliche Entscheidung dar, welche dem Parlamentsvorbehalt unterliegt (OVG Koblenz 13.8.2024 – 7 A 10660/23.OVG, NJW 2024, 3532, Rn. 16 f.).

b) Verhältnismäßigkeit

Der durch § 23 IV StVO in die Religionsfreiheit erfolgende Eingriff sei auch verhältnismäßig. Der Zweck der Verordnung, nämlich der Schutz von Leib und Leben im Straßenverkehr, sei legitim. Das Schleierverbot sei auch geeignet, diesen Zweck zu erreichen, indem es zur Identifizierbarkeit von Verkehrsteilnehmern beiträgt und aus beschränkter Rundumsicht hervorgerufenen Unfällen vorbeugt.

Das Schleierverbot sei auch erforderlich, also das mildeste unter den gleich effektiven Mitteln. K meint zwar, sie könne ein Fahrtenbuch führen. Ein Fahrtenbuch ist ein Buch, in welches der Zeitpunkt des Beginns und des Endes sowie der Name des Fahrzeugführers bei jeder Fahrt eingetragen wird. Ein Fahrtenbuch könne die Rundumsicht eines Fahrzeugführers aber nicht gewährleisten, so das OVG. Auch wäre eine fahrzeugbezogene Fahrtenbuchauflage zur Identifikation eines verschleierten Fahrzeugführers nicht gleich geeignet wie ein Verschleierungsverbot, weil es der K aufgrund ihrer Fahrerlaubnis freisteht, jedes andere KFZ zu fahren. So könne es auch sein, dass Fahrten unter Einsatz eines Niqabs mit Fahrzeugen erfolgen, deren Halter die K nicht ist und für die keine Fahrtenbuchauflage bestünde. Außerdem sei es denkbar, dass es innerhalb einer Familie oder eines Freundes- oder Bekanntenkreises mehrere Personen mit Zugriff auf ein Kraftfahrzeug gibt, die ein Niqab tragen. Somit kämen mehrere Personen als Fahrzeugführer in Betracht und eine Identifikation sei unmöglich. Auch könne ein Fahrtenbuch gar nicht oder unrichtig geführt werden. Die K meint, dass eine Identifikation auch darüber erreicht werden könne, dass sie ein individuelles, einmaliges Kennzeichen auf dem Gesichtsschleier befestige, an welchem sie identifiziert werden könne. Das sei aber ebenfalls nicht gleich effektiv, so das OVG, denn mit so einem Kennzeichen könne nur das Kleidungsstück, nicht aber eine Person identifiziert werden.

Schließlich sei § 23 IV StVO auch angemessen. Es bestünden viele Alternativen zum Autofahren, so dass die K nicht in einen unauflösbaren Interessenkonflikt zwischen Glaubensausübung und ihrer Fortbewegungsfreiheit stehe. Auch aus Art. 4 I, II GG folge kein Anspruch darauf, ein KFZ zu selbstgewählten Bedingungen führen zu dürfen. Insgesamt läge keine hohe Eingriffsintensität vor.

2. Rechtmäßige Versagung der Ausnahmegenehmigung

Das Gericht entscheidet, dass der K auch im hier vorliegenden Einzelfall keine Ausnahmegenehmigung hätte erteilt werden müssen. Die Knieprobleme der K würden einer Benutzung des ÖPNV nicht entgegenstehen, denn die K muss keine weiten Fußwege zur Haltestelle auf sich nehmen. Außerdem würden im ÖPNV in der Regel genügend Sitzplätze zur Verfügung stehen. Alternativ könne die K auch ein Motorrad beziehungsweise ein Moped fahren und mittels des Helms ihrem Glaubensgebot nachkommen.

3. Ergebnis

Die beklagte Straßenverkehrsbehörde ist nicht dazu verpflichtet, der K eine Ausnahmegenehmigung vom Verschleierungsverbot zu erteilen.

III. Fazit

Das Urteil reiht sich ein in eine Rechtsprechung, die zu Ungunsten von Kopftuchträgerin entscheidet (siehe hierzu: BVerfG, 14.1.2020 – 2 BvR 1333/17, NJW 2020, 1049; BAG, 27.8.2020 – 8 AZR 62/19, NZA 2021, 189; anders hingegen: BVerfG, 18.10.2016 – 1 BvR 354/11, NVwZ 2017, 549; BVerfG, 27.1.2015 – 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10, NJW 2015, 1359). Es ist anzunehmen, dass Kopftücher und Verschleierungen auch in Zukunft die Gerichte beschäftigen werden. Somit ist die Thematik auch für die Klausurenersteller der Justizprüfungsämter interessant, so dass Studierende hierzu infomiert bleiben sollten.

13.02.2025/0 Kommentare/von Micha Mackenbrock
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2025-02-13 10:59:112025-06-03 08:52:50Keine Gesichtsschleier am Steuer
Sören Hemmer

BVerfG zur Beteiligung von VeranstalterInnen von Großveranstaltungen an Polizeieinsatzkosten

Aktuelles, BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsprechung, Startseite, Verfassungsrecht

Am 14.01.2025 hat das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen die Gebührenerhebung für Polizeikosten bei Hochrisikospielen der Fußballbundesliga zurückgewiesen (BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22). Das Urteil hat nicht nur eine breite öffentliche Debatte bedient, sondern erscheint auch aus der spezifischen Perspektive des juristischen Studiums und der Examensvorbereitung relevant. Der folgende Beitrag macht sich daher zur Aufgabe, den Sachverhalt und die wesentlichen Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts mit einem besonderen Blick auf die juristische Ausbildung zu besprechen.

I. Der Sachverhalt (verkürzt)

Die Urteilsverfassungsbeschwerde betrifft die Erhebung einer Gebühr gegenüber der Beschwerdeführerin wegen eines als besonders gefahrgeneigt eingestuften Fußballbundesligaspiels.

In dem Bestreben, die Kostenbelastung des Landes für Polizeieinsätze bei gewinnorientierten Großveranstaltungen zu senken (vgl. Bremische Bürgerschaft Drs. 18/1201), wurde § 4 BremGebBeitrG im Jahr 2014 um folgenden Absatz 4 ergänzt:

„(4) Eine Gebühr wird von Veranstaltern oder Veranstalterinnen erhoben, die eine gewinnorientierte Veranstaltung durchführen, an der voraussichtlich mehr als 5 000 Personen zeitgleich teilnehmen werden, wenn wegen erfahrungsgemäß zu erwartender Gewalthandlungen vor, während oder nach der Veranstaltung am Veranstaltungsort, an den Zugangs- oder Abgangswegen oder sonst im räumlichen Umfeld der Einsatz von zusätzlichen Polizeikräften vorhersehbar erforderlich wird. Die Gebühr ist nach dem Mehraufwand zu berechnen, der aufgrund der zusätzlichen Bereitstellung von Polizeikräften entsteht. Der Veranstalter oder die Veranstalterin ist vor der Veranstaltung über die voraussichtliche Gebührenpflicht zu unterrichten. Die Gebühr kann nach den tatsächlichen Mehrkosten oder als Pauschalgebühr berechnet werden.“

Ebenso wurde die Anlage zur Kostenverordnung für die innere Verwaltung (InKostV) um eine entsprechende Nr. 120.60 (a.F., nunmehr Nr. 120.61) ergänzt. Zudem sieht § 25 Abs. 1 BremGebBeitrG vor, dass Kosten aus Billigkeitserwägungen erlassen, nicht festgesetzt oder erstattet werden können.

Die Beschwerdeführerin ist eine GmbH und einhundertprozentigen Tochter des DFL Deutsche Fußballliga e.V. mit Sitz in Deutschland. Sie ist innerhalb der Organisation des Fußballprofisports für die Verlegung von Spielen aus Sicherheitsgründen zuständig; für Sicherheitsmaßnahmen in den Stadien trägt der jeweilige Verein die Verantwortung.

Vor einem für den 19.04.2015 angesetzten Bundesligaspiel zwischen dem SV Werder Bremen und dem Hamburger SV im Bremer Weserstadion unterrichtete die Polizei Bremen die Beschwerdeführerin von ihrer voraussichtlichen Gebührenpflicht gemäß § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG. Am Spieltag waren 969 PolizeibeamtInnen im Einsatz, die zahlreiche polizeiliche Maßnahmen – unter anderem circa 90 Ingewahrsamnahmen und 150 Platzverweise für das gesamte Stadtgebiet – vornahmen. Im Anschluss forderte die Polizei Bremen mit Bescheid vom 18.08.2015 Gebühren in Höhe von 425.718,11 € von der Beschwerdeführerin.

Seit dem Erlass des ersten Bescheids wurden auf Grundlage des § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG durchschnittlich bei einem Spiel pro Saison Gebühren in durchschnittlicher Höhe von 334.000 € gefordert. Die Beschwerdeführerin nahm jeweils Regress beim SV Werder Bremen.

In der Saison 2022/2023 wurden insgesamt 52 von 612 Begegnungen der 1. und 2. Bundesliga als Hochrisikospiele eingeordnet. Dabei lag der örtliche Schwerpunkt der im Zusammenhang mit diesen Spielen begangenen Straftaten vor allem im Bereich des Stadions, des Stadionvorfelds und in den Bahnhöfen.

Nachdem die Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom 18.08.2015 erfolglos den Verwaltungsrechtsweg beschritten hatte, hat sie Urteilsverfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG durch die angegriffenen Gerichtsentscheidungen. Mittelbar richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Gebührenregelung selbst.

(Auf eine nähere Darstellung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrensverlaufs wird an dieser Stelle unter Verweis auf BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22 Rn. 10 ff. verzichtet.)

II. Die Entscheidung des BVerfG

1. In Betracht kommen nur Verletzungen in die Berufsfreiheit und in den allgemeinen Gleichheitssatz

Schon in der Erörterung der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde beschränkt das Bundesverfassungsgericht seine weitere Prüfung auf die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Insoweit komme in jeweiliger Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG eine Grundrechtsverletzung in Betracht. Im Übrigen fehle es an einem hinreichend substantiierten Vortrag (§§ 23 Abs. 1 S. 2, 92 BVerfGG).

Im Einzelnen:

Hinsichtlich Art. 14 Abs. 1 GG folgt das Bundesverfassungsgericht seiner ständigen Rechtsprechung, nach der die Auferlegung von Geldleistungspflichten nicht an Art. 14 Abs. 1 GG, sondern Art. 2 Abs. 1 GG zu messen sei, weil die Eigentumsfreiheit nicht das Vermögen als solches schütze (BVerfG, Beschl. v. 12.10.1994 – 1 BvL 19/90, BVerfGE 91, 207 (220 f.)).

Hinweis: Hier stellt das Bundesverfassungsgericht freilich im Weiteren nicht auf die allgemeine Handlungsfreiheit, sondern die Berufsfreiheit ab.

Auch ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG (Einzelfallgesetzgebung) scheide unter Verweis auf die angegriffenen Entscheidungen aus. So hat zuvor das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt:

„Es liegt kein unzulässiges Einzelfallgesetz vor. Der Wortlaut des § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG ist abstrakt formuliert und knüpft allgemein an den Einsatz zusätzlicher Polizeikräfte bei bestimmten gewinnorientierten Großveranstaltungen an. Dass die Regelung derzeit offenbar nur die Veranstalter von sog. Hochrisiko-Spielen der Fußball-Bundesliga betrifft und dies auch im Gesetzgebungsverfahren im Vordergrund stand, ändert nichts an ihrem generellen Charakter. Die gesetzliche Regelung eines Einzelfalles ist selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn der Sachverhalt so beschaffen ist, dass es nur einen Fall dieser Art gibt und die Regelung dieses singulären Sachverhalts von sachlichen Gründen getragen wird; Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG will verhindern, dass der Gesetzgeber willkürlich aus einer Reihe gleichgelagerter Sachverhalte einen Fall herausgreift und zum Gegenstand einer Sonderregel macht (BVerfG, Urteil vom 10. März 1992 – 1 BvR 454/91 u.a. – BVerfGE 85, 360 <374> m.w.N.). Hiervon kann bei der vorliegenden Gebührenregelung keine Rede sein.“ (BVerwG, Urt. v. 29.03.2019 – 9 C 4.18, Rn. 19, NJW 2019, 3317 (3319)).

Schließlich ließ das Bundesverfassungsgericht die Rüge einer im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG unzureichenden Kontrolle der Richtigkeit der polizeilichen Prognose des Gewaltpotenzials durch das Oberverwaltungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht an den Darlegungsanforderungen scheitern.

Hinweis: In der Klausur werden all diese Ausführungen im Prüfungspunkt „Beschwerdebefugnis“ erwartet.

2. Gerechtfertigter Eingriff in die Berufsfreiheit
a) Eingriff in den Schutzbereich

Vor keine großen Probleme sieht sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage gestellt, ob in § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG zu erkennen ist.

Die Organisation von Fußballbundeligaspielen sei grds. geschützt, da die Veranstalterinnen und Veranstalter diese Tätigkeit in Gewinnerzielungsabsicht ausüben. Geschützt sei – in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG auch für juristische Personen – das Ergreifen und Ausüben eines Berufes als einheitliches Grundrecht, wobei Beruf als jede auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage zu verstehen sei.

In dieses Grundrecht werde durch die Auferlegung von Geldleistungspflichten eingegriffen, soweit diese:

„in engem Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz erkennen lassen (vgl. BVerfGE 98, 83 <97>; 113, 128 (145); 124, 235 <242>; 161, 63 <89 Rn. 43> – Windenergie-Beteiligungsgesellschaften; BVerfGE 162, 325 <346 Rn. 79> – Zinsen Kernbrennstoffsteuer). Dies ist anzunehmen, wenn die Geldleistungspflichten einen spezifischen Einfluss auf die berufliche Tätigkeit ausüben und zu einer Veränderung der Rahmenbedingungen der Berufsausübung führen (vgl. zu Abgaben BVerfGE 95, 267 <302>; 98, 218 <258>; 111, 191 <213 f.>; 113, 128 <145>; 161, 63 <90 Rn. 47>; stRspr)“ (BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22, Rn. 55).

Eine spezifische Beeinflussung der beruflichen Tätigkeit könne hier erkannt werden, denn die Gebührenpflicht für Hochrisikospiele knüpfe an einen bestimmten Ausschnitt der Tätigkeit an und erhöhe die finanzielle Belastung erheblich.

Hinweis: Hier liegen tatsächlich nicht die Schwierigkeiten des Falles. In einer entsprechenden Klausur mag es geboten sein, einen weiteren Satz zu der abstrakten Umschreibung eines Eingriffs zu verlieren. Insgesamt sollten die Ausführungen an diesen Stellen jedoch knapp gehalten werden.

b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Der Eingriff ist jedoch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit

In formeller Hinsicht kann sich das Bundesverfassungsgericht auf Ausführungen zur Gesetzgebungskompetenz beschränken. Das Land Bremen habe sich hier auf Art. 70 Abs. 1 GG stützen können, denn die Kompetenz für die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben werde von der Sachmaterie – allgemeines Polizeirecht – umfasst. Mit § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG werde eine Gebühr und keine Steuer erhoben (dazu noch unter III.).

Wesentliches Abgrenzungsmerkmal zwischen Steuer und Gebühr sei dabei, ob eine Geldforderung zur allgemeinen Finanzbedarfsdeckung des Gemeinwesens (vgl. § 3 Abs.1 AO) oder

„aus Anlass individuell zurechenbarer Leistungen durch eine öffentlich-rechtliche Norm oder eine sonstige hoheitliche Maßnahme auferlegt werden (vgl. BVerfGE 149, 222 <250 Rn. 55>) und insbesondere dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistungen deren Kosten ganz oder teilweise zu decken oder deren Vorteil (vgl. BVerfGE 93, 319 <347>) oder deren Wert auszugleichen (vgl. BVerfGE 50, 217 <226>; 85, 337 <346>; 91, 207 <223>; 92, 91 <115>; 93, 319 <347>; 110, 370 <388>; 132, 334 <349 Rn. 49>; 137, 1 <18 Rn. 43>)“ (BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22, Rn. 61).

Letzteres sei hier der Fall, denn die Norm erlege konkret die Kosten eines polizeilichen Mehraufwands bei der Durchführung entsprechend gefahrenträchtiger Veranstaltungen auf.

Hinweis: Für die Examensprüfung sollten voneinander abgrenzende Definitionen zu den Begriffen Steuern, Beiträge und Gebühren bekannt sein.

bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit

Das Bundesverfassungsgericht sieht § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG auch als materiell verfassungsgemäß an, denn sie sei verhältnismäßig. Insofern verfolge die Norm einen legitimen Zweck in geeigneter, erforderlicher und angemessener Weise und sie genüge den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots.

Hinweis: Vertretbar ist auch, die hinreichende Bestimmtheit eines Gesetzes als eigenen Prüfungspunkt außerhalb der Verhältnismäßigkeit zu untersuchen (vgl. Dreier/Schulze-Fielitz, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 129).

(1) Legitimer Zweck, Geeignetheit und Erforderlichkeit

Das Bundesverfassungsgericht erkennt in dem Bestreben, Mehrkosten der benannten Veranstaltungen nach der mittelbar angegriffenen Norm auf Veranstalterinnen und Veranstalter abzuwälzen, einen legitimen Zweck. Gebühren können sich so in ihrer Ausgleichsfunktion rechtfertigen.

Dieser Zweck könne auch im Sachgebiet des Polizeirechts herangezogen werden. Dass kein solches Gebührenerhebungsverbot bestehe, gründet das Bundesverfassungsgericht auf vier Argumenten:

Erstens sei ein sachgebietsbezogenes Gebührenerhebungsverbot im Grundgesetz an keiner Stelle erwähnt. Zweitens sei mit Blick auf die Gerichtsgebühren anerkannt, dass auch staatliche Kernaufgaben nicht zwingend gebührenfrei zu erbringen sind. Drittens sei anerkannt, dass Gebühren auch dort erhoben werden können, wo eine staatliche Handlungspflicht besteht, etwa im Fall des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt. Das gelte – viertens – selbst dort, wo ein verfassungsrechtlicher Anspruch Einzelner auf eine staatliche Gewährleistung existiere; ansonsten sei wiederum die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Gerichtsgebühren durch Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG in Frage gestellt.

Mit der Regelung des § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG werde ein Mehraufwand der Polizeitätigkeit finanziert, indem die Allgemeinheit entlastet und NutznießerInnen und VerursacherInnen belastet werden. Das Gesetz sei damit in Hinblick auf den genannten Zweck förderlich und damit geeignet.

In Ermangelung eines milderen staatlichen Mittels, dass die Allgemeinheit von jenen Mehrkosten befreit, sei die Regelung auch erforderlich.

(2) Angemessenheit

Einen Schwerpunkt seiner Ausführungen legt das Bundesverfassungsgericht auf die Angemessenheit der Regelung. Dabei stellt es zunächst die grundrechtliche Belastung und den Zweck in ihrem jeweiligen Gewicht gegenüber (a), um anschließend beides hinsichtlich des Grundes (b) und der Bemessung (c) der Gebühr unter maßgeblicher Berücksichtigung des Wesens einer Gebühr als Gegenleistung für eine individuell zurechenbare Leistung in ein Verhältnis zu stellen und auf dieser Grundlage eine Gesamtschau der Angemessenheit vorzunehmen (d).

(a) Grundrechtsbelastung und Zweck der Regelung

Strukturiert legt das Bundesverfassungsgericht zunächst dar, was es überhaupt in Verhältnis zu setzen gilt.

Auf der einen Seite stehe ein Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) von einigem Gewicht, denn:

  • Gebühren können eine beträchtliche Höhe erreichen, allerdings nur bei grds. gewinnorientierten Veranstaltungen.
  • die Belastung finde zwar ihren Anlass in dem Verhalten der Veranstaltenden, die insofern auch gerade von dem Derby-Charakter von Hochsicherheitsspielen profitieren, die Gefahrgeneigtheit sei dennoch für Veranstaltende nur begrenzt steuerbar, denn sie liege teilweise außerhalb des eigenen Einflussbereichs.
  • Die Höhe der Gebühr stehe nicht in Relation zum Gewinn, sodass erstere letztere auch übersteigen könne, wobei die Möglichkeit einer Billigkeitsentscheidung nach § 25 Abs. 1 BremGebBeitrG zu berücksichtigen sei.

Auf der anderen Seite stehe eine gerechte Kostenverteilung von Hochrisiko- gegenüber „normalen“ Bundesligaspielen als erheblich bedeutsamer Zweck für das Gemeinwesen und den sozialen Frieden. Hier berücksichtigt das Bundesverfassungsgericht auch, dass an der gefahrgeneigten Veranstaltung wiederum ein erhebliches Gemeinwohlinteresse („Integrationsleistung des Fußballs“) bestehen könne. Dafür, dass die Wirtschaftlichkeit und damit die Fortexistenz der Fußballbundesliga in Frage gestellt werde, bestehe allerdings kein Anhaltspunkt.

Hinweis: Gelegentlich gerät die Angemessenheitsprüfung von Bearbeitenden einer Klausur bereits an diesem Punkt in Schieflage. Nicht immer sind hier ausführliche Darstellungen erforderlich, wenn sich schon aus den Ausführungen unter „Eingriff in den Schutzbereich“ und „legitimer Zweck“ hinreichend ergibt, was gegeneinander abzuwägen ist. Dessen sollte sich aber in jedem Fall vergegenwärtigt werden.

(b) Verhältnismäßigkeit der Gebührenauferlegung dem Grunde nach

Zur Gebührenregelung dem Grunde nach führt das Bundesverfassungsgericht aus, diese sei nur dann angemessen, wenn sie auch tatsächlich als Gegenleistung für eine individuell zurechenbare Leistung erhoben wird. Hier stehe der Gesetzgebung ein weiter Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum zu, dieser sei aber jedenfalls überschritten, wenn kein konkreter Bezug zwischen dem gesetzlich definierten Vorzug und der/dem Abgabepflichtigen mehr erkennbar sei.

Eine Zurechenbarkeit der Mehrkosten gegenüber den Veranstaltenden rechtfertige sich aus einer Gesamtschau mehrerer Gesichtspunkte der Veranlassung und Begünstigung.

Zum einen sei der Mehraufwand durch diejenigen, die eine entsprechende Veranstaltung durchführen, veranlasst. Sie nehmen so begrenzte öffentliche Ressourcen in deutlich übermäßigem Umfang in Anspruch und begründen damit ein Näheverhältnis zu der erbrachten Leistung, dass weder durch die Rechtmäßigkeit der Veranstaltung, noch die Unerwünschtheit des Polizeieinsatzes unterbrochen werde. In jedem Fall seien die staatlichen Ressourcen gebunden, denn die Wahrnehmung der Aufgabe des Schutzes der öffentlichen Sicherheit stehe nicht zur Disposition. Auch bei wertender Betrachtung bestehe eine Zurechenbarkeit, denn:

„Die Nähe zum gebührenpflichtigen Mehraufwand wird im vorliegenden Fall auch durch den besonderen Umfang des Aufwands begründet, der in abgrenzbarer Weise durch die Veranstaltung und gerade nicht durch die Allgemeinheit verursacht wird. Die Gefahrenträchtigkeit und die mit der Veranstaltung erzielten Gewinne sind überdies auch in der den Veranstalterinnen und Veranstaltern bekannten und von ihnen gewollten Attraktivität der durchgeführten Veranstaltung miteinander verknüpft“ (BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22, Rn. 96).

Hier vergleicht das Bundesverfassungsgericht die „Normallage“ in einer Stadt und die Lage bei „normalen Spielen“ mit derjenigen bei Hochrisikospielen. Eine besondere Gefahrenträchtigkeit von letzteren sei plausibel und werde durch langjährige Erfahrungen gestützt.

Zum anderen liege bei den Veranstaltenden ein Nutznießen von dem polizeilichen Mehraufwand vor. Müsste eine Veranstaltung andernfalls wegen ihrer Gefahrgeneigtheit untersagt werden, beruhe ihre Durchführbarkeit auf dem besonderen polizeilichen Aufwand.

Die Auferlegbarkeit der Kosten setze auch nicht eine Verantwortlichkeit auf Primärebene, also auf der Ebene der Gefahrenabwehr an sich, voraus, denn beide Ebenen seien an unterschiedlichen Zwecken ausgerichtet, sodass ein Gleichlauf nicht zwingend sei.

Mit Blick auf die Durchführung der Veranstaltung in Kenntnis ihrer Gefahrenträchtigkeit und das Nutznießen der Veranstaltenden in Form der Durchführbarkeit der Veranstaltung aufgrund des polizeilichen Mehraufwands stehe einer Zurechenbarkeit schließlich auch nicht entgegen, dass dazwischen ein freiverantwortliches Handeln Dritter stehen könne.

(c) Verhältnismäßigkeit der Gebührenbemessung

Auch in der Gebührenbemessung sei gegen § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG im Ergebnis nichts zu erinnern. Maßgeblich sei dabei der Zweck der Belastung durch die Abgabe: Es solle ein durch eine öffentlich-rechtliche Leistung vermittelter Vorteil bzw. eine Nutzungsmöglichkeit abgegolten werden. Es müsse auch kein Gemeinwohlabschlag vorgenommen werden. Wiederum verweist das Bundesverfassungsgericht auf die vorangegangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts:

„Zwar trifft es zu, dass das Bundesverwaltungsgericht für bestimmte Fallgestaltungen einen (Gemeinwohl-)Abschlag verlangt. So hat es etwa zum Straßenreinigungsrecht entschieden, dass es sich unter keinem vernünftigen Gesichts punkt als sachgerecht erweist und es daher gegen den Gleichheitssatz verstößt, wenn Kosten, die die Befriedigung des Allgemeininteresses betreffen, allein den Anliegern aufgebürdet werden […] Der Unterschied zu den vorgenannten Fallgestaltungen liegt aber darin, dass es bei § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG um einen polizeilichen Mehraufwand geht, der ausschließlich aufgrund einer privatnützigen, gewinnorientierten Veranstaltung entsteht“ (BVerwG, Urt. v. 29.03.2019 – 9 C 4.18, Rn. 78 f.; NJW 2019, 3317 (3325)).

Zudem bliebe es in Anwendungsfällen von § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG ohnehin nur um die Auferlegung der Mehrkosten. Das allgemeine Teilhabeinteresse an einem Fußballspiel werde daher durch die öffentliche Hand finanziert.

(d) Gesamtschau der Angemessenheit

Auch in einer Gesamtschau sei die Regelung nicht unangemessen. Die Gebühr erschwere den Gebrauch entsprechender Freiheitsrechte nicht unzumutbar („erdrosselnde Wirkung“). Auf atypische Fälle könne im Wege einer Billigkeitsentscheidung nach § 25 Abs. 1 BremGebBeitrG reagiert werden.

(3) Bestimmtheitsgrundsatz

Schließlich erkennt das Bundesverfassungsgericht auch keine durchgreifenden Bedenken hinsichtlich aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteter Anforderungen der Normenklarheit und Bestimmtheit. Die Norm werfe keine Auslegungsprobleme auf, die nicht mit den herkömmlichen juristischen Methoden zu bewältigen seien und es genüge, wenn der Umfang der Abgabenlast im Groben vorherzusehen ist, was im Falle von § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG gegeben sei, zumal eine entsprechende Prognose vorab gemäß S. 3 der Vorschrift mitzuteilen sei.

3. Gerechtfertigte Ungleichbehandlung

Das Bundesverfassungsgericht erkennt ebenfalls keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Insofern bedürfen Differenzierungen der Rechtfertigung. Dahingehend seien zwei Vergleichsgruppen in den Blick zu nehmen: Einerseits werde unter Veranstaltenden je nach Gewinnorientierung ihrer Veranstaltung differenziert, andererseits danach, ob an ihrer Veranstaltung mindestens 5.000 Personen zeitgleich teilnehmen.

Beide Differenzierungen seien an einem Maßstab einer gelockerten Verhältnismäßigkeitsprüfung zu messen, wie aus der ständigen Rechtsprechung zu den Rechtfertigungsanforderungen einer Ungleichbehandlung im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG und in Ansehung der hiesigen Beeinträchtigung der Berufsfreiheit folge:

„Differenzierungen bedürfen […] stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfGE 138, 136 <180 Rn. 121> m.w.N.; 148, 147 <183 f. Rn. 94>; 161, 63 <134 f. Rn. 166>; 167, 163 <235 f. Rn. 174>; stRspr). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind, oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 138, 136 <180 f. Rn. 122>; 149, 222 <253 f. Rn. 64>; 158, 282 <327 f. Rn. 111>; 161, 63 <134 f. Rn. 166>; stRspr)“ (BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22, Rn. 117).

Gemessen daran, seien die Differenzierungen in § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG zu rechtfertigen. Die Differenzierung nach Gewinnorientierung diene gerade dem Zweck, die besonderen Kosten an die Stelle zu verlagern, die aus der Quelle des zusätzlichen Aufwands einen finanziellen Vorteil ziehe. Die Differenzierung nach Veranstaltungsgröße wirke sowohl auf die Begrenzung der Kostenauferlegung auf Fälle besonderer Gefahrenträchtigkeit – kleinere Veranstaltung, weniger gefahrenträchtig – als auch auf den Zweck der Verlagerung von Kosten an Stellen, die einen besonderen Vorteil aus einem Mehraufwand ziehen – kleinere Veranstaltungen, weniger Gewinn – hin.

Hinweis: Grob fehlerhaft wäre es hingegen, eine Differenzierung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG anzunehmen, weil andere Bundesländer keine mit § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG vergleichbare Regelung vorsehen. Die kompetenziellen Grenzen der Länder in der föderalen Struktur sind zu achten: Jedes Land hat als eigener Träger öffentlicher Gewalt den Gleichheitssatz nur innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs zu gewährleisten (BVerfG, Beschl. v. 23.11.1988 – 2 BvR 1619/83, 1628/83, BVerfGE 79, 127 (158)).

4. Auslegung und Anwendung von § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG

Die Verfassungsgemäßheit der Anwendung der Regelung in dem der Verfassungsbeschwerde zu Grunde liegenden Fall wird festgestellt.

III. Ausblick

1. Die grundlegende Problematik der Gebührenregelung

Das grundlegende Problem, welches bei der Gebührenerhebung für Maßnahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr gegenüber VeranstalterInnen gesehen wird, sei noch einmal skizziert:

Der Finanzverfassung des Grundgesetzes liegt, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das Prinzip des Steuerstaates zu Grunde. Die Finanzierung staatlicher Aufgaben in Bund und Ländern einschließlich der Gemeinden muss in erster Linie aus dem Ertrag der in Art. 105 ff. GG geregelten Einnahmequellen erfolgen. Das steht nichtsteuerlichen Abgaben nicht schon von vornherein entgegen, diese bedürfen jedoch einer besonderen Rechtfertigung und müssen sich in ihrer Art von der voraussetzungslos auferlegten und geschuldeten Steuer deutlich unterscheiden (BVerfG, Beschl. v. 07.11.1995 – 2 BvR 413/88, 1300/93, NVwZ 1996, 469 (470 f.).

Für die hier besprochene Gebührenregelung ist dabei zweierlei zu berücksichtigen: Erstens ist die Gefahrenabwehr staatliche Kernaufgabe (BVerfG, Beschl. v. 04.04.2006 – 1 BvR 518/02, BVerfGE 115, 320 (346); Siegel, DÖV 2014, 867; Böhm, NJW 2015, 3000 (3001)). Zweitens sind VeranstalterInnen von Bundesligaspielen auf primärer Ebene, also der Ebene der Gefahrenabwehr selbst, nach hM als NichtstörerInnen anzusehen, denn selbst die Figur der ZweckveranlasserInnen vermag nicht derart weit zu tragen (Siegel, DÖV 2014, 867 (868 f.); Böhm, NJW 2015, 3000 (3001); ausführlich Heise, NVwZ-Extra 5/2015, abrufbar unter https://rsw.beck.de/zeitschriften/nvwz/nvwz-extra-aufs%C3%A4tze-online, letzter Abruf am 26.01.2025; zumindest zweifelnd auch Mitteilung des Senats, LT-Drs. 18/1501, S. 10). In der Literatur wird so vertreten, durch § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG werden die besonderen Anforderungen an die Erhebung von Gebühren nicht erfüllt, indem der Staat sich von Einzelnen für die Erfüllung seiner allgemein bestehenden Aufgaben individuell bezahlen lasse (Leines, Die Kostentragung für Fußballeinsätze anlässlich von Fußballspielen, 2018, S. 281 ff.; Böhm, NJW 2015, 3000 (3002)).

2. Zur Entscheidung an sich

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungskonformität von § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG rekurriert in der Begründung in einem erheblichen Maße auf den Anwendungsfall von „Hochrisikospielen“ in der Fußballbundesliga. Dem ist zuzugeben, dass die Liste von Veranstaltungen, die in Gewinnorientierung durchgeführt werden, vergleichbare Massen bewegen und dabei eine Gefahrengeneigtheit besitzen, wie vom Bundesverfassungsgericht hier aus dem Charakteristikum der Rivalität zweier Mannschaften, dem ausgelassenen Feiern und dem Alkoholkonsum einem Teil der Begegnungen der Fußballbundesliga attestiert (BVerfG, Urt. v. 14.01.2025 – 1 BvR 548/22, Rn. 98), nicht unendlich lang sein dürfte (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.03.2019 – 9 C 4.18, Rn. 19; NJW 2019, 3317 (3319)).

Gerade hier knüpfen jedoch kritische Stimmen in Reaktion auf das Urteil an. Schon der Profifußball empfindet sich in der Entscheidung nicht hinreichend gesehen: Der DFB verwies in einer Stellungnahme auf Vereine der 3. Liga und den Regionalligen. Für sie könne in solchen Gebührenbescheiden eine Existenzgefährdung und ein massiver Wettbewerbseingriff liegen. Demgegenüber sei der Beitrag, den der Fußball für den gesellschaftlichen Zusammenhalt leiste, finanziell nicht aufzuwiegen (DFB, Polizeikosten bei Hochrisikospielen: DFB bedauert Urteil des BVerfG, 14.01.2025, abrufbar unter https://www.dfb.de/news/polizeikosten-bei-hochrisikospielen-dfb-statement-zum-bverfg-urteil, letzter Abruf am 25.01.2025).

Nicht überraschen darf, dass das Bundesverfassungsgericht zu Erwägungen des gesellschaftlichen Werts und der Integrationsfunktion des Fußballs zwar keine konsequente Ablehnung, jedoch Zurückhaltung gezeigt hat. Aus dem Grundgesetz, konkret Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip), folgt zwar auch eine Garantie der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Diese zu konkretisieren, ist aber Aufgabe der Gesetzgebung. Hier hat das Bundesverfassungsgericht einen weiten Gestaltungsspielraum zu respektieren (BVerfG, Urt. v. 09.02.2010 – 1 BvL1, 3, 4/09. BVerfGE 125, 175 (222, 224 f.); Beschl. v. 23.07.2014 – 1 BvL 10, 12/12, 1 BvR 1691/13, BVerfGE 137, 34 (72 ff.)).

Die Sorge, dass eine Regelung entsprechend § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG auch in anderen Fußballwettbewerben Anwendung finden würde, ist insoweit berechtigt, als auch in der 3. Liga im Schnitt 9.707 ZuschauerInnen die Spiele in der vergangenen Saison besucht haben (3. Liga Saisonreport 2023/2024, S. 14, abrufbar unter https://www.dfb.de/ePaper/DFB-Saisonreport-3-Liga-202324/, letzter Abruf am 25.01.2025). Freilich bewegen sich diese Bedenken derweil weitgehend im Bereich des Hypothetischen, denn für Fälle außerhalb Bremens ist vorgeschaltet, dass und inwiefern sich andere Länder eine § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG vergleichbare Gebührenregelung geben werden. Inwiefern von den Voraussetzungen, die das Bremer Gesetz vorsieht, abgewichen werden kann bzw. diese unterschritten werden können, folgt aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht ohne Weiteres. Zumindest jedoch ist betont, dass stets nur über die Mehrkosten eines besonderen Aufwands hervorgehobener Veranstaltungen entschieden wurde (vgl. dazu Heise, NVwZ 2015, 262 (267)).

Erwähnt werden soll schließlich noch, dass die Benennung der DFL als Veranstalterin gemäß § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG nicht unumstritten ist. Teilweise wird vertreten, der Gebührenbescheid sei – wenn überhaupt – an den jeweiligen Heimverein zu richten, da dieser die Organisation vor Ort vornehme (Böhm, NJW 2015, 3000 (3003 f.); Leines, Die Kostentragung für Polizeieinsätze anlässlich von Fußballspielen, 2018, S. 197 ff.).

3. Aus der Perspektive des Studiums

Für einschlägige Klausuren ist entscheidend, sich in einer strukturierten Verhältnismäßigkeitsprüfung mit dem Zweck von Gebühren im Allgemeinen, dem Verhältnis des Staates zu seiner Aufgabe der Gefahrenabwehr im Kontext der Kostentragung und den konkret tangierten Belangen Einzelner auseinanderzusetzen und dabei den Gestaltungsspielraum, der der Gesetzgebung belassen ist, zu achten. Darüber hinaus ist vieles vertretbar, wie schon die Diskussion im Vor- und Nachgang der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufzeigt.

04.02.2025/0 Kommentare/von Sören Hemmer
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Sören Hemmer https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Sören Hemmer2025-02-04 09:00:002025-06-03 08:53:27BVerfG zur Beteiligung von VeranstalterInnen von Großveranstaltungen an Polizeieinsatzkosten
Gastautor

Die objektive Zurechnung in der Prüfung bei Erfolgsdelikten

Aktuelles, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Verschiedenes

Die objektive Zurechnung im Strafrecht stellt nicht nur jüngere Semester immer wieder vor Herausforderungen. Mit den einzelnen Fallgruppen und Tipps für einen gelungenen Prüfungsaufbau hat sich unser Gastautor Matthias B. Haase beschäftigt. Er ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Deutsche und Rheinische Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

I. Die objektive Zurechnung als Dauerbrenner

Die objektive Zurechnung spielt insbesondere bei Erfolgsdelikten eine entscheidende Rolle in der Klausur. Viele bekannte Probleme sind mit diesem Tatbestandsmerkmal verbunden. Das Erkennen, Verstehen und Lösen der verschiedenen Problemkonstellationen in der Falllösung kann durch einen sauberen Prüfungsaufbau bewältigt werden. Dazu bedarf es einer klaren Einordnung der verschiedenen Fallgruppen in die Definitionsbegrifflichkeiten. Dies soll in den nachfolgenden Ausführungen geschehen. Wichtig zu betonen ist aber, dass nicht in jeder Klausur eine vollständige Prüfung durchgeführt werden sollte. Stattdessen sollte das Prüfungsschema zumindest vor dem geistigen Auge nachvollzogen werden, um die Probleme schnell zu erkennen und sauber im Gutachtenstil mit richtiger Schwerpunktsetzung abzuarbeiten. Der Beitrag orientiert sich insgesamt an den Kontroversen von Kindhäuser und Roxin.

Die Prüfung ist mit der allgemeinen Definition einzuleiten: „Der tatbestandliche Erfolg eines Deliktes ist dem Täter objektiv nur zurechenbar, wenn dieser mit seinem Verhalten ein rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen hat, welches sich im tatbestandlichen Erfolg realisiert hat.“[1]

II. Erlaubte Risiken

Zunächst ist also die Frage zu stellen, ob ein Verhalten die Schaffung eines rechtlich missbilligten Risikos darstellt; also ein durch die Rechtsordnung verbotenes Risiko. Das Risiko ist dabei als Vorstufe zum Erfolg zu verstehen. Ohne ein solches kann auch kein nachfolgender Erfolg eintreten. Das Risiko stellt mit anderen Worten die Möglichkeit eines künftigen Erfolgseintritts dar.[2] Fraglich ist ob jeder tatbestandlicher Erfolg ein unerlaubtes Risiko als Vorbedingung hatte.

1. Risiko nicht vom Schutzzweck der Norm erfasst

Zwar kann sich ein Risiko verwirklicht haben (Erfolgseintritt); dieses zuvor geschaffene Risiko könnte aber möglicherweise nicht aufgrund derjenigen Norm verboten gewesen sein, die gerade geprüft wird. Dies ist dann der Fall, wenn die Auslegung der Norm ergibt, dass bestimmte Verhaltensweisen, die zu bestimmten Risiken führen, nicht durch die Norm unter Strafe gestellt werden sollen.[3] Insbesondere kommen Gefahrenbereiche in Betracht, die fast vollständig von Verhaltensregeln durchdrungen sind, sodass bei Einhaltung dieser Verhaltensregeln kein weiterer Risikoschaffungsvorwurf getätigt werden kann.

Beispiel: Umgang mit bestimmten Geräten oder Baumaschinen

Hierbei ist aber zu beachten, dass diese Durchdringung mit Verhaltensnormen unmöglich als abschließend gelten kann. Somit ist bei dieser Fallgruppe ergänzend zu den Verhaltensnormen noch zu fragen, ob ein Verstoß gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht vorliegt; also die Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt.

2. Sozialübliches Verhalten (Sozialadäquanz)

Fraglich ist, ob ein sozialübliches Verhalten nur erlaubte Risiken schafft und damit eine objektive Zurechnung ausscheidet. Hierunter fallen insbesondere Verhaltensweisen, welche im Rahmen von alltäglichen Geschehnissen vorgenommen werden; insb. auch berufliche Tätigkeit.

Ein sozialübliches Verhalten ist nicht als solches ungefährlich. Hier muss immer auf den konkreten Fall geschaut werden. Entweder fehlt es bereits an der Kausalität oder es fehlt der Vorsatz bzw. die Vorhersehbarkeit. Damit führt ein sozialübliches Verhalten aber nicht automatisch dazu, dass ein erlaubtes Risiko vorliegt.[4]

Eine M.M. nimmt aber an, dass ein sozialübliches Verhalten einen Fall des Regressverbotes (s. dazu weiter unten) begründet: Hiernach fehle ein Risikozusammenhang. Aber auch diese Ansicht geht zunächst von einem unerlaubten Risiko aus.

3. Risikoverringerung

Fraglich ist, ob die Risikoverringerung ein erlaubtes Risiko darstellt und damit eine objektive Zurechnung ausscheidet.

a) Verhinderung der Risikorealisation

Wenn das Risiko vollkommen abgewendet worden ist und damit eine echte Risikoverringerung stattgefunden hat, liegt unstrittig kein unerlaubtes Risiko mehr vor. Das Risiko hat dann nicht mehr die Möglichkeit in einen rechtlich missbilligten Erfolg zu münden und kann dann im Wortsinn schon kein Risiko mehr darstellen.[5]

b) Austausch des Risikos

Wenn ein vollkommen neues Risiko anstelle des ursprünglichen Risikos geschaffen worden ist, wird unstrittig ein neues unerlaubtes Risiko geschaffen.[6] Dieses tatbestandliche Verhalten ist möglicherweise aber aufgrund einer (mutmaßlichen) Einwilligung gerechtfertigt. Bsp.: T stößt das O von einer Brücke. O wird so von der herannahenden Eisenbahn nicht erfasst. Beim Sturz von der Brücke wird O aber verletzt. Hier wird das Risko „vom Zug überfahren werden“, durch das Risiko „von der Brücke fallen“ ausgetauscht. Nur letzteres hat sich verwirklicht. Dieses Risiko ist aber unstrittig unerlaubt.

c) Quantitative Verminderung des Ausgangsrisikos

Umstritten ist aber, ob auch die Schadensverringerung ausreichend ist. Hierbei wird weder ein vollkommen neues Risiko geschaffen, noch wird das Ausgangsrisiko vollständig beseitig, sondern das mögliche Ausmaß der Realisierung verringert. Bsp.: T fasst O an den Arm und zieht es zur Seite. O wird dadurch von einem herabfallenden Stein nur an der Schulter verletzt, statt von diesem erschlagen zu werden.[7]

  • e.A.: Bei einer Schadensverringerung fehlt die Kausalität zwischen dem ursprünglichen Risiko und dem später abgeschwächt eingetretenen Erfolg. Stattdessen besteht Kausalität zwischen dem neuen abgeschwächten Risiko und dem später abgeschwächten eingetretenen Erfolg.[8] Eine Straffreiheit des Täters kann ohne Probleme über die Lehre der Einwilligung erreicht werden.[9] Folglich liegt in diesem Fall auch ein unerlaubtes Risiko vor. Arg.: Auf diese Weise kann besser auf den Willen des Opfers Rücksicht genommen werden;[10] Abgrenzung zur Schaffung eines vollkommen neuen Risikos kann willkürlich sein.[11]

Im obigen Fall wäre also die Schaffung des Risikos „fallender Stein auf Schulter“ unerlaubt.

  • aA.: Wenn ein quantitativ geringerer Erfolg eintritt, stellt das entsprechend vorherig verringerte Risiko ein erlaubtes Risiko dar.[12]

Im obigen Fall wäre also die Schaffung des Risikos „fallender Stein auf Schulter“ erlaubt.

III. Fehlende Realisation des unerlaubten Risikos (Fehlender Risikozusammenhang)

Das vom Täter geschaffene rechtlich missbilligte Risiko muss sich im tatbestandlichen Erfolg realisieren.

1. Fälle der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung

Wenn sich das Opfer der Erfolgsrealisation eigenverantwortlich aussetzt, realisiert sich nicht das ursprüngliche vom Täter geschaffene Risiko.

a) Abgrenzung eigenverantwortliche Selbstgefährdung / Fremdgefährdung

Zunächst ist fraglich, ob wirklich eine Selbstgefährdung oder aber eine Fremdgefährdung vorliegt. Letzteres führt zu keiner Unterbrechung des Risikozusammenhanges.

aa) Allg. Abgrenzungskriterien

Eine Selbstgefährdung liegt nur dann vor, wenn das Risiko vom Opfer allein oder zumindest zusammen mit dem Täter gleichgewichtig steuernd in den Händen gehalten wird. Ist dies nicht der Fall, liegt eine Fremdgefährdung vor.[13]

An dieser Stelle können ähnliche Abgrenzungskriterien wie bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme herangezogen werden.[14]

bb) Problem der einverständlichen Fremdgefährdung

In der Literatur wurde die Figur der einverständlichen Fremdgefährdung als Sonderfall entwickelt. Wenn nach obigen Abgrenzungskriterien zunächst eine Fremdgefährdung vorliegt, muss diese Frage geklärt werden. Unter bestimmten Voraussetzungen wird eine Gleichsetzung mit der Selbstgefährdung durch die Literatur vorgenommen. Dabei muss der Erfolg Folge des zuvor vom Opfer bewusst eingegangenen Risikos sein. Darüber hinaus muss eine gleichrangige Verantwortlichkeit zwischen Täter und Opfer bestehen.[15]

Ein klassisches Beispiel dafür ist der Fall, in dem das Opfer sich in voller Kenntnis der Tatumstände in das Auto des offensichtlich betrunkenen Täters setzt und aufgrund der Fahrweise des Täters tödlich verunfallt.[16] Hier willigt das Opfer in das Risiko ein, aber nicht in den später eintretenden Erfolg.

Wenn ein Fall der einverständlichen Fremdgefährdung vorliegt, muss folgender Streit beachtet werden:

  • h.M.: Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung und einverständliche Fremdgefährdung dürfen nicht gleichgesetzt werden. Letztere unterbricht nicht den Zurechnungszusammenhang.[17] Arg.: Wenn keine Unterscheidung stattfindet, könnten möglicherweise mit der Konstruktion der eigenverantwortlichen Fremdgefährdung bestehende Einwilligungssperren, wie z.B. die aus § 216 StGB umgangen werden.[18] Darüber hinaus ist die Fallgruppe der einverständlichen Fremdgefährdung nur schwer abgrenzbar.[19]

Hiernach wäre der Risikozusammenhang für T nicht unterbrochen.

  • M.M.: Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung und die einverständliche Fremdgefährdung sind gleichzusetzen. Beides führt zum Ausschluss des Risikozusammenhangs.[20] Arg.: Anders als bei der Einwilligung wird bei der eigenverantwortlichen Fremdgefährdung nur in ein Risiko eingewilligt und nicht in die Realisation des Erfolgs.[21] Damit ist der Zweck der Einwilligungssperren nicht mehr gegeben: Schutz vor dem spezifischen Erfolg, der mit Einwilligung des Opfers ansonsten erfolgen würde.[22]

Hiernach wäre der Risikozusammenhang für T unterbrochen.

b) Grundsätzliche Kriterien der Eigenverantwortlichkeit

Im Falle der Annahme einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung unter a) oder der Annahme der M.M. unter b) muss geklärt werden, welche Kriterien herangezogen werden müssen, um die Eigenverantwortlichkeit des Opfers zu beurteilen.

  • h.M.: Einwilligungslösung – Das Opfer muss die nötige Einsichtsfähigkeit besitzen, um die Tragweite des Risikos zu beurteilen. Es darf sich darüber hinaus diesbezüglich nicht in einem Irrtum befinden.[23]
  • a.A.: Exkulpationslösung – Nach den §§ 19, 20, 35 StGB und § 3 JGG ist zu beurteilen, ob das Opfer schuldfähig war, als es sich dem Risiko aussetzte.[24] Anm.: Diese Ansicht ist zur h.M. kein aliud, sondern lediglich enger. Wenn nach dieser Ansicht keine Eigenverantwortlichkeit gegeben ist, dann ist dies nach der h.M. erst recht nicht der Fall.[25]
c) Durchbrechung dieses Prinzips

In manchen Fällen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung wird dennoch die Unterbrechung des Risikozusammenhanges verneint.

aa) Unterlassung im Zeitpunkt der Gefahrensituation (Insb. bei Suizid)

Umstritten ist, ob der Zurechnungszusammenhang unterbrochen wird bzw. eine Garantenstellung gegeben ist, wenn das Opfer sich das Leben nimmt und eine zuvor helfende Person (Täter) sich in der Nähe des Opfers befindet und es retten könnte.

  • Heutige Rspr.: Eine Garanstellung/obj. Zurechnung ist grds. abzulehnen, sofern keine Hoffnung auf einen guten Ausgang beim Opfer besteht.[26] Eine Strafbarkeit gem. § 323c StGB scheitert in diesem Fall an der fehlenden Zumutbarkeit für den Täter (Konflikt zwischen allgemeiner Hilfspflicht und APR des Opfers).[27]
  • a.A.: Eine Garantenstellung ist stets zu verneinen. Der Risikozusammenhang wird unterbrochen. Möglicherweise ist aber § 323c StGB einschlägig, wenn der Erfolgseintritt nicht vom Opfer gewollt war.[28]

Die Ansichten divergieren nur noch im Randbereich der Hoffnung auf Ausbleiben des Erfolgseintritts.

bb) Fälle der verbotenen Mitwirkung; sog. paternalistische Fürsorgepflichten

Fraglich ist, ob in Fällen der verbotenen Mitwirkung der Risikozusammenhang auch anderer Straftaten (Tatbestände, die die verbotene Mitwirkung nicht ausdrücklich normieren) bestehen bleibt. Bsp.: T verkauft O eine Droge. O tötet im vollen Bewusstsein mit der Droge. Ist T neben § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG auch wegen § 222 StGB strafbar?

  • Rspr.: Die objektive Zurechnung ist nur in Bezug auf die Straftat gegeben, die dieses Verhalten ausdrücklich im Zusammenhang mit dem Erfolg normiert. Bzgl. der anderen möglichen Straftaten ist der Zurechnungszusammenhang wegen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung unterbrochen. Arg.: Es findet nicht nur ein Individualschutz statt, sondern auch der Schutz der Volksgesundheit.[29]

Hiernach würde T nicht gem. § 222 StGB bestraft werden, aber gem. § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG. Dies gilt zumindest bei konsequenter Anwendung dieser Ansicht. Die Rechtsprechung verneint aber in diesen Fällen die Leichtfertigkeit.[30]

  • lit.M.: Eine Risikozusammenhang bzgl. § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG und § 222 StGB kommt nicht Betracht, wenn das Opfer sich vorsätzlich und voll verantwortlich getötet hat. Arg.: Wenn § 222 StGB abgelehnt wird, dann kann auch § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG nicht einschlägig sein. [31]

Hiernach wäre T weder gem. § 222 StGB, noch gem. § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG strafbar.

  • M.M.: Der Risikozusammenhang ist nicht nur für den spezifischen Tatbestand der verbotenen Mitwirkung unterbrochen.[32]

Hiernach wäre T grds. gem. § 222 StGB in Tateinheit mit § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG strafbar. Aufgrund des freiverantwortlichen Suizids käme diese Ansicht aber wahrscheinlich auch zu dem Ergebnis der lit. M. Andernfalls würde sie die Strafbarkeit nach beiden Tatbeständen bejahen.

cc) Retterfälle

Umstritten ist, ob der Risikozusammenhang auch dann unterbrochen ist, wenn ein eigenverantwortlich handelndes Opfer sich dem geschaffenen Risiko des Täters aussetzt, um andere Güter vor diesem Risiko zu schützen.

  • h.M.: Der Risikozusammenhang wird nur unterbrochen, wenn die Rettung der Güter objektiv vernünftig war. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Opfer aufgrund einer Beschützergarantenstellung zum Handeln verpflichtet ist.[33] Arg.: Das Opfer darf sich herausgefordert fühlen, die Güter zu schützen. Darüber hinaus übernimmt das Opfer quasi die Pflicht des Täters, die Güter zu schützen.[34]
  • a.A.: Bei allen Retterfällen wird der Risikozusammenhang nicht unterbrochen. Arg.: Schutz auch von nicht institutionalisierten Rettern.[35]
  • M.M.: In keinem dieser Fälle besteht ein Risikozusammenhang, sofern eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vorliegt. Arg.: Das Opfer handelt freiwillig.[36]
2. Regressverbot

Fraglich ist, ob der Risikozusammenhang durch das Dazwischentreten eines Kausalverlaufes eines Dritten unterbrochen wird (Vorliegen eines vermittelnden Kausalverlaufs). Als Beispiel wird häufig ein Amoklaufszenario angeführt: T1 lässt den Waffenschrank fahrlässig offenstehen. T2 nimmt sich die Waffen aus diesem Waffenschrank und tötet O vorsätzlich. Vorwurf der fahrlässigen Tötung ggü. T1.

  • Frühere M.M.: Vorsätzliches Handeln unterbricht den vorherigen Kausalverlauf; : Damals ein Problem der Kausalität.[37]

Nach der früheren Ansicht wäre T1 straffrei.

  • h.M.: Es existiert kein Regressverbot. Arg.: Eine Hierarchisierung von Kausalverläufen ist nicht möglich. Eine Korrektur über den Vorsatz bzw. die Vorhersehbarkeit (Fahrlässigkeit) ist hingegen möglich.[38]

Nach dieser Ansicht wäre zumindest die objektive Zurechnung für T1 zu bejahen.

  • Weiterentwicklung früherer M.M.: Ein Regressverbot existiert, wenn der Erstverursacher fahrlässig handelt und der Zweitverursacher vorsätzlich handelt.[39] : Es existiert keine fahrlässige Beihilfe (§ 27 StGB). Krit.: In der Fahrlässigkeit wird nicht zwischen Täterschaft und Teilnahme unterschieden – Es existiert die Konstruktion des sogenannten Einheitstäters.[40]

Nach dieser Ansicht wäre die objektive Zurechnung bei T1 zu verneinen.

  • lit.M.: Ein Regressverbot existiert, wenn der Erstverursacher sich gemäß seiner sozialen Rolle verhält und dieses Verhalten unabhängig vom Verhalten des unmittelbaren Täters sinnvoll bleibt.[41] Krit.: Privilegierung aufgrund nicht tatbestandsmäßiger also unerheblicher Umstände.[42]

Wegen fehlender bestimmter sozialer Rolle bei T1, ist die objektive Zurechnung zu bejahen.

3. Folgerisiken
a) Abgrenzung zum Regressverbot

Wie bei dem Regressverbot wird ein Erfolg durch eine weitere Person (Dritter) herbeigeführt. Der Unterschied zum Regressverbot besteht darin, dass der Dritte aufgrund der Erfolgsherbeiführung des Täters einen weiteren, neuen Erfolg verursacht. Es wird also ein neues Risiko verwirklicht, das nach und durch Realisation des ersten Risikos entstanden ist. Hierunter fallen insbesondere Fälle bei denen der Arzt (Dritter) bei Behandlung des Opfers einen eigenen Kunstfehler begeht.[43]

b) Unterfallgruppen
aa) Pflichtwidriges Unterlassen des Dritten

Unstrittig wird bei pflichtwidrigem Unterlassen des Dritten keine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhang angenommen. Begr.: Es realisiert sich nur das Ursprungsrisiko.[44]

bb) Aktives Verhalten des Dritten

Bei aktivem Verhalten des Dritten ist eine Unterbrechung des Risikozusammenhangs hingegen umstritten. Dieses Problem entsteht eigentlich nur bei Fahrlässigkeitsdelikten.[45]

  • e.A.: Der Risikozusammenhang ist nicht unterbrochen, wenn der Kausalverlauf noch vorhersehbar war: Insbesondere sollen so grob fahrlässige Behandlungsfehler ausgeschlossen werden.[46]
  • a.A.: Der Risikozusammenhang ist dann unterbrochen, wenn sich ein neues Risiko verwirklicht hat.[47] Krit.: Unscharf und letztendlich nur die Abgrenzung zu den Regressfällen. Das Kriterium der ersten Ansicht ist damit einfacher in der Klausur anzuwenden.
4. Atypische Kausalverläufe (sehr restriktiv)

Atypische Kausalverläufe sind Kausalverläufe, deren Abfolge vollkommen unvorhersehbar ist. Wenn ein solcher Kausalverlauf gegeben ist, ist der Risikozusammenhang unterbrochen. Diese Fälle sind in der Klausurbearbeitung äußerst selten.

a) Starke Veränderung des Ausgangsrisikos

Im Erfolg hat sich ein vom Ausgangsrisiko vollkommen verschiedenes Risiko verwirklicht.[48]

b) Allg. Lebensrisiko im Erfolg

In dem Erfolg hat sich nur ein allg. Lebensrisiko verwirklicht.[49]

[1] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 47.

[2] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 9.

[3] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 21.

[4] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 11.

[5] Kindhäuser/Zimmermann, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 16.

[6] So auch von der Risikoverringerungslehre vertreten: Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 54.

[7] Fälle 6A und 6B bei: Kindhäuser/Zimmermann, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 13.

[8] Kindhäuser/Zimmermann, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 17.

[9] Kindhäuser/Zimmermann, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 18.

[10] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 17.

[11] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 19.

[12] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 53, 54a.

[13] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 12 Rn. 64 f.

[14] BGH, Urteil vom 20.05.2003 – 5 StR 66/03 – BGH NStZ 2003, 537 (538) Rn. 4; Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 12 Rn. 64 f.

[15] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 124.

[16] Bsp. 3: Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 121.

[17] BGH, Urteil vom 20.05.2003 – 5 StR 66/03 – BGH NStZ 2003, 537 (538) Rn. 4.

[18] BGH, Urteil vom 20.05.2003 – 5 StR 66/03 – BGH NStZ 2003, 537 (538) Rn. 7.

[19] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 12 Rn. 70.

[20] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 124 f.

[21] Als Unterschied zur Einwilligung beschreibend: Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 12 Rn. 62.

[22] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 121.

[23] BGH, Urteil vom 05.07.1983 – 1 StR 168/83 – NJW 1983, 2579 (2579).

[24] S. bzgl. der Vertreter Fn. 314: NK-StGB/Neumann, 62023 vor § 211 Rn. 64.

[25] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 29.

[26] BGH, Urteil vom 03.07.2019 – 5 StR 132/18 – NJW 2019, 3092 (3094, 3095) Rn. 41 f.

[27] BGH, Urteil vom 03.07.2019 – 5 StR 132/18 – NJW 2019, 3092 (3094, 3095) Rn. 47.

[28] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 33 f.

[29] BGH Urt. v. 7.2.2001 – 5 StR 474/00, BeckRS 2001, 2098, Rn. 24.

[30] BGH Urt. v. 7.2.2001 – 5 StR 474/00, BeckRS 2001, 2098, Rn. 25.

[31] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 112.

[32] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 33 f.

[33] BGH, Urteil vom 08.09.1993 – 3 StR 341/93 – NJW 1994, 205 (205).

[34] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 59.

[35] Jeschek/Weigend, StrafR AT, Berlin, 51996, § 28 S. 288.

[36] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 115.

[37] z.B.: von Bar, Die Lehre vom Causalzusammenhange im Rechte, besonders im Strafrechte, Leipzig, 1871, S. 26 f.

[38] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 46.

[39] S. zu den Vertretern: Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Fn. 66 f.

[40] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 24 Rn. 27.

[41] Jakobs, StrafR AT, Berlin u.a., 21991, S. 698 f. Rn. 17; Caro John, Das erlaubte Kausieren verbotener Taten, Baden-Baden, 2007, S. 203.

[42] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 40.

[43] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 47.

[44] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 48.

[45] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Fn. 74.

[46] Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Rn. 50, 52.

[47] S. dazu: Kindhäuser/Zimmerman, Straf AT, Baden-Baden, 112023, § 11 Fn. 76.

[48] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 77 f.

[49] Roxin/Greco, StrafR AT I, München, 52020, § 11 Rn. 77.

28.01.2025/4 Kommentare/von Gastautor
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2025-01-28 07:56:312025-06-03 08:54:08Die objektive Zurechnung in der Prüfung bei Erfolgsdelikten
Micha Mackenbrock

Welche Verkehrssicherungspflichten treffen einen Golfplatzbetreiber?

Aktuelles, Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Uncategorized, Zivilrecht, Zivilrecht

Wer einen Golfplatz betreibt, hat die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Welche dies konkret sind hatte das LG München jüngst zu entscheiden. Was ein gemütlicher Nachmittag auf dem Golfplatz werden sollte, endete aber in einem Sturz über einen Grasbüschel, Physiotherapie und der monatelangen Angewiesenheit auf Krücken. Ob der Betreiber des Golfplatzes dafür haftet, hatte das Landgericht München I zu entschieden. Verkehrssicherungspflichten sind ein Dauerbrenner während des Studiums und des Examens. Grund genug also, sich das Urteil (LG München I, 10.12.2024 – 13 O 7261/24) anzuschauen.

I. Der Sachverhalt

Die Klägerin K ist seit 2018 Mitglied im Golfclub der Beklagten B und spielt dort regelmäßig Golf. Auch am 30. September 2023 spielte sie Golf auf der Anlage der B. Als K von einem Loch zum nächsten Loch weitergehen wollte, musste sie einen kleinen Abhang herunter laufen. Dabei schob sie ihren Golftrolley vor sich her. Hierbei knickte sie jedoch wegen eines feuchten Grasbüschels aus und erlitt einen knöchernen Bänderriss sowie eine Außenbandruptur am linken Sprunggelenk. Daraufhin war sie bis Dezember 2023 in physiotherapeutischer Behandlung und arbeitsunfähig bis zum 24.12.2023.

Der K entstanden Arztkosten sowie Lohneinbußen durch die Arbeitsunfähigkeit. Diesen Schaden möchte sie von B ersetzt bekommen. Darüber hinaus macht sie einen Schmerzensgeldanspruch geltend, da sie durch das Umknicken lange Zeit in ihrer Mobilität eingeschränkt war und jede Beinbelastung Schmerzen verursacht habe. Sie verlangt Schadensersatz nach §§ 280 I, 241 II BGB sowie § 823 I BGB.

Die K ist der Ansicht, dass die B angesichts der Abschüssigkeit des als einzigen vorgesehenen Wegs zwischen den Löchern einer (erhöhten) Verkehrssicherungspflicht unterliege. Das Grasbüschel auf dem Abgang seien für sie nicht als potenzielle Gefahrenquelle erkennbar gewesen. Das Vorhandensein von Grasbüscheln im abschüssigen Bereich der Unterführung stelle für die dort planmäßig durchlaufenden Sportler ein erhebliches Risiko dar.

B beantragt Klageabweisung.

II. Die Entscheidung

Das Gericht entschied, dass die Klage unbegründet sei. Es bestehe kein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach §§ 280 I, 241 II BGB oder § 823 I BGB. Der Unfall der K sei nicht auf eine schuldhafte Verletzung einer Schutzpflicht beziehungsweise Verkehrssicherungspflicht durch die B zurückzuführen.

1. Verkehrssicherungspflicht
a) Grundsätzliche Sorgfaltsanforderungen

Das Gericht äußert sich zunächst grundsätzlich zu Verkehrssicherungspflichten. Das Ausmaß einer Verkehrssicherungspflicht richte sich immer nach den Umständen des Einzelfalls. Grundsätzlich müsse nicht jeder abstrakten Gefahr durch vorbeugende Maßnahmen begegnet werden: Absolute Sicherheit müsse und könne nicht gewährleistet werden. Stattdessen richte sich der Umfang einer Sicherungsmaßnahme danach, was zur Gefahrenabwehr notwendig und zumutbar sei, um Dritte vor einer Gefahr zu schützen. Aber auch Dritte selbst werden in die Verantwortung genommen: Der Schutz richte sich nur soweit, wie Dritte selbst bei Anwendung der von ihm in der konkreten Situation zu erwartenden Sorgfalt die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig erkennen können (LG München I, 10.12.2024 – 13 O 7261/24, BeckRS 2024, 37571 [Rn. 16]). Somit reiche es aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren und die den Umständen nach zuzumuten sind (BGH, Urteil vom 25.2.2014 – VI ZR 299/13, NJW 2014, 2104 [Rn. 9]).

Auch die Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs seien zu berücksichtigen. Der Golfplatz stellt eine Sportanlage dar. Ein Sporttreibender trägt die Gefahren selbst, die seinem Sport innewohnen und mit denen er deshalb zu rechnen hat. In den Verantwortungsbereich des Veranstalters fallen dagegen nur die darüber hinausgehenden atypischen Gefahren. Er hat die Benutzer nur vor nicht vorhersehbaren und nicht ohne weiteres erkennbaren Gefahren zu schützen (LG München I, 10.12.2024 – 13 O 7261/24, BeckRS 2024, 37571 [Rn. 17]).

b) Verkehrssicherungspflichten im vorliegenden Fall

Hieran gemessen läge in dem Verfahren zugrundeliegenden Fall keine Verkehrssicherungspflicht vor, so das Gericht. Es sei das Wesen des Golfsports, dass er auf einem mit Gras bewachsenden Gelände stattfindet und man über teils abschüssiges Gelände gehen muss, um von Loch zu Loch zu gelangen. Dabei müsse mit Grasbüscheln auf dem Rasen gerechnet werden. Dass dieses feucht und rutschig sein kann, sei allgemein bekannt. Das gelte vor allem für langjährige Golfspieler wie die K. Die K hätte bei gebotener Aufmerksamkeit den Grasbüschel am helllichten Tag problemlos erkennen und damit ein Umknicken verhindern können. Zwar könne ein Grasbüschel auf einem Golfplatz an einer abschüssigen Stelle eine Gefahrenquelle darstellen. Diese stellen aber keine atypische Gefahr dar, für welche der Golfplatzbetreiber einzustehen hätte.

Da schon keine Verkehrssicherungspflicht bestehe, kann auch keine Verletzung selbiger vorliegen.

2. Berücksichtigung des Mitverschuldens des Klägers

Auch das Verhalten der K müsse berücksichtigt werden. Die K schob den Golftrolley auf einer Wiese bergab vor sich her. Dies steht im Widerspruch zur gebotenen Aufmerksamkeit und Eigensorgfalt. Hätte sie den Golftrolley nicht vor sich hergeschoben, dann hätte K den Grasbüschel auch leichter erkennen können.

Und selbst wenn eine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch B vorläge und eine Haftung dem Grunde nach bestünde: Die Haftung entfiele wegen weit überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin, aufgrund der Außerachtlassung der hier erforderlichen Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten, § 254 I BGB (LG München I, 10.12.2024 – 13 O 7261/24, BeckRS 2024, 37571 [Rn. 23]).

3. Ergebnis

Somit hat die K gegen B keinen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach §§ 280 I, 241 II BGB oder § 823 I BGB.

24.01.2025/1 Kommentar/von Micha Mackenbrock
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2025-01-24 13:51:422025-01-24 13:51:43Welche Verkehrssicherungspflichten treffen einen Golfplatzbetreiber?
Monika Krizic

Der Leasingvertrag in der Examensklausur

AGB-Recht, Aktuelles, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Leasingverträge sind insbesondere gängige Praxis, wenn eine Alternative zum Kauf von Kraftfahrzeugen gesucht wird. Sind sie Gegenstand von Examensklausuren, so ist die Kenntnis einzelner Problematiken für ein überdurchschnittliches Abschneiden unerlässlich. Der folgende Gastbeitrag von Monika Krizic soll daher einen Überblick über die bedeutendsten Aspekte des sog. Finanzierungsleasings geben. Die Autorin studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn.

I. Wie funktioniert das Finanzierungsleasing?

Sowohl in der Praxis als auch in juristischen Übungsklausuren dominiert das sog. Finanzierungsleasing. Das Gegenstück hierzu – das Operatingleasing – zeichnet sich durch kurze Vertragslaufzeiten sowie ein jederzeitiges Kündigungsrecht aus. Ziel des Operatingleasings ist es, dass sich die vom Leasinggeber getätigten Kosten durch mehrere, aber kurzfristige Überlassungen von Wirtschaftsgütern amortisieren (Pierson, JuS 2021, 8).

Ganz anders beim Finanzierungsleasing: Hier strebt der Leasinggeber nach Amortisierung durch einmalige Überlassung eines Gegenstandes (Hirsch, Schuldrecht Besonderer Teil, 2020, § 31 Rn. 989).  Am Ende jenes Leasingzeitraums folgt regelmäßig der Eigentumserwerb des Leasingnehmers am Gegenstand durch Zahlung einer Schlussrate. Das Finanzierungsleasing charakterisiert sich dabei regelmäßig durch eine Dreipersonenkonstellation. Während der Leasinggeber dem Leasingnehmer eine Sache und deren Gebrauch auf Zeit überlässt, erbringt der Leasingnehmer die Zahlung von Leasingraten und möglicherweise einer zusätzlich anfallenden Schlussrate (Hirsch, Schuldrecht Besonderer Teil, 2020, § 31 Rn. 987). Dem Leasingnehmer soll es so ermöglicht werden, die Sache wie ein Käufer zu nutzen, ohne dabei direkt den Kaufpreis entrichten zu müssen. Die dritte Person, die hierbei involviert ist, ist der Hersteller. Dieser schließt mit dem Leasinggeber einen Kaufvertrag über den Leasinggegenstand ab. Auch wenn der Hersteller nicht Vertragspartei im eigentlichen Leasingvertrag zwischen Leasingnehmer und Leasinggeber ist, so spielt er darin doch keine unbedeutende Rolle.

II. Dogmatische Einordnung des Leasingvertrags

Obwohl das Finanzierungsleasing schon seit den 1950er Jahren eine zunehmende Präsenz und Bedeutung im wirtschaftlichen Handel Deutschlands erfährt, beinhaltet das BGB keine eigenständigen gesetzlichen Regelungen für den Leasingvertrag. Die Frage nach der Rechtsnatur des Finanzierungsleasings ist aber für Folgefragen von außerordentlicher Bedeutung. Anhand ihr beurteilt sich etwa die Frage, ob die AGB eines Leasingvertrags auf der Grundlage eines bestimmten gesetzlichen Leitbildes gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB kontrolliert werden müssen (Staudinger/Stoffels, BGB Leasing, 2023, Rn. 64).

1. Kaufvertrag

Angesichts der Tatsache, dass häufig eine Kaufpflicht am Ende des Leasingvertrags die Vollamortisierung sichern soll (in der Praxis realisiert durch die Pflicht des Leasingnehmers zur Zahlung einer Schlussrate), käme eine Kategorisierung als Kaufvertrag in Betracht. Dagegen sprechen aber mehrere Erwägungen. Zum einen ist hiergegen bereits einzuwenden, dass eine Kaufpflicht funktional nicht an die Stelle des Leasings treten kann (Pierson, JuS 2021, 8, 9), und zum anderen passt der Leasingvertrag auch teleologisch nicht zum Kaufvertrag. Denn letzterer hat die endgültige Eigentumsübertragung auf den Käufer zum Hauptziel (§ 433 Abs. 1 Alt. 2 BGB), während beim Leasingvertrag die Gebrauchsüberlassung auf Zeit im Mittelpunkt steht (Skusa, Handbuch Leasing, 2012, 6).

2. Gemischttypischer Vertrag

Andere wiederum betonen die Finanzierungsfunktion des Leasingvertrags und sehen ihn daher als gemischttypischen Vertrag mit Elementen aus dem Darlehens- oder Geschäftsbesorgungsrecht an (Canaris NJW 1982, 305 ff.). So wird argumentiert, dass die Hauptaufgabe des Leasinggebers nicht in der Gebrauchsüberlassung, sondern in der Beschaffung und Finanzierung des Leasingguts liege. Dementsprechend seien die Leasingraten als Aufwendungsersatz für die Beschaffungskosten nach §§ 670, 675 Abs. 1 BGB zu qualifizieren. Des Weiteren betont diese Auffassung, dass es der geschäftsbesorgungsrechtlichen Qualifikation nicht widerspreche, dass der Leasinggeber fast immer im eigenen wirtschaftlichen Erwerbsinteresse tätig wird. Im Gegensatz zum Auftrag nach § 662 BGB zeichne sich eine entgeltliche Geschäftsbesorgung auch stets durch die Eigeninteressen des Handelnden aus (Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, 5. Aufl. 2018, § 16 Rn. 57).

3. Vertrag sui generis

Gerade weil das Finanzierungsleasing mehrere Funktionen erfüllt, wird zum Teil auch dafür plädiert, den Leasingvertrag als „Vertrag sui generis“ anzusehen (Staudinger/Stoffels, BGB Leasing, 2023, Rn. 76).

4. Atypischer Mietvertrag

Vorherrschend allerdings ist die Qualifizierung des Finanzierungsleasings als atypischen Mietvertrag (BGH NJW 1977, 195, 196; Sonnenberger, NJW 1983, 2217, 2218; BeckOGK/Ziemßen, BGB, 1.10.2024, § 535 Rn. 789). Demnach schuldet der Leasinggeber die Gebrauchsüberlassung auf Zeit (§ 535 Abs. 1 S. 1 BGB) und der Leasingnehmer entsprechend die Zahlung der Leasingraten (§ 535 Abs. 2 BGB). Das atypische Element wird dabei in der besonderen Abtretungskonstellation sowie der Finanzierungsfunktion gesehen (BGH Urt. v. 16.9.1981 – VIII ZR 265/80, Rn. 8). Für eine solche Betrachtungsweise und damit auch gegen eine Einordnung als gemischttypischen Vertrag spricht, dass es dem Leasinggeber gerade darauf ankommt Eigentümer der Sache zu werden und nicht etwa ein bloßes Darlehen zu gewähren. Durch den Erwerb der Leasingsache möchte er die Sache derart für sich verwerten, dass er sie – ähnlich einem Vermieter – dem Leasingnehmer für eine bestimmte Zeit gegen eine Leasingrate zur Verfügung stellt (Tiedtke, JZ 1991, 907, 908).

III. Abwicklung des Leasingvertrags

Grundsätzlich beginnt das Finanzierungsleasing damit, dass sich der Leasingnehmer das Leasinggut bei einem Hersteller aussucht. In der Folge wird ein Kaufvertrag über dieses Leasinggut zwischen Hersteller und Leasinggeber abgeschlossen (§ 433 BGB). In der Praxis wird das Leasinggut direkt an den Leasingnehmer geliefert. Damit werden zwei verschiedenen Funktionen erfüllt. Zum einen kommt es zur Erfüllung der Pflicht aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB im Rahmen des Kaufvertrags zwischen Hersteller und Leasinggeber. Zum anderen wird aber auch der Leasingvertrag zwischen Leasingnehmer und Leasinggeber tangiert. Entsprechend § 535 Abs. 1 S. 1 BGB ist schließlich auch der Leasinggeber dazu angehalten, dem Leasingnehmer den Gebrauch der Sache zu gewähren. Da der Hersteller mit Wissen und Wollen des Leasinggebers bei der Erfüllung dieser ihm (dem Leasinggeber) obliegenden Verbindlichkeit als Hilfsperson tätig wird, handelt er als Erfüllungsgehilfe gem. § 278 S. 1 BGB (Hirsch, Schuldrecht Besonderer Teil, 2020, § 31 Rn. 992).

IV. Leasingtypische Vertragsprobleme

1. Abtretung aller Ansprüche

Wird der Leasingvertrag als eine Art Mietvertrag klassifiziert, so stünden dem Leasingnehmer gegen den Leasinggeber grundsätzlich mietvertragliche Gewährleistungsansprüche (analog) §§ 536 – 536b BGB zu. Gleichwohl werden diese im Leasingvertrag häufig ausgeschlossen. Dafür werden dem Leasingnehmer im Wege der Abtretung die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche gegen den Dritten (den Hersteller) vom Leasinggeber abgetreten. Auch wenn es sich hierbei um eine geradezu gewöhnliche Ausgestaltung des Vertrages in der Praxis handelt, sollte es an dieser Stelle in der Klausur zu einer AGB-Prüfung gem. §§ 305 ff. BGB kommen. Das Vorliegen von AGB gem. § 305 Abs. 1 BGB, das Einbeziehen dieser gem. § 305 Abs. 2 BGB und das Tatbestandsmerkmal keiner vorrangigen Individualabrede nach § 305b BGB werden in den meisten Fällen problemlos erfüllt sein. Fraglich könnte aber sein, ob es sich bei dieser vertraglichen Regelung um eine überraschende Klausel nach § 305c Abs. 1 BGB handelt. Eine Klausel ist überraschend i. d. S., wenn sie nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich ist, dass der Vertragspartner des Verwenders nicht mit ihr zu rechnen braucht (BeckOGK/Bonin, BGB, 1.10.2024, § 305c Rn. 1). Gleichwohl ist aber zu beachten, dass dieser Gewährleistungsausschluss geradezu charakteristisch für Leasingverträge ist, sodass es sich nicht um eine überraschende Klausel handeln kann.

Sodann muss eine Inhaltskontrolle stattfinden. Dabei kommt auf den ersten Blick ein Verstoß gegen das Klauselverbot nach § 309 Nr. 8 lit. b aa) BGB in Betracht. Es könnte eine Bestimmung vorliegen, durch die bei Verträgen über Lieferungen neu hergestellter Sachen die Ansprüche gegen den Verwender wegen eines Mangels insgesamt oder bezüglich einzelner Teile ausgeschlossen oder auf die Ansprüche gegen Dritte beschränkt werden. Damit die Vorschrift anwendbar ist, müsste es sich um einen solchen Lieferungsvertrag handeln. Das sind solche Verträge, bei denen die Besitzüberlassung final zu Übereignungszwecken gedacht ist (Staudinger/Coester-Waltjen, BGB § 309 Nr. 8 Rn. 18). Dies trifft auf Gebrauchsüberlassungsverträge wie den Leasingvertrag nicht zu.

Des Weiteren könnte dieses Klauselverbot auch in teleologischer Hinsicht nicht anwendbar sein. Ihrem Sinn und Zweck nach dient die Norm der Sicherung eines gewissen Standards an Gewährleistungsrechten und damit der Aufrechterhaltung des Äquivalenzinteresses (Staudinger/Coester-Waltjen, BGB, § 309 Nr. 8 Rn. 14). Durch das Verbot der Einräumung von Ansprüchen gegen Dritte soll insbesondere verhindert werden, dass der Kunde mit dem Insolvenzrisiko eines ihm unbekannten Dritten belastet wird. Im Rahmen eines Leasingvertrags sucht sich der Leasingnehmer aber geradezu oftmals den Lieferanten bzw. Hersteller aus, gegen den ihm die Rechte eingeräumt werden, sodass dieses Klauselverbot auch zweckmäßig nicht einschlägig ist.

Schließlich könnte es sich aber um eine Klausel handeln, die den Leasingnehmer entgegen der Gebote von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt eine unangemessene Benachteiligung vor, wenn die Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Die wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung sind hier solche des Mietrechts. Im Rahmen eines Mietvertrags werden dem Mieter vom Vermieter Gewährleistungsrechte zugesichert. Allerdings sind hierbei auch leasingtypische Besonderheiten zu beachten, die sich im Rechtsverkehr bereits über Jahre etabliert haben. So entspricht es gerade dem Leitbild des Leasingvertrags, dass mietrechtliche Gewährleistungsrechte im Gegenzug zur Abtretung der kaufrechtlichen Gewährleistungsrechte gegen den Lieferanten ausgeschlossen werden.  Teleologisch entspricht dies auch der faktischen Interessenlage, denn  der Leasingnehmer wählt selbst auf der Grundlage eigener Interessen und Präferenz die Leasingsache aus, sodass er auch entsprechend einem Käufer gleichgestellt wird (Pierson, JuS 2021, 8, 10).

2. Rückabwicklung

Die Zahlung der Leasingraten erfolgt im Leistungsverhältnis zwischen Leasingnehmer und Leasinggeber. Erweisen sich im Rahmen des Leasingverhältnisses Probleme und begehrt der Leasingnehmer Rückzahlung geleisteter Leasingraten, so stellt sich die Frage nach der Rückabwicklung. In solchen Konstellationen kommt zunächst ein Rückgewähranspruch gem. § 346 Abs. 1 Alt. 2 BGB in Betracht. Ein solches gesetzliches Rücktrittsrecht kann sich dabei aus § 313 Abs. 3 S. 1 BGB ergeben, wobei die Voraussetzungen einer Störung der Geschäftsgrundlage i. S. v. § 313 BGB vorliegen müssen. Demnach müssen sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien hätten den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderungen vorausgesehen hätten. Schließlich dürfte auch einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden können.

Das tatsächliche Element, d. h. die Umstände, die zur Grundlage des (Leasing-)Vertrags geworden sind, ist in erster Linie der Bestand des Kaufvertrags. Sowohl der Leasinggeber als auch der Leasingnehmer gehen davon aus, dass der Kaufvertrag über die ganze Zeit hindurch Bestand haben wird. Ist die Leasingsache nun mangelhaft und auch eine Nacherfüllung gescheitert, so steht dem Leasingnehmer aus abgetretenem Recht der Rücktritt vom Kaufvertrag zu. Die Auflösung des Kaufvertrags führt damit zwangsläufig zum Wegfall der Geschäftsgrundlage (Spielbauer/Schneider/Kern, Mietrecht, 2. Aufl., Anhang 2 zu § 535 Leasing Rn. 72).

Als primäre Rechtsfolge im Falle einer gestörten Geschäftsgrundlage sieht § 313 Abs. 3 S. 1 BGB die Anpassung des Vertrags vor. Ist diese nicht möglich oder dem benachteiligten Teil nicht zumutbar, so wird ein Rücktrittsrecht gewährt. Bei Dauerschuldverhältnissen tritt an die Stelle des Rücktrittsrechts das Recht zur Kündigung. Der Leasingvertrag, der überwiegend als atypischer Mietvertrag qualifiziert wird, stellt ein solches Dauerschuldverhältnis dar. Problematisch ist hierbei aber, dass Kündigungen nur ex nunc wirken und damit die Rückgewähr von Leasingraten ausgeschlossen wäre. Wie dieses Problem zu lösen ist, wird unterschiedlich beurteilt.

a) Rechtsprechung

Im Laufe der Jahre hat die Rechtsprechung eine Lösung entwickelt, die sich in der Praxis so weit etabliert hat, dass sie u. a. sogar als ein „spezielles richterrechtlich entwickeltes Gewährleistungsrecht des Leasingvertrags“ beschrieben wird (BeckOGK/Martens, BGB, 1.10.2024, § 313 Rn. 295). Tritt der Leasingnehmer vom Kaufvertrag zurück, so werde er rückwirkend von seiner Verpflichtung zur Zahlung der Leasingraten befreit (BGH NJW 2014, 1583 Rn. 15). Eine Rückabwicklung ex tunc gem. § 346 Abs. 1 BGB sei ausnahmsweise geboten, da die Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien durch den Mangel ohnehin bereits von Anfang an möglich gewesen sei (OLG Frankfurt NJOZ 2009, 1826, 1828).

b) Kritik

Gleichwohl ist dieser Lösungsweg in der Literatur vielfach auf Kritik gestoßen. Zunächst wird bereits die Heranziehung des § 313 BGB kritisiert. Gerade weil die Parteien im Leasingvertrag Regelungen für den Fall der Mangelhaftigkeit getroffen haben, handle es sich um Vertragsinhalt und nicht um eine Geschäftsgrundlage (MüKoBGB/Finkenauer, BGB, 9. Aufl. 2022, § 313 Rn. 266). Darüber hinaus wird angeführt, dass durch die Lösung der Rechtsprechung letztlich wieder der Leasinggeber hafte, obwohl sich dieser gerade vertraglich von der Haftung freigestellt hat. Gleichzeitig werde der Hersteller unberechtigterweise von der Haftung befreit, obwohl sich der Leasingnehmer diesen gezielt ausgesucht habe (Staudinger/Stoffels, BGB Leasing, 2023, Rn. 249).

V. Was bleibt

Einzelne „Kniffe“ und Standardprobleme des Leasingrechts sollte man also kennen. Mit Kenntnis der Grundlagen gelangt man jedoch schnell in „bekannte Fahrwasser“.

08.01.2025/1 Kommentar/von Monika Krizic
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Monika Krizic https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Monika Krizic2025-01-08 10:39:472025-01-08 10:40:17Der Leasingvertrag in der Examensklausur
Micha Mackenbrock

Unfall beim Frühstückskaffee in der Ferienwohnung: Haftet der Vermieter?

Aktuelles, Mietrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Uncategorized, Zivilrecht, Zivilrecht

Geplant war ein schöner und erholsamer Familienurlaub. Dafür wurde extra eine Ferienwohnung gemietet. Der Urlaub endete nach einem tragischen Unfall in eben dieser Ferienwohnung jedoch im Rettungshubschrauber auf dem Weg ins Krankenhaus. Ob der Vermieter in diesem Fall schadensersatzpflichtig ist, hatte das OLG Oldenburg zu entscheiden (Urt. v. 25.11.2024 – 9 U 40/23).

Das Urteil stellt unser Gastautor Micha Mackenbrock nachfolgend vor. Er hat an der Universität Bonn Rechtswissenschaften studiert und das erste Staatsexamen abgeschlossen. Nun ist er Mitarbeiter in einer mittelständigen Anwaltskanzlei und widmet sich seinem Promotionsvorhaben im Arbeitsrecht.

I. Der Sachverhalt

1. Die Ausgangslage

Anfang 2020 planten die Eltern zusammen mit ihrer sechsjährigen Tochter T einen Urlaub auf einer Nordseeinsel. Über das Internet wurde dafür eine Ferienwohnung gemietet. Der Buchungsbestätigung waren Allgemeine Geschäftsbedingungen beigefügt, dort heißt es unter anderem:

1. Im Falle eines nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig vom Vermieter verursachten Mangels der Mietsache ist die etwaige Haftung des Vermieters auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung ausgeschlossen.

2. Die vertragliche, wie auch die deliktische Haftung des Vermieters oder der FF ist in ihrer Höhe maximal auf die vereinbarte Miete begrenzt.

2. Der Unfall

Am ersten Morgen nach der Anreise im Mai 2020 wollte die Mutter der T Kaffee kochen. Dafür füllte sie zunächst kaltes Wasser in die zum Wohnungsinventar gehörende Glaskanne und startet dann den Brühvorgang in der dazugehörigen Kaffeemaschine. Wenige Minuten später nahm sie die Kanne aus der Maschine und schenkte den heißen Kaffee am Esstisch aus. Dabei löste sich der Henkel der Kanne und die Kanne kippt nach vorne. Dabei ergoss sich der heiße Kaffee über der Tochter. Diese erleidet dabei großflächige Verbrennungen 2. Grades am Oberkörper und den Armen. Per Rettungshubschrauber musste sie in eine Klinik gebracht und dort behandelt werden. Die Brandnarben werden voraussichtlich ihr Leben lang zu sehen sein.

Nun verlangte die T Schadensersatz von dem Vermieter aus § 536a Abs. 1 BGB. T behauptete, der Griff der Kaffeekanne sei bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, jedenfalls aber bei Übergabe der Wohnung beschädigt gewesen. Dem Vermieter hätte vor der Überlassung der Ferienwohnung auffallen müssen, dass sich der Henkel von der Kanne ablöst.

II. Die Entscheidung

1. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter

Der Mietvertrag nach §§ 535, 549 BGB wurde zwischen den Eltern und dem Vermieter vereinbart. Die geschäftsunfähige T (§ 104 Nr. 1 BGB) dagegen war hingegen selbst keine Mietvertragspartei. Jedoch liegt hier ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter vor. Das ergäbe sich schon daraus, dass die T in der Vertragsurkunde, dem Mietvertrag, als mitreisende Person Erwähnung findet, so das OLG. Damit kann die T einen Schadensersatzanspruch gegen den Vermieter geltend machen.

2. Kein Haftungsausschluss gemäß den AGB

Bestünde ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 536a Abs. 1 BGB, dann wäre dieser jedenfalls nicht nach den AGB ausgeschlossen.

Nach § 309 Nr. 7 lit. a und lit. b BGB kann in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Haftung für Schäden aufgrund der Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit nicht ausgeschlossen oder begrenzt werden. Für sonstige Schäden ist ein Haftungsausschluss oder eine Haftungsbegrenzung nur bei einfacher Fahrlässigkeit zulässig. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Nr. 7 lit. a sind Haftungsbeschränkungen oder -ausschlüsse hinsichtlich der genannten Rechtsgüter – Leben, Körper und Gesundheit – unabhängig vom Grad des Verschuldens stets unwirksam.

Im vorliegenden Fall schlossen die AGB sowohl die verschuldensunabhängige Haftung als auch die Haftung für einfache Fahrlässigkeit in Bezug auf Schäden an Leben, Körper und Gesundheit aus. Eine derartige Klausel verstößt folglich gegen § 309 Nr. 7 lit. a BGB. Aufgrund des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion kann die Klausel auch nicht auf einen zulässigen Inhalt beschränkt werden. Unter das Klauselverbot fallen auch summenmäßige Beschränkungen des Anspruchs, sodass auch Nr. 2 der AGB nicht mit § 309 Nr. 7 BGB vereinbar ist.

Im Ergebnis sind Nr. 1 und Nr. 2 der AGB daher insgesamt unwirksam. Ein AGB-bedingter Haftungsausschluss besteht damit nicht.

3. Keine Haftung des Vermieters nach § 536a Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB wegen vorhandenem Mangel

Nach § 536a Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB haftet der Vermieter verschuldensunabhängig, wenn ein Mangel bereits bei Vertragsschluss vorhanden war. Hier wurde der Mietvertrag im Februar 2020 geschlossen.

Anfänglich ist ein Mangel dann, wenn sich die Schadensursache in die Zeit vor Vertragsschluss zurückverfolgen lässt, auch wenn er erst später für einen Schaden des Mieters ursächlich wird. Ausreichend ist mithin, wenn bei Vertragsschluss die Gefahrenquelle vorhanden war oder die Schadensursache vorlag (OLG Oldenburg Urt. v. 25.11.2024, Az.: 9 U 40/23, BeckRS 2024, 32749, Rn. 31).

Hier kann die T aber nicht beweisen, dass die Kaffeekanne schon bei Vertragsschluss über einen Defekt verfügte. Dafür liegen schon keine Indizien vor. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass die Kaffeekanne ein Alltagsgegenstand ist. Da sie als solcher regelmäßig und stetig benutzt wird, ist die Abnutzung ein allmählich stattfindender, schleichender Prozess. Es ließe sich somit nicht genau feststellen, ob die Kaffeekanne bereits bei Vertragsschluss im Februar 2020 einen Mangel aufwies (OLG Oldenburg Urt. v. 25.11.2024, Az.: 9 U 40/23, BeckRS 2024, 32749, Rn. 34).

4. Keine Haftung des Vermieters nach § 536a Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB wegen späterer Mangelentstehung

Ein Anspruch besteht auch nicht nach § 536a Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB wegen eines später entstehenden und zu vertretenden Mangels. Zwar hat der Vermieter die Kaffeekanne als Inventar zusammen mit der Ferienwohnung vermietet. Die T als Klägerin trägt die Darlegungs- und Beweislast des Verschuldens des beklagten Vermieters. Eine Ausnahme gilt, wenn feststeht, dass die Schadensursache im Herrschafts- und Einflussbereich des Vermieters liegt. In diesem Fall muss sich der Vermieter entlasten. Diese Ausnahme basiert auf der mietrechtlichen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nach Verantwortungsbereichen. Das gilt aber dann nicht, wenn ungeklärt bleibt, in wessen Verantwortungsbereich die Schadensursache gesetzt worden ist. Denn ansonsten müsste der Vermieter den schwer zu erbringenden Beweis vorlegen, dass er sich pflichtgemäß verhalten hat.

Im hier entschiedenem Fall kann laut dem OLG davon ausgegangen werden, dass die Kaffeekanne im Zeitpunkt der Übergabe der Ferienwohnung noch funktionsfähig war. Denn wäre die Bruchstelle bereits zum Zeitpunkt der Übergabe vorhanden gewesen, hätte die Mutter der Klägerin die Kanne nicht mit kaltem Wasser befüllen können, ohne dass sie vom Henkel abgebrochen wäre.

Und selbst wenn die Kanne zum Zeitpunkt der Übergabe schon einen kleinen Riss an der Halterung des Henkels gehabt hätte, hätte dies dem Vermieter nicht auffallen müssen. Das Gericht meint nämlich, dass der Vermieter nicht verpflichtet ist, eine Kaffeekanne, in die sich problemlos Wasser einfüllen lässt und die mithin gebrauchstauglich ist, auf etwa vorhandene kleinste Beschädigungen an versteckter Stelle hin zu untersuchen (OLG Oldenburg Urt. v. 25.11.2024, Az.: 9 U 40/23, BeckRS 2024, 32749, Rn. 42).

5. Kein deliktischer Anspruch

Schon mangels Verschuldens scheidet auch eine deliktische Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB aus.

6. Ergebnis

Die T hat keinen Anspruch gegen den Vermieter auf Zahlung von Schadensersatz.

18.12.2024/1 Kommentar/von Micha Mackenbrock
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2024-12-18 14:49:552024-12-18 14:49:55Unfall beim Frühstückskaffee in der Ferienwohnung: Haftet der Vermieter?
Micha Mackenbrock

Keine Eigenbedarfskündigung zugunsten eines Cousins

Aktuelles, Mietrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Uncategorized, Zivilrecht, Zivilrecht

Es ist wohl der Albtraum eines jeden Mieters: Der Vermieter kündigt die Wohnung wegen Eigenbedarf. Ob Eigenbedarf aber auch dann vorliegt, wenn die Kündigung erfolgt, damit der Cousin des Vermieters die Wohnung nutzen kann, hatte nun der BGH zu entschieden (BGH, Urteil vom 10.07.2024 – VIII ZR 276/23).

Das BGH-Urteil stellt unser Gastautor Micha Mackenbrock nachfolgend vor. Er hat an der Universität Bonn Rechtswissenschaften studiert und das erste Staatsexamen abgeschlossen. Nun ist er Mitarbeiter in einer mittelständigen Anwaltskanzlei und widmet sich seinem Promotionsvorhaben im Arbeitsrecht.

I. Der Sachverhalt

1. Die Ausgangslage

Der Beklagte ist seit 2009 Mieter einer Wohnung in Berlin. Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Deren Gesellschafter sind zwei Cousins. 2014 erwarb die GbR das Eigentum an dem Gebäude, in welchem sich die vom Mieter bewohnte Wohnung befindet. 2021 sprach die GbR dann eine Kündigung wegen Eigenbedarf aus. Einer ihrer Gesellschafter wolle die Wohnung selbst nutzen.

2. Die Kündigung

Der Mieter hält die Kündigung für unwirksam und weigert sich, die Wohnung zu räumen. Er beruft sich auf die Kündigungsbeschränkung nach § 577a Abs. 1a Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 2 der Kündigungsschutzklausel-Verordnung des Landes Berlin. Gemäß diesen Bestimmungen darf eine Personengesellschaft, die erst nach der Vermietung Eigentümer einer Wohnung wurde, eine Kündigung aus berechtigtem Interesse nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 BGB, wie etwa wegen Eigenbedarfs, frühestens zehn Jahre nach dem Erwerb aussprechen. Eine Ausnahme besteht nach § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB jedoch, wenn die Gesellschafter beim Erwerb des Eigentums Familienmitglieder waren. In dem Fall ist eine Eigenbedarfskündigung schon früher zulässig.

Auf diese Ausnahme beruft sich die klagende GbR und verlangt die Räumung und Herausgabe der Wohnung nach §§ 546 Abs. 1, 985 BGB. Die Kündigung des Wohnraummietverhältnisses wegen Eigenbedarfs sei wirksam, denn Cousins seien Familienmitglieder im Sinne der Ausnahmevorschrift. Das würde erst recht gelten, wenn sich Cousins besonders nahe stehen, was hier der Fall sei.

II. Die Entscheidung des BGH

Der BGH meint, dass Cousins nicht als Familienangehörige im Sinne des § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB anzusehen sein. Das gelte auch für § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Der Begriff „Familie“ sei sowohl im Sprachgebrauch unter Juristen, als auch unter Laien, unbestimmt und nicht einheitlich definiert. Auch der Gesetzgeber habe sich bei der Einfügung des § 577a BGB durch das Mietrechtsänderungsgesetz aus 2013 nicht zu dem Familienbegriff geäußert. Eine nähere Konkretisierung bleibe damit vollständig der Rechtsprechung überlassen.

1. Unbeachtlichkeit eines besonders engen Verhältnisses

Laut dem BGH könnten als Konkretisierung des Begriffs der Familienangehörigen die Regelungen über ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen (§ 383 ZPO, § 52 StPO) herangezogen werden. Das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen würde immer gelten – unabhängig davon, ob tatsächliche eine enge Beziehung und persönliche Bindung besteht. Demzufolge sei das enge Verhältnis der beiden Cousins auch im Rahmen der §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB nicht zu berücksichtigen.

2. Ohne Zeugnisverweigerungsrecht auch keine Familienangehörigkeit

Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 383 ZPO und § 52 StPO gilt für Ehepartner, Verlobte und für Verwandte und Schwager in gerade Linie, nicht aber für Cousins. Demnach könnten Cousins auch nicht als Familienmitglieder im Sinne von §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB gelten.

„Als Familienangehörige oder als Familie im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB sind ausschließlich diejenigen Personen anzusehen, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gemäß § 383 ZPO, § 52 StPO zusteht“ (BGH, Urteil vom 10.07.2024 – VIII ZR 276/23, Rn. 34).

Die Privilegierung von Familienangehörigen in den §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB soll dem Umstand Rechnung tragen, dass innerhalb einer Familie aufgrund enger Verwandtschaft üblicherweise ein persönliches Verhältnis von Verbundenheit und gegenseitiger Solidarität besteht, welches eine Kündigung zugunsten von Familienmitgliedern rechtfertigt. Die gesetzliche Privilegierung von Familienangehörigen beruht auf der Annahme einer typischerweise vorliegenden besonderen persönlichen Nähe, die aus der familiären Beziehung resultiert. Daher sei kein zusätzliches, tatsächliches Näheverhältnis erforderlich. Damit scheide aber auch eine Ausweitung des geschützten Personenkreises aufgrund einer individuellen besonderen persönlichen Bindung aus, da das Gesetz bewusst auf einer typisierenden Betrachtungsweise abstellt.

Beispielsweise besteht das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 ZPO, § 52 StPO auch dann, wenn Bruder und Schwester eine tiefe Abneigung füreinander hegen. Denn das Gesetz stellt darauf ab, dass typischerweise eine besonders enge Bindung zwischen Geschwistern vorliegt. Cousins hingegen haben typischerweise keine besonders enge Bindung, welche etwa mit der Bindung zwischen Ehepartnern, Geschwistern oder Eltern zu ihren Kindern verglichen werden könnte. Wenn das im Einzelfall einmal anders ist, ist das im Rahmen des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 383 ZPO, § 52 StPO nicht zu berücksichtigen. Das gleiche gilt für den Familienbegriff aus den §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB.

„Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber im Rahmen des von ihm verfolgten Regelungsziels das subjektive Kriterium einer im Einzelfall vorliegenden besonderen Nähebeziehung als Merkmal für die Bestimmung des von dem Begriff Familie umfassten Personenkreises für bedeutsam gehalten haben könnte, bestehen (…) nicht. Von daher gesehen ist auch nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber (…) bei Verwandten für die Gewährung der Privilegierung eine Differenzierung zwischen engen Verwandten, die unabhängig von dem tatsächlichen Vorliegen einer persönlichen Nähebeziehung privilegiert werden sollten, und entfernteren Verwandten, die nur bei bestehender besonderer persönlicher Verbundenheit von der Privilegierung umfasst sein sollten, vor Augen hatte“ (BGH, Urteil vom 10.07.2024 – VIII ZR 276/23, Rn. 40).

3. Anwendbarkeit der Regelungen im Mietrecht

Der BGH führt aus, dass eine Definition des Familienbegriffs im BGB fehle. Der Gesetzgeber hat den Begriff im BGB auch nicht näher umrissen. Jedoch habe er eine solche Bewertung im Rahmen des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen getroffen. Das Zeugnisverweigerungsrecht beruhe, ebenso wie die Privilegierung in den §§ 573 Abs. 2 Nr. 2, 577a Abs. 1a Satz 2 BGB, auf einer typischerweise vorliegenden persönlichen Nähebeziehung. Somit seien die Wertungen aus § 383 ZPO und § 52 StPO im Rahmen der Eigenbedarfskündigung heranzuziehen.

4. Ergebnis

Da die beiden Cousins nicht als Familienmitglieder im Sinne von § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB anzusehen seien, gilt weiterhin § 577a Abs. 1, 1a Satz 1, Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 2 der Kündigungsschutzklausel-Verordnung des Landes Berlin. Eine Eigenbedarfskündigung durch die GbR kann somit erst nach Ablauf von zehn Jahren nach Eigentumserwerb erfolgen. Ein Räumungs- beziehungsweise Herausgabeanspruch nach §§ 546 Abs. 1 BGB, 985 BGB gegenüber dem Mieter besteht somit nicht.

II. Fazit

Das Urteil des BGH ist nachvollziehbar. Die generalisierende Betrachtung für die Eigenbedarfskündigung verschafft Mietern Rechtssicherheit und Planbarkeit. Auch werden dadurch die Gerichte entlastet, denn sie müssen sich nicht damit beschäftigen, ob in Einzelfällen eine persönliche Nähebeziehung vorliegt.

26.11.2024/1 Kommentar/von Micha Mackenbrock
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2024-11-26 17:36:442024-11-26 17:36:45Keine Eigenbedarfskündigung zugunsten eines Cousins
Alexandra Alumyan

Vertrauensfrage im Fokus

Aktuelles, BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), voraussichtlich am 15. Januar 2025 die Vertrauensfrage zu stellen, bietet Examenskandidaten einen hervorragenden Anlass, sich noch einmal dem Staatsorganisationsrecht zu widmen.

I. Auflösung des Bundestages: Vertrauensfrage

Ob der Regierungskurs des Bundeskanzlers noch von einer parlamentarischen Mehrheit getragen ist, kann der Bundeskanzler mittels der sog. „Vertrauensfrage“ an die Mitglieder des Bundestages feststellen lassen. In der Klausur sind folgende Voraussetzungen zu prüfen:

1. Vertrauensantrag

Den Antrag auf Ausspruch des Vertrauens (Vertrauensantrag) stellt der Bundeskanzler. Dieser kann die Vertrauensfrage nur als solche, oder aber verbunden mit einer Sachfrage stellen, beispielsweise mit einer Gesetzesvorlage, siehe Art. 81 Abs. 1 S. 2 GG (Sachs/Brinktrine, 10. Aufl. 2024, Art. 68 GG Rn. 26 ff.).

2. Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages

Nach der Antragstellung führt der Bundestag eine Abstimmung über den Vertrauensantrag durch. Zwischen dem Antrag und der Abstimmung müssen 48 Stunden liegen, Art. 68 Abs. 2 GG. Die Rechtsfolge des Art. 68 GG knüpft an das Nichtvorliegen einer Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages an.

Wichtig! Der Vertrauensantrag kann nur dann den Grund für die Bundestagsauflösung schaffen, wenn weniger als die Mehrheit der Abgeordneten das Vertrauen aussprechen.

„Mehrheit“ bedeutet hier die absolute Mehrheit im Sinne des Art. 121 GG, sodass es nicht auf die Zahl der Anwesenden, sondern auf die gesetzliche Mitgliederzahl ankommt. Diese beläuft sich derzeit gem. § 1 Abs. 1 S. 1 BWahlG auf 630 Abgeordnete. Mehr als die Hälfte sind somit (630:2+1=) 316 Abgeordnete.

Merkposten: Durch das neue Bundeswahlgesetz sind die § 6 Abs. 4 bis 7 BWahlG (a.F.) entfallen, sodass die Anzahl der Abgeordneten nicht mehr durch Überhang- und Ausgleichsmandate erhöht werden kann.

3. Auflösungsantrag

Erreicht der Vertrauensantrag nicht die Zustimmung der Mehrheit der Bundestagsmitglieder, kann der Bundeskanzler einen Antrag auf Auflösung des Bundestages stellen, Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG. Ob er den Antrag stellt, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen (Dürig/Herzog/Scholz/Herzog, 104. EL 2024, Art. 68 GG Rn. 45). Der Auflösungsantrag richtet sich an den Bundespräsidenten.

Alternativ kann der Bundeskanzler von der Antragstellung absehen und von seinem Amt zurückzutreten (BeckOK GG/Pieper, 59. Ed. 2024, Art. 68 GG Rn. 32 ff.). Ihm steht auch weiterhin die Möglichkeit offen, als „Minderheitskanzler“ im Amt zu bleiben (v. Münch/Kunig/Kerkemeyer, 7. Aufl. 2021, Art. 68 GG Rn. 50).

4. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal: Politische Instabilität

Das Bundesverfassungsgericht hat die Zulässigkeit der Vertrauensfrage jedoch von einem weiteren Merkmal abhängig gemacht: In seiner Entscheidung im Jahr 1983 (Helmut Kohl) forderte das BVerfG das Vorliegen einer materiellen Auflösungslage im Sinne einer „politischen Lage der Instabilität“ (BVerfGE 62, 1, 42 ff.), im Jahr 2005 sprach das BVerfG von der „zweckgerechten Anwendung“ der Vertrauensfrage (BVerfGE 114, 121, 149).

Hintergrund dieser Einschränkung ist, dass das Grundgesetz kein „Selbstauflösungsrecht“ des Bundestages kennt. Eine Selbstauflösung und infolgedessen Neuwahlen sollen nicht durch die „Hintertür“ des Art. 68 GG ermöglicht werden. Neben den formellen Voraussetzungen ist daher auch der Zweck des Art. 68 GG zu berücksichtigen: Die Sicherung der Handlungsfähigkeit der Regierung.

Zielt der Bundeskanzler darauf ab, sich einer tragfähigen Mehrheit zu vergewissern, spricht man von der „echten Vertrauensfrage“. Ist die Frage jedoch darauf gerichtet, die Auflösung herbeizuführen, weil der Bundeskanzler sich einer stabilen Mehrheit nicht mehr sicher sein kann, so handelt es sich um eine „unechte“ bzw. „auflösungsgerichtete“ Vertrauensfrage (Degenhart, Staatsrecht I, 36. Auflage, § 9 Rn. 773).

Dies bedeutet, dass die Vertrauensfrage nur dann gestellt werden darf, wenn sie – dem Zweck des Art. 68 GG entsprechend – der Behebung einer Lage politischer Instabilität dient. Bei der auflösungsgerichteten Vertrauensfrage ist dabei konkret zu prüfen, ob die Handlungsfähigkeit der parlamentarisch verankerten Bundesregierung verloren gegangen ist. Oder in anderen Worten das BVerfG:

„Der Bundeskanzler, der die Auflösung des Bundestages auf dem Weg des Art. 68 GG anstrebt, soll dieses Verfahren nur anstrengen dürfen, wenn es politisch für ihn nicht mehr gewährleistet ist, mit den im Bundestag bestehenden Kräfteverhältnissen weiter zu regieren. Die politischen Kräfteverhältnisse im Bundestag müssen seine Handlungsfähigkeit so beeinträchtigen oder lähmen, daß er eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll zu verfolgen vermag.“ (BVerfGE 62, 1, 44).

Dabei ist zu betonen, dass dem Bundeskanzler eine weite Einschätzungsprärogative zusteht und seine Entscheidung dahingehend, ob parlamentarische Handlungsfähigkeit vorliegt, vor dem BVerfG nur der Kontrolle auf grobe und offensichtliche Fehlerhaftigkeit unterworfen werden kann.

5. Rechtsfolge

Bei Vorliegen der Voraussetzungen kann der Bundespräsident binnen 21 Tagen die Auflösung des Bundestages anordnen, Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG. Die Frist beginnt mit dem Abschluss der Abstimmung zu laufen (Dürig/Herzog/Scholz/Herzog, 104. EL 2024, Art. 68 GG Rn. 54).

Aus dem Wortlaut „kann“ ergibt sich, dass es sich um eine Ermessensentscheidung handelt. Der Bundespräsident hat also nach eigenem politischem Ermessen zu entscheiden, ob stabile Regierungsverhältnisse ohne oder erst durch Neuwahlen gesichert werden können (BeckOK GG/Pieper, 59. Ed. 2024, Art. 68 GG Rn. 13 ff.). Er hat sowohl ein formelles Prüfungsrecht als auch ein auf die Evidenzkontrolle beschränktes materielles Prüfungsrecht (Huber/Voßkuhle/Epping, 8. Aufl. 2024, Art. 68 GG Rn. 40). Ihm ist das Auflösungsrecht jedoch vollständig entzogen, sofern der Bundestag in der Zwischenzeit einen neuen Bundeskanzler wählt, Art. 68 Abs. 1 S. 2 GG.

Die Auflösungsanordnung des Bundespräsidenten bedarf der Gegenzeichnung des Bundeskanzlers, Art. 58 S. 1 GG. Erst mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages endet das Amt des alten Bundestages, Art. 39 Abs. 1 S. 2, 69 Abs. 2 GG. Innerhalb von 60 Tagen finden die Neuwahlen statt, vgl. Art. 39 Abs. 1 S. 4 GG.

Der Bundespräsident könnte auch gem. Art. 81 Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 GG  auf Antrag der Bundesregierung den Gesetzgebungsnotstand erklären. 

II. Abgrenzung zum konstruktiven Misstrauensvotum

Nicht zu verwechseln ist die Vertrauensfrage mit dem konstruktiven Misstrauensvotum, Art. 67 GG. Initiatoren des Misstrauensvotums sind die Abgeordneten, welche bei Erreichen einer Mehrheit im Sinne des Art. 121 GG einen Nachfolger für das Kanzleramt wählen und dem amtierenden Bundeskanzler das Misstrauen aussprechen können, woraufhin der Bundespräsident den Bundeskanzler entlassen und den gewählten Nachfolger ernennen muss. Das Prozessuale ergibt sich aus § 97 GO BT.

III. Ausblick

In einem Zuge hat Bundeskanzler Olaf Scholz die Entlassung von Finanzminister Christian Lindner bekanntgegeben und angekündigt, am 15. Januar 2025 vor dem Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen. Dies wäre die 6. Vertrauensfrage in der Geschichte der BRD. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich bereit erklärt, im Falle einer gescheiterten Vertrauensfrage die Auflösung des Bundestages anzuordnen. Ob Bundeskanzler Olaf Scholz der Forderung der Opposition, die Vertrauensfrage nicht erst im Januar, sondern alsbald zu stellen folgt, ist nicht absehbar, ist noch, so der Bundeskanzler, die Verabschiedung mehrerer unaufschiebbarer Gesetzesvorhaben geplant. Unabhängig davon, wann der Bundeskanzler den Vertrauensantrag stellen wird, bietet sich ein solch aktueller Anlass in naher Zukunft als Prüfungsstoff gut an:

Eine mögliche Einbettung in einer Examensklausur könnte über ein Organstreitverfahren erfolgen, so wie in BVerfGE 62, 1: In dem Fall haben Bundestagsabgeordnete einen möglichen Verstoß der Auflösungsanordnung des Bundespräsidenten gegen Art. 68 Abs. 1 GG zum Streitgegenstand erhoben und die Verletzung von Art. 38 Abs. 1 S. 2 i.V.m Art. 39 Abs. 1 GG geltend gemacht.

Man beachte hier in der Zulässigkeit, dass Bundestagsabgeordnete aufgrund ihrer eigenen verfassungsrechtlichen Position (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) antragsberechtigt sind. Schwerpunkt in der Begründetheit wäre die Erschließung des Sachverhalts im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 68 Abs. 1 GG, insbesondere der politischen Lage der Instabilität. Vor allem das Missbrauchspotential einer „unechten“ bzw. „auflösungsgerichteten“ Vertrauensfrage kann thematisiert und mit dem Argument relativiert werden, dass der Bundeskanzler auch bei einer bloß künftig drohenden Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse von einer Auflösungslage ausgehen darf und nicht auf den endgültigen Zusammenbruch warten muss, wenn schon vorher der Zweck des Art. 68 Abs. 1 GG berührt ist.

11.11.2024/1 Kommentar/von Alexandra Alumyan
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Alumyan https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Alumyan2024-11-11 07:41:342024-11-14 09:31:25Vertrauensfrage im Fokus
Moritz Augel

Haftung für umkippende E-Scooter – Pech für Autofahrer?

Aktuelles, Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Startseite, Zivilrecht

E-Scooter wurden einst als „Revolution für die letzte Meile“ gefeiert. Doch die anfängliche Freude ist schnell verpufft: E-Scooter Verbotszonen, die verhindern, dass Irre die Scooter in Rhein, Main oder Spree werfen; mitten auf dem Gehweg abgestellte Scooter, die insbesondere Ältere, Rollstuhlfahrer und Menschen mit Kinderwagen behindern und nicht zuletzt zahlreiche Fälle, in denen Autos durch umgekippte E-Scooter beschädigt wurden.

Doch wer haftet eigentlich für das Umfallen von E-Scootern? Eine Frage, der unser Gastautor Moritz Augel im nachfolgenden Beitrag nachgehen wird. Er hat Rechtswissenschaft an der Universität Bonn studiert und widmet sich aktuell seinem Promotionsvorhaben.

I. Haftung des Nutzers

Zunächst ist eine mögliche Haftung des letztmaligen Nutzers, der den E-Scooter abgestellt hat zu erwägen.

1. Auskunftsanspruch nach § 242 BGB

Bevor man sich der Frage widmen kann, welche Ansprüche gegen den Nutzer bestehen könnten stellt sich zunächst ein ganz praktisches Problem. Der Geschädigte kennt die Identität des Fahrers des E-Scooters schlicht nicht. Jedoch steht ihm ein Anspruch aus § 242 BGB auf Auskunft über Name und Adresse des Fahrers gegen den Betreiber zu (vgl. BGH, Urt. v. 6.5.2004 – III ZR 248/03, VIZ 2004, 492 (494)). Ein solcher Auskunftsanspruch besteht dann, wenn „der Berechtigte entschuldbarerweise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen, der Verpflichtete aber in der Lage ist, unschwer solche Auskünfte zu erteilen, die zur Beseitigung jener Ungewissheit geeignet sind“ (BGH, Urt. v. 6.5.2004 – III ZR 248/03, VIZ 2004, 492 (494)).

Problematisch ist indes, dass auch dem Betreiber häufig die Adresse des Nutzers unbekannt ist. Kann der Betreiber darlegen, dass er die Adresse mithilfe der ihm zur Verfügung stehenden Informationen nicht ermitteln kann, so scheitert auch der Auskunftsanspruch (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (210)). Sofern also überhaupt Ansprüche gegen den Fahrer bestehen, scheitern sie bereits häufig an der fehlenden Durchsetzbarkeit, mangels Kenntnis über die Identität des Anspruchsgegners.

2. Haftung nach § 18 Abs. 1 StVG

Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass es sich bei den E-Scootern um Kraftfahrzeuge iSv. § 1 Abs. 2 StVG handelt. Da sie selbstständig beschleunigen und nicht an Muskelkraft gebunden sind, handelt es sich um Kraftfahrzeuge, die grundsätzlich der Halter- (§ 7 StVG) und Fahrerhaftung (§ 18 StVG) unterfallen. Jedoch regelt § 8 StVG eine Ausnahme von der Gefährdungshaftung. Diese greift gem. § 8 Nr. 1 StVG nicht, wenn es sich um ein Kraftfahrzeug handelt, welches nicht schneller als 20 km/h fahren kann. Dies ist bei E-Scootern der Fall, sodass eine Haftung nach § 18 Abs. 1 StVG ausscheidet.

Die Ausnahme des § 8 Nr. 1 StVG ist in letzter Zeit zunehmend in die Kritik geraten. Insbesondere in Konstellationen, wie der vorliegenden, erscheint es widersinnig auf die tatsächliche Geschwindigkeit abzustellen, denn wenn das Fahrzeug stillsteht begründet es die gleiche Gefahr, wie jedes andere (schnellere) Fahrzeug (Medicus, DAR 2000, 442 (443)).

3. Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB

Möglich bleibt eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB. Die Sachbeschädigung stellt eine Rechtsgutsverletzung in Form der Eigentumsverletzung dar. Als haftungsbegründendes Verhalten ist auf die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, mithin ein Unterlassen, abzustellen: Der Nutzer eines E-Scooters schafft eine Gefahrenquelle, sobald er ihn im öffentlichen Verkehr abstellt, weshalb er entsprechende Maßnahmen treffen muss, die erforderlich sind um eine Schädigung Dritter zu verhindern, vgl. § 1 Abs. 2 StVO. Eine unsachgemäße Abstellung ist mithin haftungsbegründend.

Problematisch sind indes vor allem die Fragen der Kausalität und des Verschuldens, die sich insbesondere daraus ergeben, dass dem Geschädigten ein Nachweis bezüglich Kausalität und Verschulden nur in den seltensten Fällen gelingen wird. Insbesondere ist es für den Geschädigten häufig nicht nachzuweisen, dass der Scooter tatsächlich vom Fahrer falsch abgestellt wurde und nicht etwa durch eine dritte Person umplatziert oder umgestoßen wurde.

4. Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 1 Abs. 2 StVO

Gemäß § 823 Abs. 2 BGB begründet auch die Verletzung eines Schutzgesetzes eine Haftung. Schutzgesetze sind solche, die nicht nur Allgemeininteressen, sondern auch die des Einzelnen schützen sollen (Förster in BeckOK BGB, § 823 BGB, Rn. 276). Telos des § 1 Abs. 2 StVO ist zunächst der Schutz des Allgemeininteresses an der Sicherheit des Straßenverkehrs, darüber hinaus jedoch auch der Schutz des Individualinteresses des einzelnen Verkehrsteilnehmers an seiner Unversehrtheit. § 1 Abs. 2 StVO ist mithin ein Schutzgesetz iSd. § 823 Abs. 2 BGB (vgl. Herbers/Lempp in Haus/Krumm/Quarch, Verkehrsrecht, § 1 StVO, Rn. 5). Eine Haftung kann sich mithin auch aus § 823 Abs. 1 BGB iVm. § 1 Abs. 2 StVO ergeben. Es stellen sich jedoch die gleichen Probleme hinsichtlich der Beweisbarkeit und Identifizierbarkeit des Fahrers, wie bei § 823 Abs. 1 BGB.

II. Haftung des Betreibers

Gerade weil eine Haftung gegen den Fahrer regelmäßig aufgrund fehlender Durchsetzbarkeit (vgl. I. 1.) scheitert, wäre ein Anspruch gegen den – häufig auch deutlich solventeren – Betreiber umso wichtiger.

1. Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG

Eine Halterhaftung scheitert ebenso wie die Haftung des Fahrers nach § 18 Abs. 1 StVG (s. I. 2.), weil § 8 Nr. 1 StVG diese für E-Scooter ausschließt.

2. Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB

Auch den Betreiber treffen Verkehrssicherungspflichten: Indem er die E-Scooter in den Verkehr bringt, sie auf öffentlichen Straßen abstellen lässt und sie an Nutzer vermietet schafft er selbst eine Gefahrenquelle, aufgrund derer er zur Ergreifung von Maßnahmen verpflichtet ist, um die Rechte Dritter zu schützen (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (210)). Dabei ist der Betreiber zur Ergreifung solcher Maßnahmen verpflichtet, die erforderlich sind und angemessen sind. Welche Maßnahmen das sind, bestimmt sich aus der Sicht eines umsichtigen, verständigen, in vernünftigen Grenzen vorsichtigen und gewissenhaften Menschen (st. Rspr.: BGH, Urt. v. 25.10.2022 – VI ZR 1283/20, NJW-RR 2023, 95, Rn. 11).

Es stellt sich mithin die Frage, in welchem Maß der Betreiber verpflichtet ist, einen ordnungsgemäßen Abstellvorgang sicherzustellen. Eine proaktive Überwachung jedes einzelnen Abstellvorgangs wäre ihm keinesfalls zumutbar (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (210)). Jedoch darf der Betreiber nicht darauf vertrauen, dass die Nutzer die Scooter stets ordnungsgemäß abstellen, weshalb den Betreiber jedenfalls in Fällen, in denen er Kenntnis von einem falsch geparkten E-Scooter erlangt, die Pflicht trifft, darauf zu reagieren und die Gefahrenquelle zu beseitigen (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (210 f.)).

Dabei darf sich der Betreiber nicht allein darauf verlassen, dass ihm ein falsch geparkter Scooter wohl gemeldet würde. Vielmehr trifft ihn auch die Pflicht zur Überwachung, sodass regelmäßige Kontrollen vorzunehmen sind, die etwa im Rahmen des nächtlichen Umstellens und Aufladens erfolgen kann (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (211)). Darüber hinaus verfügen die Scooter regelmäßig über eine GPS-Ortung, sodass sich, wenn sich aus der Position bereits eine Störung ergibt, ebenfalls eine Beseitigungspflicht ergibt.

Kaufmann und Kurczinski schlagen den Einbau von Neigungssensoren vor, die nicht nur auf eine Gefahrenquelle aufmerksam machen, sondern auch dabei helfen würden, den Zeitpunkt des Umkippens feststellen zu können (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (210)).

Eine Pflicht zur Erhebung der Daten des Nutzers besteht hingegen nicht. Zwar begründet die lückenhafte Datenerhebung eine Gefahr, da eine praktische Durchsetzung der Ansprüche gegen den Nutzer so praktisch unmöglich wird. Allerdings führt das Unterlassen der Datenerhebung nicht zur Rechtsgutsverletzung, sodass der erforderliche Kausalzusammenhang fehlt (Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (211)).

3. Haftung nach § 831 Abs. 1 BGB

Sogenannte „Juicer“ oder „Charger“ verdienen Geld, indem sie leere E-Scooter einsammeln, aufladen und später wieder im angestammten Gebiet verteilen. Sofern es sich bei ihnen um Verrichtungsgehilfen handelt, sie ihre Tätigkeit mithin weisungsgebunden ausüben, kommt eine Haftung des Betreibers nach § 831 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht. Voraussetzung hierfür ist ein Auswahl- bzw. Überwachungsverschulden; der Betreiber darf sich mithin nicht nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpieren können. Jedoch wird diese Exkulpation nicht nur häufig gelingen (so jedenfalls Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (211)), vielmehr ist die konkrete Ausgestaltung der vertraglichen Vereinbarung zwischen „Juicer“ und Betreiber dahingehend zu untersuchen, ob überhaupt eine Weisungsbindung vorliegt.

III. Summa

Es besteht mithin das Risiko, dass die Eigentümer eines Kraftfahrzeugs, welches durch einen umkippenden E-Scooter beschädigt wurde, auf dem Schaden sitzenbleiben. Dies ist nicht nur misslich, sondern ein echtes Ärgernis. Die Privilegierung des § 8 Nr. 1 StVG scheint überholt (vgl. Kaufmann/Kurczinski, NZV 2024, 207 (212)). Aktuell muss man konstatieren, dass es dem Geschädigten nicht möglich ist einen Regress vom Betreiber zu erlangen. Auch ein Rückgriff gegen den Fahrer ist nur selten möglich. Keine gute Nachricht für alle Autofahrer, die auch künftig fürchten müssen aus eigenem Portmonee für den Lackschaden aufkommen zu müssen.

07.11.2024/2 Kommentare/von Moritz Augel
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Moritz Augel https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Moritz Augel2024-11-07 08:47:252024-11-14 09:31:35Haftung für umkippende E-Scooter – Pech für Autofahrer?
Micha Mackenbrock

Stadt Essen muss der AfD ihre Stadthalle zur Verfügung stellen

Aktuelles, Kommunalrecht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite

Die Stadt Essen geriet im Sommer diesen Jahres in den Fokus einer juristischen Auseinandersetzung, als sie einen bereits geschlossenen Mietvertrag mit der AfD für deren Bundesparteitag in der Essener Stadthalle kündigte. Die Stadt begründete ihre Entscheidung mit Bedenken über mögliche rechtliche Verstöße während der Veranstaltung. Die AfD ging daraufhin vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen im Eilverfahren gegen die Kündigung vor und konnte sich mit Verweis auf das Gleichbehandlungsgebot der Parteien durchsetzen. Den Gerichtsbeschluss vom 14.06.2024 – 15 L 888/24 stellt unser Gastautor Micha Mackenbrock vor. Er hat an der Universität Bonn Rechtswissenschaft studiert und das erste Staatsexamen abgeschlossen. Nun ist er Mitarbeiter in einer mittelständigen Anwaltskanzlei und widmet sich seinem Promotionsvorhaben im Bereich Arbeitsrecht.

I. Der Sachverhalt

Die Stadt Essen betreibt eine Stadthalle, die „Grugahalle“. Dort finden Messen, Konzerte, Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und auch politische Veranstaltungen statt. Die Stadt betreibt die Stadthalle dabei nicht unmittelbar, sondern ist „nur“ Mehrheitsgesellschafterin der die Stadthalle vermietenden „Messe Essen GmbH“ (nachstehend nur GmbH genannt). An dieser hält die Stadt insgesamt 80% der Gesellschaftsanteile. Anfang 2023 hatte die GmbH einen Mietvertrag mit der AfD abgeschlossen. Die AfD wollte die Stadthalle für ihren Bundesparteitag am 29. und 30. Juni nutzen.

Doch in der Zeit zwischen dem Abschluss des Mietvertrags und dem geplanten Bundesparteitag wachsen bei der Stadt Essen Zweifel, ob der AfD tatsächlich die Stadthalle zur Verfügung gestellt werden soll.  Schließlich beschloss der Stadtrat im Mai 2024, dass die GmbH den Mietvertrag kündigen soll, falls die AfD eine Bedingung nicht erfüllt: Die AfD soll eine strafbewehrte Selbstverpflichtungserklärung dahingehend abgeben, dass Teilnehmer des Parteitags keine strafbaren Handlungen vornehmen. Damit wollte die Stadt insbesondere verhindern, dass auf dem Parteitag verbotene SA-Parolen gerufen werden. Die AfD gab diese Erklärung nicht ab, woraufhin die GmbH den Mietvertrag kündigte.

Die AfD wandte sich gegen die Kündigung im Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Die Stadt Essen sollte verpflichtet werden sicherzustellen, dass die AfD Zugang zur Stadthalle gewährt bekommt.

II. Die Entscheidung

Das Gericht entschied im Sinne der AfD. ihr ist der Zugang zur Stadthalle gewähren, ohne dass sie zuvor eine strafbewehrte Selbstverpflichtung abgeben muss.

1. Kein Zugangsanspruch nach § 8 Gemeindeordnung NRW

In Betracht kommt ein Anspruch aus § 8 II, IV Gemeindeordnung NRW. Die Stadthalle ist eine kommunale öffentliche Einrichtung im Sinne von § 8 I Gemeindeordnung NRW, denn sie ist ein Gegenstand, der den Einwohnern beziehungsweise einen in der Zweckbestimmung festgelegten Personenkreis durch die Gemeinde für bestimmte öffentliche Zwecke zugänglich gemacht wird. Dass die Stadthalle dabei „nur“ von der GmbH und nicht von der Stadt Essen unmittelbar betrieben wird, ist unbeachtlich: „Auch eine von einer juristischen Person des Privatrechts betriebene Einrichtung kann eine gemeindliche Einrichtung sein. Um eine solche Einrichtung handelt es sich jedenfalls dann, wenn sie tatsächlich zu den von der Gemeinde verfolgten öffentlichen Zwecken zur Verfügung steht und wenn die Gemeinde die öffentliche Zweckbindung der Einrichtung nötigenfalls gegenüber der privatrechtlichen Betriebsgesellschaft durchzusetzen imstande ist. In diesen Fällen wandelt sich der Benutzungsanspruch in einen Verschaffungs- beziehungsweise. Einwirkungsanspruch.“ (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 14.06.2024 – 15 L 888/24). Demnach würde die Stadt Essen dazu verpflichtet werden, auf die von ihr beherrschte GmbH dergestalt einzuwirken, dass diese der AfD die Stadthalle zur Verfügung stellt (sog. Einwirkungsanspruch).

Der Anspruch nach § 8 II, IV Gemeindeordnung NRW scheitert aber daran, dass der AfD-Bundesverband, welcher Einlass in die Stadthalle begehrt, seinen Sitz in Berlin, und nicht im Gemeindegebiet der Stadt Essen hat.

2. Gleichbehandlungsanspruch der Parteien

Doch auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 8 Gemeindeordnung NRW kann die Gemeinde dazu verpflichtet sein, einer Partei die Stadthalle zur Verfügung zu stellen: Eine solche Pflicht kann sich aus dem Gleichbehandlungsanspruch der Parteien gemäß § 5 I 1 PartG i.V.m. Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG ergeben. Die in Rede stehende GmbH hat die Stadthalle in der Vergangenheit regelmäßig an politische Parteien im Sinne von § 2 I PartG vermietet. § 5 I 1 PartG verpflichtet Träger öffentlicher Gewalt dazu, alle Parteien bei der Zurverfügungstellung von Einrichtungen und andere öffentlichen Leistungen gleich zu behandeln. Und auch aus Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG ergibt sich für alle politischen Parteien ein Gleichbehandlungsanspruch. Das Recht auf Chancengleichheit einer Partei ist verletzt, „wenn ein Träger öffentlicher Gewalt die Nutzung einer öffentlichen Einrichtung einer Partei verweigert, obwohl er sie anderen Parteien einräumt oder eingeräumt hat“ (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 14.06.2024 – 15 L 888/24). Demnach wird die Entscheidungsfreiheit einer Gemeinde, ob und wem sie Zugang zu ihren öffentlichen Einrichtungen gewährt, begrenzt.

Abweichungen von der bisherigen Vergabepraxis bedürfen zu ihrer Rechtfertigung eines sachlichen Grundes. Hier wurde in der Vergangenheit die Stadthalle an politische Parteien vermietet, ohne dass diese zuvor eine strafbewehrte Selbstverpflichtungserklärung abgeben mussten. Dem Grunde nach hat somit auch die AfD einen Anspruch dahingehend, dass ihr die Stadthalle bedingungslos vermietet wird.

3. Keine Rechtfertigung für Ungleichbehandlung der AfD
a) Strafbare Äußerungen

Die Stadt Essen begründet ihr Entscheidung damit, dass zu erwarten sei, die AfD könnte die Stadthalle für strafbare Handlungen, insbesondere verbotene SA-Parolen, missbrauchen. An eine derartige Gefahrenprognose seien aber hohe Anforderungen zu stellen, so das VG Gelsenkirchen. Eine Versagung des Zugangs zu einer öffentlichen Einrichtung greift in den Anspruch aus Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG ein, sodass eine solche nur dann in Betracht kommt, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Rechtsverletzung bestehe.

Die hier von der Stadt Essen vorgelegte Prognose genügt dieser Anforderung nicht.  Zwar legt sie mündliche und schriftliche Äußerungen einzelner AfD-Mitglieder vor, welche sich in der Vergangenheit strafbar geäußert haben. Das alleine genüge aber nicht als Anhaltspunkt dafür, dass sich auf dem AfD-Bundesparteitag in der Stadthalle erneut entsprechend geäußert werden würde. Insbesondere habe die Stadt Essen vorab keine Kenntnis von dem Inhalt der für den Parteitag geplanten Reden und könne dahingehend nur Mutmaßungen anstellen.

b) Gegendemonstrationen

Auch die Befürchtung der Stadt, dass es wegen dem Parteitag zu (möglicherweise sogar gewalttätigen) Gegendemonstrationen kommen wird, rechtfertige nicht die Versagung der Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung. Es sei Aufgabe der Polizei- und Ordnungsbehörden, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren und eingetretene Störungen zu beseitigen, so das VG Gelsenkirchen.

4. Ergebnis

Die AfD hat aus § 5 I 1 PartG i.V.m. Art. 3 I, III 1, Art. 21 GG einen Anspruch gegen die Stadt Essen dahingehend, dass die Stadt auf die von ihr beherrschte GmbH so einwirkt, dass diese der AfD die Stadthalle für ihren Bundesparteitag zur Verfügung stellt, ohne dass diese eine strafbewehrte Selbstverpflichtungserklärung abgeben muss.

III. Einordnung der Entscheidung

Die Entscheidung kam wenig überraschend. Selbst die von der Stadt Essen und der GmbH mit der Sache anvertrauten Rechtsanwaltskanzleien prognostizierten eine gerichtliche Niederlage. Zudem wehrte sich die Stadt Essen im Nachgang nicht gegen den Beschluss des VG Gelsenkirchen und legte keine Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht NRW ein. Die Stadt Essen und mit ihr viele Menschen hätten sich wohl ein anderes Ergebnis gewünscht. Doch mit dem Beschluss des VG wurde einmal mehr die Gleichbehandlung aller Parteien gestärkt, welche nicht von dem Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig im Sinne von Art. 21 II GG eingestuft worden sind.

04.11.2024/1 Kommentar/von Micha Mackenbrock
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Micha Mackenbrock https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Micha Mackenbrock2024-11-04 09:34:032024-11-14 09:31:49Stadt Essen muss der AfD ihre Stadthalle zur Verfügung stellen
Simon Mantsch

Zehn goldene Regeln für die Anfertigung einer juristischen Seminararbeit

Aktuelles, Fallbearbeitung und Methodik, Lerntipps, Schwerpunktbereich, Startseite, Verschiedenes

An der Anfertigung einer juristischen Seminararbeit kommen Studierende der Rechtswissenschaft nicht vorbei. Der Respekt vieler vor dieser Leistung ist kaum überhörbar, was vornehmlich an der Eigenart der Seminararbeit im Vergleich zu den sonst zu erbringenden Leistungen während des Studiums liegen dürfte. Verlangt wird eben nicht die über Jahre hinweg erprobte gutachterliche Auseinandersetzung mit einer Fallfrage, sondern – so zumindest im Regelfall – die Aufarbeitung einer abstrakten Rechtsfrage. Doch ist dies kein Grund zur Sorge, denn bereits mit der Einhaltung wissenschaftlicher Arbeitstechnik, die auch für viele künftige Berufsbilder studierter Juristinnen und Juristen schlicht unersetzlich ist, lässt sich viel erreichen. Und auch die zumindest oftmals überdurchschnittlichen Noten dürften den anfänglichen Respekt etwas abmildern. Dem Ziel, selbst auch eine überdurchschnittliche Seminarleistung zu erbringen, sollen die nachstehenden „zehn goldenen Regeln für die Anfertigung einer juristischen Seminararbeit“ dienen.

1. Gewinnen eines ersten Überblicks über die Thematik

Das vom Aufgabensteller ausgegebene Thema der Seminararbeit erschöpft sich überwiegend in der Nennung einer bloßen Überschrift. Weitergehende Hinweise gibt es regelmäßig nicht. Dies mag anfangs überfordernd wirken, eröffnet jedoch wissenschaftlichen Betätigungsspielraum für eigene Schwerpunktsetzung. Allzu große Sorge bei fehlenden Vorkenntnissen zum konkreten Thema sollten Studierende derweil nicht haben: Es entspricht dem Wesen einer Seminarleistung, sich über einen längeren Zeitraum mit einer unbekannten Sachfrage beschäftigen zu müssen. Gerade deshalb empfiehlt sich vor dem Einstieg in die vertiefte Recherche die Gewinnung eines ersten groben Überblicks über die Thematik. Wie man einen solchen gewinnt, hängt maßgeblich von der konkreten Aufgabenstellung ab. Bei einer Entscheidungsbesprechung empfiehlt sich – wie sollte es auch anders sein – zunächst ein Blick in die in Rede stehende Entscheidung. Sollte als Thema demgegenüber eine Frage aufgeworfen sein, die einen Streitstand zu einer genau genannten Rechtsnorm betrifft, ist der Blick in eine Kommentierung zu eben jener Rechtsnorm der richtige Schritt.

Beide Varianten entsprechen jedoch nicht dem Regelfall eines Seminarthemas. Ganz überwiegend wird das Thema nur abstrakt umrissen sein und weder einen Bezug zu einem einzelnen Urteil oder einer einzelnen Norm erkennen lassen. Gerade derartige Themen können eine gewisse Orientierungslosigkeit auslösen, weil nicht klar scheint, was vom Aufgabensteller gewollt ist. In diesem Fall kann selbst eine anfänglich Google-Suche erste Ängste beseitigen. Dies zwar nicht mit der Zielsetzung, hochqualitativer und zitierfähiger Literatur zu finden, wohl aber dazu, um das Thema besser einordnen zu können. Selbsterklärend gilt dies in besonderem Maße für Themen mit Aktualitätsbezug. Hat man zumindest grob verstanden, worum es geht, empfiehlt sich für die anfängliche juristische Aufarbeitung der Sprung in die juristischen Datenbanken wie beckonline und juris. Besonders aktuelle Zeitschriftenaufsätze mit Bezug zum Seminarthema können hilfreich sein, sich dem Thema schrittweise zu nähern, zeigen sie doch oft, „wo der Schuh drückt“. Schließlich liegt auch ihnen die Erörterung einer abstrakten Rechtsfrage zugrunde. Gegenüber Kommentarliteratur haben sie somit den Vorteil, sich nicht punktuell mit einer Einzelnorm, sondern vielmehr normübergreifend mit einer Rechtsfrage auseinanderzusetzen.

2. Umfassende Literatur- und Rechtsprechungsrecherche

Ist der erste Überblick gewonnen, steht die umfassende Literatur- und Rechtsprechungsrecherche an. Bei Korrekturen fällt dabei allzu oft auf, dass sich Studierende ausschließlich mit Standardliteratur auseinandergesetzt haben. Das ist ärgerlich und vor allem auch vermeidbar, da es selbigen durch umfassende beckonline- und juris-Zugänge nebst den sehr umfassenden örtlichen Bibliotheksbeständen ohne Weiteres offen stünde, den Blick auch auf andere Literaturwerke zu weiten. Studierende tun daher gut daran, dem Aufgabensteller nicht schon bei Sichtung des Literaturverzeichnisses den Eindruck zu vermitteln, dass ausschließlich mit beckonline gearbeitet worden ist. Leider fällt aber dennoch immer wieder auf, dass juris (zu) oft vermieden wird. Zu Unrecht, da beckonline und juris Zugang zu unterschiedlichen Zeitschriften, anderen Kommentaren und anderen Gerichtsentscheidungen ermöglichen – man ist also gut beraten, von diesen Zugangsmöglichkeiten Gebrauch zu machen. Eine umfassende Auswertung der Literatur macht es dabei zugleich erforderlich, nicht allein online abrufbare Literaturquellen und Rechtsprechung auszuwerten. Insbesondere der Zugang zu wissenschaftlich wertvollen Monografien wie Promotions- und Habilitationsschriften oder eben auch zu vielen Festschriftbeiträgen erfordert oft noch den Gang in die örtlichen Universitäts- oder die jeweiligen Institutsbibliotheken.

Ein den Studierenden im Kontext der Literatur- und Rechtsprechungsrecherche oftmals unterlaufender Fehler besteht darin, dass Literaturfundstellen und Gerichtsentscheidungen aus dem jeweiligen Zeitkontext gerissen werden. So sind Literaturfundstellen und Rechtsprechung aus dem Jahr 2000 zur Auslegung eines Tatbestandsmerkmals des erst 2023 in kraft getretenen Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) nur bedingt und oftmals auch gar nicht aussagekräftig. Ist man hier anderer Meinung und hält die zur alten Rechtslage getroffenen Aussagen auch unter Zugrundelegung der neuen Rechtslage für bestandskräftig, so bedarf dies zwangsläufig einer Begründung. Und auch ohne Änderung der Rechtslage sollte bei der Heranziehung älterer Gerichtsentscheidungen als Nachweis für eine fortbestehende Rechtsprechungslinie sichergestellt sein, dass zwischenzeitlich keine Rechtsprechungsänderung stattgefunden hat. Ein Nachzeichnen der Rechtsprechungsentwicklung ist daher unumgänglich.

3. Erstellen einer Gliederung mit passenden Überschriften

Nachdem durch die Literatur- und Rechtsprechungsrecherche erkannt wurde, wo die Probleme liegen, auf die es in der Seminararbeit einzugehen gilt, empfiehlt sich die Erstellung einer Gliederung. Gedanklich wird sich jede Seminararbeit in einen Einleitungsteil, einen Hauptteil und einen Schlussteil gliedern lassen. Dennoch sollte von wenig aussagekräftigen Überschriften wie „Einleitung“, „Hauptteil“ und „Schluss“, die den Charakter eines Schulaufsatzes nicht wirklich von sich weisen können, abgesehen werde. Der Leser soll bereits durch aussagekräftige Überschriften durch die Arbeit geführt werden. Die Erkenntnis, dass nach einleitenden Worten und der Hinleitung zum Thema nun der „Hauptteil“ beginnt, ist wenig ergiebig. Aus demselben Grund ist auch von „Unterüberschriften“ ohne nennenswerten Aussagegehalt abzusehen. Sinnvoller sind „inhaltliche“ Überschriften, die dem Leser offenbaren, welcher Frage sich der nachfolgende (Unter-)Abschnitt widmet. Die Anlehnung der Seminararbeit an den Aufbau eines wissenschaftlichen Aufsatzes kann hilfreich sein. Auch ein solcher führt den Leser in einem einleitenden Abschnitt zum Thema hin, geht sodann auf die umstrittenen Problemfelder und die hierzu vertretenen Ansichten ein und kommt in einer Schlussredaktion zu einem Ergebnis. Die bei Studierenden allseits beliebten Überschriften „Einleitung“, „Hauptteil“, „Schluss“, „Herrschende Literaturansicht“ und „Ansicht der Rechtsprechung“ sucht man in wissenschaftlichen Aufsätzen jedoch vergeblich. Man sollte es ihnen in der Seminararbeit gleichtun.

Durch Überschriften in verschiedenen Gliederungsebenen und einfache Absätze muss die Arbeit auch optisch unterteilt werden. Beginnt ein neuer gedanklicher Abschnitt, sollte in der richtigen Gliederungsebene eine Zwischenüberschrift gesetzt werden. Beginnt nur ein neues Argument, genügt ein einfacher Absatz. Eine Faustformel, wie viele Gliederungsebenen und wie viele Absätze erforderlich sind, gibt es nicht. Es sollte jedoch davon abgesehen werden, den Text durch zu viele Überschriften und Absätze nach jedem Satz künstlich zu zerreißen. Ebenso verfehlt ist es aber, seine Ausführungen seitenlang ohne optische Unterteilung herunterzuschreiben. In beiden Fällen kann der Leser nur schwer folgen.

4. Fokussierung auf das Thema

Eine qualitativ gute Arbeit qualifiziert sich ferner dadurch, dass sie durchgehend einen engen Themenbezug aufweist und sich nicht in allgemeinen Ausführungen verliert. Wer sich etwa in seiner Seminararbeit der „Vereinbarung nachvertraglicher Wettbewerbsverbote in AGB“ zuzuwenden hat, muss nicht ausufernd erklären, was eine AGB ist und welche Kontrollmechanismen das BGB für diese vorsieht. Studierende sollten bei ihrer Seminararbeit immer die Adressatenorientierung im Hinterkopf behalten: Die Seminararbeit richtet sich an ein Fachpublikum. Allgemeine Ausführungen, die im Sinne eines „Allgemeinen Teils“ vorangestellt werden und im „luftleeren Raum“ schweben, sind vollkommen obsolet. Soweit aber zum Verständnis oder zur Lösung eines Problems der Rekurs auf allgemeine Grundätze (im obigen Beispiel also zum AGB-Recht) notwendig ist, können entsprechende Ausführung natürlich gemacht werden. Auch dann sind sie aber nicht im Sinne eines „Allgemeinen Teil“ voranzustellen, sondern vielmehr an gegebener Stelle in die Argumentation einzuarbeiten.

5. Richtige Schwerpunktsetzung und übergreifendes Konzept als Zielsetzung

Die Zielsetzung der Seminararbeit muss in der Entwicklung eines problemübergreifenden Gesamtkonzepts liegen (Stichwort: „roter Faden“). Auch wenn sich jedes Seminarthema in verschiedene Einzelprobleme zerlegen lässt, genügt es nicht, die Einzelprobleme ohne Weiteres aneinanderzureihen. Vielmehr gilt es, der Seminararbeit durch eine eigenständige Strukturierung der Einzelprobleme einen übergreifenden Ansatz zu verleihen, der sich dadurch auszeichnet, dass er in sich schlüssig ist und das gesamte Themenfeld abdeckt. Der Schwerpunkt sollte dabei auf denjenigen Fragestellungen liegen, die noch nicht ausdiskutiert sind und wissenschaftlichen Forschungsbedarf offenbaren. Hinweise, wo sich derartige Fragestellungen auffinden lassen, können sich oftmals aus aktuellen Gesetzgebungsvorhaben oder wissenschaftlichen Diskussionen im Anschluss an ein höchstrichterliches Urteil ergeben. Auch deshalb empfiehlt sich oftmals der eingangs geschilderte Themeneinstieg mit etwas stumpf anmutenden Google Suchanfragen, die auf entsprechende Tagespresse aufmerksam macht, oder der Einstieg mit aktuellen wissenschaftlichen Zeitschriftenbeiträgen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Studierende dabei auf den „richtigen Pfad“ der aktuellen Problemfelder stoßen ist weitaus höher als bei der Lektüre alter Rechtsprechung. Letzterer soll damit aber keinesfalls die Bedeutung abgesprochen werden – zur Lösungsfindung auch der aktuellen Probleme kommt ihr fast immer eine beachtliche Bedeutung zu.

6. Die „wissenschaftliche Leistung“: Aufbau von Argumentationssträngen und Herausbildung einer eigenen Meinung

Dass die Studierenden im Rahmen der Bearbeitung von Problemstellungen mit verschiedenen Ansichten zu verschiedenen Streitständen konfrontiert werden, dürfte ihnen nicht neu, sondern auch aus bisher bekannten gutachterlichen Ausführungen im Rahmen von Klausuren und Fallhausarbeiten bekannt sein. Dennoch sollte die selbständig vorzunehmende, vertiefte Auseinandersetzung mit einer abstrakten Rechtsfrage, die vielen in dieser Form dann eben doch neu sein dürfte, zum Anlass genommen werden, überzeugende Argumentationsstränge aufzubauen. Gewiss unzureichend ist es, fremdes Wissen aneinandergereiht und wenig reflektiert wiederzugeben. Es geht keinesfalls darum, den Inhalt einzelner Gerichtsentscheidungen oder Zeitschriftenbeiträge zusammenzufassen, um anschließend zu resümieren, was davon nun überzeugend oder auch weniger überzeugend ist. Geschuldet wird eine wissenschaftliche Leistung und kein nur referierender Beitrag. Aufzählungen dergestalt, dass erst die „eine Meinung“, dann die „andere Meinung“ und zuletzt die „herrschende Meinung“ wiedergegeben wird, sollten daher unbedingt vermieden werden. Eine solche, dann doch recht stumpf anmutende Aufzählung, erweist als schlicht unwissenschaftlich. Studierende sollten mit juristischen Auslegungsmethoden arbeiten und davon ausgehend Meinungsblöcke bilden, die sich ggf. wiederum in Unteransichten unterteilen. Etwaige Unterschiede zwischen der (höchstrichterlichen) Rechtsprechung und der Literatur sollten ebenso herausgearbeitet werden, wie die Gründe, die zu der jeweiligen Ansicht führen. Auch hierbei sollten Entscheidungen und Literaturquellen in ihrem jeweiligen Zeitkontext betrachtet werden, um Überlegungen dergestalt anstellen zu können, welche Bestandskraft die vorgetragenen Argumente auch unter Geltung einer nunmehr veränderten Rechtslage etc. haben können. Auf diesen Überlegungen aufbauend muss eine Gewichtung der vorgetragenen Argumente zum Ausdruck kommen, die schließlich in der Herausbildung einer eigenen Meinung mündet. Gerade hier bekommen die Studierenden die Möglichkeit, Systemverständnis und Judiz zu beweisen. Gefordert wird insoweit schließlich eine juristisch fundierte Stellungnahme, die auch begründet wird – entweder durch Bildung eigener, bisher nicht vorgetragener Argumente, zumindest aber durch Fortführung der in Literatur und Rechtsprechung bereits geäußerten Argumente. Gern gesehen und für den Diskurs wertvoll sind zudem auch Vergleiche mit ähnlich gelagerten Problemen und den hierzu vertretenen Ansichten. Womöglich lassen ich hieraus Schlussfolgerungen ziehen, um einem Wertungswiderspruch zu entgehen.

7. Umfassendes Literaturverzeichnis

Die Visitenkarte einer gelungenen Seminararbeit ist auch ein umfassendes Literaturverzeichnis, mit dem direkt zu Beginn gezeigt wird, welch ausführliche Literaturrecherche betrieben oder auch nicht betrieben worden ist. Aufgelistet gehören alle genutzten Literaturquellen, alphabetisch sortiert nach Familiennamen des Autors bzw. der Autoren. Eine Unterteilung nach Werktypen ist nicht zwangsläufig angezeigt und wohl auch eher unüblich. Soweit nicht aufgrund einer bestimmten Formulierung oder eine nur in einer Altauflage vertretene Meinung rekurriert wird, sollte ausschließlich die jeweils aktuelle Auflage zitiert werden.

Zu beachten sind stets werktypische Besonderheiten. So sind bei Kommentaren die Namen der Herausgeber und Begründer, der Titel des Gesamtwerks, ggf. der verwendete Band und die Auflage mit Jahr und Verlagsort zu nennen. Hinzu kommt ein Klammerzusatz, mit dem die Zitierweise jenes Kommentars in den Fußnoten zum Ausdruck gebracht wird (z.B. Richardi, Reinhard (Hrsg.), Betriebsverfassungsgesetz mit Wahlordnung, 17. Aufl., München 2022 (zit.: Richardi/Bearbeiter, 17. Aufl.). Beiträge aus Festschriften werden angegeben unter Nennung des Namens des Autors, des Beitrags sowie den zur Festschrift gehörenden Angaben (z.B.: Henssler, Martin, Neue Herausforderungen für den europäischen und nationalen Arbeitnehmerbegriff, in: Brose, Greiner, Rolfs, Sagan, Schneider, Stoffels, Temmming, Ulber (Hrsg.), Grundlagen des Arbeits- und Sozialrechts, Festschrift für Ulrich Preis zum 65. Geburtstag, 1463-1475). Bei Aufsätzen sind demgegenüber neben dem vollständigen Namen aller Autoren, der vollständige Titel, die Zeitschrift und der gesamte Seitenrahmen, d.h. Anfangs- bis Endseite, zu nennen (z.B. Thüsing, Gregor / Mantsch, Simon, Teilzeitbeschäftigung und Überstundenzuschlag: Diskriminierung durch Gleichbehandlung, BB 2023, 2676-2679).

Selbstredend kein Teil des Literaturverzeichnisses sind Rechtssprechungsfundstellen, auch wenn sie in Fachzeitschriften abgedruckt werden. Zudem gehören auch Bundestags- und Bundesratsdrucksachen o.Ä. nicht in das Literaturverzeichnis.

8. Aussagekräftiger Fußnotenapparat

Ausfluss einer ausgiebigen Literatur- und Rechtsprechungsrecherche muss ein entsprechender Fußnotenapparat sein. Es muss gewährleistet sein, dass jede rechtliche Aussage und jedes wörtliche Zitat durch eine Fußnote belegt wurde. Ein einzelner Nachweis in einer Fußnote genügt regelmäßig nicht – vor allem dann nicht, wenn auf eine „herrschende Meinung“ oder eine „ständige Rechtsprechung“ verwiesen wird. Die Fußnote muss zu dem passen, was belegt werden soll. Der Verweis auf eine „ständige Rechtsprechung“ erfordert Rechtsprechungsfundstellen und keine Kommentarfundstellen. Aus demselben Grund muss die „herrschende Literaturansicht“ durch wissenschaftliche Beiträge in Kommentaren, Monografien oder wissenschaftliche Aufsätze, aber eben nicht durch Gerichtsentscheidungen belegt werden. Besonders wert gelegt wird auf ein einheitliches Erscheinungsbild. Fußnoten beginnen mit einem Großbuchstaben und Enden mit einem Punkt. Beziehen sie sich auf einen (Teil-)Satz, stehen sie nach dem Satzzeichen. Beziehen sie sich auf einzelne Wörter, so stehen sie direkt hinter dem jeweiligen Wort. Bei mehreren Fundstellen innerhalb einer Fußnote gilt folgende Reihenfolge: Zu Beginn stehen Gerichtsentscheidung (beginnend mit der höchsten und endend mit der niedrigsten Instanz), ehe Monografien und sodann Kommentare und Festschriftenbeiträge sowie zuletzt Aufsätze und Urteilsanmerkungen zitiert werden. Dabei ist nur der Beginn mit Gerichtsentscheidungen verbindlich, die Reihenfolge der Zitierung von Literaturwerken wird mitunter unterschiedlich vorgenommen. Wichtig ist daher vor allem, dass Studierende ihre Linie beibehalten und nicht in jeder Fußnote anders verfahren.

Rechtsprechungsfundstellen sind in der Fußnote vollständig und nicht in der in vielen Kommentierungen gebräuchlichen „Kurzschreibweise“ anzuführen (d.h. Gericht, Art der Entscheidung, Datum, Aktenzeichen, Literaturfundstelle und – soweit vorhanden –Randnummer; z.B. BAG, Urt. v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, NZA 2021, 552 Rn. 31). Für Literatur sind in den Fußnoten die geläufigen Abkürzungen zu verwenden (für Kommentare z.B. Richardi BetrVG/Richardi/Maschmann, 17. Aufl. 2022, § 87 Rn. 75, für Monographien z.B. Chandna-Hoppe, Die Weiterbeschäftigung nach Erreichen des Rentenalters, 2019, S. 60 ff; für Festschriftenbeiträge z.B. Henssler, FS Preis, 1463, 1472 und für Aufsätze z.B. Thüsing/Mantsch, BB 2023, 2676, 2678).

9. Vermeidung formeller und handwerklicher Fehler

Neben dem Literaturverzeichnis und dem Fußnotenapparat entscheidet vor allem die formale Sauberkeit und etwaige handwerkliche Fehler über den ersten Eindruck. Wer einen guten ersten Eindruck machen will, der muss präzise arbeiten. Dazu gehört es insbesondere, dass vor Abgabe die Einhaltung der vom Aufgabensteller verlangten formalen Vorgaben überprüft worden ist.
Gängige Fehler wie Überschriften am Seitenende, am Zeilenende alleinstehende Paragraphenzeichen, fehlende (geschützte) Leerzeichen (Strg.-Shift-Leerzeichen) nach Paragraphenzeichen, fehlende Unterscheidung zwischen schmalen Bundestrichen (-) und breiteren Gedankenstrichen (–) sowie sonstige Uneinheitlichkeiten/Ungereimtheiten bei Abkürzungen und in den Fußnoten sollten unbedingt vermieden werden.

Auch im Rahmen der eigenen Stellungnahmen sollten sich Studierende nicht verleiten lassen, den „Pfad“ der juristischen Fachsprache zu verlassen und auf Umgangssprache auszuweichen. Ebenso wenig haben subjektive Empfindungen der Kategorien „gut“ oder „schlecht“, „gerecht“ oder „ungerecht“ etwas in der Seminararbeit verloren. In Rede steht ausschließlich die juristische Aufarbeitung eines Themas. Auch eigene Stellungnahmen haben sich daher an den juristischen Auslegungsmethoden und nicht an Empfindungen zu orientieren.

Ob im Rahmen der eigenen Stellungnahme auf die „Ich-Form“ ausgewichen werden soll oder auch die eigene Stellungnahme als neutrale Aussage zu formulieren ist, ist letztlich eine Stilfrage. Viele Aufgabensteller mögen es nicht, andere hingegen schon. Hier empfiehlt sich ein Blick in die eigenen Publikationen des Aufgabenstellers: Nutzt er selbst die „Ich-Form“, wird er es Studierenden im Rahmen ihrer Seminararbeiten wohl kaum negativ anlasten.

10. Inanspruchnahme fremder Hilfe: Korrekturlesen lassen

Die (eigene) Erfahrung lehrt, dass auch das wiederholte Korrekturlesen nicht jeden sprachlichen und grammatikalischen Fehler beheben kann. Es ist daher dringend anzuraten, für die letzte Schlussredaktion fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen und die Arbeit von einer anderen Person Korrekturlesen zu lassen.

28.10.2024/1 Kommentar/von Simon Mantsch
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Simon Mantsch https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Simon Mantsch2024-10-28 08:56:462024-11-14 09:32:05Zehn goldene Regeln für die Anfertigung einer juristischen Seminararbeit
Seite 1 von 212

Über Juraexamen.info e.V.

Deine Online-Zeitschrift für Jurastudium, Staatsexamen und Referendariat.

Wir sind ein gemeinnütziger Verein aus Bonn und auf Eure Unterstützung angewiesen, sei es als Mitglied oder durch Gastbeiträge. Über Zusendungen und Nachrichten freuen wir uns daher sehr!

Werbung

Anzeige

Neueste Beiträge

  • Präventiver Verfassungsschutz versus Meinungs- und Pressefreiheit – Das BVerwG hebt das Verbot der COMPACT-Magazin GmbH auf
  • Praktikum am Landgericht Bonn
  • Die gesetzliche Altersgrenze für Anwaltsnotare ist verfassungswidrig

Weitere Artikel

Auch diese Artikel könnten für dich interessant sein.

Marie-Lou Merhi

Präventiver Verfassungsschutz versus Meinungs- und Pressefreiheit – Das BVerwG hebt das Verbot der COMPACT-Magazin GmbH auf

Aktuelles, Examensvorbereitung, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Uncategorized, Verfassungsrecht, Verschiedenes

„Unser Verbot ist ein harter Schlag gegen die rechtsextremistische Szene“. Dies verkündete die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser, als sie im Juli 2024 die COMPACT-Magazin GmbH öffentlichkeitswirksam verbot. Die Organisation sei […]

Weiterlesen
10.11.2025/0 Kommentare/von Marie-Lou Merhi
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Marie-Lou Merhi https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Marie-Lou Merhi2025-11-10 08:11:162025-11-10 13:53:46Präventiver Verfassungsschutz versus Meinungs- und Pressefreiheit – Das BVerwG hebt das Verbot der COMPACT-Magazin GmbH auf
Gastautor

Praktikum am Landgericht Bonn

Aktuelles, Alle Interviews, Interviewreihe, Startseite, Uncategorized, Verschiedenes

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Amelie Pühler veröffentlichen zu können. Die Autorin studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und berichtet über ihr absolviertes Pflichtpraktikum am Landgericht Bonn. Nach […]

Weiterlesen
04.11.2025/0 Kommentare/von Gastautor
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2025-11-04 18:18:532025-11-10 13:37:23Praktikum am Landgericht Bonn
Maximilian Drews

Die gesetzliche Altersgrenze für Anwaltsnotare ist verfassungswidrig

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Uncategorized

Mit dem Urteil vom 23.9.2025 (Akz. 1 BvR 1796/23) hat der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts überraschend – hielten doch einige namenhafte Institutionen die Regelung für verfassungsgemäß (vgl. Rn. 54 ff.) […]

Weiterlesen
14.10.2025/0 Kommentare/von Maximilian Drews
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maximilian Drews https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maximilian Drews2025-10-14 12:35:482025-10-14 12:35:52Die gesetzliche Altersgrenze für Anwaltsnotare ist verfassungswidrig

Mitmachen

Du hast Lust, Autor bei uns zu werden? Wir freuen uns!

Mitmachen

  • Über JE
  • Das Team
  • Spendenprojekt
  • Gastautor werden
  • Mitglied werden
  • Alumni
  • Häufige Fragen
  • Impressum
  • Kontakt
  • Datenschutz

© juraexamen.info e.V.

Nach oben scrollen Nach oben scrollen Nach oben scrollen