BGH: § 680 BGB ist nicht analog auf den Amtshaftungsanspruch anwendbar – Zur Staatshaftung für einen Feuerwehrbeamten
Der BGH hat sich in einer Entscheidung vom 14.06.2018 – III ZR 54/17, NJW 2018, 2723 mit dem Haftungsmaßstab auseinandergesetzt, der bei dem Einsatz von Feuerwehrbeamten zur Brandbekämpfung gilt. Dies deshalb, weil der durch Art. 34 S. 3 GG angeordnete Zivilrechtsweg sich bereits in letzter Instanz befand (erstinstanzlich zuständig sind gemäß § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG nämlich die Landgerichte). Da in dem Urteil nahezu mustergültig das Bestehen eines Amtshaftungsanspruchs sowie die Voraussetzungen, die für das Vorliegen einer Analogiebildung erfüllt sein müssen, geprüft werden – zentral war nämlich die Frage, ob die Haftungsprivilegierung des § 680 BGB zur Geschäftsführung bei Gefahrenabwehr für Feuerwehrbeamte analog herangezogen werden kann –, ist auch auf Grund der praktischen Relevanz der Entscheidung mit einer deutlich gesteigerten Examensrelevanz zu rechnen – zumal neue Entscheidungen auf dem Gebiet des Staatshaftungsrechts vergleichsweise selten sind.
I. Sachverhalt (der PM Nr. 105/2018 v. 14.06.2018 entnommen)
„Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks, auf dem sich das Auslieferungslager und das Verwaltungsgebäude eines Handelsunternehmens befanden. Am Abend des 8. Februar 2010 brach dort ein Feuer aus, das auf das Lager- und das Verwaltungsgebäude übergriff. Die Einsatzkräfte stellten fest, dass der Brand der Lagerhalle nicht mehr zu löschen war. Sie bemühten sich, das Ausbreiten des Feuers auf eine benachbarte Lagerhalle zu vermeiden. Zu diesem Zweck setzte die Feuerwehr [Ergänzung des Verfassers: auf Befehl des Einsatzleiters] zwischen der brennenden Halle der Klägerin und dem benachbarten Lagergebäude ein [Ergänzung des Verfassers: verbotenes, da] perfluoroctansulfathaltiges Schaummittel ein. Die Schaumbestandteile gelangten in das Erdreich und das Grundwasser. Die beklagte Stadt gab der Klägerin auf der Grundlage des Bundes-Bodenschutzgesetzes sowie des Landes-Bodenschutz- und Altlastengesetzes umfangreiche Maßnahmen zur Sanierung ihres Grundstücks auf.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten u.a. die Erstattung der bislang angefallenen und die Freistellung von künftigen Kosten für die Sanierung ihres Grundstücks infolge des Einsatzes des fluorhaltigen Schaums sowie den Ersatz des Wertverlustes, den ihr Grundstück trotz durchgeführter Sanierung erlitten habe. Sie hat vorgetragen, der von der Feuerwehr der Beklagten verwendete Löschschaum habe unter Berücksichtigung des dadurch verursachten Schadens nicht eingesetzt werden dürfen. Ein Ausbreiten des Brandes habe auch ohne den Einsatz des Schaums verhindert werden können.“
II. Die Entscheidung des BGH
Ansprüche der Klägerin gegen die beklagte Stadt auf Ersatz der Schäden, die der Feuerwehreinsatz bzw. die Anordnung des Einsatzleiters, dem die beklagte Stadt das Amt anvertraut hatte, hervorgerufen hat, könnten sich aus einem Amtshaftungsanspruch ergeben, der sich aus einer Zusammenschau von § 839 Abs. 1 BGB und Art. 34 S. 1 GG ergibt. Während § 839 BGB als anspruchsbegründende Norm zuerst zu zitieren ist, ergibt sich aus Art. 34 S. 1 GG (so schon Art. 131 WRV) die Überleitung der Haftung auf den Staat.
1. Ausübung eines öffentlichen Amtes
Zunächst müsse jemand in Ausübung eines öffentlichen Amtes gehandelt haben. Die Berufsfeuerwehr, oder genauer gesagt der Einsatzleiter der Berufsfeuerwehr, ist fraglos als Beamter im staatshaftungsrechtlichen Sinne zu qualifizieren, der auch aus seinem öffentlichen Amt heraus gehandelt hat, denn er hat sich bei seiner Anordnung zum Einsatz des Löschschaums auf öffentlich-rechtliche Vorschriften (vor allem § 34 Abs. 1 S. 1 BHKG) gestützt, die ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt, also den Einsatzleiter, berechtigen und verpflichten. § 34 Abs. 1 S. 1 BHKG regelt die Befugnisse der Einsatzleitung und lautet: „Die Einsatzleitung ist befugt, den Einsatz der Feuerwehren sowie der Einheiten des Katastrophenschutzes zu regeln, erforderliche Einsatzmaßnahmen zu treffen und zusätzliche Einsatzmittel und Einsatzkräfte über die Leitstelle anzufordern.“ Dabei handelte der Einsatzleiter auch in Ausübung eben dieses öffentlichen Amtes, als er den Einsatz des Löschschaumes anordnete, und nicht bloß bei Gelegenheit; mit anderen Worten bestand hier ersichtlich ein innerer wie äußerer Funktionszusammenhang zwischen der Anordnung des Löschschaumeinsatzes und dem öffentlichen Amt als Einsatzleiter der Berufsfeuerwehr.
2. Verletzung einer drittgerichteten Amtspflicht
Problematisch war dagegen, ob der Einsatzleiter durch die Anordnung des Löschschaumeinsatzes auch eine drittbezogene Amtspflicht verletzt hatte, die als Dritte auch die Klägerin umfasst. Als verletzte Amtspflicht kommt hier die aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleitete Pflicht zum rechtmäßigen Verwaltungshandeln in Betracht. Zu dieser gehört es auch, dass der Einsatzleiter einer Berufsfeuerwehr die aus § 34 Abs. 1 S. 1 BHKG folgenden Leitungsrechte ermessensfehlerfrei ausübt. Diese Amtspflicht obliegt dem Einsatzleiter auch und gerade gegenüber der Klägerin, also der Inhaberin des Grundstücks, auf dem der Brand gelöscht werden soll, sodass keine bloße Pflicht gegenüber der Allgemeinheit besteht. Deshalb ist eine Inzidentprüfung der Rechtmäßigkeit des in Rede stehenden Löschschaumeinsatzes angezeigt.
Im vorliegenden Fall bestehen Bedenken gegen das aus § 34 Abs. 1 S. 1 BHKG folgende Auswahlermessen, das auch die Auswahl der richtigen Mittel umfasst. Der BGH nahm insoweit einen Ermessensnichtgebrauch an, da der Einsatzleiter der Berufsfeuerwahr nach den instanzgerichtlichen Feststellungen nicht von einem bestehenden Ermessen ausgegangen war, sondern vielmehr angenommen hatte, er wäre zum Einsatz des Löschschaumes verpflichtet. Wäre sich der Einsatzleiter dagegen seines bestehenden Ermessens bewusst gewesen, läge ein Fall der Ermessensüberschreitung vor, da der Einsatz des Löschschaumes nicht im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz steht, da die Ausbreitung des Brandes auch mit gleich effektiven, milderen Mitteln, die das Erdreich sowie das Grundwasser weniger belastet hätten, möglich gewesen wäre, sodass es an der Erforderlichkeit des Löschmitteleinsatzes mangelt. Damit hat der Einsatzleiter durch die Anordnung des Löschschaumeinsatzes die drittgerichtete Amtspflicht zum rechtmäßigen Verwaltungshandeln verletzt.
3. Verschulden
Den Kern des Rechtsstreits bildete allerdings nachgelagert die Frage, ob diese Amtspflichtverletzung auch schuldhaft begangen wurde, dem Einsatzleiter also ein Verschulden im Sinne des § 276 Abs. 1 BGB angelastet werden kann. Maßstab ist insoweit allerdings nicht der konkret handelnde Einsatzleiter, sondern vielmehr ein besonnener und gewissenhafter, mit anderen Worten pflichtgetreuer Durchschnittsbeamter. Schon aus der Formulierung des Sachverhalts folgt, dass am Vorliegen einfacher Fahrlässigkeit im Sinne des Außerachtlassens der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nach § 276 Abs. 2 BGB bei dem nicht erforderlichen Einsatz des Löschschaums keine Bedenken bestehen – zumal der Einsatzes dieses sog. PFOS-Schaumes in verschiedenen Verordnungen, die jedenfalls Berufsfeuerwehrleuten bekannt sein sollten, explizit verboten wird (so hat der BGH bereits in einer früheren Entscheidung klargestellt, dass sich ein Beamter die für die Amtsausübung notwendigen Kenntnisse selbst verschaffen muss, vgl. Urt. v. 26.01.1989 – III ZR 194/87, NJW 1989, 976). Gleichwohl formuliert § 276 Abs. 1 BGB, dass der Haftungsmaßstab der einfachen Fahrlässigkeit nur dann herangezogen werden kann, wenn eine strengere oder – wie hier – möglicherweise mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses zu entnehmen ist. Dies könnte hier der Fall sein, wenn man aus der Haftungsprivilegierung für die Geschäftsführung bei Gefahrenabwehr, die sich aus § 680 BGB ergibt, eine Analogie herleiten könnte. Voraussetzung dafür wäre das Vorliegen einer vergleichbaren Interessenlage sowie einer planwidrigen Regelungslücke.
a) vergleichbare Interessenlage?
Der BGH verneint (in den Rn. 54 ff.) bereits das Vorliegen einer vergleichbaren Interessenlage, die in der Literatur teilweise damit begründet wird, dass ein berufsmäßiger Helfer nicht schlechter stehen dürfe als ein nicht-berufsmäßiger Helfer:
„Nach Sinn und Zweck von § 680 BGB soll der potenzielle Geschäftsführer in Augenblicken dringender Gefahr zur Hilfeleistung ermutigt werden, weil dies auch im allgemeinen Interesse erwünscht und nach § 323 c StGB unter Umständen sogar gefordert ist. Die Vorschrift des § 680 BGB will also denjenigen schützen und in gewissem Umfang vor eigenen Verlusten bewahren, der sich zu spontaner Hilfe entschließt. Sie berücksichtigt, dass wegen der in Gefahrensituationen geforderten schnellen Entscheidung ein ruhiges und überlegtes Abwägen ausgeschlossen ist und es sehr leicht zu einem Sichvergreifen in den Mitteln der Hilfe kommen kann […]. Diese Situation entspricht nicht derjenigen von Amtsträgern, zu deren öffentlich-rechtlicher Pflicht die „berufsmäßige“ Abwehr einer dringenden Gefahr für Einzelne oder die Allgemeinheit gehört (vgl. § 2 Absatz I 1 BWFwG zur gesetzlichen Aufgabe der von der Bekl. unterhaltenen Feuerwehr). Die genannten Amtsträger sind auf die mit der Gefahrenabwehr häufig verbundenen Noteinsätze typischerweise vorbereitet und können auf entsprechende Erfahrungen aus dem Berufsalltag zurückgreifen, so dass das Risiko eines Fehlverhaltens deutlich geringer ist als bei zufällig hinzutretenden Personen […]. Zudem hat die hinter der Haftungsbeschränkung des § 680 BGB stehende Erwägung, den fremdnützig in einer Notsituation eingreifenden Helfer vor eigenen Verlusten zu bewahren, in Fällen der Gefahrenabwehr durch Behörden deutlich weniger Gewicht.“
Deshalb – so der BGH – sei der Körperschaft, die für die Amtspflichtverletzung anstelle des Feuerwehrbeamten haftet, ein höheres Haftungsrisiko zumutbar als einem freiwilligen (und selbst haftenden) Nothelfer.
b) planwidrige Regelungslücke?
Ob das Gesetz darüber hinaus unvollständig ist und damit eine von Gesetzgeber so nicht vorgesehene Regelungslücke planwidriger Art vorliegt, bezweifelt der BGH (in den Rn. 57 ff.) ebenfalls:
„Das Gesetz enthält auch keine planwidrige Regelungslücke […]. Ob eine derartige Lücke vorhanden ist, die im Wege der Analogie ausgefüllt werden kann, ist vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht zu beurteilen. Das Gesetz muss also, gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht, unvollständig sein […] Dies ist im Hinblick auf den Haftungsmaßstab für die in Ausübung eines öffentlichen Amtes erfolgende Gefahrenabwehr nicht der Fall. […]
Würde […] für die gesamte öffentlich-rechtliche Gefahrenabwehr, soweit sie Notsituationen betrifft, ein reduzierter Haftungsmaßstab entsprechend § 680 BGB gelten, wären bedeutende Bereiche staatlicher Tätigkeit von der Haftung für einfache Fahrlässigkeit ausgenommen. Eine derartige Haftungsprivilegierung ist weder mit den vorgenannten Grundsätzen der Amtshaftung nach § 839 BGB vereinbar noch ist sie erforderlich. Denn der besonderen Situation eines Noteinsatzes kann – unter Berücksichtigung der Ausbildung und der Erfahrung des Amtsträgers – auch im Rahmen der Prüfung des Vorwurfs der einfachen Fahrlässigkeit hinreichend Rechnung getragen werden. Ist die objektiv richtige Handlung für den Amtsträger angesichts der Verhältnisse am Einsatzort und in der Kürze der für die Entscheidungsfindung zur Verfügung stehenden Zeit nicht erkennbar, kann ihm jedenfalls kein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden. Unter Umständen liegt bereits keine Amtspflichtverletzung vor […].
Somit liegt auch keine planwidrige Regelungslücke vor. Dies überzeugt, zeigt doch § 839 BGB selbst gerade, dass der Gesetzgeber bewusst verschiedene Haftungsprivilegierungen für die staatliche Haftung formuliert hat, sodass für die analoge Anwendung weiterer BGB-Normen schon deshalb wohl kaum Platz sein kann. Singbartl/Zintl fassen dies in ihrer Urteilsanmerkung (NJW 2018, 2723) treffend zusammen: „Hätte der Gesetzgeber eine so weitreichende Einschränkung der Staatshaftung gewollt, hätte er dies selbst regeln müssen. Ein „Überspielen“ dieser Nicht-Entscheidung des Gesetzgebers wäre contra legem, würde also die Grenze unzulässiger Rechtsfortbildung berühren.“
c) Zwischenergebnis
Damit greift der Haftungsmaßstab des § 276 Abs. 1, 2 BGB ein, sodass auch die oben beschriebene einfache Fahrlässigkeit zur Erfüllung des Verschuldenserfordernisses ausreichend ist.
4. Ersatzfähiger Schaden
Die Klägerin kann demgemäß alle durch den Einsatz des Löschschaumes adäquat kausal verursachten Schäden in Geld ersetzt verlangen.
5. Keine Ausschlussgründe
Ausschlussgründe aus § 839 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 oder Abs. 3 BGB (Subsidiarität, Spruchrichterprivileg oder unterlassener Rechtsmittelgebrauch) sind nicht ersichtlich.
6. Ergebnis
Demnach steht der Klägerin ein Amtshaftungsanspruch gegen die beklagte Stadt zu, § 839 Abs. 1 i.V.m. Art. 34 S. 1 GG.
III. Was folgt nun daraus?
Der BGH klärt mit seiner Entscheidung einen in der Literatur geführten Streit, der sich in allen Standardkommentaren des BGB wiederfindet (s. nur Palandt/Sprau, 77. Aufl. 2018, § 630 BGB Rn. 1). Wegen der zugleich bestehenden Praxisrelevanz handelt es sich um ein wegweisendes Judikat, das die Aktualität des Amtshaftungsanspruchs abermals unterstreicht.
Gleichwohl ist das Urteil des BGH zum Brandbekämpfungseinsatz einer Berufsfeuerwehr ergangen. Deshalb lässt sich die Folgefrage formulieren, ob sich die Erwägungen des III. Senats auch auf in Deutschland im Verhältnis zur Berufsfeuerwehr deutlich in der Überzahl befindliche freiwillige Feuerwehren übertragen lassen. Dies ist – wie Singbartl/Zintl, NJW 2018, 2723 richtigerweise anmerken – problemlos der Fall. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Auch freiwillige Feuerwehren sind öffentliche Einrichtungen der Gemeinden; sie werden mit anderen Worten öffentlich getragen. Auch hier kann sich der öffentliche Träger wie in der Argumentation des BGH beschrieben finanziell absichern – vor allem durch Abschluss einer entsprechenden Versicherung und durch Schulung der freiwilligen Feuerwehrleute. Eine Analogiebildung zu § 680 BGB ist also auch in diesem Fall nicht angezeigt.
Solange Entscheidungen zum Löschmitteleinsatz und zur Bodenreinigungspflicht nicht aufgehoben sind, können diese wirksam behördlich legitimieren. Damit kann soweit eine schuldhafte Amtspflichtverletzung ausscheiden.
Bei (evtl. gerichtlicher erwirkter) Aufhebung solcher Entscheidungen kann grundsätzlich ein verschuldensunabhängiger Ersatzanspruch in Betracht kommen.
Für eine Bodenreinigung etwa bereicherungsrechtlich für Befreiung von einer ansonsten evntuell behördlichen Beseitigungspflicht, bzw. Verbindlichkeit. Für Hausschäden etwa aufgrund Eigentumseingriffes.
U.U. kann hier grundätzlich noch eine teilweise Mitverantwortung des Eigentümers als Zustandsstörer der Ausgangsbrandgefahr möglich bleiben.
Es können danach Kosten für Bodenreinigung und Hausschäden gegebenenfalls nur teilweise ersetzt zu verlangen sein.