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Schlagwortarchiv für: § 211 StGB

Redaktion

Mord (§ 211 StGB)

Karteikarten, Strafrecht, Uncategorized

Tatbezogene Mordmerkmale (2. Gruppe)

Heimtückisch:

Bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers

Arglos ist, wer sich im Zeitpunkt der Ausführungshandlung keines tatsächlichen Angriffs auf sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit versieht.

(P): Fähigkeit zum Argwohn

 – Kleinkinder, Bewusstlose (-)

 – Schlafende (+), insofern „Arglosigkeit mit in den Schlaf genommen“ wurde

(P): Arglosigkeit schutzbereiter Dritter

Wehrlos ist, wer sich infolge der Arglosigkeit nicht oder nur eingeschränkt verteidigen kann.

(P): Weitere Einschränkungen erforderlich?

 – e.M.: Tückisch-verschlagenes Vorgehen

 – a.A.: Besonders verwerflicher Vertrauensbruch

 – Rspr.: Handeln in feindlicher Willensrichtung

Grausam:

Wer dem Opfer besondere Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art aus gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung zufügt, die nach Stärke oder Dauer über das für die Tötung unvermeidliche Maß hinausgehen.

Gemeingefährliches Mittel:

Mittel deren Wirkung auf Leib oder Leben einer Mehrzahl anderer Menschen der Täter nach den konkreten Umständen nicht beherrschen kann.

Täterbezogene Mordmerkmale (1. und 3. Gruppe)

Mordlust:

 Der Antrieb zur Tat entspringt dem Wunsch, einen Menschen sterben zu sehen.

Befriedigung des Geschlechtstriebs:

Wer Befriedigung im Tötungsakt selbst sucht; Töten, um seine sexuelle Lust an der Leiche zu befriedigen oder wer die Tötung zur Durchführung des Sexualakts zumindest in Kauf nimmt.

Habgier:

Ungezügeltes und rücksichtsloses Gewinnstreben um jeden Preis.

Niedrige Beweggründe:

Solche Beweggründe, die auf sittlich tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose Eigensucht bestimmt und menschlich nicht nachvollziehbar sind.

  • Auffangtatbestand
  • Maßgebend ist die Vorstellung der Wertegemeinschaft Deutschlands

Ermöglichungsabsicht:

Wenn die Tötungshandlung notwendiges Mittel zur Ermöglichung einer Straftat ist.

  • Ermöglichung einer gegenüber der Tötung anderen, nicht notwendig eigenen Tat
  • Bzgl. Tötung genügt dolus eventualis

Verdeckungsabsicht:

 Wenn es dem Täter auf die Nichtentdeckung einer Straftat ankommt.

  • Nach h.M. auch bei Vermeidung außerstrafrechtlicher Konsequenzen
  • Verdeckung durch Unterlassen nach h.M. möglich

17.10.2022/von Redaktion
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2022-10-17 15:23:262023-10-04 14:40:27Mord (§ 211 StGB)
Dr. Sebastian Rombey

BGH: Verwirklichung von Mordmerkmalen vor der Tötungshandlung?

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT

Der BGH hat sich jüngst in einer überaus examensrelevanten Entscheidung (Beschluss vom 26.03.2020 – 4 StR 134/19, NStZ 2020, 609) mit einer ganz grundsätzlichen Problematik befasst, die sich im Kern auf folgende Frage reduzieren lässt: Können Mordmerkmale bereits mehrere Tage vor dem späteren Totschlag verwirklicht werden, sodass dieser zum Mord avanciert?
I. Sachverhalt (leicht abgewandelt und vereinfacht)
Der Sachverhalt liest sich wie ein Hollywood-Krimi:
Der Täter T mietete eine Lagerhalle, die er mit Schallisolierung ausstattete und abdunkelte, um wohlhabende Geschäftsleute dorthin entführen zu können und so an hohe Bargeldbeträge zu gelangen. Der Tatplan sah wie folgt aus: Die Opfer sollten unter einem falschen Vorwand in die betreffende Lagerhalle gelockert, dann überwältigt und unter Todesandrohung zur Beschaffung hoher Bargeldmengen bewegt werden, bevor sie nach Erhalt des Bargeldes schließlich getötet werden sollten, um die Straftataufdeckung zu verhindern und somit im Besitz des Bargeldes bleiben zu können.
T spiegelte im Umsetzung eben dieses Plans dem wohlhabenden Geschäftsmann G wahrheitswidrig vor, die Lagerhalle verkaufen zu wollen, als er sich mit diesem in der Stadt traft; es handele sich um eine lohnende Immobilieninvestition. Um die Lagerhalle sodann zu begutachten, fuhren T und G gemeinsam zur besagten Lagerhalle. Dort angekommen brachte T den G in seine Gewalt, indem er plötzlich eine Pistole aus seinem Mantel zog und dem G drohte, ihn umzubringen. Er fesselte ihn, zerrte ihn in den unter der Lagerhalle liegenden Keller und forderte 1 Mio. Euro Lösegeld. G solle, so T, seine Freunde, Bekannten und Familienmitglieder anrufen und diesen vorspiegeln, er wolle die Lagerhalle erwerben und benötige hierzu eine große Summe Bargeld. G tat wie ihm geheißen; T hielt ihn zu diesem Zweck mehrere Tage unter weiteren Todesdrohungen in dem Keller gefangen, damit G glaubhaft mehrere Anrufe tätigen konnte. Die Summe von 1 Mio. Euro kam tatsächlich zusammen. T fuhr mit einem Transporter, in dessen Ladefläche der gefesselte G saß, zu einem mit den Geldgebern vereinbarten Treffpunkt in der Stadt. T gab sich als Geschäftspartner des G aus und nahm das gesammelte Bargeld entgegen. Danach tötete er den G. Strafbarkeit des T?
II. Gutachterliche Vorüberlegungen
T hat durch das geschilderte Verhalten recht eindeutig eine schwere räuberische Erpressung mit Todesfolge nach §§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b), 251 StGB in Tateinheit (§ 52 StGB) mit einem räuberischen Menschenraub mit Todesfolge gemäß §§ 239a Abs. 1, 3 StGB begangen. Im Hinblick auf die schwere räuberische Erpressung wäre in einer Examensklausur auf die Konstellation einer Dreieckserpressung einzugehen (schließlich erhält T das Bargeld nicht von G selbst, sondern von Menschen, die in einem Näheverhältnis zu G stehen, sodass möglicherweise eine Dreieckspressung vorliegt, dafür Reitzig, RÜ 2020, 573, 574; a.A. mit überzeugender Begründung Jäger, JA 2020, 867, 869: G sei sowohl Genötigter als auch selbst Geschädigter, weil ihn ein Darlehensrückzahlungsanspruch seiner Gläubiger treffen, sodass eine Dreieckserpressung ausscheide), im Hinblick auf den räuberischen Menschenraub auf die Strafbarkeit im Zwei-Personen-Verhältnis (Notwendigkeit einer stabilen Bemächtigungslage). Bzgl. der jeweils verwirklichten Erfolgsqualifikation wäre auf den notwendigen Risikozusammenhang und die Leichtfertigkeit hinzuweisen. Zu erwägen wäre ferner noch ein eigennütziger Eingehungsbetrug zu Lasten der Geldgeber in mittelbarer Täterschaft, §§ 263 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB (näher Jäger, JA 2020, 867, 869 f.).
Weiterführender Hinweis: Da der obige Sachverhalt um die in dem BGH-Fall zusätzlich vorliegende Mittäterschaft bereinigt wurde, kann der Sachverhalt ohne weitere Mühen um Probleme der Zurechnung objektiver Tatbeiträge nach § 25 Abs. 2 StGB erweitert werden.
Die rechtliche Beurteilung der Tötung des G nach § 211 StGB stellt sich jedoch als besonders problembehaftet dar. Als Mordmerkmale kommen Heimtücke, Verdeckungsabsicht und Habgier in Betracht. Bevor sich der Begutachtung genähert werden kann, ist daran zu erinnern, dass die genannten Mordmerkmale grundsätzlich im Zeitpunkt der Tatbegehung vorliegen müssen, so verlangt es das Koinzidenzprinzip. Hier handelte T im Zeitpunkt der Tötungshandlung aber möglicherweise gar nicht mehr heimtückisch, schließlich war G schon mehrere Tage im Keller der Lagerhalle gefangen und musste mit einem Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit rechnen. Möglicherweise handelte T auch nicht mit Verdeckungsabsicht, denn den Entschluss zur Tötung des G zur Spurenbeseitigung fasste er schon vorher, als er die Lagerhalle präparierte; und auch eine etwaige Habgier des T ist fraglich, denn im Zeitpunkt der Tötung des G war T ja schon längst im Besitz des Bargeldes. Im Einzelnen:
III. Die Entscheidung des BGH in wertender Betrachtung
1. Zunächst bejaht der Senat Heimtücke, also das bewusste Ausnutzen der auf der Arglosigkeit des Opfers beruhenden Wehrlosigkeit in feindlicher Willensrichtung. Maßgeblicher Zeitpunkt der Arglosigkeit ist eigentlich der erste mit Tötungsvorsatz geführte Angriff, bei dem das Opfer hier aber auf Grund der angewendeten Gewalt und fortwährenden Todesdrohungen nicht mehr arglos war. Der BGH macht hiervon indes eine Ausnahme, indem er seine Vorverlagerungsrechtsprechung bestätigt und partiell weiterentwickelt, wonach es ausnahmsweise ausreicht, wenn der Täter das Opfer in eine Falle lockt, sich so eine günstige Gelegenheit zur Tötung schafft und eben diese günstige Gelegenheit noch bis zur Tötung fortwirkt (ausführlich hierzu Schauf, NStZ 2019, 585). Die Fortwirkung der eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeit bis zur Tat begründet also die Heimtücke im Tatzeitpunkt. Zur Arglosigkeit führt der 4. Strafsenat des BGH aus:
„Wird das Tatopfer in einen Hinterhalt gelockt oder ihm eine raffinierte Falle gestellt, kommt es daher nicht mehr darauf an, ob es zu Beginn der Tötungshandlung noch arglos war. Ausreichend ist, dass der Täter das Tatopfer unter Ausnutzung von dessen Arglosigkeit im Vorbereitungsstadium der Tat in eine wehrlose Lage bringt, er bereits in diesem Moment mit Tötungsvorsatz handelt und die so geschaffene Wehrlosigkeit bis zur Tatausführung ununterbrochen fortbesteht.“
Dies führt indes unmittelbar zum Folgeproblem der Wehrlosigkeit:
„Infolge seiner Arglosigkeit wehrlos ist dann auch derjenige, der in seinen Abwehrmöglichkeiten fortdauernd so erheblich eingeschränkt ist, dass er dem Täter nichts Wirkungsvolles mehr entgegenzusetzen vermag […]. Hiervon ist auszugehen, wenn das Opfer in eine Situation gebracht wird, in der es gehindert ist, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe herbeizurufen oder den Täter durch verbale Einwirkung noch von seinem Plan abzubringen.“
Der Umstand, dass G sich zunächst wehrte und später bei seinen zahlreichen Telefonaten theoretisch die Möglichkeit hatte, Hilfe herbeizurufen, reicht nicht aus, weil er fortdauernd per vorgehaltener Schusswaffe mit dem Tod bedroht wurde.
Damit steht nach der Rechtsprechung des BGH fest: „Wer sein argloses Opfer in Tötungsabsicht in eine Falle lockt und es dadurch in eine andauernde wehrlose Lage bringt, tötet auch dann heimtückisch, wenn er die durch die Arglosigkeit herbeigeführte Wehrlosigkeit tatplangemäß vor der Umsetzung seines Tötungsvorhabens zu einem Raub oder einer räuberischen Erpressung ausnutzt.“
Das mag man kritisieren, nicht nur, da sich der BGH damit von dem eigentlichen Wortgehalt der Heimtücke entfernt (so Jäger, JA 2020, 867, 870) und damit Bestimmtheitsbedenken nach Art. 103 Abs. 2 GG nährt, sondern auch, weil er zur Begründung des angesichts der absoluten Strafandrohung restriktiv auszulegenden Mordmerkmals auf eine Hilfskonstruktion zurückgreift, die die Heimtücke letztlich extensiv interpretiert (kritisch auch Schauf, NStZ 2019, 585, 593, wenngleich zu einem leicht anderes gelagerten Fall). Diese Vorverlagerungsrechtsprechung führt streng genommen dazu, dass nicht mehr die heimtückische Tötungshandlung, sondern die heimtückische Vorbereitungshandlung Anknüpfungspunkt des Mordmerkmals ist (Schiemann, NJW 2020, 2421, 2424) – was Zweifel an der Wahrung des Koinzidenzprinzips keimen lässt. Dabei ist es gerade bei so zentralen Mordmerkmalen wie der Heimtücke wichtig, dass es einen verlässlichen zeitlichen Bezugspunkt gibt (das mahnt auch Drees, NStZ 2020, 609, 612 an).
Andererseits können nur auf diese Weise Fälle erfasst werden, in denen der Täter bewusst eine Lage schafft, in der das Opfer sich nicht mehr verteidigen kann, und eben diese Lage später zur Tötung ausnutzt – etwas, das der Gesetzgeber als so verwerflich ansieht, dass er hierfür eigens das Mordmerkmal der Heimtücke geschaffen bzw. beibehalten hat. Warum also sollte man den Zeitpunkt der Arglosigkeit nicht mit dem BGH vorverlagern können und es ausreichen lassen, dass der Täter bei der Tötung die fortbestehende Wehrlosigkeit ausnutzt? Das Gerechtigkeitsgefühl mag hierfür streiten, die Dogmatik eher dagegen. Kurzum: Hier besteht viel Argumentationspotenzial.
2. Die Annahme von Verdeckungsabsicht ist dagegen weit weniger problematisch. Verdeckungsabsicht liegt vor, wenn der Täter jedenfalls mit Eventualvorsatz tötet, um hierdurch absichtlich eine vorangegangene Straftat als solche oder auch Spuren zu verdecken, die bei einer näheren Untersuchung Aufschluss über bedeutsame Tatumstände, insbesondere zur Täterschaft, geben könnten. Aber kann auch eine weit vor der Tötungshandlung gebildete Verdeckungsabsicht genügen? Der BGH antwortet ganz klar mit Ja:
„Der Umstand, dass die spätere Tötung im Zeitpunkt der Begehung der zu verdeckenden Tat bereits geplant war, steht der Annahme eines Verdeckungsmordes nicht entgegen, wenn es sich bei der zu verdeckenden Vortat und der Tötung um ein zweiaktiges Geschehen handelt.“
Dass die Tötung zur Verdeckung der anderen Tat (hier der schweren räuberischen Erpressung bzw. des erpresserischen Menschenraubs) von langer Hand geplant war, steht dem Mordmerkmal richtigerweise nicht entgegen, liegt darin doch ein deutlich verwerflicheres Verhalten als in einem affektiv-situativen Entschluss zur Verdeckung (einen höheren Unrechtsgehalt sieht hierin auch Jäger, JA 2020, 867, 870), zumal der Entschluss zur Verdeckungsabsicht im vorliegenden Fall über Tage hinweg immer wieder aktualisiert wurde (instruktiv Drees, NStZ 2020, 609, 612). Bei der Verdeckungsabsicht kann mithin auf den Zeitpunkt der Tötungshandlung abgestellt werden, ohne auf Hilfskonstruktionen zurückgreifen zu müssen. Probleme bereiten nur anders gelagerte Fälle, in denen es um ein einaktiges Geschehen geht, der Täter also die Spuren der Tötung selbst verwischt (Schiemann, NJW 2020, 2421, 2424).
3. Ebenso wenig dürfte es überraschen, dass in der hiesigen Konstellation Habgier, also rücksichtsloses Gewinnstreben um jeden Preis, zu vereinen ist. Denn die Summe von 1 Mio. Euro Bargeld hatte T im maßgeblichen Zeitpunkt der Tötungshandlung längst erhalten. Die Sicherung eines bereits erhaltenen Gewinns aber kann nur dann zur Annahme von Habgier führen, wenn das zu Grunde liegende Vermögensdelikt noch unbeendet ist; ist es dagegen – so wie die räuberische Erpressung hier – beendet, kann die Tötung zur Gewinnsicherung allein von der Verdeckungsabsicht erfasst werden. Denn dann kann der Grund für das Mordmerkmal nicht mehr abgebildet werden, der darin liegt, dass der Täter selbst um den Preis eines Menschenlebens nach materiellen Vorteilen strebt.
IV. Fazit
Wegen der Vielzahl der argumentativ aufzuarbeitenden Probleme, sowohl bei den Vermögens-, als auch bei den Nicht-Vermögensdelikten, bietet sich die Entscheidung geradezu für eine Examensklausur an. Ein Wiederholung und Vertiefung der aufgezeigten Fragestellungen ist daher anzuraten.
Merken sollte man sich zu § 211 StGB jedenfalls:

  • Heimtücke liegt nach dem BGH ausnahmsweise auch dann vor, wenn die vom Täter geschaffene, günstige Lage, die die Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers einschränkt, bis zur Tat fortwirkt. Oder anders: Der Zeitpunkt der Arglosigkeit wird auf den (noch nicht tödlichen) Erstangriff vorverlagert, während die hierbei geschaffene Wehrlosigkeit bis zum tödlichen Angriff fortwirkt.
  • Der Annahme von Verdeckungsabsicht steht es nicht entgegen, wenn der Täter die Tötung zur Spurenbeseitigung und Verhinderung der späteren Aufdeckung des Vermögensdelikts schon von langer Hand geplant hat.
  • Und zuletzt: Habgier liegt nicht vor, wenn der Täter den Gewinn bereits vor der Tat erlangt hat, die spätere Tötung also nicht mehr dem Gewinnstreben, sondern der Gewinnsicherung gilt – schließlich gibt es gerade hierfür das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht.

26.10.2020/4 Kommentare/von Dr. Sebastian Rombey
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2020-10-26 08:35:272020-10-26 08:35:27BGH: Verwirklichung von Mordmerkmalen vor der Tötungshandlung?
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel in Abgrenzung zur „Mehrfachtötung“

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT

Mit aktuellem Beschluss vom 14.04.2020 hat der BGH (Az.: 5 StR 93/20) die Anforderungen an das Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel gem. § 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 4 StGB speziell für den Fall naturgemäß gemeingefährlicher Mittel – wie der Brandstiftung – abermals konturiert. Eine sichere Prüfung dieses Tatbestandsmerkmals gehört zu den absoluten Basics, die von jedem Examenskandidaten beherrscht werden sollten. Das Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel hat zudem insbesondere infolge der Raserfälle in jüngerer Vergangenheit erhöhte Aufmerksamkeit erfahren (s. hierzu LG Berlin v. 27.02.2017 − (535 Ks) 251 Js 52/16 (8/16); offen gelassen in der Revisionsinstanz: BGH v. 16.01.2019 – 4 StR 345/18), sodass von einer gesteigerten Prüfungsrelevanz auszugehen ist. Die Entscheidung soll daher zum Anlass genommen werden, sich – unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des BGH zur Abgrenzung von der „schlichten Mehrfachtötung“ – eingehender mit dem Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel auseinanderzusetzen.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Der Täter T zündete in dem von ihm bewohnten Zimmer im ersten Obergeschoss eines Wohnkomplexes aus Unzufriedenheit mit seiner Wohnsituation eine auf seinem Bett liegende Wolldecke an, schloss die Zimmertür und verließ anschließend das Haus. Dabei war dem T bewusst, dass sich im ersten Obergeschoss zwei weitere Bewohner aufhielten. Zudem rechnete er damit, dass sich im Dachgeschoss mindestens eine weitere Person befand. Ihm war das hohe Gefahrenpotential eines Feuers in einem Wohnhaus bewusst und er erkannte die naheliegende Möglichkeit einer körperlichen Verletzung oder des Todes der im Wohnhaus anwesenden Personen durch das Feuer oder entstehende Rauchgase und fand sich mit dem möglichen Eintritt dieser Folgen ab. Das Feuer entwickelte sich zunächst unbemerkt. Als ein im selben Geschoss wohnender Bewohner den Brand entdeckte, stand bereits das ganze Bett des T in Flammen. Er machte einen weiteren im ersten Obergeschoss wohnenden Zeugen auf den Brand aufmerksam, beide alarmierten einen im Dachgeschoss wohnenden Bewohner; sie flüchteten gemeinsam ins Freie und alarmierten die Feuerwehr. Zwei der drei Bewohner erlitten leichte bis mittelschwere Rauchgasvergiftungen. Als die Feuerwehr eintraf, konnte sie ohne Atemschutz nur bis zur Hälfte der Holztreppe ins Obergeschoss vordringen. Aufgrund der Hitze, des Rauchgases und des fehlenden Sauerstoffs bestand ab dort akute Lebensgefahr. Erst zwölf Minuten später konnten mit Atemschutzgeräten und Wärmeschutzanzügen ausgestattete Feuerwehrtrupps das Gebäude betreten und in die Obergeschosswohnung vordringen. Der im Zimmer des T lodernde Vollbrand konnte gelöscht werden.
 
B) Rechtsausführungen
Der Fokus der Prüfung soll auf der Frage liegen, ob sich T wegen versuchten Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln in drei tateinheitlichen Fällen gemäß §§ 211 Abs. 1, Abs. 2 Gr. 2 Var. 3, 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat.
 
Anmerkung: Das Landgericht Saarbrücken hatte den Angeklagten in erster Instanz wegen versuchten Mordes in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer Brandstiftung, schwerer Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen verurteilt. Aus didaktischen Gründen wird im Rahmen dieses Beitrags von der Prüfung der weiteren Delikte abgesehen; sie sollten in einer Klausur aber zwingend bedacht werden.
 
I. Vorprüfung
Mangels Erfolgseintritts wurde die Tat nicht vollendet. Die Strafbarkeit des Versuchs ergibt sich aus dem Verbrechenscharakter des Mordes, §§ 211 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB.
 
II. Tatentschluss
T müsste mit Tatentschluss gehandelt haben. Dies setzt Vorsatz hinsichtlich der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes sowie das Vorliegen etwaiger subjektiver Tatbestandsmerkmale voraus. Zweifelsohne kann nach den Feststellungen der Tötungsvorsatz bejaht werden. Fraglich ist allein, ob es sich bei der Brandstiftung um eine Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln i.S.v. § 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 3 StGB handelt.
 
1. Präzisierung der Gemeingefährlichkeit
Ein Tötungsmittel ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH gemeingefährlich, „wenn es in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Anzahl von Menschen an Leib oder Leben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters.“ (S. etwa BGH, Beschl. v. 18.07.2018 – 4 StR 170/18, NStZ 2019, 607 mwN). Für die Gemeingefährlichkeit ist mithin entscheidend, inwieweit das spezifische Mittel infolge seines Einsatzes nicht mehr beherrschbar und aufgrund dessen im Allgemeinen in seiner Wirkung geeignet ist, mehrere Menschen an Leib und Leben zu verletzen. Dabei kommt es – so ausdrücklich der BGH in seiner aktuellen Entscheidung – auf den Umfang des konkreten Gefährdungsbereichs nicht an:

„Seine Beschränkung auf eine Räumlichkeit schließt die Eigenschaft als gemeingefährliches Mittel nicht aus, denn jede auch noch so allgemeine Gefahr hat der Natur der Sache nach irgendeine örtliche Grenze.“ (Rn. 8)

Mit anderen Worten: Dass der T den Brand in seinem Zimmer gelegt hat, schließt die Gemeingefährlichkeit des Mittels nicht grundsätzlich aus. Im Gegenteil wohnt bestimmten Handlungen, zu denen der Einsatz von Brandsetzungsmitteln oder Explosionsstoffen zählen, aufgrund ihrer naturgemäß fehlenden Beherrschbarkeit die Gemeingefährlichkeit bereits inne. Ausdrücklich formuliert der BGH:

„Es gibt nach ihrer Eigenart grundsätzlich gemeingefährliche Mittel, bei denen allenfalls im Einzelfall die Beherrschbarkeit bejaht oder bei der speziellen Art ihrer Handhabung die Gefahr für eine Vielzahl von Menschen ausnahmsweise verneint werden kann. Dazu zählen Brandsetzungsmittel und Explosionsstoffe. Bei ihnen hat der Täter die Folgen seines Tuns typischerweise nicht in der Hand (…). An der gemeingefährlichen Verwendung fehlt es bei an sich nicht beherrschbaren Mitteln nur dann, wenn der Täter im konkreten Fall davon ausgeht, es könne dadurch nur die zur Tötung ins Auge gefasste Person getroffen werden.“ (Rn. 9)

Kurzum: Es kommt also darauf an, dass der Täter gerade aufgrund der Unbeherrschbarkeit des von ihm gewählten Mittels nicht ausschließen kann, eine Mehrzahl von Personen zu töten. Wählt er ein Mittel, das – wie hier die Brandstiftung – schon seiner Art nach im Regelfall nicht beherrscht werden kann, fehlt es an der Gemeingefährlichkeit nur in Ausnahmefällen.
 
2. Eine Abgrenzung zu „Mehrfachtötungen“
Die Gemeingefährlichkeit des Mittels war aber nach bisheriger Rechtsprechung des BGH auch bei ihrer Eigenart nach unbeherrschbaren Mitteln dann abzulehnen, wenn es sich bei der konkreten Tat um eine „bloße Mehrfachtötung“ handelte (vgl. BGH, Beschl. v. 18.07.2018 – 4 StR 170/18, NStZ 2019, 607, und v. 12.11.2019 – 2 StR 415/19; MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 127 mwN). Die Abgrenzung erfolge danach, ob sich der Täter mit Tötungsvorsatz gegen eine bestimmte Anzahl individualisierter Opfer wende – dann liege eine Mehrfachtötung und keine Gemeingefährlichkeit vor – oder ob er auch die Tötung von Zufallsopfern billigend in Kauf nehme (s. hierzu auch Altvater, NStZ 2006, 86, 90). Konnte also festgestellt werden, dass sich die Tat trotz Einsatzes eines naturgemäß gemeingefährlichen Mittels gegen einen individualisierten Kreis von Personen richtet, war das Vorliegen dieses Mordmerkmals zu verneinen (s. hierzu insbesondere die lesenswerte Entscheidung des BGH v. 18.07.2018 – 4 StR 170/18, NStZ 2019, 607).
In seiner aktuellen Entscheidung äußert der BGH hingegen zu Recht begründete Zweifel an der Aufrechterhaltung dieser Rechtsprechung:

„Es erscheint wertungswidersprüchlich, den Täter, der von vornherein eine konkrete Vielzahl von Opfern durch ein in seinem Gefahrenpotential nicht beherrschbares Mittel tötet, gegenüber demjenigen zu privilegieren, der ohne diese Konkretisierung aufgrund der Gemeingefahr des Tötungsmittels auch nicht bereits individualisierte Opfer in Kauf nimmt (vgl. näher Schneider, aaO Rn. 127). Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung müsste in Fällen nicht weiterer Aufklärbarkeit der Tätervorstellung der Zweifelssatz für die Annahme sprechen, dem Täter sei es gerade auf die Tötung aller in die Gefahrenlage einbezogenen Personen angekommen. Weder die Formulierung noch der Sinn und Zweck des Mordmerkmals gebieten nach Ansicht des Senats eine solche Auslegung. Das gesetzliche Tatbestandsmerkmal stellt lediglich auf die vom Vorsatz umfasste Art des Tatmittels, nicht auf die Konkretisierung des Opfers in der Vorstellung des Täters ab. Die Unbestimmbarkeit des Opferkreises folgt vielmehr aus der besonderen Art des Tötungsmittels, das nach Freisetzung der in ihm ruhenden Kräfte für den Täter nicht mehr beherrschbar ist. Entscheidend muss es deshalb darauf ankommen, ob für den Angeklagten nicht mehr berechenbar ist, wie viele Menschen durch das Tatmittel verletzt und getötet werden können, weil er den Umfang der Gefährdung nicht beherrscht (…). Hat es der Täter bewusst nicht in der Hand, wie viele Menschen in den von ihm geschaffenen Gefahrenbereich geraten und durch sein Verhalten gefährdet werden, tötet er nach Ansicht des Senats auch dann mit gemeingefährlichen Mitteln, wenn er mit dem für ihn unbeherrschbaren Mittel eigentlich nur eine bestimmte Zahl konkreter Menschen töten will (…).“ (Rn. 11 f.)

 
III. Im konkreten Fall ohnehin fehlende Individualisierung des Opferkreises
Ob die Rechtsprechung, die bei der Abgrenzung zur Mehrfachtötung auf die Individualisierung des Personenkreises beim Einsatz per se unbeherrschbarer Mittel abstellt, aufrechterhalten werden kann, konnte jedoch letztlich offenbleiben, da dem T nach den Urteilsfeststellungen jedenfalls bewusst war, dass weitere, nicht näher konkretisierte Bewohner des Hauses an Leib und Leben gefährdet werden konnten. Er hatte weder kontrolliert, welche Personen sich in dem Wohnkomplex aufhielten, noch sichergestellt, dass weitere Bewohner oder Besucher das Haus nach der Brandlegung nicht mehr betreten. Zwar bezog sich sein bedingter Tötungsvorsatz auf zwei konkrete Hausbewohner, er rechnete aber auch damit, dass mindestens eine weitere, nicht konkretisierte Person im Haus war. Zudem wurden mit den Rettungskräften der Feuerwehr auch weitere Personen gefährdet. Der Kreis der potentiell durch die Brandlegung an Leib und Leben Gefährdeten war durch die Eigenart des Brandobjekts und die Dauer des Brandes letztlich unbestimmbar. (Rn. 15) Damit ist selbst nach der einschränkenden bisherigen Rechtsprechung des BGH der Einsatz gemeingefährlicher Mittel in diesem Fall anzunehmen. Der T hatte Vorsatz in Bezug auf die Begehung eines Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln i.S.v. § 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 3 StGB.
 
Achtung: Liegt die Sachverhaltskonstellation anders, ist dem T etwa versehentlich eine Zigarette auf die Decke gefallen und verlässt er daraufhin das Haus, kommt lediglich ein versuchter Mord durch Unterlassen gem. §§ 211, 212, 13 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB in Betracht (Garantenstellung durch Ingerenz). Nach zweifelhafter Ansicht des BGH (Grundlegend BGHSt 34, 13; zutr. a.A. Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 211 Rn. 61) kann die Variante der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln aber nicht durch Unterlassen verwirklicht werden. Nach diesen Maßstäben würde sich die hiesige Problematik (Gemeingefährlichkeit nur bei fehlender Individualisierung des Personenkreises) gar nicht stellen – so fragwürdig das sein mag. 
 
Anmerkung: In Betracht könnte man zudem das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe gemäß § 211 Abs. 2 Gr. 1 Var. 4 StGB ziehen. Hierunter fällt die Tötung aus solchen Motiven, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb als besonders verwerflich anzusehen sind. Beurteilt wird dies nach der gesellschaftlich anerkannten und gelebten Sozialmoral, wobei die Umstände der Tat, ihre Vorgeschichte, die Lebensverhältnisse des Täters sowie seine Persönlichkeit in einer Gesamtschau zu bewerten sind (ausführlich MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl. 2017, § 211 Rn. 70 ff.). Aufgrund der restriktiven Handhabe des Merkmals wird man im vorliegenden Fall das Motiv des T – die Unzufriedenheit mit seiner Wohnsituation – aber mangels weiterer Informationen wohl nicht als in besonderem Maße verwerflich einordnen können.
 
III. Unmittelbares Ansetzen
Gemäß § 22 StGB liegt der Versuch einer Straftat aber erst dann vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt hat. Zwar ist dies nach ständiger Rechtsprechung des BGH bereits dann der Fall, wenn eine vorgelagerte Handlung „nach der Vorstellung des Täters bei ungestörtem Fortgang ohne Zwischenakte zur Tatbestandsverwirklichung führt oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in sie einmündet (s. exemplarisch BGH, Urt. v. 16.09.1975 – 1 StR 264/75, BGHSt 26, 201, 203; v. 16.01.1991 – 2 StR 527/90, BGHSt 37, 294, 297 f. und v. 20.03.2014 – 3 StR 424/13, NStZ 2014, 447; Besch. v. 29.01.2014 – 1 StR 654/13, JR 2014, 299, 300 und v. 20.09.2016 – 2 StR 43/16, NStZ 2017, 86 f.).“ Jedenfalls aber ist der Eintritt ins Versuchsstadium dann erfolgt, wenn der Täter bereits mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung dergestalt begonnen hat, dass bereits ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht wurde. Dies ist hier der Fall: Durch das Anzünden der Decke und das anschließende Verlassen des Hauses hat der T die Tathandlung vorgenommen. Damit hat er unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.
 
IV. Rechtswidrigkeit und Schuld
Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
 
V. Ergebnis
T hat sich wegen versuchten Mordes gemäß §§ 211 Abs. 1, Abs. 2 Gr. 2 Var. 3, 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
 
C) Fazit
Zusammenfassend kommt es für die Qualifikation eines Tötungsmittels als gemeingefährlich darauf an, ob das Mittel – wegen seiner abstrakten Gefährlichkeit, aber auch wegen seiner Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters – eine unbestimmte Anzahl von Menschen an Leib oder Leben gefährden kann, gerade weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht beherrschen kann. Bestimmte Mittel wie beispielsweise der Einsatz von Sprengstoff sind dabei schon ihrer Art nach typischerweise nicht zu kontrollieren, sodass sie nur in besonderen Fällen nicht als gemeingefährlich einzuordnen sind. Nach bisheriger BGH-Rechtsprechung kommt gleichwohl eine Verneinung der Gemeingefährlichkeit dann in Betracht, wenn sich der Täter mit Tötungsvorsatz gegen eine bestimmte Anzahl individualisierter Opfer richtet. Ob diese Rechtsprechung gerade in Fällen der Brandlegung in einem Wohnhaus künftig aufrechterhalten bleibt, wird man indes abwarten müssen; in der hier besprochenen Entscheidung hat der BGH dies mit überzeugenden Argumenten in Zweifel gezogen.
 
 

29.06.2020/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-06-29 09:00:462020-06-29 09:00:46BGH: Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel in Abgrenzung zur „Mehrfachtötung“
Dr. Melanie Jänsch

BGH bestätigt erstmals Mordurteil gegen Raser

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Erstmals hat der BGH in seinem am vergangenen Freitag veröffentlichten Beschluss vom 16.1.2019 (Az.: 4 StR 345/18) ein Mordurteil gegen einen Raser bestätigt. Das LG Hamburg hatte in seiner Entscheidung vom 19.2.2018 (Az.: 621 Ks 12/17) den Angeklagten unter anderem wegen Diebstahls, wegen Mordes in Tateinheit mit zweifachem versuchten Mord und mit zweifacher gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Der BGH hat die gegen die Verurteilung gerichtete Revision nun verworfen. Die extrem hohe Examensrelevanz ist offensichtlich: Es ist nicht nur das erste Mal, dass der BGH in einem Raser-Fall eine Strafbarkeit wegen Mordes annimmt; die Entscheidung bildet auch einen Kontrast zum medial sehr präsenten Ku’damm-Raser-Fall, in dem der BGH mit Urteil vom 1.3.2018 (Az.: 4 StR 399/17) das Mordurteil des LG Berlin vom 27.2.2017 (Az.: 535 Ks 8/16) gegen zwei Raser aufgehoben hat (s. hierzu unsere ausführliche Besprechung). Raser-Fälle sind Paradebeispiele für die Problematik der Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit, auf die im Rahmen dieses Beitrags noch einmal eingegangen werden soll. Insbesondere ist herauszustellen, auf welche Weise sich der hier darzustellende Hamburger Raser-Fall vom Ku’damm-Raser-Fall unterscheidet und inwieweit dies eine unterschiedliche Beurteilung des Vorsatzes rechtfertigen kann. Ebenso bedarf es – sofern vorsätzliches Handeln angenommen wird – anschließend der Auseinandersetzung mit der Frage, ob in solchen Fällen Mordmerkmale vorliegen oder ob eine Strafbarkeit wegen Totschlags anzunehmen ist.
 
A. Sachverhalt (der Pressemitteilung entnommen und vereinfacht):
Der alkoholisierte Angeklagte hatte am Morgen des 4.5.2017 ein Taxi gestohlen und war in der Hamburger Innenstadt auf der Flucht vor der ihn verfolgenden Polizei bewusst auf die dreispurige Gegenfahrbahn gefahren. Den Streckenabschnitt der leicht kurvig verlaufenden und baulich von der übrigen Fahrbahn abgetrennten Gegenfahrbahn befuhr er mit hoher Geschwindigkeit von bis zu 155 km/h. Aufgrund von Kollisionen mit dem Kantstein der Fahrbahn und einer Verkehrsinsel verlor er die Kontrolle über das Fahrzeug und stieß nach Überqueren einer Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von mindestens 130 km/h frontal mit einem ihm mit ca. 20 km/h entgegenkommenden Taxi zusammen. Einer der Insassen dieses Taxis verstarb noch an der Unfallstelle, zwei weitere Personen wurden schwer verletzt.
 
B. Entscheidung
Der Fall beinhaltet zwei Schwerpunktprobleme: Zunächst muss diskutiert werden, ob der Angeklagte vorsätzlich handelt, um dann in einem folgenden Schritt das Vorliegen etwaiger Mordmerkmale zu erörtern.
 
I. Abgrenzung des Eventualvorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit
Die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz – auch: bedingtem Vorsatz – und bewusster Fahrlässigkeit gehört vermutlich zu den schwierigsten Abgrenzungsproblematiken im Strafrecht. Dabei unterscheiden sich Eventualvorsatz und bewusste Fahrlässigkeit darin, „dass der bewusst fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und deshalb auf ihren Nichteintritt vertraut, während der bedingt vorsätzlich Handelnde mit dem Eintreten des schädlichen Erfolgs in der Weise einverstanden ist, dass er ihn billigend in Kauf nimmt oder dass er sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet“ (BGH, v. 14.1.2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79 m.w.N.). Mit anderen Worten: Bei bedingtem Vorsatz erkennt der Täter den Erfolgseintritt als mögliche, nicht gänzlich fernliegende Folge seines Handelns (kognitives Element) und nimmt diesen jedenfalls billigend in Kauf (voluntatives Element). Bei der bewussten Fahrlässigkeit erkennt er zwar auch den Erfolg als mögliche Folge seines Handelns (kognitives Element), vertraut aber ernsthaft und nicht nur vage darauf, dass dieser nicht eintritt (fehlendes voluntatives Element). Dies erfordert eine Gesamtbetrachtung der objektiven und subjektiven Tatumstände. Als wesentlicher Indikator für das Wissens- und Wollenselement kann dabei die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung herangezogen werden, was im vorliegenden Fall die Annahme des Vorsatzes nahelegt.
In diesem Zusammenhang ist auch auf die sog. Hemmschwellentheorie hinzuweisen, wonach bei Tötungsdelikten eine gegenüber Körperverletzungsdelikten deutlich höhere Hemmschwelle angenommen wird. Dies bedeutet allerdings nur, dass an den Nachweis des Vorsatzes höhere Anforderungen zu stellen sind. Dagegen soll die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges, auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden (BGH v. 5.12.2017 − 1 StR 416/17, NStZ 2018, 206, 207).
Dabei ist es nach Ansicht der Rechtsprechung bei der Würdigung des voluntativen Elements in der Regel auch erforderlich, dass sich das Gericht mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in die Beurteilung einbezieht (BGH, Urt. v. 14.1.2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79 m.w.N.). Insbesondere könne eine mögliche Eigengefährdung des Täters gegen die Annahme eines Vorsatzes sprechen; bei riskantem Verhalten im Straßenverkehr, das nicht von vornherein auf die Verletzung anderer Personen angelegt sei, könne eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung zu der Beurteilung führen, dass er auf das Ausbleiben des Erfolgs vertraut habe.
Indes – so räumt der BGH in ständiger Rechtsprechung ein – seien die Gefährlichkeit der Tathandlung sowie der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts keine ausschließlich maßgeblichen Kriterien für die Annahme des bedingten Vorsatzes; vielmehr komme es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalles an (BGH v. 1.3.2018 – 4 StR 399/17, NStZ 2018, 409, Rn. 19 m.w.N.).
 
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der BGH im Hamburger Raser-Fall in Übereinstimmung mit der Vorinstanz vorsätzliches Handeln angenommen. Dem Angeklagten sei bewusst gewesen,

„dass es mit hoher, letztlich unkalkulierbarer und nur vom Zufall abhängender Wahrscheinlichkeit zu einem frontalen Zusammenstoß mit entgegenkommenden Fahrzeugen kommen würde.“ Ihm war auch „bewusst, dass ein Frontalunfall mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod eines oder mehrerer direkter Unfallbeteiligter sowie eventuell zur Schädigung weiterer Personen führen würde.“ All dies, auch der eigene Tod, wurde vom Angeklagten gebilligt, weil er „kompromisslos das Ziel, der Polizei zu entkommen“, verfolgte. Der Zurechnung des eingetretenen Todeserfolges zu dem vom Vorsatz des Angeklagten umfassten Kausalverlauf steht daher nicht entgegen, dass der Angeklagte nicht unmittelbar mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte, sondern infolge der Kollisionen mit dem Kantstein am rechten Fahrbahnrand und einer der Verkehrsinseln die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und nach Überqueren des Glockengießerwalls auf der gegenüberliegenden Seite (…) mit einer Geschwindigkeit von „ca. 130 bis 143 km/h“ ungebremst frontal mit dem ihm entgegenkommenden Taxi des Geschädigten Y. kollidierte.“

Die Entscheidung sorgt für Aufsehen, hat der BGH in dem Berliner Raser-Fall einen Tötungsvorsatz abgelehnt. Hier liegt der Fall jedoch anders: Während die Täter im Ku’damm-Raser-Fall ein Kräftemessen in Form eines illegalen Autorennens veranstalteten, befand sich der Täter im Hamburger Raser-Fall auf der Flucht vor der Polizei. Dabei war ihm – so hat es das Landgericht festgestellt – „die Chance auf ein Entkommen wichtiger als das sichere Überleben“. Damit kann aber eine als solche erkannte Eigengefährdung, die im Einzelfall gegen die Annahme eines Tötungsvorsatzes sprechen kann, im vorliegenden Fall gerade nicht als Indiz gegen den Tötungsvorsatz herangezogen werden. Vielmehr sprechen die sonstigen Umstände – wie etwa die hohe Geschwindigkeit im Innenstadtbereich – für vorsätzliches Handeln.
 
II. Vorliegen eines Mordmerkmals
Wird der Vorsatz bejaht, so ist sich in einem zweiten Schritt der Frage zuzuwenden, ob Mordmerkmale vorliegen. Dabei scheint sich das Merkmal des gemeingefährlichen Mittels aufzudrängen, dessen Einschlägigkeit in einer Klausur ausführlich diskutiert werden müsste. Gemeingefährlich ist ein Mittel, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Maßgeblich ist dabei nicht die abstrakte Wirkung, sondern die Eignung zur Gefährdung Dritter in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters (MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl. 2017, § 211 Rn. 127 f.). Dies bedeutet, dass ein Mittel selbst dann gemeingefährlich sein kann, wenn es seiner abstrakten Art nach nicht gemeingefährlich ist – wie ein Auto, das seiner Art nach ein Fortbewegungsmittel ist. Die Gemeingefährlichkeit kann sich dann daraus ergeben, dass bei einer derart hohen Geschwindigkeit eine unkontrollierbar hohe Anzahl an Menschen an Leib und Leben gefährdet wird. Ob eine Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln hier vorliegt, wie es die Vorinstanz angenommen hat, hat der BGH jedoch offengelassen, da jedenfalls das Merkmal der Verdeckungsabsicht gegeben sei:

„Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift steht der vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellten Verdeckungsabsicht nicht entgegen, dass das Schwurgericht „tatsachenalternativ“ ein Handeln des Angeklagten in suizidaler Absicht festgestellt hätte. Das Schwurgericht hat vielmehr „nicht klären“ können, ob „auch suizidale Gedanken mit motivgebend waren“; „im Ergebnis“ – so das Landgericht weiter – „war ihm die Chance auf ein Entkommen wichtiger als das sichere Überleben“; dies stellt das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht nicht in Frage (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 211 Rn. 68b). Daher kann der Senat offenlassen, ob auch die Voraussetzungen des vom Landgericht weiterhin angenommenen Mordmerkmals der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln erfüllt sind.“

In Verdeckungsabsicht handelt, wer als Täter das Opfer tötet, um dadurch eine vorangegangene Straftat als solche oder auch Spuren zu verdecken, die bei einer näheren Untersuchung Aufschluss über bedeutsame Tatumstände geben könnten (BGH v. 15.2.2017 − 2 StR 162/16, NStZ 2017, 462 m.w.N.). Im vorliegenden Fall betraf dies den Taxi-Diebstahl, den der Täter zu verdecken versuchte.
 
C. Fazit
Zwar unterscheidet sich der hier dargestellte Fall vom Ku’damm-Raser-Fall insofern, als der Täter vor der Polizei flieht und nicht an einem illegalen Autorennen teilnimmt. Gleichwohl hat der BGH mit dieser Entscheidung klargestellt, dass die rücksichtslose Verwendung eines Fahrzeugs im Straßenverkehr und die bewusste Gefährdung von Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes rechtfertigen kann, auf den im Einzelfall eine Verurteilung wegen Mordes gestützt werden kann. Maßgeblich sind stets die konkreten Tatumstände. Daher erscheint auch in Autorennen-Fällen eine Strafbarkeit nach § 211 StGB möglich. Diesbezüglich ist aber auch zu bedenken, dass der Gesetzgeber im Oktober 2017 § 315d StGB eingefügt hat, der verbotene Kraftfahrzeugrennen bestraft und in Abs. 5 eine Erfolgsqualifikation für die Verursachung des Todes eines anderen Menschen enthält, die keinen Vorsatz erfordert.
 
 

05.03.2019/2 Kommentare/von Dr. Melanie Jänsch
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2019-03-05 09:00:242019-03-05 09:00:24BGH bestätigt erstmals Mordurteil gegen Raser
Dr. Gerrit Forst

BGH: Kein Mord mit gemeingefährlichen Mitteln durch Unterlassen

Strafrecht

Ein neuer Beschluss des BGH legt das Mordmerkmal des gemeingefährlichen Mittels (§ 211 Abs. 2 Gruppe 2 Var. 3 StGB) aus. Der 3. Senat kommt zu dem Schluss, dass das Merkmal nicht durch Unterlassen begangen werden kann.
Sachverhalt
Der Angeklagte hatte geglaubt, dass seine Lebensgefährtin die Beziehung beendet habe. Aus Verzweiflung entschloss der Angeklagte sich zum Suizid. Er öffnete in seiner Wohnung, die sich in einem Mehrfamilienhaus befand, eine Gasleitung, um sich zu vergiften. Nach ca. einer viertel Stunde schloss er den Gashahn wieder. Ein anschließendes Telefonat brachte den Angeklagten zur Räson. Als seine Ex-Lebensgefährtin an der Tür klingelte, um ihre Sachen abzuholen, ließ er sie ein und ließ es geschehen, dass sie sich eine Zigarette anzündete. Durch die anschließende Gasexplosion wurde das Haus zum Einsturz gebracht, ein Nachbar kam dabei um. Das Landgericht verurteilte den Angeklagten unter anderem wegen Mordes durch Unterlassen zu Lasten des Nachbarn in der Variante der gemeingefährlichen Begehung.
Entscheidung
Der 3. Senat schließt sich den Ausführungen des Generalbundesanwalts an, der darauf hinweist, dass nach herrschender Ansicht (BGHSt 34, 13 f.; Schneider in MK StGB § 211 Rdnr. 13; Eser in Schönke/Schröder 27. Aufl. § 211 Rdnr. 29; Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 211 Rdnr. 11; Arzt in FS Roxin S. 855, 858; a. A. Fischer StGB 56. Aufl. § 211 Rdn. 61; Jähnke in LK 11. Aufl. § 211 Rdnr. 58; offen gelassen von BGHSt 48, 147, 149) die Mordvariante „mit gemeingefährlichen Mitteln“ grundsätzlich nicht durch Unterlassen begangen werden kann. Es soll nach h.M. nicht genügen, dass der Täter eine bestehende gemeingefährliche Situation ausnutzt. Begründet wird dies mit der Erwägung, dass das Mordmerkmal die besondere Rücksichtslosigkeit des Täters sanktioniere, der ein Mittel einsetze, welches er anschließend nicht mehr beherrschen könne. Werde lediglich eine schon bestehende Gefahr ausgenutzt, rechtfertige der Zweck des Tatbestandes keine Strafschärfung.
Bewertung
Man mag der h.M. folgen oder nicht. Gegen sie spricht, dass wegen Unterlassens nur bestraft werden kann, wer Garant ist, wen also für die Gefahr eine besondere Verantwortung trifft (§ 13 Abs. 1 StGB). Deshalb ist es keineswegs so, dass der Unterlassungstäter bloß eine zufällig vorhandene Gefahr ausnutzt. Vielmehr „handelt“ der Unterlassende genauso rücksichtslos wie ein aktiv Handelnder, wenn er seine Garantenpflicht in dem Bewusstsein nicht wahrnimmt, eine nicht überschaubare Zahl von Personen zu schädigen. Gleichwohl ist das Urteil richtig, denn nach den Sachverhaltsfeststellungen fehlte es dem Täter bei Schaffung der Gefahr (Gashahn öffnen) am Tötungsvorsatz bezüglich des Nachbarn. Er ging dann auch später wohl davon aus, dass die Explosion sich auf das Wohnzimmer beschränken würde.
BGH, Beschluss vom 7.7.2009 – 3 StR 204/09.

12.08.2009/1 Kommentar/von Dr. Gerrit Forst
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Gerrit Forst https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Gerrit Forst2009-08-12 14:13:212009-08-12 14:13:21BGH: Kein Mord mit gemeingefährlichen Mitteln durch Unterlassen
Dr. Stephan Pötters

Die wichtigsten Leitentscheidungen des BVerfG – Lebenslange Freiheitsstrafe (BVerfGE 45, 187)

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Schon gelesen?

Leitsätze:
1. Die lebenslange Freiheitsstrafe für Mord (§ 211 Abs. 1 StGB) ist nach Maßgabe der folgenden Leitsätze mit dem Grundgesetz vereinbar.
2. Nach dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse kann nicht festgestellt werden, dass der Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe gemäß den Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes und unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Gnadenpraxis zwangsläufig zu irreparablen Schäden psychischer oder physischer Art führt, welche die Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) verletzen.
3. Zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzugs gehört, dass dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden. Die Möglichkeit der Begnadigung allein ist nicht ausreichend. Vielmehr gebietet das Rechtsstaatsprinzip, die Voraussetzungen, unter denen die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ausgesetzt werden kann, und das dabei anzuwendende Verfahren gesetzlich zu regeln.
4. Die Qualifikation der heimtückischen und der zur Verdeckung einer anderen Straftat begangenen Tötung eines Menschen als Mord gemäß § 211 Abs. 2 StGB verletzt bei einer, an dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten, restriktiven Auslegung nicht das Grundgesetz.
Bedeutung:
Dieses Urteil prägt noch heute maßgeblich die (restriktive) Auslegung der Mordmerkmale durch die Rechtsprechung des BGHSt (vgl. Leitsatz Nr. 4). Auch wurde durch dieses Urteil verbindlich entschieden, dass „lebenslänglich“ i.S.v. § 211 StGB bei verfassungskonformer Auslegung eben nicht wirklich „ein Leben lang“/“bis zum Tode“ heißt, sondern dass die Menschenwürde gebietet, dass auch ein Mörder eine realistische Perspektive haben muss, irgendwann wieder in Freiheit leben zu können. Das Gnadenrecht ist hierfür nicht ausreichend – das Rechtsstaatsprinzip gebietet insoweit eine rechtliche Regelung (Gnade ist nach hM etwas außerrechtliches und nicht gerichtlich überprüfbar).
Eigentlich gibt es dieses Urteil ja schon ziemlich lang (21. Juni 1977), gleichwohl fragen die Boulevard-Zeitungen immer wieder gerne und mit gespielter Empörung, warum lebenslänglich bei den Juristen denn nicht lebenslänglich heißt. Man kann Ihnen die Lektüre dieses Urteils nur empfehlen…

26.04.2009/2 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2009-04-26 12:54:222009-04-26 12:54:22Die wichtigsten Leitentscheidungen des BVerfG – Lebenslange Freiheitsstrafe (BVerfGE 45, 187)

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